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49 Prinzipien des männlichen Machtspiels beteiligen. Das Ausklammern führe hingegen zu einer systematischen Reproduktion der Unterordnung (ebd.: 259-265).

Die Untersuchung von Ideler (2017) zeigt ebenfalls auf, dass es bei ver.di nach wie vor einer gewerkschaftspolitischen Debatte zum Thema Geschlechtergerechtigkeit bedarf, denn es bestehe eine deutliche Kluft zwischen egalitärem Anspruch, rhetorischer Gleichheit und faktischer Ungleichheit. Die Autorin stellt zudem heraus, dass die Debatten um Geschlechtergerechtigkeit bei der Gründung von ver.di und in den Anfangsjahren bereits weiterentwickelter waren als aktuell. Und auch Schonhöft-Dickgreber (2019) kommt zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften noch immer vor großen Herausforderungen bei der Wahrnehmung der Interessen von Frauen stehen, auch wenn sich neue gewerkschaftlich engagierte Diskussionsstränge konstatieren lassen.

50 Wähler_innenstimmen der SPD deutlich wird. Und dies wiederum führt zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Gewerkschaften und schwächt deren Einfluss zusätzlich.

Vor dem Hintergrund dieser Parallelen zwischen dem Umbau des Wohlfahrtsstaats und der Krise der Gewerkschaften ist die These der Downsizing-Spirale relevant, deren Grundannahme es ist, dass eine Korrelation zwischen dem marktorientierten Rück- und Umbau in Wohfahrtsregimen und der Zersetzung gewerkschaftlicher Ressourcen besteht. Als Bestätigung dieser These können die rekommodifizierenden Arbeitsmarktreformen in Deutschland im direkten Zusammenhang mit den Verlusten der gewerkschaftlichen Organisationsmacht gesehen werden (Urban 2010, 2013). Aus einer globalen Perspektive beschreibt dies Silver (2005) folgendermaßen: Unter dem Druck der Globalisierung wurde die Organisationsmacht der Gewerkschaften zersetzt, indem die staatliche Souveränität geschwächt wurde. Mit dem Abbau wohlfahrtstaatlicher Leistungen wurde die Marktmacht der Arbeiter_innen erheblich beeinträchtigt. Während das soziale Sicherungsnetz ursprünglich verhindert hatte, dass die Arbeiter_innen ihre Arbeitskraft um jeden Preis verkaufen mussten, und die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt auf diese Weise gezügelt war, schwächte die neue, globale Konkurrenzsituation die Marktmacht der Arbeiter_innen, die mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit nun zu erheblichen Konzessionen gezwungen wurden und werden. Aus dieser Schwächung der gewerkschaftlichen Organisationsmacht und der Marktmacht der Arbeiter_innen entstand eine gegenseitig begünstigende Abwärtsspirale.

Wobei die Gewerkschaften für die negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und der Sozialpolitik verantwortlich gemacht wurden und infolge dessen vor einem Legitimationsproblem standen, was wiederum zu einem Rückgang ihrer Durchsetzungsmacht in Form von sinkenden Mitgliederzahlen führte und somit den negativen Kreislauf verstärkte (vgl. ebd. 32-34).

Ein weiterer Beleg für die enge Verbindung zwischen Wohlfahrtsstaat und Gewerkschaften zeigt sich im Rahmen des Gent-Versicherungssystems, mit dem sich Leonardi (2006) auseinandergesetzt hat. Der Autor weist darauf hin, dass der Rückgang der Anzahl gewerkschaftlich organisierter Mitglieder seit den 1980er-Jahren viele kapitalistische Industrieländer betrifft, während die Mitgliederzahlen in den skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden und Finnland sowie in Belgien jedoch stabil waren bzw. teilweise sogar Zuwächse in der Organisationsquote zu verzeichnen waren. Im gleichen Zeitraum, als in vielen anderen Industrieländern (USA, Japan, Deutschland etc.) erhebliche Verluste der gewerkschaftlichen Organisationsmacht zu verzeichnen waren, zeigten sich also in den skandinavischen Ländern und in Belgien deutliche Zuwächse bzw. stabile Verhältnisse. In Schweden stieg im Zeitraum zwischen 1980 und 1998 der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 78 % auf 88 % und in Finnland von 69 % auf 79 %. Stabil blieb der Organisationsgrad in Dänemark bei ca. 77 % und in Belgien bei etwa 54 %. Diese

51 vergleichsweise überdurchschnittliche Organisationsquote kann durch das spezifische Gent-Versicherungssystem erklärt werden, durch das die Arbeitnehmer_innen mittels der Gewerkschaften in direkter Form vor sozialen Risiken geschützt werden. Die stärkere institutionelle Verbindung zwischen den neo-korporatistischen Wohlfahrtsregimen in den skandinavischen Ländern und dem Bismarck´schen Kontinental-Modell in Belgien unterscheiden sich zum Teil zwar erheblich, aber dennoch eint sie die institutionelle Verschränkung zwischen dem Wohlfahrtsregime und den industriellen Beziehungen durch dieses spezifische Versicherungssystem. Das Gent-System basiert auf der Beteilung der Gewerkschaften bei der Verwaltung und Gestaltung der Arbeitslosenversicherung als elementares Instrument des Sozialstaats und beruht auf der freiwilligen Mitgliedschaft in einem gewerkschaftlichen Fond, der im Falle von sozialen Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Tod zu Ansprüchen führt. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich aus staatlichen Finanzmitteln (hauptsächlich der Einkommenssteuer) und den Mitgliedsbeiträgen der Arbeitnehmer_innen. In Belgien hat zwar der Staat die formelle Aufsicht über die Arbeitslosenversicherung, aber den Gewerkschaften obliegt durch einen Sozialpakt, der im Vorfeld geschlossen wurde, die direkte Verwaltung der Dienstleistungen und die Verwaltung von Zuschüssen für die Erwerbslosen. Infolge der Aktivierungspolitiken sind seit den 1990er-Jahren die Leistungen in den drei skandinavischen Ländern allerdings ebenfalls zunehmend an Vorbedingungen geknüpft worden und es kam zu Verschiebungen hinsichtlich der Zumutbarkeitsregelungen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sowie der Absenkung im Leistungsniveau. Aber dennoch gehören diese Länder im weltweiten Vergleich immer noch zu den großzügigsten Sozialstaaten.

Den Gewerkschaften verschafft das die vorteilhafte Situation, dass sie von den durch die Flexibilisierungen des Arbeitsmarkts bedingten Unsicherheiten in direkter Weise profitieren.

Denn mit dem zunehmenden Risiko der Arbeitslosigkeit steigt auch die Bereitschaft, sich einem gewerkschaftlichen Versicherungsfond anzuschließen, was an den Beispielen Finnland und Schweden veranschaulicht werden kann: In Finnland kam es innerhalb im Zeitraum 1990 - 1993 zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit von 3,6 % auf 18 %. In der gleichen Zeit stieg der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 72 auf 80 %. Ähnlich hat es sich in Schweden verhalten. Dort stieg der Anteil des Organisationsgrades unter den Erwerbslosen auf ein ähnliches Niveau wie unter den Erwerbstätigen, was auf zusätzliche Unsicherheiten durch z.B. Befristung, Leiharbeit oder andere Formen der atypischen Beschäftigung zurückzuführen ist.

Die Befunde zeigen, dass die gewerkschaftliche Machtposition im Gent-System durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gestärkt wird, während Versicherungssysteme wie das deutsche dadurch geschwächt werden. Dabei wurden und werden die gestärkten finanziellen Ressourcen der Gewerkschaften in den skandinavischen Ländern zur Machterhaltung

52 genutzt, also bspw. für die starke Kontrolle der Tarifverhandlungen und die flächendeckende Präsenz in Betrieben, genauso wie für die Erweiterung der Interessensvertretung auf Gruppen, die bislang schlecht organisiert waren, was z.B. auf junge Menschen und Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen zutrifft. Zum anderen stützen die Befunde die Annahme von Urban (2010, 2013), wonach die Revitalisierung der Gewerkschaften, in Anbetracht der engen Verbindung bzw. Beziehung zwischen Wohlfahrtsstaat und Gewerkschaften, in Deutschland nur mit de-kommodifizierenden Reformen des Wohlfahrtstaats gelingen kann. Für die Gewerkschaften würde dies bedeuten, sich verstärkt auf sozialpolitische Themen fokussieren zu müssen.

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3 Struktur- und Anforderungswandel im SAGE-Sektor

Die im Kapitel 2 geschilderten Umwälzungen hatten weitreichende Konsequenzen für die Beschäftigten im SAGE-Sektor, da sie zu einem rasanten Struktur- und Anforderungswandel geführt haben. Zu den zentralen Merkmalen der Veränderungen gehören u.a. der Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses zugunsten atypischer Beschäftigungsformen, die zunehmende Befristung von Arbeitsverhältnissen (besonders von jungen Beschäftigten), der Abbau von Vollzeitstellen, die Zunahme von Teilzeitarbeit und Minijobs, die Entgrenzung der Arbeitssphären in vormals private Bereiche, Erwartungen an permanente Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung, Zeitdruck sowie pathologische Belastungsfolgen durch chronischen Stress (Jurczyk/Rerrich 2015). Gleichzeitig stellen die sozialen Dienstleistungen zurzeit die größte Wachstumsbranche dar, was auch für die kommenden Jahre gelten wird. Die Beschäftigten in dem Segment der sozialen Dienstleistungen haben derzeit einen Arbeitsmarktanteil von etwa 18 %, prognostiziert wird jedoch ein Anstieg bis auf ca. 30 % (Jürgens/Hoffmann/Schildmann 2017: 63). Diese Beschäftigungsexpansion ist jedoch gekennzeichnet durch die Ambiguität, dass es sich einerseits um soziale Risikoberufe und gleichzeitig um Zukunftsberufe handelt (Beher/Fuchs-Rechlin 2013).

Um dem Forschungsanliegen dieser Arbeit gerecht zu werden, ist es notwendig, die durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und den Paradigmenwechsel des Wohlfahrtsstaats bedingten Veränderungen anhand konkreter Zahlen hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeittätigkeit, Befristung, Akademisierung, Frauenanteil) zu beleuchten. Dies ist aus den folgenden zwei Gründen sinnvoll: Zum einen dienen die so gewonnenen Erkenntnisse der Ermittlung des konkreten Ausmaßes der Veränderungen und Entwicklungen und zum anderen ermöglichen diese den späteren Abgleich zwischen den statistischen Merkmalen der gezogenen Stichprobe der quantitativen Hauptuntersuchung und der Grundgesamtheit auf Basis bundesamtlicher Angaben.

Bei der folgenden Betrachtung der Entwicklungen wird ein Dreiklang aus der Beschreibung des Arbeitsmarktes sowie der Arbeitsqualität und -entlohnung verfolgt, welche die Frage nach der Ausgestaltung der industriellen Beziehungen im SAGE-Sektor aufwerfen (vgl. das nächste Kapitel). Für die Darstellung des Struktur- und Anforderungswandels im Erwerbsleben von Beschäftigten im SAGE-Sektor werden im Kapitel 3.1 die Entwicklungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen von Sozialarbeiter_innen, Pflegekräften sowie Erzieher_innen beschrieben. Die Entwicklungen hinsichtlich der Arbeitsqualität und Arbeitsentlohnung sind hingegen Gegenstand der Kapitel 3.2 und 3.3.

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