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AUS FORSCHUNG UND LEHRE

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 69-77)

2,1 Mrd. Euro. Die jeweiligen Beträge werden gemäß § 11 Abs. 3 FAG in konstanten Anteilen (bevölkerungsorientiert) auf die ostdeutschen Länder verteilt.

Somit bleibt zusammenzufassen, dass sich das Bundesland Nordrhein-Westfalen nicht am Soli-darpakt II beteiligt und daher keine Belastung hieraus erfährt. Jegliche Argumentationen, das Gelder zwischen West und Ost transferiert wer-den, sind daher nicht stichhaltig. Die gegenwär-tigen Belastungen der nordrhein-westfälischen Gemeinden sind jedoch anderweitig begründet.

Woher stammen die Belastungen?

Um die gegenwärtigen aber auch künftigen Belastungen entsprechend zu erörtern, ist eine Analyse der Vorgänge ab dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung notwendig. Daher ist es zweckmäßig, wichtige Zeitpunkte chronolo-gisch in einem Zeitstrahl gegenüberzustellen.

Errichtung Fonds Deutsche Einheit 1990-1994

Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde zeit-gleich die Errichtung eines Fonds Deutsche Einheit FDE vorangetrieben, der einen wesent-lichen Beitrag zur Sanierung der ostdeutschen Bundesländer darstellte. Über den Fonds Deut-sche Einheit wurden zwiDeut-schen 1990 und 1994 ca. 82 Mrd. Euro unter anderem über Kredit-mittel bereitgestellt. Im Gegenzug hierfür wur-den die ostdeutschen Bundesländer nicht in den Länderfinanzausgleich (LFA) integriert und bekamen somit als potenzielle Nehmer-länder keinerlei Transfers aus diesen Ausgleichs-systemen. Dies bedeutet im Gegenzug, dass alle westdeutschen Bundesländer derzeit über höhere Einnahmen aufgrund der fehlenden Ein-bindung Ostdeutschlands in den Länderfinanz-ausgleich verfügten. Die hieraus resultierenden Lasten sind über die Kreditaufnahme des Fonds Deutsche Einheit zum Teil in die Zukunft ver-schoben worden. Von dieser Regelung profierte auch damals Nordrhein-Westfalen, so dass auch eine derzeitige Grundsatzdiskussion über den FDE nicht zielführend sein dürfte. Weitere Ein-nahmen erhielt der FDE über Bundeszuschüsse, die zu 50 Prozent von den Ländern über eine spezifische Minderung des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen zu erstatten waren.

An diesen Länderlasten sind die Gemeinden zu ca. 40 Prozent über eine erhöhte

Gewerbe-steuerumlage sowie Mindereinnahmen aus der Reduzierung des Länderanteils am Umsatz-steueraufkommen beteiligt worden.

Integration der ostdeutschen Bundesländer in den LFA 1995 Mit Ablösung des Fonds Deutsche Einheit sind die ostdeutschen Länder 1995 dem Länderfi-nanzausgleich beigetreten. Im Gegenzug wurde der Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen um sieben Prozentpunkte auf insgesamt 44 Pro-zent angehoben. Die Verbindlichkeiten des FDE bedienten Bund und die westdeutschen Länder jeweils hälftig – einschließlich eines Festbetrages von 2,1 Mrd. DM, der von den Ländern an den Bund abzuführen war.1 An der Zahllast der Länder sind die Gemeinden mit bis zu 40 Prozent betei-ligt worden.2 Teil dieser kommunalen Zahllast stellt eine erhöhte Gewerbesteuerumlage dar, die dem jeweiligen Bundesland zugeht. Eine weitere

Erhöhung erfuhr die Gewerbesteuerumlage durch die Einbindung der ostdeutschen Länder in den Finanzausgleich und die hieraus resultierenden Umverteilungen zulasten der bisherigen Geber- und Nehmerländer.

Exkurs: Aufgaben des Länderfinanzausgleichs

Die Herstellung und Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse stellt ein Kernelement des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern dar. Auch die kommunalen Finanzausgleichs-systeme dienen primär dieser Aufgabe. Dies erfordert im Rahmen des Länderfinanzaus-gleichs eine Separation zwischen finanzschwa-chen, anspruchsberechtigten und finanzstarken, anspruchsbefriedigenden Bundesländern gemäß den Vorgaben von Art. 107 Abs. 2 GG, damit eine überregionale Wahrnehmung der Daseins-vorsorge auf einem gleichwertigen Niveau erfol-gen kann. Strittig ist, wie ein gleichwertiges Niveau definiert werden kann. Der Länderfi-nanzausgleich geht hierbei einen einfachen Weg und vernachlässigt die öffentlichen Ausgaben.

Er unterstellt, dass eine länderübergreifende Nivellierung der Steuereinnahmen zugleich eine Nivellierung der öffentlichen Ausgaben bedeutet, was implizit mit einer gleichwertigen Wahrnehmung der Daseinsvorsorge gleichge-stellt wird. Hierbei orientiert sich der Finanzaus-gleich an den pro Kopf Steuereinnahmen eines

Bundeslandes und dem bundesweiten Durch-schnitt und ermittelt hieraus die jeweiligen Transferansprüche.

Somit ist es nur sachgerecht, wenn in einem gesamtdeutschen Staat alle Bundeslän-der – unabhängig von ihrer jeweiligen Finanz-ausstattung – in derartige Ausgleichssysteme einbezogen werden. Die Wahrung gleichwerti-ger Lebensverhältnisse führt daher zwangswei-se zu einer Konstellation, in dem finanzstarke Bundesländer für finanzschwache Regionen ein-stehen müssen. Auch ein Bundesland wie Nord-rhein-Westfalen muss sich aus diesem Grund der Realität stellen, in der in einem wiederver-einigten Deutschland weitaus finanzschwächere Bundesländer existieren. Die Angleichung der Finanzkraft an den bundesweiten Durchschnitt über den Finanzausgleich stellt daher ebenfalls einen Solidarpakt dar, der jedoch nichts mit den Aufbau- und Sanierungshilfen des Solidarpakts II gemein hat. Die Solidargemeinschaft im Rah-men des Länderfinanzausgleichs bildet vielmehr die praktische Umsetzung der verfassungsmäßig geforderten Gleichwertigkeit der Lebensverhält-nisse ab. Strittig hierbei ist lediglich die Defini-tionsreichweite von Gleichwertigkeit.

Reform des LFA und Übernahme der Verbindlichkeiten des FDE durch den Bund 2005

Weiterhin prägend für die aktuellen Belas-tungen waren die Reform des Länderfi-nanzausgleichs sowie die Übernahme der Restverbindlichkeiten des FDE durch den Bund im Jahr 2005. Diese Belastungen werden gemäß § 6 Abs. 5 GFRG auf ca. 2,6 Mrd. Euro beziffert und setzen sich aus sich aus erhöhten Umverteilungen aus dem reformierten Län-derfinanzausgleich zulasten der westdeutschen Bundesländer sowie einer Reduktion des Län-deranteils am Umsatzsteueraufkommen von 1,323 Mrd. Euro zusammen.3

Hierbei muss jedoch eingestanden werden, dass eine Reduktion der Umsatzsteuereinnah-men sowohl die west- als auch die ostdeutschen Bundesländer belastet. So werden maximal 25 Prozent dieses Umsatzsteueranteils nivellie-rend auf die Bundesländer verteilt, wovon alle finanzschwachen Bundesländer profitieren.

Eine Reduktion des Umsatzsteueranteils wirkt sich daher auf den nicht nivellierenden Anteil des Umsatzsteueranteils von mindestens 75 Pro-zent aus. Dieser Anteil wird gemäß § 2 Abs. 2 FAG nach dem Verhältnis der Einwohnerzahl der Länder verteilt, so dass letztlich hiervon alle Bundesländer betroffen sind.

1 Vgl. § 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Errichtung eines Fonds

„Deutsche Einheit“.

2 Vgl. § 6 Abs. 5 Gemeindefinanzreformgesetz (GFRG) a.F.

3 Vgl. Art. 5 Solidarpaktfortführungsgesetz SFG.

AUS FORSCHUNG UND LEHRE

Die Belastungen für die westdeutschen Bundes-länder aufgrund der Maßnahmen im Jahr 2005 quantifiziert § 6 GFRG anhand des Annuitä-tenanteils am Fonds Deutsche Einheit für das Jahr 2004. Hiernach betragen die Kosten für Nordrhein-Westfalen insgesamt 686 Mio. Euro, die wiederum bis zu 40 Prozent an die lokalen Gemeinden weitergegeben werden können.

Einheitslastenabrechnungsgesetz Nordrhein-Westfalen 2010

Die Summe der zuvor genannten Kostentreiber wurde in Nordrhein-Westfalen bis 2005 bei der Berechnung der Verbundmasse des kommunalen Finanzausgleichs berücksichtigt. Den Gemeinden stehen durch die Reduktion der Verbundmas-se weniger Einnahmen zur Verfügung. Ab dem Jahr 2006 zielte das Land jedoch auf alternative Lastenübertragung ab. So ist der stetige Versuch unternommen worden, die bisher genutzte Spitz-abrechnung gegen eine relative Verrechnung im Rahmen der Verbundmasse des kommunalen Finanzausgleichs zu substituieren. Diese Verrech-nungsform führt jedoch unabwendbar zu einer möglichen Überkompensation der mit 40 Pro-zent veranschlagten kommunalen Lastenbeteili-gung. Bereits dieser erste Versuch einer diskreten Bereicherung des Landes zulasten der nordrhein-westfälischen Gemeinden führte zu einer entspre-chenden Verfassungsbeschwerde im Jahr 2007.4 Trotz Abweisung der Klage forderte der Landes-verfassungsgerichtshof eine spezifische Beobach-tung der kommunalen Lastenbeteiligung, um nachhaltig dem Bundesdurchschnitt von 40 Pro-zent zu entsprechen. Bereits 2006 lag die Kosten-umlage der Gemeinden bereits bei 44,8 Prozent.5 Trotz fehlenden Konsens zwischen dem Bundesland und der Gemeinden über die tat-sächlichen Kosten des Landes im Rahmen der Wiedervereinigung konnte im Jahr 2010 das Ein-heitslastenabrechnungsgesetz ELAG verabschie-det werden. Im ELAG wird nunmehr der Versuch unternommen, anhand verschiedener Parameter für jede Gemeinde die an das Land abzutretenden Finanzmittel direkt zu berechnen. Kompensierend auf diese Beträge wirken die erhöhte Gewerbe-steuerumlage sowie ein Vorabanteil von 1,17 Pro-zent an der Verbundmasse des jeweiligen Jahres.6 Die verbleibenden Differenzen werden von den Gemeinden eingefordert bzw. erstattet.

Durch dieses Vorgehen werden die Gemeinden hautnah mit den fiktiv unterstellten Belastungen der Deutschen Einheit konfrontiert. Eine Kür-zung der kommunalen Verbundmasse des Finanz-ausgleichs um die Beträge der Spitzabrechnung bis 2005 steht nunmehr dem Willen des Landes gegenüber, direkt Finanzmittel aus dem Haushalt einer jeden Gemeinde abzuziehen. Es darf durch-aus mit Recht angezweifelt werden, ob einerseits die Einheitslasten korrekt spezifiziert werden konnten

und andererseits die kommunale Belastung wiede-rum über den Bundesdurchschnitt von 40 Prozent hinausgehen. Ein Einblick in die komplexe Materie der dauerhaften Auseinandersetzungen zwischen dem Land und den Gemeinden Nordrhein-West-falens weist eher nach, dass nicht die bundesweite Solidargemeinschaft im Rahmen des Länderfinanz-ausgleichs und erst recht nicht der Solidarpakt II das häufig in der Presse propagierte ‚Grundübel‘ darstel-len. Vielmehr geht es im Grundsatz um seit Jahren schwelende Länderinterna Nordrhein-Westfalens zur weiteren Einnahmengenerierung. Das Einheits-lastenabrechnungsgesetz erscheint eher als Versuch, den Schwarzen Peter den ostdeutschen Ländern zuzuschieben. Die Benennung des verantwortli-chen Gesetzes in „Einheitslastenabrechnungsgesetz“

trägt sein Übriges zu der versuchten Verschleierung bei. Dies wurde unter anderem auch von einigen Kommunen Nordrhein-Westfalens rechtzeitig erkannt und gegen das Einheitslastenabrechnungs-gesetz Verfassungsbeschwerde beim zuständigen Landesverfassungsgerichtshof eingereicht.

Mit der Entscheidung vom 08.05.2012 wider-sprach der Landesverfassungsgerichtshof den Abrechnungsmodalitäten des Einheitslastenab-rechnungsgesetzes. Den beschwerdeführenden Gemeinden wurde insofern Recht gegeben, dass Finanzierungsbeteiligung der Gemeinden an den finanziellen Belastungen des Landes Nordrhein-Westfalen im Sinne der kommunalen Selbst-verwaltung unvereinbar und nichtig ist.7 Die veränderte Bemessung der Einheitslasten des Lan-des über das ELAG verletzt folglich das in der Ver-fassung garantierte Recht auf Selbstverwaltung.

Zudem wird durch das Einheitslastenabrech-nungsgesetz die Annahme unterstellt, das Land besäße konstante Belastungen bis zum Jahr 2019. Allerdings werden dynamische Veränderungen der Finanzkraft länderintern aber auch länderübergreifend nicht in den Modellberechnungen integriert. Des Weiteren bleiben Umgestaltungen der Finanzausgleichssysteme

in den Betrachtungen zur Belastungsanalyse – wie die Erhöhung des Länderanteils am Umsatzsteuerauf-kommen 1995 – einfach außen vor. Hier bedarf es letztlich Nachbesserungsbedarf durch das Land ins-besondere bei der korrekten Definition von Einheits-lasten und entsprechenden Belastungsberechnungen.

Abschaffung der Solidargemeinschaft im LFA als probate Lösung?

Die Kritik vielerorts in Nordrhein-Westfalen ist bezüglich der Aufbauhilfen aus dem Solidarpakt II simpel zu widerlegen, da in diesem Rahmen keiner-lei Finanzmittel aus Nordrhein-Westfalen abgezo-gen werden. Richtet sich die Kritik jedoch geabgezo-gen die Solidargemeinschaft des Länderfinanzausgleichs, wie sie bereits die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg aber auch Hessen äußerten, ist eine Prüfung der spezifischen Rolle Nordrhein-Westfa-lens innerhalb der Solidargemeinschaft notwendig.

So zeigt sich laut Abbildung 1, dass das Bun-desland Nordrhein-Westfalen und somit auch die Gemeinden zwischen 2005 und 2011 eher selbst ein Nehmerland im direkten horizontalen Länder-finanzausgleich darstellten.8 Im Vergleich zu den einzigen Geberländern im Finanzausgleich fielen die Beiträge Nordrhein-Westfalens äußerst marginal aus. Wurden 2005 noch 26 Euro pro Kopf als Bei-trag in den Finanzausgleich eingezahlt, reduzierten sich diese Beiträge im Jahr 2006 auf 7 Euro pro Kopf bzw. 2007 auf 2 Euro pro Kopf. In jüngster Vergangenheit entwickelte sich Nordrhein-Westfalen hingegen zu einem reinen Nehmerland im Länder-finanzausgleich und empfing somit Transferbeiträge von den Geberländern, deren Beiträge um ein Viel-faches höher liegen als die bisherigen Leistungen Kommunalfinanzen

Pro Kopf Beiträge der Geberländer zwischen 2005 und 2011 (Quelle: eigene Berechnungen)

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Abbildung 1: Pro Kopf Beiträge der Geberländer zwischen 2005 und 2011 (Quelle: eigene Berechnungen)

Allerdings weist der Länderfinanzausgleich eine ungleich höhere Komplexität auf, indem nicht nur die direkten Transfers zwischen den Ländern nivellierend auf die Finanzkraft wirken. Vielmehr wird auch der Länderanteil des Umsatzsteueraufkommens zum Teil nivellierend auf die Bundesländer verteilt.

Aufgrund differenzierter Berechnungsgrundlagen unterscheidet sich die ausgleichsrelevante Finanzkraft sowohl bei der Umsatzsteuerzuteilung als auch beim horizontalen Ausgleich. Die Finanzkraft Nordrhein-Westfalens zwischen 2005 und 2011 stellt Abbildung 2 gegenüber.9

9 Ohne Prämienmodell gemäß § 7 Abs. 3 FAG.

0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Euro pro Kopf

Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Bayern Hamburg Hessen

4 Vgl. VerfGH 10/06, VerfGH NRW, Urteil vom 11.12.2007.

5 Vgl. VerfGH 10/06, VerfGH NRW, Urteil vom 11.12.2007, S. 20.

6 Vgl. § 2 Abs. 1 GFG für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung 2009-2011.

7 Vgl. VerfGH 2/11, VerfGH NRW, Urteil vom 08.05.2012.

8 Ohne Prämienmodell gemäß § 7 Abs. 3 FAG.

9 Ohne Prämienmodell gemäß § 7 Abs. 3 FAG.

72 UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / JUNI 2012 Nordrhein-Westfalens. Demnach kritisiert

Nord-rhein-Westfalen ein Solidarsystem, von dem es zeit-gleich selbst als Nehmerland profitieren kann.

Allerdings weist der Länderfinanzausgleich eine ungleich höhere Komplexität auf, indem nicht nur die direkten Transfers zwischen den Ländern nivel-lierend auf die Finanzkraft wirken. Vielmehr wird auch der Länderanteil des Umsatzsteueraufkom-mens zum Teil nivellierend auf die Bundesländer verteilt. Die differenzierte Finanzkraft Nordrhein-Westfalens zwischen 2005 und 2011 zeigt die unten stehende Abbildung.9

Eine Finanzkraft <100 führt im Rahmen der Nivellierungsmechanismen beider Stufen des LFA zu Transferansprüchen. Während 2010 und 2011 die Finanzkraft im Rahmen der Umsatzsteuerzutei-lung jeweils über 100 lag, empfing Nordrhein-West-falen im direkten horizontalen Finanzausgleich als Nehmerland Zahlungen von Geberländern. Es ist angesichts dieser Entwicklungen unproblematisch zu analysieren, inwiefern Nordrhein-Westfalen von einer Solidargemeinschaft ohne die ostdeutschen Bundesländer profitieren könnte. Das Bundesland wäre somit sowohl auf der Stufe der Umsatzsteuer-zuteilung als auch auf der Stufe des horizontalen Finanzausgleichs ein Nehmerland und könnte sich somit dank dieser neuen Solidargemeinschaft deut-liche Transfermehreinnahmen erfreuen.

Dies führt zu einer höchst ironischen These: Ein Land wie Nordrhein-Westfalen prangert die Solidargemein-schaft des Länderfinanzausgleichs für Gesamtdeutsch-land an, um zeitgleich von einer Solidargemeinschaft ohne Ostdeutschland profitieren zu können.

Somit genösse Nordrhein-Westfalen selbst eine einträgliche Position innerhalb der Solidargemein-schaft. Jedoch sollte auch einem Dortmunder Oberbürgermeister bewusst werden, dass eine Solidargemeinschaft nur mit allen Bundesländern funktionieren kann. Ein gezielte Abschaffung der

Solidargemeinschaft zugunsten einer neuen Soli-dargemeinschaft ohne Ostdeutschland, in der ein künstlich verarmtes Land Nordrhein-Westfalen noch weitere Einnahmen generiert, kann und darf nicht im Sinne eines wiedervereinigten Deutsch-lands sein. Derartige Neiddebatten sollten daher rechtzeitig hinterfragt werden, da hinter der durch Nordrhein-Westfalen initiierten Presseoffensive eher anhaltende Konflikte zwischen dem Land und den lokalen Gemeinden selbst vorherrschen.

Fazit

1. Die Mittel aus dem Solidarpakt II zum weite-ren Aufbau Ost stellen Bundesergänzungszuwei-sungen dar, die vollständig vom Bund finanziert werden. Den westdeutschen Bundesländern ent-stehen in diesem Rahmen keine Belastungen.

2. Die aktuellen Diskussionen Nordrhein-West-falens sind eigenen internen Problemen zwischen den Gemeinden und dem Land selbst geschuldet.

3. Zahllasten nordrhein-westfälischer Gemein-den begrünGemein-den sich ausschließlich in vergange-nen Maßnahmen, deren Belastungen zum Teil in die Zukunft verlagert wurden.

4. Ein Bestandteil dieser sogenannten Einheits-lasten stellen die Zins- und Tilgungsleistungen im Rahmen des Fonds Deutsche Einheit dar, der zwischen 1990 und 1994 den Aufbau Ost finanzierte. Im Gegenzug hierfür wurden u. a.

die ostdeutschen Bundesländer noch nicht in den Länderfinanzausgleich integriert. Westdeutschen Geber- und Nehmerländern standen damals somit höhere Einnahmen zur Verfügung.

5. Weitere Einheitslasten entstanden durch die Einbindung Ostdeutschlands in den Länderfi-nanzausleich ab 1995, mit der Reform der föde-ralen Finanzbeziehungen im Jahr 2005 und der Übernahme der Verbindlichkeiten des Fonds Deutsche Einheit durch den Bund.

6. Die Einbindung der ostdeutschen Bundesländer in den Länderfinanzausgleich stellt einen absolut legitimen Schritt dar, da im gesamten Bundes-gebiet gemäß Grundgesetz eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ermöglicht werden muss.

Daher müssen finanzstarke Länder für finanz-schwache Bundesländer – zu denen durchaus auch Nordrhein-Westfalen zählt – einstehen.

7. Polemisiert wird der Aufbau Ost in der Politik und der Presse primär durch das im Jahr 2010 in NRW verabschiedete Einheitslastenabrechnungs-gesetz, das mit dem Urteil vom 08.05.2012 vom Landesverfassungsgerichtshof als verfassungswid-rig erklärt wird. Bei genauer Analyse zeigt sich, dass eher die finanziellen Probleme des Landes aber auch der Kommunen vertuscht werden sol-len, indem fragwürdige Forderungen des Landes gegenüber den Gemeinden mit Einheitslasten begründet worden sind. Doch statt eines Hinter-fragens erfolgte in der Politik aber auch der Presse zum Teil eine zielgerichtete Demontage bisheriger Einheitserfolge.

8. Insbesondere derartig provokative Maßnahmen zerstören den Grundgedanken einer bundeswei-ten Solidargemeinschaft, in der die Finanzausstat-tung aller Länder über den Länderfinanzausgleich angeglichen wird.

9. Ein Angriff auf die bisherige Solidargemeinschaft durch NRW führt nunmehr zu der ironischen Konstellation, dass das Land als Nehmerland von einer neuen, rein westdeutschen Solidargemein-schaft massiv profitieren würde. Derartige Hinter-grundbetrachtungen bestätigen durchaus das Zitat:

„In armer Leute Mund verdirbt viel Weisheit.“ n Email: tmudrack@hnee.de Tel.: +493334/657295

Finanzkraft Nordrhein-Westfalens vor Umsatzsteuerverteilung und im direkten horizontalen Länderfinanz-ausgleich (Quelle: eigene Berechnungen)

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Abbildung 2: Finanzkraft Nordrhein-Westfalens vor Umsatzsteuerverteilung und im direkten horizontalen Länderfinanzausgleich (Quelle: eigene Berechnungen)

Eine Finanzkraft <100 führt im Rahmen der Nivellierungsmechanismen beider Stufen des LFA zu Transferansprüchen. Während 2010 und 2011 die Finanzkraft im Rahmen der Umsatzsteuerzuteilung jeweils über 100 lag, empfing Nordrhein-Westfalen im direkten horizontalen Finanzausgleich als Nehmerland Zahlungen von Geberländern. Es ist angesichts dieser Entwicklungen unproblematisch zu analysieren, inwiefern Nordrhein-Westfalen von einer Solidargemeinschaft ohne die ostdeutschen Bundesländer profitieren könnte. Das Bundesland wäre somit sowohl auf der Stufe der Umsatzsteuerzuteilung als auch auf der Stufe des horizontalen Finanzausgleichs ein Nehmerland und könnte sich somit dank dieser neuen Solidargemeinschaft deutlichen Transfereinnahmen erfreuen.

Dies führt zu einer höchst ironischen These: Ein Land wie Nordrhein-Westfalen prangert die Solidargemeinschaft des Länderfinanzausgleichs für Gesamtdeutschland an, um zeitgleich von einer Solidargemeinschaft ohne Ostdeutschland profitieren zu können.

Diesen Profit stellt Abbildung 3 detailliert für Nordrhein-Westfalen dar. Hierbei werden die Steuereinnahmen mit Länderfinanzausgleich (ohne Ostdeutschland) und ohne Nivellierung eines Länderfinanzausgleichs (ohne Ostdeutschland) gegenübergestellt.10 Ohne die Nivellierung des LFA erfolgen keine Transfers zwischen den Ländern; zudem wird der Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen vollständig nach dem Verhältnis der Einwohnerzahlen auf die westdeutschen Bundesländer einschl. Berlin aufgeteilt.

90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

relative Finanzkraft, Bundesdurchschnitt = 100

Finanzkraft Umsatzsteuerzuteilung Finanzkraft LFA

UNSER AUTOR

Dr. Tony Mudrack wurde im brandenburgi-schen Forst (Lausitz) geboren. Der promovierte Diplom-Kaufmann ist seit 2009 Dozent an der HNE Eberswalde mit dem Schwerpunkt Steuer-lehre. Weitere Tätigkeiten nimmt Dr. Mudrack als Projektleiter am An-Institut der Hochschule (Zentrum für nachhaltige Ökonomie – ZENO) wahr. Zuvor war er u. a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Frankfurt (Oder) Viadrina am Lehrstuhl für Makroöko-nomie tätig. Zu seinen Forschungsinteressen zählen insbesondere die demografischen und somit wirtschaftlichen sowie fiskalischen Her-ausforderungen im ostdeutschen Raum. Einen Schwerpunkt stellen hierbei die Zahlungsströ-me im föderalen System der Bundesrepublik im Rahmen des Länderfinanzausgleichs und der kommunalen Finanzausgleichssysteme dar.

Dr. Mudrack ist ledig und hat keine Kinder.

i infos

INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

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Führt derzeit ein Grüner das Rathaus der Landeshauptstadt Kiel. Bürgermeister Peter Todeskino hat die kommissarische Nachfolge von Torsten Albig angetreten, der am 12. Juni vom schleswig-holsteinischen Landtag zum neuen Ministerpräsidenten des nördlichsten Bundeslandes gewählt wurde. Die dadurch erforderlich gewordene Neuwahl des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt wird vermutlich im Oktober stattfinden.

übrigens

Die Diskussion begann mit einem Blick zurück auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Karl-Lud-wig Böttcher, Geschäftsführer des Brandenburger Städte-und Gemeindebundes, in dessen Räumen die Runde tagte, hatte sich publizistisch sehr vehe-ment gegen die aufkeimende Debatte um den Soli-darpakt II gewandt. „Die gegen Transferzahlungen gerichteten Äußerungen einiger nordrhein-westfäli-scher Politiker müssen auch vor dem Hintergrund der schwierigen Situation in einigen Städten dort betrachtet werden. Dennoch halte ich die Anwür-fe für inhaltlich, zeitlich und auch hinsichtlich der Wortwahl nach wie vor für deplatziert. Wir sollten uns gerade innerhalb der kommunalen Familie angewöhnen, miteinander und nicht übereinander zu diskutieren“, so Böttcher. Auch wenn der Soli-darpakt plötzlich abgeschafft würde, würde sich an der Situation der in Finanznot geratenen Kommu-nen in Nordrhein-Westfalen nichts ändern. Hinzu käme der Aspekt, dass insbesondere das Ruhrgebiet durch die Kohle-Subventionen ebenfalls über viele Jahrzehnte von Transferzahlungen profitiert hätte,

so Böttcher weiter. Prof. Dr. Ulrich Blum verweist darauf, dass der Solidarpakt eine Bundesangelegen-heit sei. Im Hinblick auf den Solidarpakt II gäbe es maximal einen indirekten Effekt auf die Kommunal- und Länderfinanzen und dieser sei im Vergleich zu anderen Aufwendungen nur marginal ausgeprägt, so der Wirtschaftswissenschaftler der Universität Halle-Wittenberg. Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäfts-führer des Deutsche Städte- und Gemeindebundes, bestätigt diese Sichtweise und nennt die aufgebro-chene Diskussion um den Solidarpakt II bedauerlich.

Dies sei allerdings nicht nur den Oberbürger-meistern zuzuschreiben, die sich in dieser Weise äußerten, sondern es sei auch das Ergebnis einer kampagnenartigen Berichterstattung der Medien, die die Kontroverse in einer völlig unangemessenen Vehemenz bearbeitet hätten. Hier sei die Grundaus-sage getroffen worden, dass arme Kommunen im Westen des Landes Schulden aufnehmen müssten, damit es den Brüdern und Schwestern im Osten an nichts mangele. Dieses Bild sei nicht nur schief, es sei schlichtweg falsch und schaffe unnötiges

Kon-fliktpotential. Von West nach Ost fließe – und auch das nur indirekt – die Abzinsung des Fonds Deut-sche Einheit. Die Kommunen im Westen und die westdeutschen Länder würden pro Jahr 2,6 Milliar-den Euro für die Abzinsung zahlen, wobei eine Mil-liarde auf die Kommunen entfielen. Dr. Landsberg zitiert diesbezüglich das Beispiel der Stadt Gelsen-kirchen: „Der städtische Haushalt dort beträgt 845 Millionen Euro. Allein die Soziallasten betragen 180 Millionen Euro und nur zehn Millionen Euro flie-ßen in die Abzinsung.“

Für die enormen Strukturprobleme und die teil-weise verheerenden kommunalen Schulden seien deshalb nicht in erster Linie die Neuen Bundeslän-der verantwortlich. Die Kommunalfinanzen seien vor allem wegen der steigenden Sozialausgaben überfordert, so Dr. Landsberg abschließend. Hin-sichtlich der inhaltlichen Bewertung folgt Prof. Dr.

Norbert Peche diesen Ausführungen. Er weist aber auch darauf hin, dass die Debatte in Nordrhein-Westfalen nicht einfach abgetan werden könne.

„Es ist der Anfang einer Entwicklung, der wir uns EINHELLIGE ABLEHNUNG DER KRITIK AM SOLIDARPAKT II

Ende der Solidarität?

Roundtable zur Zukunft des Solidarpakts II und weitere regionaler Transfermechanismen

D

ie bereits seit einigen Jahren kontrovers geführte Diskussion über den Solidarpakt II und die Transferleistungen in die ostdeutschen Länder hat im März 2012 durch Meinungsäußerungen vor allem von Kommunalpolitikern aus Nordrhein-Westfalen eine neue Zuspitzung erfahren. So geißelte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau den Solidarpakt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung als perverses System ohne inhaltliche Rechtfertigung. Einige seiner Kollegen, insbesondere aus dem Ruhrgebiet, pflichteten ihm bei und gingen in klare Opposition zur finanziellen Stützung des Aufbau Ost. Nun ist der Nebel des Wahlkampfs verflogen, eine klare Siegerin gefunden. Nun lässt sich ruhig und objektiv wägen, wie hoch die Transferströme tatsächlich sind, was sie bewirken können, ob die finanzielle Stärkung der Neuen Länder überhaupt noch notwendig ist und welche Bilanz sich nach 22 Jahren Deutsche Einheit für den Aufbau Ost ziehen lässt. UNTERNEHMERIN KOMMUNE wollte deshalb namhafte Wissenschaftler und Vertreter der kommunalen Ebene an einem Tisch vereinigen, um zum einen die direkten Erfahrungen bei der Umsetzung von Politik vor Ort zu erfragen und zum anderen die akademische Perspektive zur unabhängigen Analyse der Gesamtzusammenhänge zu bemühen. Lesen Sie im Folgenden eine Zusammenfassung der Gesprächsrunde vom 30. Mai dieses Jahres in Potsdam. Moderiert wurde die Diskussion von Falk Schäfer, verantwortlicher Redakteur von UNTERNEHMERIN KOMMUNE.

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