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Das Aufgreifen bildungstheoretischer Überlegungen erscheint an dieser Stelle kurz begründungswürdig: Methodologisch motiviert ist dieses Vorgehen dadurch, dass sowohl Schmidt-Millard (2005) als auch Bietz (2005, S. 85) schon Mitte der ersten Dekade diese Jahrhunderts „von einer regelrechten Re-naissance bildungstheoretischen Denkens“ in der Sport- und Bewegungspäda-gogik sprechen, die bis dato anhält (Aschebrock, Beckers & Pack, 2014; Giese, 2009b; Prohl, 2012a, S. 70; Scherer, H.-G. & Bietz, 2013). In diesem Sinne kommt auch Stibbe (2013, S. 21) in seinem umfangreichen und differenzierten Trendbericht zum Spektrum konzeptioneller Positionen im Spiegel der Fach-diskussion zu dem Schluss, dass es inzwischen berechtigt erscheint, „von der Etablierung der Bildungsidee im Sportunterricht zu sprechen“ (Stibbe, 2013, S. 44). Ähnliche Bestrebungen können allerdings auch in der Behindertenpä-dagogik identifiziert werden, wenn beispielsweise Moser (2003) versucht, die Fachdisziplin auf Basis eines reformulierten Bildungsbegriffs zu rekonstruie-ren oder Musenberg und Riegert (2010) die Bildung von Menschen mit geisti-gen Behinderungeisti-gen bildungstheoretisch zu reflektieren versuchen (vgl. Kap.

4.2.1).

Ist dabei im Folgenden von einem strukturalistischen Bildungsdiskurs die Rede, so ist in dieser Arbeit damit eine Annäherung an den Bildungsbegriff bzw. an eine Bildungstheorie gemeint, die nicht nach den ‚richtigen‘ Inhalten oder nach adäquaten Zielvorstellungen fragt, sondern nach der Bedingung der Möglichkeit von Bildung im Kontext sportlicher Handlungen (Bietz, 2005;

Franke, 2006a; Giese, 2008b; Hasper, 2009b; Hildenbrandt, 2001b; 2005;

Scherer, H.-G., 2005; Scherer, H.-G. & Bietz, 2013, S. 45).53 Ziel einer solchen Herangehensweise ist, „den Diskurs auf eine den Bildungsinhalten vorgela-gerte strukturelle Ebene zurückzuführen und erst von da aus die Diskussion einzelner Sachfragen auf der phänomenalen Ebene anzugehen“ (Hildenbrandt, 2005, S. 202). Im Sinne dieser Herangehensweise lassen sich innerhalb des strukturalistischen Bildungsdiskurses in der Sport- und Bewegungspädagogik aus einer metatheoretischen Perspektive sportsemiotische, sozialphilosophi-sche und ästhetisozialphilosophi-sche Ansätze untersozialphilosophi-scheiden (Giese, 2008c). Im Folgenden geht es allerdings nicht um die Nuancen dieser Ansätze, sondern vielmehr um die Frage nach gemeinsamen bildungstheoretischen Grundpositionen, die dann – ebenso wie die Arbeiten zur philosophischen Sportanthropologie – auf der Fo-lie der referierten Annahmen aus der Anthropologiekritik und der Behinderten-pädagogik zu bewerten sind.

3.3.1 Weltoffenheit und Relationalität

So weist im Kontext von Bildung und Bewegung beispielsweise Bietz (2005) darauf hin, dass sich die prinzipielle Gestaltungsbedürftigkeit menschlicher Weltbeziehungen, „übereinstimmend in den Konzepten der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts, der Philosophie der symbolischen Formen sowie der Sozialphilosophie“ (Bietz, 2005, S. 88) finden lassen. Konsens scheint darüber zu bestehen, dass menschliches Verhalten in konkreten Mensch-Umwelt-Beziehungen nicht, wie es beispielsweise im klassischen Be-haviorismus postuliert wird oder den Reiz-Reaktions-Mustern des Pawlow’schen Hundes zum Ausdruck kommt, durch determiniertes Verhalten bestimmt, sondern zwingend gestaltungsbedürftig ist. Weil dem Menschen au-tomatisierte Verhaltensmuster weitgehend fehlen, muss er sich bilden, um seine Handlungskompetenz zu erweitern. Das Subjekt ist zur autopoietischen Gestal-tung seines Weltbezugs quasi verdammt (Prohl, 2006, S. 17).

Die anthropologische Annahme einer Entkopplung von Reiz und Reaktion, wird dabei wahlweise durch den Verweis auf Plessners (1982) Modell der ex-zentrischen Positionalität oder auf Cassirers (1996) Bestimmung des Menschen als animal symbolicum legitimiert. In Modifikation des Funktionskreismodells

53 In Anlehnung an Hildenbrandt findet dabei ein generatives Strukturkonzept Anwendung, „wie es schon in dem Begriff der ‚inneren Form’ von v. Humboldt für die Sprache entwickelt worden ist. ‚Struktur’ in die-sem Sinne meint die Gestaltungskräfte, die die Generierung und Wandlung der Formen in kulturellen For-men zu Konfigurationen ordnen und erklären helfen“ (Hildenbrandt, 2005, S. 202).

von Uexküll, das bei Tieren von einem Merk- (zur Reizaufnahme) und einem Wirknetz (zur Reizbeantwortung) ausgeht, über das sie mit der Umwelt in Kon-takt treten, geht Cassirer beim Menschen von einem zusätzlichen Symbolnetz aus (Cassirer, 1996, S. 48). Die ubiquitäre, phänomenologische Perspektive, die solchen anthropologischen Annahmen zugrunde liegt, rief in der Sport- und Bewegungspädagogik die reflexartige Kritik der Sportsoziologie auf den Plan, diesen Ansätzen eine umfassende Soziologievergessenheit vorzuwerfen und eine körpersoziologische und historisch-anthropologische Reformulierung ein-zufordern (Alkemeyer, 2003, S. 48; Bindel, 2015, S. 74), wobei die Annahme der Weltoffenheit des Individuums allerdings grundsätzlich geteilt wird.

„Zwar interessiert sich die phänomenologische Diskussion für das Gewebe, die Textur, gewissermaßen ‚das Ganze’ der Verwobenheit von Leib und Welt. Ob-wohl aber fortwährend von ‚der Welt’ die Rede ist, bleibt diese merkwürdig welt-los. Die wirkliche, immer schon gesellschaftlich geformte, von Kulturtechniken geprägte und von Machtbeziehungen durchzogene Welt in ihrer konkreten Ma-terialität, gesellschaftlichen Strukturiertheit und symbolischer Artikulation, wie sie den konkreten Menschen (im Plural!) gegeben ist, bleibt aus diesem Diskurs ausgeklammert“ (Alkemeyer, 2003, S. 50).

Zudem wird üblicherweise explizit darauf hingewiesen, dass sich individuelle Bildung ausschließlich in der selbstständigen und (ergebnis-)offenen Ausei-nandersetzung mit der Welt vollziehen kann. Dabei gilt es das grundsätzlich relationale Mensch-Welt-Gefüge zu beachten, das in der Modellierung der hier referierten bildungstheoretischen Konzeptionen an keiner Stelle umgangen o-der aufgelöst werden kann.

„Weder der Mensch noch die Umwelt sind nach dieser Vorstellung in ihrer je-weiligen Existenzform bloße Gegenbenheiten. Angesichts der prinzipielen und unauflösbar gegebenen Rationalität des Mensch-Welt-Verhältnisses werden die beiden Seiten in ihrer jeweiligen Erscheinungsweise erst im tätigen Umgang her-vorgebracht“ (Scherer, H.-G. & Bietz, 2013, S. 45).

Auf dem Weg zur individuellen Bildung gibt es in diesem Sinne keine Abkür-zungen oder geheime Schleichwege. Sie kann sich nach diesem Verständnis ausschließlich dort realisieren, wo es durch den Unterricht gewährleistet ist, dass das Individuum seinen Ausdruckswillen in einem relationalen Prozess au-tonom mit der Widerständigkeit der Welt in Kontakt bringen kann.

Resümierend kann somit konstatiert werden, dass im Kontext der Annahme der Weltoffenheit eine elaborierte anthropologische Rückbindung bildungstheore-tischer Grundannahmen existiert, indem versucht wird, das zu Grunde liegende

Menschenbild explizit zu formulieren. Dabei werden auch die kritischen Worte der Sportsoziologie, dass die soziale Ordnung als konstitutive Bedingung von Bildung zu verstehen ist, gehört, weshalb in einschlägigen Veröffentlichungen durchweg auch auf sozial-philosophische Bezüge verwiesen wird (Bietz, 2005, S. 99; Bockrath, 2005, S. 34; Franke, 2003, S. 28, 2005, S. 190; Giese, 2008a, S. 208; Größing, 2005, S. 12; Scherer, H.-G., 2005, S. 136). Potentielle An-schlussstellen an Ansätze einer inklusiven Didaktik, die sich daraus ergeben, werden in Kapitel 4 zu diskutieren sein.

3.3.2 Reflexionsfähigkeit

Neben der grundsätzlichen Weltoffenheit zeigt die metaanalytische Betrach-tung des strukturalistischen Bildungsdiskurses (Giese, 2008c), dass das Gelin-gen von Bildungsprozessen aus bildungstheoretischer Perspektive üblicher-weise an Momente der Dekonstruktion und deren Reflexion durch das Subjekt gebunden wird. Wurde dabei bisher die Notwendigkeit der aktiven Gestaltung der Weltbezüge durch das Individuum betont, weil Bildung nach Prohl und Scheid (2012, S. 33) „auf die reflexive Selbsttätigkeit in der Auseinanderset-zung mit sich selbst, der materialen und der sozialen Welt sowie deren kultu-rellen Erscheinungen“ setzt, so sind neben die Momente der Formung, des Bil-dens, des Wirkens und des Ausdrucks notwendigerweise auch Momente der Enttäuschung, der Negation, der Störung der Antizipation bzw. der Bruchlinien der Erfahrung zu stellen (Waldenfels, 2002). Solche Bildungsvorstellungen, die explizit das Moment der Dekonstruktion (Alkemeyer, 2003, S. 58) oder der Dissensorientierung (Thiele, J., 1996, S. 289) betonen, finden sich beispiels-weise im Kontext soziologisch orientierter Arbeiten.

„Erst die Irritation des Evidenten, die Demontage der Normativität des Fakti-schen und, besonders, die Herauslösung aus der Geborgenheit der Fremdbestim-mung begründen die Freiheit zum Entwurf, zur Gestaltung der Wirklichkeit und des Selbst, ihre Behandlung als Aufgabe und Erfindung“ (Alkemeyer, 2003, S. 58).

Sie werden aber auch im ästhetischen Bildungskontext vertreten:

„Insofern muss es unter der Bildungsperspektive in der ästhetischen Praxis des Bewegens gerade darum gehen, sich von vertrauten Ordnungen zu lösen und ge-gebene Habituskonzepte zu verunsichern, um neue Ordnungen hervorbringen zu können und neue, prägnante Bewegungsgestalten zu gewinnen“ (Bietz, 2005, S. 112).

Diskontinuitäten haben allerdings auch aus sportsemiotischer Perspektive eine konstitutive Bedeutung für Bildungsvorgänge. Die Herausbildung individueller und kultureller Symbolwelten ist darauf angewiesen, dass sich der poietische Formungswille des Individuums an der Widerständigkeit der Welt bricht. Der Begriff des Brechens impliziert, dass eine Inkongruenz zwischen den Hand-lungsabsichten und den Handlungsfolgen besteht, die mental zu bewältigen ist.

Nur unter der Voraussetzung, dass es zu einer Störung der Antizipation kommt, kann es zu einer reflexiven Distanziertheit kommen, die als Grundbedingung sportlicher Bildungsvorgänge verstanden wird (Buck, 1989, S. 163).

„Nur unter der Bedingung von reflexiver Distanz – so die allgemeine bildungs-theoretische Annahme – können persönliche Handlungsspielräume gewonnen werden und persönliche Erlebnisse nachhaltig Auswirkungen auf die Person und ihren Weltzugang insgesamt haben“ (Bietz, 2005, S. 107).

In kongenialer Diktion schreibt Franke (Franke, 2000, S. 98) dazu:

„Beides, der Reflexionsprozess auf der Basis von Vernünftigkeit, Selbstbestim-mungsfähigkeit und Freiheit des Denkens und Handelns sowie die Frage nach dem vernunftbegabten, erkenntnisfähigen Subjekt als autonome Person gelten als Voraussetzungen und Merkmale von Mensch-Welt-Bezügen, denen man eine bildungsrelevante Bedeutung zuschreibt.“

Die breite Hochschätzung der Reflexionsfähigkeit als Grundlage eines bilden-den Sportunterrichts zeigt sich auch in aktuellen kompetenzorientierten Ansät-zen, wie sie insbesondere von Gogoll (2013) sowie Kurz und Gogoll (2010) vertreten werden (vgl. ausführlich Kap. 3.4.4).

„Bezogen auf das Fach Sport, hat Schule demnach die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler dazu zu bringen, dass sie bestehende, sportbezogene Welt- und Selbstsichten aus einer mental exzentrischen Position heraus […] beobachtet und sich mental von ihnen distanzieren. […] Reflexiv handlungsfähige Schülerinnen und Schüler sind dann etwa in der Lage, sich selbst Klarheit über ihr Tun zu verschaffen, selbst zu vernünftigen, gut durchdachten , womöglich sogar kreati-ven Entscheidungen zu kommen und daran anschließend selbstbestimmt, nach besten Wissen und Gewissen im Bereich Sport und Bewegung zu handeln“ (Go-goll, 2013, S. 13).

Auch im Kontext kompetenzorientierter, bildungstheoretischer Überlegungen findet sich somit die Annahme, dass bildungswirksame Situationen in erster Linie dort entstehen, wo das eigene sportliche Handeln „etwa in krisenhaften sportbezogenen Entscheidungssituationen“ (Gogoll, 2013, S. 15)

diskurs-pflichtig wird. Entscheidend sei dabei, dass das Subjekt mit einer Situation kon-frontiert wird, in der bestehende Routinen gerade nicht ausreichen, um den An-forderungen angemessen zu begegnen.

Folgen wir diesen gut begründeten und konsensualen bildungstheoretischen Bestimmungen und fragen nach dem immanenten Menschenbild, dann kann im Umkehrschluss nur derjenige als bildungsfähig gelten, der zu den eingeforder-ten abstrakeingeforder-ten Reflexionsprozessen auch in der Lage ist. Es wäre allerdings zu beachten, dass es ggf. auch Menschen mit (schweren) (Mehrfach-)Behinderun-gen gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht dazu in der Lage sind, solche abstrakten Reflexionsleistungen zu erbringen oder diese zu artikulieren.

Die Betroffenen würden damit aufgrund bildungstheoretischer Grundannah-men exkludiert. U. a. hier zeigt sich prototypisch, was Moser und Horster (2012b, S. 11) im Kontext der Behindertenpädagogik kritisch zur Diskussion stellen, dass zur Bestimmung des Menschen zwangsläufig – quasi systemim-manent – Wesensmerkmale heran gezogen werden, die ebenso zwangsläufig unvollständig bzw. sinnlos erscheinen, weil Menschen mit (schweren) Behin-derungen diesen oft nicht entsprechen können (vgl. Kap. 3.2.2).

3.3.3 Bewegung

Neben der Forderung nach (selbst-)reflexiven Kompetenzen wird der Bildungs-prozess im Sport darüber hinaus üblicherweise an die autonome (Selbst-)Be-wegung gebunden (Franke, 2015, S. 237):

„Bildung vollzieht sich daher in der Bewegungshandlung durch den Körper“

(Laging, 2005a, S. 176).

Nach Prohl und Scheid (2012, S. 33) ist der Sport als gesellschaftliches Kultur-segment vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die leiblich-körperliche Be-wegung als primäre, individuelle und soziale Weltbegegnung zu verstehen ist und genau darin auch das spezifische Bildungspotential des Sports zu sehen ist.

Erst die Bewegung ermöglicht dem Individuum die Herausbildung individuel-ler Symbolismen, weshalb „der Mensch sein gesamtes Da-sein gewissermaßen am ‚Leitfaden der Bewegung’ orientiert“ (Hildenbrandt, 2005, S. 205). Erst die Fähigkeit der autonomen Selbst-Bewegung erlaubt es dem Menschen, intenti-onal und teleologisch mit der Welt in Beziehung zu treten. Nur in der Bewe-gung kann der Formungs- und Ausdruckswille des Individuums eine Brechung

durch die Welt erfahren. Bewegung wird dadurch zum Urgrund unserer biolo-gischen, individuellen und kulturellen Existenz.

„Gebunden ist dieser Prozess an das Handeln. Die kulturelle Wirklichkeit muss

‚er-wirkt’ werden, und auf ihrer fundamentalsten Stufe ist dieses Tun an die Be-wegungsfähigkeit gebunden“ (Hildenbrandt, 2005, S. 206).

Im Kontext dieser Theoriekontexte kann die Bedeutung der Bewegung kaum hoch genug eingeschätzt werden, weil nach diesem bildungstheoretischen Ver-ständnis Selbstbewegung allen Bildungsleistungen konstitutiv zugrunde liegt (Bietz, 2015, S. 206; Laging, 2013b).

„Da auf der Bewegung der fundamentale Weltbezug des Subjekts gründet, der sich in primären Ordnungen natürlicher Symbolik niederschlägt, kann in der Be-wegung die Urform der Synthesis gesehen werden, die dem Bewußtsein sowohl einen Be-griff der Welt als auch vom eigenen Ich symbolisch vermittelt“ (Sche-rer, H.-G. & Bietz, 2000, S. 146).

An anderer Stelle formulieren Scherer und Bietz dazu in Abgrenzung zum er-ziehenden Sportunterricht:

„Auch in diesem Strukturverständnis von Bildung zeigt sich ein bedeutsamer Unterschied zu dem in der Sportpädagogik einflussreichen Konzept des Erzie-henden Sportunterrichts. Bewegung ist hier nämlich nicht das Medium [kursiv im Original, MG] für die Inszenierung transitiver Bildungsprozesse, wie sie im Doppelauftrag mit der Orientierung an pädagogischen Perspektiven angezielt werden. Bewegung ist vielmehr der Modus [kursiv im Original, MG] von Bil-dung und damit die Grundlage reflexiver BilBil-dung“ (Scherer, H.-G. & Bietz, 2013, S. 48).

Wird die Bewegungsfähigkeit als Bedingung der Möglichkeit von Bildung ver-standen und ist Bewegung „insofern nicht nur Mittel der Gestaltung und des Ausdrucks, sondern auch Mittel der Erkenntnis“ (Bietz, 2005, S. 95), dann drängt sich auch an dieser Stelle die Frage nach dem Umkehrschluss auf, näm-lich was diese Aussagen für Menschen bedeuten, die zur autonomen Selbstbe-wegung bzw. ganz generell zur eigenständige BeSelbstbe-wegung nur eingeschränkt o-der gar nicht in o-der Lage sind. Auch hier sind es erneut insbesono-dere Menschen mit schwerer und/oder mehrfacher Behinderung, die von strukturellen Exklu-sionsprozessen bedroht sind. Dass selbstverständlich auch Menschen mit schweren und/oder mehrfachen Mehrfachbehinderungen bildungsfähig sind, ist sicherlich unzweifelhaft und dass auch für diese Zielgruppen in der Behinder-tenpädagogik Konzepte des aktiven und bewegten Lernens existieren – wie es beispielsweise besonders eindrücklich in Lilli Nielsens Konzept des aktiven

Lernens zum Tragen kommt (Nielsen, 1992, 1993, 1995) – darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Menschen in den bildungstheoretischen Diskur-sen der Sport- und Bewegungspädagogik nicht mitgedacht sind und deshalb explizit von Exklusionsprozessen bedroht sind (vgl. Kap. 4.2.2).

Die kritische Frage nach dem Ausgrenzungspotential von bildungstheoreti-schen Grundannahmen zeigt, dass die besonderen Bedarfe von Menbildungstheoreti-schen mit Behinderungen in der Sport- und Bewegungspädagogik bisher nicht ausrei-chend in den Blick genommen wurden. Gerade die Disability Studies und Ab-leism machen jedoch nachhaltig dafür sensibel, dass existierende Strukturen darauf hin untersucht werden müssen, um strukturelle bzw. theoriegeleitete Ex-klusionskonstruktionen abzubauen.

Fassen wir die bildungstheoretischen Überlegungen zum strukturalistischen Bildungsdiskurs zusammen, ergibt sich ein janusgeschichtiges Antlitz. Auf der einen Seite scheinen die anthropologischen Annahmen in der Tradition Pless-ners oder Cassirers, wie sie in Kapitel 3.3.1 dargestellt worden sind, geeignet, um auf Konsenslinien zu verweisen, wie sie in Kapitel 4 angedacht werden.

Zum anderen entfalten die anthropologischen Annahmen, die in den Kapiteln 3.3.2 und 3.3.3 diskutiert wurden, zumindest potentiell ein exkludierendes Po-tential in Bezug auf Menschen mit Behinderungen und auch hier findet weder die philosophische noch die behindertenpädagogisch Anthropologiekritik sys-tematisch Beachtung. Kritisch zu resümieren bleibt zudem, dass auch in diesem Kontext weder eine systematische Auseinandersetzung mit den Arbeiten der kritischen Theorie, noch mit der Pädagogischen Anthropologie noch mit der behindertenpädagogischen Anthropologiekritik zu erkennen ist. Bezüge zur Ethik werden allenfalls bei Prohl (2006, S. 155) angedeutet.