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2 Soziale Handlungsfelder, Politikoptionen und Empfehlungen

2.1 Betriebsstrukturen und Wertschöpfung

landwirtschaft-licher Betriebe

Landwirtschaft und Gartenbau leisten einen ent-scheidenden Beitrag zur sicheren versorgung der Bevölkerung mit heimischen Nahrungsmitteln von hoher Qualität; hohe Selbstversorgungsgrade sind dabei ein erstrebenswertes Ziel. Darüber hinaus gestaltet und pflegt die multifunktionale Landwirtschaft die Kulturlandschaft und leistet einen wachsenden Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung.

Betriebsstrukturen: Der Sektor ist von großer vielfalt gekennzeichnet. Dies gilt für die Größe und Struktur der Betriebe, ihre wirtschaftliche Situation und Resilienz gegenüber Störungen, ihre Produktionsweisen und Produkte sowie ihre Innovationskraft und ihre Geschäftsfelder. Solche vielfalt kann für die Nachhaltigkeit des Land-wirtschaftssystems insgesamt ebenso vorteilhaft sein wie für die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe.

Die ZKL empfiehlt, diese vielfalt der land-wirtschaftlichen Betriebe mit dem Ziel eines resilienten und zukunftssicheren heimischen Landwirtschafts- und Ernährungssystems weiterzuentwickeln.

Zugleich hält die ZKL fest, dass die ökonomische Nachhaltigkeit vieler Betriebe nicht mehr ge-geben ist und unzureichende sowie schwankende Einkommen den Strukturwandel weiter zu

beschleunigen drohen. vielfach decken die Erzeugerpreise für Agrarprodukte derzeit nicht

die vollkosten in der Landwirtschaft ab. Effizienz-gewinne durch angepasste Produktions- und Managementmaßnahmen (Spezialisierung, Stückkostendegression) gleichen in zahlreichen Betrieben die mangelhafte Erlössituation nicht mehr aus. Dabei ist wirtschaftliche Stabilität durch ausreichende Wertschöpfung eine not-wendige voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe. Aktuelle

Er-hebungen (zur Methodik vgl. unten) zeigen, dass das Einkommensniveau in der Landwirtschaft oft unter dem für eine wirtschaftlich nachhaltige Weiterentwicklung der Höfe erforderlichen Niveau liegt; daher sehen viele potenzielle Hofnachfolger:innen keine Perspektive.

Strategische Anpassungsprozesse benötigen al-lerdings Zeithorizonte, die den Investitionszyklen im Agrar- und Ernährungssystem entsprechen.

Die ZKL empfiehlt in diesem Zusammenhang insbesondere, die Diversifizierung der Betriebe politisch zu begleiten und mitzugestalten und diese so zur zusätzlichen oder alternativen Auf-nahme neuer Betriebszweige zu ermutigen.

Aus dem Nachhaltigkeitsverständnis der ZKL spricht vieles für eine Politik, die nicht auf Betriebs- bzw. unternehmensgrößen abstellt, sondern auf Ziele wie die vielseitigkeit von Betriebskonzepten, die vielfalt von Landschafts-strukturen zum Erhalt der biologischen vielfalt, das Tierwohl, den Ausbau von Direkt- und Regionalvermarktung sowie die ländliche Strukturbildung.

In diesem Zusammenhang sollte eine ver-besserung der chancen von kleineren landwirt-schaftlichen Betrieben in den Blick genommen werden. Insbesondere geeignet wäre eine deutlich verstärkte Förderung:

– von Geschäftsfeldanalysen und einer darauf beruhenden Diversifizierung der Geschäfts-tätigkeiten (z.B. erneuerbare und alternative Energien, Agrartourismus, Gastronomie, Natur-schutz/Landschaftspflege und Förderung bio-logischer vielfalt);

– von neuen Geschäftsmodellen sowie Eigen-tums- und Organisationsformen mit weit-gehenden sozialen, kooperativen und

Bildungszielen (z. B. Genossenschaften, Solidari-sche Landwirtschaft, Regionalwert-Initiativen);

– von Produktdifferenzierungen (Nischenmärkte, Lebensmittelspezialitäten,Herkunftsangaben wie geschützte ursprungsangaben);

– von regionalen,tierwohlkonformen ver-arbeitungsstrukturen (z. B. handwerkliche Schlachtung und Fleischverarbeitung) und Direktvermarktung inkl. innovativer ver-marktungswege(Online-Direktvermarktung, Regionalregale etc.) sowie von marktbezogener Beratung;

– von frühzeitiger Hofnachfolge mit nachhaltiger NeuausrichtungvonBetriebskonzepten;

– von Quer- und Neueinsteiger:innen mit in-novativen Wertschöpfungsideen sowie von Wissenspartnerschaften (z. B. Innovationshubs).

Durch die Bereitstellung von Biodiversitätsflächen in Form von mehrjährigen Dauerbrachen (be-fristete Stilllegung) können bei entsprechender Prämierung weitere Einkommensbeiträge erzielt werden. Dies ist allerdings nur dann betriebs-wirtschaftlich tragfähig, wenn standortdifferen-zierte durchschnittliche Deckungsbeiträge zur

Kalkulation der Kompensation (Ausgleichs-zahlung) herangezogen werden.55

Des Weiteren können langfristige, auf fairen Interessenausgleich angelegte Kooperations- und Abnahmebeziehungen mit dem Handel, mit den produzierenden und verarbeitenden unternehmen sowie mit den verbraucher:innen für eine verstetigung der landwirtschaftlichen Einkommen und eine Abfederung der Risiken sorgen sowie die Planungssicherheit erhöhen.

Bilateral vereinbarte gemeinsame Planungen, Festpreismodelle oder langfristige vertrags-beziehungen können für die Beteiligten Risiken in stark volatilen Lebensmittelmärkten vermindern.

Für die Diversifizierung der Agrarstrukturen, der Agrarproduktion und der Strukturen von verarbeitung und Handel (abkürzend: Diversi-fizierung in der gesamten Wertschöpfung) und für die mit ihr verbundenen Möglichkeiten des Aufbaus zusätzlicher Beschäftigungsmöglich-keiten und neuer Einkommensquellen sowie der Erweiterung und Stärkung der Erwerbsgrundlage im ländlichen Raum ist auch in Zukunft eine geschlechtergerechte Förderung von großer Bedeutung, die europäische und nationale Mittel kombiniert.

Bodenmarkt: Bund und Länder sollten den Kauf und die Pacht landwirtschaftlicher Flächen sowie die Förderung bei Existenzgründungen stärker regeln als bisher und die Regeln dann auch besser durchsetzen. Dazu wären sie bereits heute in der Lage. Jedoch kaufen Investor:innen bislang ohne Kontrolle des vorrangs für Landwirt:innen und unter umgehung der Zahlung von Grund-erwerbssteuer große Anteile von Flächen.

55 Für konkrete Berechnungen s. u. Latacz-Lohmann et al. (2021): Kalkulation von Zahlungen für die mehrjährige Stilllegung von Ackerflächen, https://www.betriebslehre.agric-econ.uni-kiel.de/de/abteilung-landwirtschaftliche-betriebslehre-und-produktionsoekonomie und http://www.

landwirtschaftskammern.de/fachinfos/index.htm; WBAE (2019): Zur effektiven Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Eu nach 2020, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/Stellungnah-me-GAP-Effektivierung-AuK.pdf.

EMPFEHLuNGEN / SOZIALE HANDLuNGSFELDER, POLITIKOPTIONEN uND EMPFEHLuNGEN

Die ZKL empfiehlt in diesem Zusammenhang:

– die Anzeigepflicht von Pachtverträgen durchzu-setzen und damit zur gewünschten Transparenz beizutragen;

– Anteilskäufe in das landwirtschaftliche Boden-recht einzubeziehen und die Schwelle zur Grunderwerbssteuerpflicht bei Anteilskäufen wirksam abzusenken;

– eine Absenkung der Spekulationsschwelle bei Kaufverträgen im Bodenrecht auf 10% über dem Marktpreis durch die Länder bei Kaufverträgen im Grundstückverkehrsgesetz festzulegen; so könnten Preissteigerungen ver-langsamt und Spekulation mit landwirtschaft-lichen Flächen verringert werden;

– Junglandwirt:innen den Zugang zu Boden zu erleichtern (z. B. durch entsprechende Fördermöglichkeiten).

Überdies ist die Senkung des Flächenverbrauchs auf 30 Hektar je Tag erklärtes Ziel der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Allerdings gibt es bisher keine wirkungsvollen Regulierungen, Anreize und Förderinstrumente zur Entsiegelung ehe-mals bebauter Flächen, um den Druck für eine zusätzliche Inanspruchnahme landwirtschaft-licher Nutzflächen zu reduzieren. Hier sollte der Gesetzgeber auch eine Neuregelung der Hand-lungsspielräume der Kreise und Kommunen im Rahmen des Baugesetzbuches in Betracht ziehen.

Risikomanagement: Ein aktives Risiko-management, zu dem ebenso ein Liquiditäts-management gehört, ist in der Landwirtschaft nicht in dem Maße verbreitet, wie es vor dem Hintergrund stark schwankender Erzeugerpreise, des Klimawandels und weiterer unsicherheiten notwendig wäre. Das vorhandene Instrumenta-rium ist daher weiterzuentwickeln und bedarfs-gerecht auszubauen. Dazu gehört eine intensive Aus- und Fortbildung, die auch den Bereich der indexbasierten versicherungen, Futures und Warenterminmärkte erfasst, um die Betriebe für die Zukunft besser aufzustellen.

Betriebsüber- und -aufgabe: Durch eine systematische Schwachstellenanalyse (auch in Arbeitskreisen, bei gemeinsamer Reflexion der Be-triebsergebnisse usw.) können die Betriebe dabei unterstützt werden, ihr Einkommenspoten-zial besser zu nutzen. In der Regel lohnt es sich für unternehmer:innen, Zeit und Geld in Bera-tungsleistungen zu investieren. Doch gerade Betriebe mit schwierigen Einkommensverhältnis-sen, die die Beratung am dringendsten bräuchten, scheuen häufig diese Investition.

Die ZKL empfiehlt, den vorschlag einer staatlich geförderten Existenzsicherungsberatung zu prü-fen. vergleichbares gilt für Situationen der Hof-nachfolge (vgl. dazu auch Kapitel B 2.3). Hier sollte ebenfalls eine ergebnisoffene und psychosozial fundierte Beratung zum Generationenwechsel unter Einbeziehung bestehender Angebote, z.B.

der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SvLFG), verstärkt werden. Ziel ist es, für eine möglichst hohe Zahl von Betrieben Zukunftsperspektiven zu schaffen.

Wenn es trotz aller Bemühungen nicht gelingt, einen Betrieb ökonomisch und ökologisch trag-fähig auszurichten, kann der rechtzeitige Ausstieg des Betriebsleiters oder der Betriebsleiterin aus der Landwirtschaft der sozialverträglichere Weg sein – auch wenn ihn Familien- oder Traditions-bindung und Selbstständigkeitsverlust schwer machen sollten. Nicht wenige solcher Betriebe liegen in Regionen mit Arbeitskräftemangel, so-dass eine anderweitige Beschäftigung realistisch wäre. Zudem gibt es in einer Marktwirtschaft keinen Anspruch auf unternehmerische Tätigkeit, wenn die entsprechenden voraussetzungen fehlen. Der rechtzeitige Ausstieg bzw. die recht-zeitige Betriebsaufgabe schützt vermögen, ver-ringert psychologische Belastungen und ist auch nicht als Makel oder Scheitern zu verurteilen.

Spezifische Krisen- oder umstiegsberatung sollte dafür verstärkt gefördert werden, indem ein niederschwelliger Zugang zu Beratungsangeboten ermöglicht wird.

Erhebungsmethodik: Politik ist auf aussagekräftige Informationen angewiesen, um angemessene Entscheidungen treffen zu können. So sind bei den Datenerhebungen zur Ermittlung der landwirtschaftlichen Einkommen bzw. der Ein-kommen der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen verbesserungen notwendig. Das derzeitige Testbetriebsnetz reicht nicht aus, um die „Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung“ hinsichtlich ihrer „Angemessenheit“

adäquat beurteilen zu können. Idealerweise muss es in der Art weiterentwickelt werden, dass die den landwirtschaftlichen Haushalten insgesamt zur verfügung stehenden Einkommen ermittelt werden können. Dazu gehören Einkommen aus Diversifizierung und – im Fall der Aufspaltung von unternehmen – aus allen vorhandenen landwirt-schaftlichen und gewerblichen unternehmen bzw.

unternehmensbeteiligungen (z.B. bei Biogas oder Windenergie). Dies impliziert die Ausweitung der Einkommenserfassung mindestens auf die Haus-haltsmitglieder (neben dem/der Betriebsleiter:in bzw. dem Betriebsleiterehepaar), die im Bereich Landwirtschaft oder in landwirtschaftsnahen Be-reichen des „Gesamtunternehmens“ beschäftigt sind.56um die Betroffenen nicht mit zusätzlichen Erhebungen zu belasten, können die Steuerdaten der Finanzbehörden genutzt werden, wie dies in eingeschränkter Weise bereits bisher für das Betriebsleiterehepaar Praxis ist. Zur besseren Ermittlung der sozialen Lage der landwirtschaft-lichen Haushalte sollten diese (einschließlich derer bei unternehmen in Form von juristischen Personen) künftig im Mikrozensus im Hinblick auf die Erfassung der Einkommen wie alle anderen Haushalte behandelt werden. Außerdem ist der in der staatlichen vergleichsrechnung (nach §4 Landwirtschaftsgesetz) verwendete Maßstab eines

„gewerblichen vergleichslohns“ zu hinterfragen:

Je nach Qualifikation der Betriebsleiter:innen und regionaler Arbeitsmarktlage sollten unterschied-liche vergleichslöhne herangezogen werden.