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3.1 A RBEITSMARKT IM SAGE-S EKTOR – P RIVATISIERUNG UND F LEXIBILISIERUNG

3.1.3 Erzieher_innen

64

65 20 Jahre später waren es hingegen nur noch 90 %. Hier dürften die Bemühungen der Bundesregierung zum Tragen gekommen sein, den Beruf auch Männern nahezulegen. Die Quote der Erzieher_innen mit akademischen Abschlüssen ist im benannten Zeitraum von 4,4 auf 9,4 % gestiegen. Die Verdoppelung der Beschäftigten mit akademischem Abschluss dürfte auf die Akademisierung in diesem Bereich seit etwa Mitte der 2000er-Jahre zurückzuführen sein.

Abbildung 11 Die Entwicklung der Beschäftigungsstruktur von Erzieher_innen, differenziert nach Geschlecht, Beschäftigtenanzahl und -umfang sowie akademischem Abschluss im Zeitraum 1999-2018 (Quelle: eigene Darstellung auf Basis der Beschäftigungsstatistik des Statistischen Bundesamtes nach Klassifikation der Berufe für die Jahre 1999 bis 2018)

Um die Arbeitsmarktentwicklung realitätsnah ermitteln, d.h. um den zukünftigen Bedarf an Erzieher_innen abschätzen zu können, hat das Deutsche Jugendinstitut drei unterschiedliche Szenarien berechnet, denen a) zukünftige Veränderungen durch den - demografisch bedingten - Ersatz- und Mehrbedarf, b) bislang unerfüllte Elternwünsche und c) die angestrebte Qualitätsoffensive durch das geplante Qualitätsentwicklungsgesetz (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016) zugrunde gelegt wurden.

Das erste Szenario betrifft den Fall, dass sich an den gegenwärtigen Gegebenheiten nichts verändert wird. In diesem Fall ergäbe sich bis zum Jahr 2025 keine Personallücke an Fachkräften. Wenn allerdings, wie im zweiten Szenario, derzeit unerfüllte Elternwünsche berücksichtigt werden, dann würden bis zu diesem Jahr in etwa 36.000 Fachkräfte (in Vollzeit) fehlen. Und wenn, wie im dritten Szenario, zusätzlich die personellen Folgen der angestrebten Qualitätsoffensive - insbesondere hinsichtlich der Veränderungen des Personalschlüssels - berücksichtigt werden, dann entstünde bis zum Jahr 2025 ein Defizit von ca. 235.000 bis 309.000 Fachkräften (in Vollzeit). Doch egal, welches Szenario zugrunde gelegt wird: Derzeit ist unklar, wie der entstehenden Personallücke auch nur annähernd adäquat begegnet werden

363.720

482.985

681.668

856.620

0 100.000 200.000 300.000 400.000 500.000 600.000 700.000 800.000 900.000

1999 2011 2013 2018

Beschäftigungsstruktur von Erzieher_innen

Beschäftigte - Erzieher_innen Vollzeitbeschäftigte

Erzieher_innen

mit akademischem Berufs-abschluss

Frauenanteil

66 kann, sodass von einem Personalnotstand gesprochen werden muss (Rauschenbach et al.

2017: 36). Dieser Einschätzung folgt auch die Bundesregierung im aktuellen Bildungsbericht 2018 (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).

Die ca. 857 Tsd. Erzieher_innen sind in Deutschland aktuell in ca. 56 Tsd.

Kindertageseinrichtungen (KiTas) mit unterschiedlichen Arten von Trägern beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2018). Unterschieden werden kann hier zwischen öffentlichen Trägern, freien Trägen mit gemeinnützigen Zielen (z.B. AWO, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz etc.), freien Trägern ohne gemeinnützige Ziele (private Wirtschaftsunternehmen) sowie Elterninitiativen (i.d.R. eingetragene Vereine). Die Bertelsmann Stiftung (2019) stellt hierzu in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) seit dem Jahr 2014 Kennzahlen zusammen, welche einen Einblick in die Entwicklung der Trägerlandschaft ermöglichen.

Ergänzt wird diese Datenreihe mit den Daten des Statistischen Bundesamtes, welches im Jahr 2008 erstmalig spezifische Daten ausgewiesen hat, sodass nun ein Einblick in die Entwicklung der Trägerlandschaft der letzten zehn Jahre möglich ist. Dabei zeichnen die Daten das folgende Bild: In dem Zeitraum ab 2008 sind in etwa 6.000 neue KiTas entstanden. Der prozentuale Anteil der KiTas in öffentlicher Trägerschaft blieb bei etwa 33 % konstant, ebenso wie der Anteil an privat-nichtgemeinnützigen Trägern, der bei etwa 2,5 % lag und liegt. Seit dem Jahr 2016 wurden zudem die Elterninitiativen ausgewiesen, welche zuletzt ca. 8 % der Trägerlandschaft ausmachten. Die Ausweisung der Elterninitiativen hatte zufolge, dass es bei den privat-gemeinnützigen Trägern einen statistischen Rückgang um die 8 % gab. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass in den letzten zehn Jahren die jeweiligen Anteile der Träger in Deutschland stabil geblieben sind und keine Verschiebung in Richtung Privatisierung zu erkennen ist, wie sich aus der folgenden Abbildung 12 ablesen lässt.

Abbildung 12 Die Entwicklung der Trägerlandschaft der Kindertageseinrichtungen im Zeitraum 2008-2017 (Quelle: eigene Darstellung auf Basis des Ländermonitor Frühkindlicher Bildungssystem der Bertelsmann Stiftung für die Jahre 2008 bis 2017)

35 33 33 33 33

65 64 64 56 57

2 3 3 3 8 3 8

0 50 100

2008 2014 2015 2016 2017

Kindertageseinrichtungen nach Trägerart seit dem Jahr 2008 (in Prozentpunkten)

öffentlich

privat-gemeinnützige Träger (kl. Liga: AWO etc. + Sonstige) privat-nichtgemeinnützige Träger (Wirtschaftsunternehmen) Elterninitiativen

67 Als Indikator für die Arbeitsanforderungen von Erzieher_innen kann der Personalschlüssel, der auch Betreuungsschlüssel genannt wird, herangezogen werden. Gemeint ist das Verhältnis einer in Vollzeit arbeitenden Erzieherin_eines in Vollzeit arbeitenden Erziehers zu einem ganztags betreuten Kind. Dieser Personalschlüssel ist deshalb von Interesse, als die Relation von Erzieher_in zu Kind nicht nur die Qualität der pädagogischen Prozesse beeinflusst, sondern auch in einem „substantiellen Zusammenhang mit dem Belastungserleben, der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit“ (Viernickel/Voss/Mauz 2017:

159) der pädagogischen Fachkräfte steht. Informationen zum Personalschlüssel werden seit dem Jahr 2010 im Rahmen des, alle zwei Jahre erscheinenden, nationalen Bildungsberichts dezidiert ausgewiesen. Die Grenzwerte, ab denen die pädagogische Prozessqualität und das Verhalten und Wohlbefinden der Kinder und Fachkräfte negativ beeinflusst wird, liegen bei Gruppen mit unter Dreijährigen bei 1:3; bei Gruppen von drei- bis sechsjährigen Kindern bei ca. 1:8 sowie bei Gruppen mit älteren Kindern bei 1:10 (Viernickel/Schwarz 2009;

Viernickel/Voss/Mauz 2017) – eine Einschätzung, welche auch von der Bertelsmann Stiftung geteilt wird (Stein 2014).

Aus den Bildungsberichten geht hervor, dass sich der Personalschlüssel in den vergangenen Jahren sowohl in den Gruppen mit Kindern unter drei Jahren als auch in den Gruppen mit über Dreijährigen verbessert hat. Das Verhältnis in Gruppen mit über Dreijährigen lag im Jahr 2018 im Durchschnitt bei etwa einer Fachkraft zu sechs Kindern. Jedoch gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern große Unterschiede: In den neuen Bundesländern lag der Personalschlüssel zum angegebenen Zeitpunkt bei 1:8,5, während dieser in den alten Bundeländern 1:5,5 betrug. Die Differenzen zwischen den neuen und alten Bundesländern resultieren aus der Tatsache, dass zwar der Betreuungsanspruch der Eltern durch ein Bundesgesetz länderübergreifend einheitlich geregelt ist, die konkrete Ausgestaltung der strukturellen Rahmenbedingungen jedoch in der jeweiligen Verantwortung der Länder liegt. So liegt es auch in der Entscheidung der einzelnen Länder, wie sie die z.B. durch das Gute-KiTa-Gesetz (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2019) ab dem 01.01.2019 bereitgestellten Mittel einsetzen.

In der Gruppe der unter Dreijährigen ist die tendenzielle Entwicklung ebenfalls positiv. Die Betrachtung der ausgewiesenen Werte der Bildungsberichte ab dem Jahr 2010 zeigt, dass der durchschnittliche Personalschlüssel zuletzt, d.h. im Jahr 2018, 1:4 betrug. Auch in dieser Gruppe bestehen allerdings deutliche Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern: Während das Verhältnis in den neuen Bundesländern im angegebenen Jahr 1:5,6 betrug, lag es bei den alten Bundesländern bei 1:3,4 (vgl. Abb. 13).

68 Abbildung 13 Personalschlüssel in Kita-Gruppen mit unter-dreijährigen Kindern in den Jahren 2010-2018 (Quelle: eigene Darstellung auf Basis des nationalen Bildungsberichts des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation für die Jahre 2010 bis 2018)

Bei der Betrachtung des Personalschlüssels ist allerdings von Bedeutung, diesen inhaltlich von dem Begriff der „Fachkraft-Kind-Relation“ – wie er von Viernickel et al. (2014) verwendet wird und worauf sich die Grenzwerte beziehen – zu unterscheiden. Denn bei dem Personalschlüssel handelt es sich um ein mathematisches Verhältnis von entlohnter Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Erzieherin_eines vollbeschäftigten Erziehers zur Betreuungszeit eines ganztags zu betreuenden Kindes. Was bedeutet, dass diese Kennzahl auch die Anteile für die Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche, Dokumentation oder auch Krankheits-, Urlaubs-, sowie Fortbildungszeiten etc. umfasst. Insofern bleibt für die mittelbare pädagogische Arbeit mit den Kindern deutlich weniger Zeit, bzw. das Verhältnis von Fachkraft zu Kind verschlechtert sich. Mit dem Begriff der Fachkraft-Kind-Relation wird hingegen versucht, die tatsächliche Betreuungssituation zu erfassen. Die Bertelsmann Stiftung geht in diesem Kontext von mind. 25 % der Arbeitszeit aus, welche nicht für die mittelbare pädagogische Arbeit zur Verfügung steht (Stein 2014). Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht hingegen sogar von 33 % aus (GEW 2018). Werden diese Anteile auf die Personalschlüssel des Jahres 2018 in den Gruppen der unter und über Dreijährigen übertragen, so zeigt sich, dass die empfohlenen Grenzwerte nur in der Gruppe der über Dreijährigen erreicht werden, wie in der folgenden Tabelle 2 deutlich wird.

5,8

4,7 4,6

4,1 4

4,8

3,8 3,8

3,4 3,4

6,6

5,7

6,3 5,8 5,6

0 1 2 3 4 5 6 7

2010 2012 2014 2016 2018

Personalschlüssel in Gruppen mit unter-dreijährigen Kindern ab dem Jahr 2010

Deutschland Westdeutschland Ostdeutschland

69 Tabelle 2 Übertragung des Personalschlüssels 2018 auf die Fachkraft-Kind-Relation (Quelle:

eigene Darstellung auf Basis des nationalen Bildungsberichtes des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Personalschlüssel Fachkraft-Kind-Relation nach Bertelsmann Stiftung (+25 %)

Fachkraft-Kind-Relation nach GEW (+33 %)

empfohlene Fachkraft-Kind-Relation nach Viernickel et al.

(2014) in Gruppen mit unter dreijährigen Kindern

Ostdeutschland 5,6 7,0 7,4

Westdeutschland 3,4 4,3 4,5

Deutschland 4,0 5,0 5,3 3

in Gruppen mit über dreijährigen Kindern

Ostdeutschland 8,5 10,6 11,3

Westdeutschland 5,5 6,9 7,3

Deutschland 6,1 7,6 8,1 8

Insbesondere in der Gruppe der unter Dreijährigen sowie in den neuen Bundesländern wird das empfohlene Verhältnis von pädagogischer Fachkraft zu Kind deutlich überschritten. Da die Fachkraft-Kind-Relation auch Rückschlüsse auf das Wohlbefinden der Fachkräfte zulässt, ist es deshalb nicht verwunderlich, dass verschiedene Studien aufgezeigt haben, dass ein Großteil der pädagogischen Fachkräfte von arbeitsbezogenen gesundheitlichen Beschwerden während und nach der Arbeit berichtet (Fuchs/Trischler 2008). Nach Thinschmidt (2010) betrifft dies besonders den Stütz- und Bewegungsapparat sowie die psychische Beanspruchung, welche durch ungünstige und hohe Arbeitsanforderungen hervorgerufen wird. Als den Körper ungünstig belastende Faktoren werden die teilweise schwere körperliche Arbeit des Hebens und Tragens von Kindern benannt, aber auch ergonomische Aspekte wie z.B. das Sitzen auf zu kleinen Kinderstühlen. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer Kompakt-Auswertung des DGB-Index ,Gute Arbeit‘ (2015) die besonders ausgeprägte Belastung durch Lärm in den Erziehungsberufen dokumentiert. Die hohe psychische Beanspruchung zeigt sich anhand der Vielzahl von psychosomatisch bedingten Beschwerden, die von arbeitsbedingtem Stress und Überforderung zeugen. Dazu gehören u.a. „Rücken und Nackenschmerzen, Probleme mit der Stimme, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Erschöpfung und Müdigkeit, Schlafstörungen, Nervosität und Reizbarkeit“ (Viernickel 2017:

25). Zudem können über 50 % der Erzieher_innen nach der Arbeit nicht abschalten und sind auch in der arbeitsfreien Zeit mit beruflichen Problemen befasst. Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen von Backhaus, Hampel und Dadaczynski (2018), welche im Rahmen einer quantitativen Untersuchung die Verbreitung von Burnout und Burnout-Symptomen in dieser Berufsgruppe untersucht haben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ein arbeitsbedingtes Burnout bei 24,4 % und Burnout-Symptome bei 47,3 % der untersuchten Erzieher_innen vorlagen.

70

3.2 Arbeitsqualität der Beschäftigten im SAGE-Sektor: Belastung und