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Arbeitsteilung im Medizinbetrieb

Im Dokument Arztfehler und Haftpflicht (Seite 24-32)

C. Organisationsfehler

III. Arbeitsteilung im Medizinbetrieb

Eine besondere Herausforderung in organisatorischer und koordinatorischer Hinsicht stellt die zunehmende und angesichts der überwältigenden Wissenssteigerung unausweichliche Arbeitsteilung und Spezialisierung in der modernen Medizin dar. Spezialisierung erscheint in allen Fachgebieten als das Gebot der Stunde. Sie verleiht den Einzeltätigkeiten größere Effektivität und leistet ihrerseits einen entscheidenden Beitrag zur Vermehrung der Sachkenntnis.

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Den offenkundigen Vorteilen im Hinblick auf die Qualität der Behandlung stehen allerdings nicht unerhebliche Nachteile gegenüber. Mit fortschreitender Differenzierung des ärztlichen Berufsfeldes werden die einzelnen Fachgebiete immer kleiner. Dem Spezialisten geht zunehmend der Überblick verloren, die Vielschichtigkeit der meisten Erkrankungen kann er bei einer Fragmentierung des Patienten in einzelne Symptome oder Symptomkomplexe, für die er allein zuständig ist und auf die er sich konzentriert, kaum mehr erkennen.188 Es drohen sektorale Verengungen, die konzentrische Einengung des Blickwinkels und Verselbständigung von Partialgesichtspunkten.189 Hinzu kommt, dass der Kranke bei hochspezialisierter Behandlung gezwungen ist, sich einer Mehrzahl von Ärzten anzuvertrauen, möglicherweise verlagert sich damit der Koordinationsaufwand auf den noch deutlicher

178 BGHZ 77, 74 (78) = NJW 1980, 1901 (1902); BGHZ 88, 248 (252 ff.) = NJW 1984, 655 (656); NJW 1991, 1539; OLG Köln MedR 2019, 964 (966).

179 BGHZ 78, 209 = NJW 1981, 628; BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655 f.; dabei ist auf die Größe, den Charakter und die Ausstattung der Klinik entsprechend seiner Versorgungsgröße abzustellen. Zu den Pflichten des Trägers eines Geburtshauses vgl. BGHZ 161, 255 = NJW 2005, 888 = MedR 2005, 412.

180 OLG Köln VersR 1994, 1425.

181 Sedierter Patient: BGH NJW 2003, 2309 mAnm Laufs 2288 = MedR 2003, 629 mAnm Katzenmeier; zu Anforderungen und Grenzen vgl. auch OLG Köln NJOZ 2013, 282 (284 f.).

182 Zu den Organisationspflichten psychiatrischer Krankenhäuser bei Suizidgefahr s. BGHZ 96, 98 (101 f.) = NJW 1986, 775 f.; NJW 1994, 794 f.; Grenzen bestehen unter dem Gesichtspunkt der Therapiegefährdung durch allzu strikte Verwahrung, s. BGH NJW 2000, 3425; 2014, 539; die Frage der Zumutbarkeit für den Behandlungsträger thematisiert OLG Koblenz MedR 2014, 900 f.

183 BGH NJW 1978, 1683; VersR 1982, 161 – unsterile Infusion; VersR 1983, 735 – verunreinigte Desinfektionslösung. Zu den für den Krankenhausbereich wesentlichen Änderungen des IfSG durch Gesetz v.

28.7.2011, BGBl I 1622 s. Lorz NJW 2011, 3397.

184 BGH VersR 1979, 844 u. 1980, 822 – Narkosegerät. Zu weiteren Organisationspflichten vgl. Hart in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Ziegler, HK-AKM, Organisationsfehler, Nr. 3948 Rn. 16 ff.; ders. MedR 2019, 509 (514 f.); Laufs/Kern in Laufs/Kern, ArztR-HdB, § 101 Rn. 21 f., 37 ff.

185 Vgl. dazu die Ausführungen in → Rn. 65 ff.

186 BGH NJW 1996, 2429 (2431); 2018, 309 (311) = MedR 2018, 880 mAnm Finn; Spindler in BeckOGK-BGB

§ 823 Rn. 960 ff.

187 S. dazu → Kap. XI Rn. 70 ff.

188 Pitschas in Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Bes. Teil, Bd. 2, 1996, 121; Gründel FS für Fikentscher, 1998, 70 (72 f.); Carstensen FS für Deutsch, 1999, 505 (507).

189 Rohde in Döhner, Arzt und Patient in der Industriegesellschaft, 1973, 13 (27); Illhardt in Seidler, Medizinische Grundbegriffe, 1979, 142; Jaspers in Philosophische Aufsätze, 1967, 111 (112): „Die Steigerung des Könnens hat die Tendenz, den Spezialisten an bestimmte Denkweisen zu bannen“.

Hilfesuchenden.190 Der Preis für die Effektivitätssteigerung durch Arbeitsteilung ist der Verzicht auf ein traditionelles Arztideal, nämlich die vereinigte medizinische Kompetenz in der Person eines jeden Arztes.191 Heute bedarf es institutioneller Regeln, um die Kooperation der Spezialisten sicherzustellen.192 Je weiter die Aufgliederung vorangetrieben wird, umso größer sind die dem Patienten drohenden Gefahren durch Koordinations-, Kommunikations- und Überwachungsmängel, wegen Delegationsfehlern, Fehleinschätzungen der Qualifikation von Mitarbeitern oder Kompetenzkonflikten.193

1. Horizontale Arbeitsteilung 48

Horizontale Arbeitsteilung bezeichnet das Zusammenwirken mehrerer Ärzte verschiedener Fachrichtungen. Sie ist in unterschiedlichen Bereichen des medizinischen Arbeitsalltages anzutreffen:

Bei der Zusammenarbeit einzelner Fachabteilungen eines Krankenhauses ebenso wie bei einer solchen niedergelassener Ärzte oder der Kooperation zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten.

Wesensmerkmale sind Gleichordnung und Weisungsfreiheit.194 49

Jeder Arzt hat zunächst denjenigen Gefahren zu begegnen, die in seinem Aufgabenbereich entstehen.

Für in diesem Bereich auftretende Fehler hat er haftungsrechtlich einzustehen, grundsätzlich jedoch nicht für solche, die im Verantwortungsbereich der anderen Ärzte auftreten. Vielmehr gilt der im Strafrecht entwickelte Vertrauensgrundsatz195 auch im Zivilrecht, wenngleich er dort bislang nur zurückhaltend eingesetzt worden ist.196 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf sich der einzelne Arzt, solange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf verlassen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebietes seine Aufgabe mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht insoweit nicht.197 Bei anderer Ansicht wäre die gerade im Operationssaal besonders wichtige ärztliche Zusammenarbeit empfindlich gestört;

auch würden zusätzliche Risiken für den Patienten entstehen, wenn Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen ihre Kräfte, anstatt sie der Erledigung ihrer eigentlichen Aufgaben zu widmen, zugunsten einer wechselseitigen Überwachung zersplitterten.198

190 Pitschas in Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Bes. Teil, Bd. 2, 1996, 122; Huber/Hungeling in Badura/Hart/Schellschmidt, Bürgerorientierung des Gesundheitswesens, 1999, 103 (121 f.).

191 In jüngerer Zeit versucht die Politik die Stellung des Generalisten wieder zu stärken, s. zur vertragsärztlichen Versorgung unter dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz Bäune/Dahm/Flasbarth MedR 2012, 77 ff., auch zur hausarztzentrierten Versorgung, § 73b SGB V.

192 Wieland, Strukturwandel in der Medizin und ärztliche Ethik, 1986, 62 f.

193 Carstensen, Beiträge zur gerichtlichen Medizin XLIII (1985), 17 (19); Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, 2002.

194 Laufs/Kern in Laufs/Kern, ArztR-HdB, § 100 Rn. 3.

195 BGH NJW 1980, 649 (650) = MedR 1983, 77 (78): „Dieser Grundsatz besagt, daß im Interesse eines geordneten Ablaufs der Operation sich die dabei beteiligten Fachärzte grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung des Kollegen aus der anderen Fachrichtung verlassen können“; vgl. auch schon BGHSt 3, 91 (96) = NJW 1952, 1102:

„Der Arzt darf (…) im allgemeinen davon ausgehen, daß andere geprüfte Medizinalpersonen diejenigen Kenntnisse besitzen, die in der Prüfung nachzuweisen sind“; näher Pauge FS für Hirsch, 2008, 423 (424 ff.), mit dem Hinweis, dass es bei der Haftung bei ärztlicher Arbeitsteilung weniger darauf ankomme, ob der haftungsrechtlich in Anspruch genommene Arzt auf die Kompetenz und Zuverlässigkeit seines Kollegen, dem ein Fehler unterlaufen ist, vertrauen durfte, sondern es vorrangig darum gehe, ob der Umstand, dass der medizinische Standard nicht gewahrt worden ist, in seinen eigenen Verantwortungsbereich oder in den seines Kollegen fällt (S. 428).

196 Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, Rn. 270; Pauge FS für Hirsch, 2008, 423 (426).

197 Vgl. etwa BGH NJW 1987, 2293; 1989, 2943; 1991, 1539; BGHZ 140, 309 = 1999, 1779 (1780); 2010, 1200 (1202); s. auch OLG Koblenz MedR 2012, 590; 2014, 166; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2019, 20779 Rn. 58;

Weidenkaff in Palandt § 630a Rn. 32.

198 BGHZ 140, 309 (313 f.) = NJW 1999, 1779 (1780) = MedR 1999, 321 (322); vgl. auch BGH NJW 1991, 1539 f. = MedR 1991, 198 (200); NJW 1980, 649 (650) = MedR 1983, 77 (78).

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Entsteht ein Risiko für den Patienten aus dem Zusammenwirken zweier für sich genommen jeweils beanstandungsfreier Maßnahmen, gilt der Vertrauensgrundsatz nicht. Für seine Gültigkeit ist erforderlich, dass die Gefahren einer Behandlung ausschließlich dem Aufgabenbereich einer der beteiligten Ärzte zugeordnet werden können. Ist dies nicht möglich, trifft die Beteiligten die Pflicht zur Koordination in Form einer hinreichenden gegenseitigen Information und Abstimmung, um vermeidbare Risiken für den Patienten auszuschließen.199 Eine derartige Pflicht bejaht der BGH schon nach „allgemeinen Grundsätzen“, auch wenn keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Fachrichtungen besteht.

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Für die nicht immer einfache Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und zur Ermittlung der im Rahmen der jeweiligen Zusammenarbeit zu beachtenden Verhaltensanforderungen nimmt der BGH Rückgriff auf medizinische Kooperationsvereinbarungen200 und das ärztliche Standesrecht.201 Sie werden damit maßgeblich zur rechtlichen Beurteilung ärztlichen Handelns als fehlerhaft herangezogen, insoweit gilt also wieder eine Prädominanz medizinischer Maßstäbe.202 Neben organisatorischen und koordinatorischen Fragen weist die Kooperation der Spezialisten so starke inhaltlich-fachliche Bezüge auf, dass sie den Medizinern nicht von den Juristen diktiert werden kann, vielmehr in erster Linie von den beteiligten Disziplinen selbst sichergestellt werden muss. Deshalb ist die Bezugnahme des BGH auf die medizinischen Kooperationsvereinbarungen bei der Beurteilung horizontal-arbeitsteiligen ärztlichen Handelns als fehlerhaft grundsätzlich sachgerecht.

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Trifft die Verantwortung in erster Linie die beteiligten Ärzte, so stellt sich doch auch die Frage, ob und inwieweit der Krankenhausträger darauf achten muss, dass getroffene Kooperationsvereinbarungen umgesetzt sowie andere bestehende Leitlinien der Fachgesellschaften eingehalten werden, er andernfalls dem geschädigten Patienten wegen einer Organisationspflichtverletzung haftet.203 Zu beachten ist, dass das Recht hinsichtlich der Kooperation der Spezialisten wenigstens über die Rahmenbedingungen, über vermeidbare Risiken und eine gefahrlose Abwicklung des äußeren Behandlungsprogramms zu wachen hat. Die Gerichte können insoweit eigenständige Anforderungen an die beteiligten Mediziner stellen. Die Einhaltung der Maßgaben einer zwischen den Berufsverbänden getroffenen Kooperationsvereinbarung stellt den in Anspruch genommenen Arzt nicht per se von der Haftung frei.

Standards der Organisation sind nicht abhängig von den Vorgaben oder vom Konsens der betroffenen Berufsgruppe.

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Ebenfalls keine Anwendung findet der Vertrauensgrundsatz, wenn die an der Behandlung beteiligten Ärzte demselben Fachgebiet angehören und nacheinander behandeln. Hierbei handelt es sich schon nicht um einen Fall des arbeitsteiligen Handelns. Der nachbehandelnde Arzt ist gehalten, sich von der Richtigkeit der Diagnose des vorbehandelnden Mediziners zu überzeugen.204 Ebenso wenig zur

199 BGHZ 140, 309 (316) = NJW 1999, 1779 (1781) = MedR 1999, 321 (322 f.); BGH NJW 1991, 1539 = MedR 1991, 198 (200).

200 Ein Beispiel ist die „Vereinbarung zwischen dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten und dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen über die Zusammenarbeit bei der operativen Patientenversorgung“, abgedruckt in MedR 1983, 21 f.; dazu Weißauer MedR 1983, 92 ff.; weitere medizinische Kooperationsvereinbarungen finden sich auf den Homepages vieler Fachgesellschaften, s. nur etwa www.dgai.de.

201 Vgl. die längere Urteilspassage in BGHZ 140, 309 (315 f.) = NJW 1999, 1779 (1780 f.) = MedR 1999, 321 (322); s. auch BGHZ 89, 263 (268) = NJW 1984, 1400 (1401) = MedR 1984, 143 (144); BGH NJW 1991, 1539 = MedR 1991, 199 f.

202 Vgl. → Rn. 14 ff. einerseits, → Rn. 42 andererseits; s. auch Katzenmeier MedR 2004, 34 ff.

203 Vgl. Pflüger, Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, 2002, 154 f.

204 OLG Naumburg VersR 1998, 983; KG GesR 2004, 136 (137); Spindler in BeckOGK § 823 Rn. 951. Zur Einstandspflicht eines Arztes für die Folgen eines Zweiteingriffes durch den nachbehandelnden Arzt s. BGH NJW 2012, 2024 = MedR 2012, 804; dazu Olzen/Kaya GesR 2013, 1 ff.

arbeitsteiligen Medizin zählt die Hinzuziehung eines Konsiliararztes,205 so dass die vorstehend dargestellten Grundsätze wiederum nicht zur Anwendung gelangen.206

Muss infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein weiterer Arzt hinzugezogen werden, hat der Erstbehandelnde grds. auch für die Fehler des Folgebehandlers einzustehen.207 An dem nach dem Zurechnungszusammenhang kann es aber fehlen, wenn das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen war, sich der Behandlungsfehler des Erstbehandelnden auf den weiteren Krankheitsverlauf also nicht mehr ausgewirkt hat.208 Gleiches gilt, wenn es um die Behandlung einer Krankheit geht, die mit dem Anlass für die Erstbehandlung in keiner Beziehung steht, oder wenn der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein zugeordnet werden muss.209

2. Vertikale Arbeitsteilung 54

Die vertikale Arbeitsteilung wird durch das hierarchische Prinzip der fachlichen Über- und Unterordnung der einzelnen Akteure innerhalb eines Fachgebietes bestimmt, angefangen beim ärztlichen Direktor bis hin zum nichtärztlichen Personal.210

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Auch für diesen Bereich arbeitsteiligen Handelns gelten Vertrauensaspekte, wenngleich sie nicht mit dem bei der horizontalen Arbeitsteilung geltenden Grundsatz identisch sind. Zum einen dürfen die Klinikleitung und der behandlungsleitende Arzt darauf vertrauen, dass ein sorgsam angeleiteter und überwachter Mitarbeiter die ihm zulässigerweise übertragenen Aufgaben mit der erforderlichen Sorgfalt ausführt.211 Ein langjährig bewährter Oberarzt braucht trotz der geltenden strengen Maßstäbe nicht im Einzelnen kontrolliert zu werden. Vielmehr genügt, dass durch die Teamarbeit die Möglichkeit zu der Feststellung besteht, ob seine fachlichen und charakterlichen Qualitäten fortbestehen oder zwischenzeitlich eine bedeutsame Veränderung stattgefunden hat.212 Zum anderen darf ein in der Weiterbildung befindlicher Assistenzarzt auf die Vorgaben des Oberarztes vertrauen, wenn er seine Vorgehensweise zuvor mit ihm abgesprochen hat. Er haftet dann nicht für die Unzulänglichkeit der Diagnostik.213 Gleiches gilt für einen Assistenzarzt in Weiterbildung hinsichtlich der Operationsanweisungen des ihn anleitenden Oberarztes.214 Dieser Grundsatz hat freilich auch seine Grenzen. So darf ein nachgeordneter Arzt nicht auf die getroffenen Anordnungen vertrauen, wenn besondere Umstände konkrete Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens gebieten.215 Auch im Verhältnis von Arzt zu Hebamme endet die „Hierarchie“ dann, wenn die Hebamme aufgrund ihrer eigenen

205 OLG Köln VersR 1990, 1242; Deutsch VersR 2007, 40.

206 Anders aber wenn der Konsiliararzt hinzugezogen wird, damit der Krankenhausträger seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Patienten erfüllen kann, weil es dem Krankenhaus an eigenem fachkundigen ärztlichen Personal mangelt und die Honorierung des Konsiliararztes durch den Krankenhausträger erfolgt, BGH NJW-RR 2014, 1051 (1053) = MedR 2014, 752.

207 BGH NJW 2012, 2024 f. = MedR 2012, 804.

208 vgl. Senat, NJW 1986, 2367 (2368); 1989, 767 (768); 2012, 2024 (2025) = MedR 2012, 804 (806);

Frahm/Walter, ArzthaftungsR, Rdnr. 73.

209 BGH, NJW 1989, 767 (768); 2003, 2311; 2012, 2024 (2025) = MedR 2012, 804 (806).

210 Laufs/Kern in Laufs/Kern, ArztR-HdB, § 100 Rn. 3, 13; Alberts in Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, 75; Bergmann MedR 2009, 1 (6).

211 Alberts in Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, 76; Rumler-Detzel VersR 1994, 254 (257).

212 OLG Köln VersR 1989, 708; Rumler-Detzel VersR 1994, 254 (257); Alberts in Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, 75 f.

213 OLG Köln NJW-RR 1993, 1440 = VersR 1993, 1157.

214 OLG Zweibrücken VersR 1997, 833.

215 OLG Brandenburg VersR 2010, 1601 mAnm Jaeger.

geburtshilflichen Ausbildung erkennen muss, dass das Vorgehen des Arztes gänzlich regelwidrig und unverständlich ist. Dann darf sie sich nicht mehr unterordnen.216

3. Anfängeroperation/Weiterbildung zum Facharzt 56

Die Frage der Standardgewährleistung ist stets aufgeworfen bei Anfängeroperationen und beim Tätigwerden von in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzten. Der BGH betont, dass die Notwendigkeit, dem in der Ausbildung stehenden Arzt Fachkenntnisse und Erfahrungen am Fall zu vermitteln, kein vom Patienten zu tragendes Risiko darstellt.217 Bezüglich des Einsatzes unterdurchschnittlich qualifizierter Ärzte besteht Einvernehmen darüber, dass die Übertragung einer Operation auf einen hierfür noch nicht ausreichend qualifizierten Berufsanfänger ohne Aufsicht und Assistenz einen Behandlungsfehler darstellt, welcher der ärztlichen Leitung zur Last fällt.218 Damit verbundene zusätzliche Gefahren müssen durch besondere Vorkehrungen neutralisiert werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt eine vorausgehende Kontrolle des theoretischen Wissens des Auszubildenden über das Behandlungsfeld, die zu erwartenden Komplikationen und ihre Begegnung, sowie vor allem die Überwachung seiner Arbeit durch einen erfahrenen Facharzt.219 Solange nicht feststeht, dass der Auszubildende die Operation auch praktisch beherrscht, ist prinzipiell Anwesenheit und eingriffsbereite Assistenz des aufsichtführenden Arztes nötig.220 Dadurch soll in jeder Phase der medizinischen Behandlung der Standard eines erfahrenen Facharztes sichergestellt werden.221 Der Berufsanfänger selbst kann unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens haftungsrechtlich verantwortlich sein.222 Er hat seine Fähigkeiten selbstkritisch zu hinterfragen.223 Gelangt er zu der Erkenntnis, dass er zu einem angewiesenen Eingriff nicht befähigt ist, trifft ihn die Pflicht zur Remonstration.

4. Delegation ärztlicher Aufgaben 57

Nach bislang geltendem Recht ist die „Ausübung der Heilkunde“ ausschließlich Ärzten vorbehalten (§ 1 Abs. 1, 2 HPG).224 Andere Personen dürfen Hilfeleistungen nur erbringen, wenn sie von einem Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden (vgl. §§ 15 Abs. 1 S. 2, 28 Abs. 1 S. 2 SGB V). Die Delegation ärztlicher Aufgaben auf nichtärztliches Personal225 ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Erforderlich ist jeweils eine gesonderte ärztliche Anordnung und Überwachung. Im Falle eines

216 OLG Düsseldorf VersR 2008, 534 (536).

217 Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, Rn. 296 ff. mwN, auch zum Folgenden.

218 Wegweisend BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655 = MedR 1984, 63; dazu Deutsch NJW 1984, 650; Giesen JZ 1984, 331; vgl weiter BGH NJW 1985, 2193 = VersR 1985, 782; NJW 1988, 2298 = MedR 1988, 249; NJW 1993, 2989 = VersR 1993, 1231; NJW 1998, 2736 = MedR 1998, 514; monographisch Mehringer, Die Anfängeroperation, 2007. Zu Beweiserleichterungen beim Einsatz nicht hinreichend qualifizierten Personals → Kap XI Rn. 131 ff.

219 BGH NJW 1992, 1560 = VersR 1992, 745 besteht darauf, dass der aufsichtführende Arzt ein Facharzt ist. Nur dieser garantiere dem Patienten die von ihm zu beanspruchende Qualität der Behandlung und nur dieser habe die erforderliche Autorität gegenüber dem Berufsanfänger; dazu Steffen MedR 1995, 360; s. auch BGH NJW 1993, 2989 = VersR 1993, 1231; krit. ua Weißauer/Opderbecke MedR 1993, 2 ff. u 447 ff.

220 Überwachung von angrenzendem Monitorraum bei Herzkatheteruntersuchung ausreichend, OLG Köln MedR 2019, 964 mAnm Middendorf.

221 BGH NJW 1992, 1560 (1561) = VersR 1992, 745 (746). Mit fortschreitender Erfahrung des Auszubildenden kann die Assistenz des Aufsichtsführenden aber gelockert werden, vgl. BGHZ 88, 248 = NJW 1984, 655 = JZ 1984, 327 mAnm Giesen; BGH NJW 1993, 2989 = VersR 1993, 1231.

222 BGHZ 88, 248 (257 ff.) = NJW 1984, 655 (657) = JZ 1984, 327 (330 f.) mAnm Giesen; BGH NJW 1985, 2193 (2194) = VersR 1985, 782 (783); NJW 1993, 2989 (2900 f.) = VersR 1993, 1231 (1232 f.); NJW 1994, 3008 f. = MedR 1994, 490 (491).

223 BGH NJW 1988, 2298 (2300) = MedR 1988, 249 (250).

224 §§ 613 BGB, 15 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 SGB V, 32 Ärzte-ZV, 15 Abs. 1 BMV-Ärzte verankern dabei den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung.

225 Umfassend Achterfeld, Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen. Rechtliche Rahmenbedingungen der Delegation ärztlicher Leistungen, 2014.

Fehlers bei der Durchführung der delegierten Tätigkeit bleibt der Arzt verantwortlich nach Maßgabe der

§§ 280 Abs. 1, 278, § 831, gegebenenfalls nach § 823 Abs. 1 BGB.226 Die Übertragung einer nicht delegierbaren Aufgabe auf nichtärztliches Personal stellt per se einen Behandlungsfehler dar.227

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Generelle Kriterien für die Delegationsfähigkeit existieren bislang nicht228, die Gerichte entscheiden einzelfallabhängig. Der Kreis delegationsfähiger Aufgaben ist auch nicht durch Gesetz, sondern grundsätzlich von der Medizin selbst festzulegen. Indes stellen speziell normierte Arztvorbehalte (etwa §§ 218ff. StGB, 24 IfSG, 7 Abs. 2 TFG, 9, 11 ESchG, 119, 145 StrlSchV, 13 Abs. 1 BtMG, 48 AMG) sicher, dass in medizinisch sensiblen Bereichen mit wissenschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnissen vorgegangen wird.229 Konsens besteht zudem darüber, dass es einen Kernbereich ärztlicher Tätigkeiten gibt, die nicht delegierbar sind.230 Hierzu zählen Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Diagnose, Entscheidung über Therapie und Durchführung invasiver Maßnahmen sowie operativer Eingriffe, sie sind ausschließlich Sache des Arztes,231 gleiches gilt für die Aufklärung und Beratung des Patienten.232 Im Übrigen aber ist der Kernbereich nicht näher bestimmt, auch nicht in Form einer Katalogisierung bestimmter Tätigkeiten.233 In Schrifttum werden die Schwierigkeit einer Maßnahme, deren Gefährlichkeit und die Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen auf bestimmte Tätigkeiten als Kriterien angeführt, aufgrund derer ärztliches Fachwissen vorausgesetzt werden muss und also eine Vornahme durch den Arzt unabdingbar ist.234 Der BGH fordert eine persönliche Tätigkeit des Arztes dort, „wo die betreffende Tätigkeit gerade dem Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt.“235 Diese allgemeine Formulierung vermag Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schwerlich zu verbürgen.236

226 Vgl → Kap. XI Rn. 1 f., 18 ff., 28 ff.

227 Spickhoff/Seibel MedR 2008, 463 (469, 472); Laufs/Kern in Laufs/Kern, ArztR-HdB, § 100 Rn. 17; Mansel in Jauernig-BGB § 630h Rn. 19.

228 Zu beachten ist, dass seit dem 1.10.2013 in einer Vereinbarung zwischen der KBV und dem GKV-Spitzenverband als Anlage 24 zum BMV-Ä (gem. § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V) die Anforderungen für die Delegation an nichtärztliche Mitarbeiter in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung geregelt und in einem Katalog im Anhang beispielhaft delegationsfähige Leistungen aufgeführt sind. Die Beschreibung soll der Orientierung der Handelnden dienen und fixiert letztlich die durch Literatur und Rspr. ausgearbeiteten Anforderungen an die Delegation. Zuvor erfolgte der Versuch einer Konkretisierung in der Bekanntmachung der BÄK/KBV v.

29.8.2008, Persönliche Leistungserbringung – Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen, DÄBl 2008, A-2173 ff.

229 Deutsch NJW 1991, 721 (722); Spickhoff/Seibl MedR 2008, 463 (466).

230 Allg. Meinung, vgl. etwa Kern in Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB, § 49 Rn. 8; Steinhilper, ebd, § 30 Rn. 66;

Wenzel Patientenrechtegesetz Rn. 362; Hahn NJW 1981, 1977 (1980); Peikert MedR 2000, 352 (355);

Spickhoff/Seibel MedR 2008, 463 (465); Makoski GuP 2014, 135 f.; krit. Wagner in MüKo-BGB § 630a Rn. 109:

„Die beliebte Formel, nach der der Kernbereich ärztlicher Aufgaben nicht delegierbar ist, verschiebt das Problem auf die Unterscheidung zwischen Kern und Peripherie“.

231 OLG Köln VersR 1993, 1487; OLG München VersR 1994, 1113; Steffen MedR 1996, 265. Vgl. auch § 2 der Anlage 24 zum BMV-Ä. Zur Anästhesie Spickhoff/Seibl MedR 2008, 463 ff.

232 Vgl. → Kap. V Rn. 46 ff., auch zur Auslegung des § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB.

233 Vgl. aber § 1 Abs. 5 u. 6 ZHG, die einen Beispielkatalog delegationsfähiger Tätigkeiten für den zahnärztlichen und kieferorthopädischen Bereich vorgeben, hierzu Achterfeld Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, S. 257 ff.; Eichelberger in Spickhoff Medizinrecht § 1 ZHG Rn. 16 ff.

234 Vgl. Narr MedR 1989, 215 (216); Bergmann MedR 2009, 1 (6); Achterfeld MedR 2013, 103 (105); Spindler in BeckOGK-BGB § 823 Rn. 948; Kern in Laufs/Kern/Rehborn, ArztR-HdB, § 49 Rn. 6.

235 BGH VersR 1975, 952 (953).

236 Kritisch Spickhoff/Seibel MedR 2008, 463 (466 ff.); Bergmann MedR 2009, 1 (8 f.); s. auch Frahm VersR 2009, 1576 (1579 f.); anders noch Kern in Laufs/Kern, ArztR-HdB, § 45 Rn. 8.

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Zu der sachlichen Delegationsfähigkeit muss die persönliche Eignung hinzutreten. Der delegierende Arzt hat jeweils abzuklären, ob die nichtärztliche Kraft über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der Erledigung der zur Übertragung anstehenden Aufgabe verfügt.237

5. Substitution ärztlicher Leistungen 60

Vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels und des demographischen Wandels sind neue Versorgungsstrukturen unumgänglich, insbesondere für die Versorgung älterer und multimorbider Patienten. Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz238 ermöglicht erstmals die Erprobung einer Substitution ärztlicher Leistungen durch nicht-ärztliches Personal.239 Nach § 63 Abs. 3c SGB V soll Pflegepersonal im Rahmen von Modellprojekten nicht mehr ausschließlich unter ärztlicher Aufsicht eingesetzt werden, sondern in bestimmten Bereichen eigenständig anstelle des Arztes handeln, eine entsprechende Regelung wurde in § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V aufgenommen.

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Die Neuregelung kündigte einen Paradigmenwechsel an, entsprechend kontrovers wird sie beurteilt.240 Die Pflege begrüßt das Gesetz, das ihr größere Handlungsautonomie und mehr Selbstständigkeit einräumt, sie fordert den Abbau von Hierarchien und die Überwindung der traditionellen Rollenverteilung im Gesundheitssystem.241 BÄK und KBV hingegen kritisieren den von der Politik mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eingeschlagenen Weg. Sie weisen darauf hin, dass die Diagnose und Behandlung von Krankheiten in umfassender Ausbildung erworbene Erkenntnisse und praktische ärztliche Erfahrungen voraussetzen. Von nichtakademischen Gesundheitsfachberufen können die

Die Neuregelung kündigte einen Paradigmenwechsel an, entsprechend kontrovers wird sie beurteilt.240 Die Pflege begrüßt das Gesetz, das ihr größere Handlungsautonomie und mehr Selbstständigkeit einräumt, sie fordert den Abbau von Hierarchien und die Überwindung der traditionellen Rollenverteilung im Gesundheitssystem.241 BÄK und KBV hingegen kritisieren den von der Politik mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eingeschlagenen Weg. Sie weisen darauf hin, dass die Diagnose und Behandlung von Krankheiten in umfassender Ausbildung erworbene Erkenntnisse und praktische ärztliche Erfahrungen voraussetzen. Von nichtakademischen Gesundheitsfachberufen können die

Im Dokument Arztfehler und Haftpflicht (Seite 24-32)