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5 Über das Für und Wider des Großen Befähigungsnachweises

5.4 Der Umfang an Ausbildungsleistung und die Qualität der Ausbildung

5.4.3 Ausbildungsbereitschaft hat verschiedene Gründe

Befähigungsnachweises sinken. Für den erforderlichen Fachkräftebedarf ist das aber in jedem Fall problematisch, insbesondere weil das Handwerk einen hohen Anteil der volkswirtschaftlichen Ausbildungsleistung abdeckt. Eine von Deregulierungsbefürwortern (Bode 2003) angenommene Kompensation des Fachkräftebedarfs durch die Ausbildung in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ist allerdings keine angemessene Antwort auf einen eventuellen Rückgang an handwerklichen Ausbildungsplätzen. Ist eine spezifische Qualifikation erforderlich, nützt auch keine Zunahme an Ausbildungsplätzen in anderen Bereichen. Zwar werden in den letzten Jahren mehr Ausbildungsplätze bei den neu entstandenen Berufen, u.a. im IT- und Medienbereich erforderlich, während gleichzeitig bei den klassischen Handwerksberufen wie dem Kraftfahrzeugmechaniker der Bedarf zurückgeht (vgl. BIBB 2004: Schaubild 0304), das ändert jedoch nichts an der Einschätzung über die Kompensation: Fachkräfte müssen in den Bereichen und Berufen ausgebildet werden, in denen sie fehlen. Gesamtwirtschaftlich steht die Annahme von Bode freilich in einem anderen Licht.

Tabelle 9: Bruttokosten, Erträge und Nettokosten nach Ausbildungsbereichen (Vollkosten)

Durchschnittliche Beträge pro Auszubildenden und Jahr in Euro

Industrie und Handel

Freie Berufe

Öffentlicher Dienst

Land- wirtschaft

Handwerk

17 750 17 738 17 035 15 020 14 395 (Brutto)

8 218 9 082 6 393 8 837 6 780 (Erträge)

9 532 8 656 10 642 6 183 7 615 (Netto)

Quelle: Beicht et al. 2004: 45.

Werden die Ausbildungskosten jedoch zwischen den einzelnen Gewerken des Handwerks verglichen, zeigt sich ein weniger eindeutiges Bild. Die Gegenüberstellung von sechs Gewerken unterschiedlicher Bereiche zeigt vielmehr sehr divergierende Nettokosten (tatsächlich entstandene Kosten) (vgl. Tabelle 10).

Tabelle 10: Bruttokosten, Erträge und Nettokosten in sechs ausgewählten Berufen des Handwerks (nach der Vollkostenrechnung116)

Durchschnittliche Beträge pro Auszubildenden und Jahr in Euro

Bürokauf mann/frau

Maurer/-in

Gas- und Wasserin stallateur/-in

Elektroin- stallateur/-in

Bäcker/-in

Friseur/-in

Brutto 18 372 17 166 15 211 14 897 14 447 11 655

Erträge 10 971 7 793 6 408 6 316 8 083 5 782

Netto 7 401 9 374 8 804 8 850 6 364 5 873

Quelle: Beicht et al. 2004: 88.

So ist bei den Maurern, Gas- und Wasser- sowie Elektroinstallateuren eine annähernde Nettokostenbelastung wie in der Industrie und den Freien Berufe festzustellen. Gerade in

116 Nach der Vollkostenrechnung werden alle durch die Ausbildung entstehenden Kosten einbezogen. Damit sind die fixen Kosten gemeint, die dem Betrieb auch dann entstehen würden, wenn er nicht ausbildete, insbesondere die Kosten des nebenberuflich mit der Durchführung der Ausbildung und Ausbildungsverwaltung beschäftigten Personals (Beicht et al 2004: 92).

diesen Handwerksberufen wird aber in großem Umfang ausgebildet: ihr Anteil beträgt 44 vH des gesamten Ausbildungspotentials des Handwerks. Im Friseurhandwerk, das die geringsten Kosten ausweist, liegt der Ausbildungsplatzanteil dagegen mit ca. 13,2 vH117 deutlich unter den Elektro- und Metallgewerken. In den kaufmännischen Ausbildungsberufen wird wiederum in größerem Umfang ausgebildet – unabhängig von höheren Nettokosten. Dagegen sind die Nahrungsmittelgewerke, trotz geringerer Ausbildungskosten, mit einem Ausbildungsanteil von 5,8 vH nur gering vertreten. Hier spielen allerdings weniger die Kosten und die Ausbildungsbereitschaft des Handwerks eine Rolle, als vielmehr die geringe Attraktivität der Berufe. So übersteigt im Bäcker- und Fleischerhandwerk das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage deutlich: im Fleischerhandwerk liegt die Relation bei 424 Ausbildungsplätzen zu 141 Nachfragern, bei den Bäckern und Konditoren liegt das Verhältnis bei 587 Ausbildungsplätzen zu 404 Nachfragern (vgl. ZDH (b) vom 16.08.04; BIBB 2004:

Schaubild 0204 und eigene Berechnungen). Würde in diesen Gewerken der Anteil der Auszubildenden um den Bewerber- bzw. den Ausbildungsplatzüberhang erhöht, läge dieser aber immer noch deutlich unter den ausbildungsintensiven Metallhandwerken. Den Kosten der Ausbildung ein starkes Gewicht zu verleihen, reicht zur Erklärung der hohen Ausbildungsleistung im Handwerk also nicht aus. Deshalb sind noch andere Faktoren einzubeziehen, durch welche die Ausbildungsbereitschaft maßgeblich beeinflusst wird.

In den Betrieben werden Nachwuchskräfte insbesondere für den eigenen Bedarf ausgebildet.

Ihre Motivation beruht u.a. auf dem Interesse, ihr Personal zu verjüngen sowie die Fluktuation auszugleichen. Die Rekrutierung eigener Fachkräfte wird demnach zum Teil durch Ausbildung betrieben. In einer Befragung von Unternehmern in Bezug auf die Nutzenaspekte durch die eigene Ausbildung gaben diese mit hoher Zustimmung an, dass die eigene Ausbildung der beste Weg sei, künftige Mitarbeiter in die Unternehmenskultur einzuführen.

An zweiter Stelle stellten sie den Geschäftswert ihres Unternehmens. Dieser würde durch gut qualifizierte Mitarbeiter deutlich gesteigert. An dritter Stelle folgt die Förderung der Identifikation mit ihrem Unternehmen. Und an vierter Stelle gaben sie das Image in der Öffentlichkeit an, das sich positiv auf ihren Betrieb auswirke. Zudem wurden die Wettbewerbsfähigkeit, Personalpolitik, Firmentradition etc. genannt (Beicht et al. 2004: 226).

Anhand der Aussagen wird deutlich, dass die Motivation zur Ausbildung vielfältiger Art ist:

Neben der ökonomischen Verwertbarkeit der Ausbildung beeinflussen auch „weiche“

117 In diesem Zahlenwert sind die Gewerke von Gesundheit, Körperpflege (Friseur), chemischen Reinigung und Reinigung zusammengefasst.

Faktoren das Ausbildungsangebot. Dass diesen „weichen“ Faktoren eine nicht unwichtige Bedeutung zukommt, zeigt sich an deren Platzierung in einer Rangliste: Hier steht die Unternehmenskultur an oberster Stelle. Auch der Imagegewinn durch Ausbildung und die Firmentradition liegen im oberen Bereich der Rangliste. Letztere erhielt insgesamt eine Zustimmung von 62 vH (vgl. Beicht et al. 2004: 226). Des Weiteren zeigt die Differenzierung in verschiedene Wirtschaftssektoren, dass im Handwerk die Firmentradition mit 68 vH gegenüber den anderen Bereichen die höchste Zustimmung erhielt (vgl. Beicht et al. 2004:

230). Die befragten Handwerker versprechen sich durch die Ausbildungsleistung sowohl einen Reputationsgewinn bei den Kunden und Lieferanten als auch nützliche Effekte für ihre Rolle als attraktiver Arbeitgeber. Beicht et al. begründen die hohe Zustimmung mit der engen Einbindung in das soziale Umfeld und in ökonomisch wichtige lokale und regionale Netzwerke (z.B. Kunden und Liefernten), in denen das Renommee eine wichtige Rolle spielt (vgl. Beicht et al. 2004: 230). Die traditionsbedingt starke Verankerung der Berufsausbildung verdeutlicht nach ihrer Ansicht, dass die Ausbildungsbereitschaft nicht primär ökonomischen Motiven geschuldet ist, sondern darüber hinaus auch durch das Traditionsbewusstsein sowie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen bestimmt wird; und das sogar in einem beachtlichen Maß (Beicht et al. 2004: 231).

Das Befragungsergebnis lässt damit die Schlussfolgerung zu, dass die Ausbildungsbereit-schaft im Handwerk auch ohne Großen Befähigungsnachweis stabil bleiben kann. So kann infolge des stark ausgeprägten Traditionsbewusstseins von Handwerkern angenommen wer-den, dass das Ausbildungsangebot auch durch Gesellen gewährleistet werden kann. Die mögliche Stabilität des Ausbildungsplatzangebots setzt allerdings voraus, dass die ökono-mischen Faktoren (Konjunktur, Strukturwandel) begünstigend wirken. Um Gesellen zur Ausbildung zu berechtigen, bedarf es einer veränderten gesetzlichen Regelung, da die Ausbildung bisher den Meistern obliegt. Doch die Ausbildungsberechtigung Gesellen zuzu-erkennen ist keinesfalls abwegig, wird bedacht, dass erfahrenen Gesellen auch die Gründung eines eigenen Unternehmens zugestandenen wird. Allerdings ist zur Wahrung einer hohen Ausbildungsqualität wichtig, die Ausbildungsberechtigung an eine Ausbildungseignungs-prüfung118 zu binden. Darüber hinaus ist für Gefahrenhandwerke, wie oben festgestellt wurde, eine fachliche Prüfung sinnvoll. Hieraus entstünde dann der Kleine Befähigungsnachweis.

118 Die Lehrfähigkeit sollte in jeder Bildungseinrichtung eine wichtige Grundlage darstellen. So wiesen Schmidt/

Kraus in ihrem Gutachten zur Insolvenzquote auf die didaktische Qualifikation der Lehrenden hin. Diese trage u.a. diese dazu bei, dass Ausbildungsziele erreicht würden (Schmidt/ Kraus 2001: 154). In Bezug auf die (sich entwickelnde) Wissensgesellschaft ist der Qualität der Wissensvermittlung jedoch überhaupt ein hoher Stellenwert zuzuordnen.

Angesichts sinkender Meisterabgänger wäre durch eine Ausbildereignungsprüfung bzw. dem Kleinen Befähigungsnachweis eine Alternative zum Großen Befähigungsnachweis geschaf-fen. Außerdem könnte auf diese Weise ein eventueller Ausbildungsboykott durch die Handwerksmeister, der als Protest gegen die Abschaffung des Großen Befähigungs-nachweises angekündigt wurde (vgl. Bode 2003: 13), kompensiert werden. Da die Prognose über die Entwicklung der Ausbildungsleistung freilich erst nach der Umsetzung neuer Regelungen überprüfbar wird, kann nur abgewartet werden, auf welchem Niveau sich das Ausbildungsangebot ohne Meisterqualifikation etablieren wird. Als gesichert darf jedoch gelten, dass mit dieser Umstrukturierung das traditionelle handwerkliche Selbstverständnis bezüglich der dreistufigen Qualifizierung Lehrling – Geselle – Meister geschwächt würde.

Zumindest für Interessenvertreter des deutschen Handwerks ist das unvorstellbar; sie halten mit Verve am Großen Befähigungsnachweis fest (vgl. ZDH (f) vom 09.11.2003).