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Den Ablauf flexibel strukturieren

Im Dokument Schulsport im Winter (Seite 189-194)

4.4 Wintersportstunden und Wintersporttage in der Praxis

4.4.7 Den Ablauf flexibel strukturieren

Will man Erlebnisse auskosten, bei gelingenden Bewegungsaktivitäten und Spie-len auch einmal länger verweiSpie-len und individuelle Erfahrungsgelegenheiten in der Hoffnung auf „fruchtbare Momente“ stärken, darf der Ablauf der Wintersportstun-de nicht unverrückbar feststehen. Die Planung muss flexibel bleiben, um unvor-hergesehene Entwicklungen, Eigeninitiativen und Bedürfnisse der Schüler sowie gruppendynamische Prozesse bei den Aufgabenstellungen sinnvoll berücksichti-gen und Freiräume für individuelle Bildungsprozesse gewähren zu können.

Zunächst erhalten die Kinder Gelegenheit, die spiegelglatte Schlitterbahn zu er-kunden und sich an das für die meisten ungewohnte Rutschen auf eisigem Unter-grund zu gewöhnen. Besonders vorsichtig agieren zahlreiche Mädchen: Sie laufen eher verhalten an, wagen anfangs nur kurzes und langsames Gleiten auf dem Eis und haben sichtlich Probleme, das Gleichgewicht auszubalancieren, die entfach-ten Kräfte zu kontrollieren und eine geeignete Fußstellung zu finden, mit der sich gut rutschen lässt. Dagegen fühlen sich viele Jungen offenbar sofort beim Schlit-tern in Seitgrätschstellung am sichersten. Bis zu zwölf Meter weit flitzen sie juch-zend über das Eis.

Relativ schnell werden von versierten Schlitterern andere Formen ausprobiert:

Schlittern in frontaler Schrittstellung, Schlittern mit enger geführten Beinen, Schlit-tern frontal mit gegrätschten Beinen. Ihnen scheint es bereits nach wenigen Minu-ten weniger um das möglichst weite Schlittern als vielmehr um das Spielen mit schwierigen Formen zu gehen, bei denen sie sich an die Grenzen des individuell Beherrschbaren wagen und die sie anderen als Bewegungskunststücke präsen-tieren können: Einige vollführen während des Gleitens eine halbe Drehung und schlittern dann rückwärts weiter; andere schlittern im Fersensitz oder springen mit weitem Satz in das Schlittern frontal mit leichter Schrittstellung ein. Mehrere Kin-der beobachten solche Formen bei anKin-deren und versuchen dann, diese nachzu-ahmen. Der Austausch bleibt allerdings trotz des geringen Abstandes der Bahnen weitgehend auf die eigene Gruppe beschränkt.

Innerhalb weniger Minuten ist – vielleicht auch wegen der Erkenntnis, dass Stür-zen kaum schmerzt – bei fast allen und besonders bei vielen Mädchen eine sprunghaft zunehmende Rutschsicherheit festzustellen: Das Gleichgewicht wird auch nach schnellem Anlauf und bei stockendem Rutschen gekonnt

ausbalan-ciert, das schwebende Gleiten und das Spiel mit den Kräften werden – erkennbar an strahlenden Gesichtern, an das Schlittern begleitenden Jauchzern und an Äu-ßerungen der Kinder – zunehmend lustvoll erlebt. Auch abseits der Bahn bewe-gen sich die Kinder nun wesentlich sicherer, ihre Bewegunbewe-gen sind an den glatten Untergrund angepasst.

Um den Austausch zwischen den Kindern zu fördern und um jedem Kind Anre-gungen für weitere reizvolle Bewegungsmöglichkeiten zu geben, sammeln wir uns nach etwa zehn Minuten um eine Bahn, und ich frage nach den bisher erprobten Formen des Schlitterns. Überwiegend wird das Schlittern in Seitgrätschstellung als einfachste und sicherste Bewegungsform angesehen. Diese und weitere For-men werden von einzelnen Kindern demonstriert.

In einer zweiten Phase des freien Schlitterns, während der die Kinder eifrig die erhaltenen Anregungen ausprobieren, zeigt sich, dass nicht alle ihr Bewegen mit den gleichen Intentionen verbinden: Nachdem zunächst verschiedenste Formen ausprobiert wurden, legen die Mädchen zunehmend größeren Wert auf ästheti-sches und elegantes Gleiten und versuchen, sich darin zu perfektionieren. Dage-gen haben es viele JunDage-gen auf das WaDage-gen und das (möglichst lässige) Präsentie-ren immer schwierigerer und originellerer Schlitterformen und Kunststücke abge-sehen. Den offenbar vorhandenen Bedürfnissen entsprechend gebe ich einige Anregungen zu weiteren Kunststücken, die begeistert aufgenommen und enga-giert erprobt werden.

Um weitere Sinngebungen beim Schlittern anzuregen, markiere ich in der Mitte der Bahnen eine etwa einen Meter lange Zielzone mit Hütchen und frage die Kin-der, ob sie denn nach der vorgegebenen Gleitstrecke zwischen den Hütchen an-halten könnten. Interessiert und sehr konzentriert widmen sich die Kinder dieser Aufgabe und müssen feststellen, dass ein Abbremsen auf dem glatten Untergrund praktisch nicht möglich ist. Sie versuchen daher, die Anlaufgeschwindigkeit so zu wählen, dass sie im markierten Bereich zum Stehen kommen. Ihnen stellt sich damit ein Bewegungsproblem, bei dem unsichere Schlitterer mit vermeintlich Bes-seren um die gelungenere Lösung konkurrieren können. Beim Mannschaftswett-bewerb im Zielschlittern erweisen sich dann auch die schnellsten und wagemu-tigsten Schlitterer keineswegs als die zielsichersten. Jene kommen eher beim an-schließenden Weitschlitterwettbewerb mit Mannschaftswertung voll auf ihre

Kos-ten, der ebenfalls große Begeisterung bei den meisten Beteiligten erweckt. Auf mein Angebot einer „Revanche“ reagieren die Kinder überwiegend eher verhalten.

Daher schreiten wir zum nächsten Angebot fort.

Mit dem Platzieren eines gefalteten Kartons mitten auf einer Bahn wird eine weite-re Herausforderung geschaffen: Ob es wohl möglich ist, wähweite-rend des Gleitens abzuspringen, über das Hindernis zu fliegen und dahinter sturzfrei zu landen? Die Kinder auf dieser Bahn gehen dieses Wagnis ein und einem nach dem anderen gelingt im Verlauf mehrerer Versuche die Bewältigung dieser Aufgabe. Schließlich springen die meisten mit augenscheinlich großer Lust aus voller Fahrt beidbeinig über das Hindernis. Als Kinder aus anderen Gruppen, die das beobachteten, von mir ebenfalls ein solches Hindernis auf ihrer Bahn fordern, löse ich die feste Gruppenzugehörigkeit auf und lasse jeden Schüler seine Bahn frei wählen.

Seit über 60 Minuten halten sich die Kinder nunmehr bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt im Freien auf. Da sie außerdem erste Ermüdungserscheinungen zeigen, ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Kindern kalt wird. Deshalb beschließen wir, das Schlittern für heute langsam zu beenden und machen uns gemeinsam ans Aufräumen. Viele Kinder sind jedoch kaum zur Beendigung ihrer Schlitteraktivitäten zu bewegen. Mehrere von ihnen ergreifen aus eigenem Antrieb von mir vorsorglich für weitere Schlitterspiele bereitgestellte Plastiktüten und Ba-nanenkartons. Sie erproben deren Gleitfähigkeit auf der Schlitterbahn und erfin-den neue Schlitterformen auf diesen Geräten (z.B. auf der Tüte sitzend, im Karton liegend nach einem Sprung hinein), bevor wir schließlich in das Klassenzimmer zurückkehren.

Der Lehrer in diesem Unterrichtsbeispiel versucht, den Schülerinnen und Schülern Bewegungsangebote zu offerieren, die ihren jeweiligen Interessen entgegenkom-men und von ihnen motiviert in Angriff genomentgegenkom-men werden. Dem selbstbestimmten Sich-Bewegen auf der Schlitterbahn räumt er viel Platz ein. Drohen etlichen Kin-dern die Bewegungsideen auszugehen, liefert er ihnen durch Bewegungsvor-schläge, Bewegungsdemonstrationen oder ein verändertes Arrangement gezielte Anregungen, die den Lernfortgang neu beleben und gelingendes Sich-Bewegen anbahnen sollen. Möglich ist ihm dies auf der Basis einer umfangreichen Samm-lung von Bewegungs- und Spielmöglichkeiten, aus der er je nach Bedarf

auswäh-len kann. Seine vorher erstellte Liste reicht weit über die bereits geschilderten Schlitterangebote hinaus:

Während des Schlitterns möglichst viele Gegenstände (Stöckchen, Ringe etc.) einsammeln, die neben der Bahn liegen (Einzel- oder Mannschaftswertung).

Körpererfahrendes Schlittern: Augen nach dem Anlauf während des Schlitterns schließen; Muskelspannung in verschiedenen Körperteilen und Gelenkstellun-gen erfühlen, auch bei verschiedenen Schlittertechniken; Rutschdistanzen vor-her schätzen; Atmung beobachten; Empfindungen und Gefühle in kurzen Ge-sprächen reflektieren.

Figuren schlittern und Kunststücke wagen: Drehungen, Sprünge, Schlittern auf einem Bein, in der Standwaage etc.; evtl. synchron (gleichzeitig auf verschie-denen Bahnen) schlittern, paarweise auf einer Bahn schlittern, in Gruppen klei-ne Kür entwerfen und vorführen (mit Musik).

Gemeinsam schlittern: Möglichst viele schlittern gleichzeitig auf einer Bahn.

Tauziehen ohne Tau: Jeweils zwei Mannschaften stehen sich auf einer Rutsch-strecke in Reihe gegenüber, die beiden Vorderen halten sich an den Händen (oder umgreifen beide einen stabilen Stab), die anderen halten sich jeweils an der Hüfte des Vordermannes fest; verloren hat die Mannschaft, die über die Mittellinie gezogen wird bzw. die, deren Kette zuerst reißt.

Rutschgeräte einsetzen, die im Bewegen „einverleibt“ werden: Schlitten, Auto-schlauch, Teppichfliesen etc.

Zielwerfen während des Schlitterns: Mit Schneeball (Tennisball etc.) auf Ziel werfen, das entweder in Verlängerung der Bahn oder seitlich der Bahn (man rutscht daran vorbei) angebracht ist; als Ziele eignen sich Bananenkartons, Blechdosen, Schneemänner, Holzzielscheiben etc.; auch als Staffelwettbewerb.

Eiskegeln: Mit Steinen auf Blechdosen kegeln; Steine dürfen nur gleiten, nicht geworfen werden.

Eisstockschießen: auch mit Steinen, Hütchen etc.

Der Ablauf der Wintersportstunde sollte nur vorstrukturiert, nicht detailliert fixiert werden. Mittels einer (mehrere Stunden füllenden) Sammlung von Bewegungs- und Spielmöglichkeiten kann dann der tatsächliche Verlauf der Wintersportstunde

flexibel der jeweiligen Unterrichtssituation angepasst werden. „Nicht die minutiöse Planung, sondern das auf Absprachen beruhende Einteilen von überschaubaren Zeitabschnitten ist gefragt.“ (BALZ/MÜLLER 1999, 28): In der Wintersportstunde sollte Zeit gefunden werden für das (anfängliche) Erkunden des Bewegungsrau-mes bzw. des Bewegungsarrangements (z.B. der Schlitterbahn), für die themati-sche Vertiefung (z.B. für das Erlernen zunehmend anspruchsvollerer Formen des Schlitterns), für spontanes Experimentieren und Improvisieren, für kleine Spiele zwischendurch und die Betonung des Miteinanders (z.B. durch Mannschaftswett-bewerbe oder Gruppenaufgaben) sowie für Erholungspausen, die auch zum Er-fahrungsaustausch (z.B. durch gegenseitiges Demonstrieren von Ergebnissen) genutzt werden können (vgl. ebd.).

5 Schlussbetrachtung – ein selbstkritischer Ausblick

In der Einleitung (Kap. 1.3) wurden für diese Arbeit drei Fragestellungen ausge-wiesen, die auch den Leitfaden für die pädagogische Argumentation bildeten. In-wieweit diese Fragen in den voranstehenden Kapiteln geklärt werden konnten, soll im Rahmen einer gebündelten Darstellung der wichtigsten Ergebnisse kurz disku-tiert werden. Ferner wird ein Ausblick auf weitere Forschungsfragen gewagt.

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