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Österreichs Abschied von der DDR

I. Vorbemerkungen

7. Österreichs Abschied von der DDR

Bereits seit Juni 1990 hatte man am Ballhausplatz damit begonnen, sich mit der Frage der Weitergeltung der Verträge mit der DDR auseinanderzusetzen.391 Mit Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 musste sich Österreich in seinen Handelsbeziehungen mit der DDR, insbeson-dere in Zollfragen, auf die neuen Gegebenheiten einstellen.392 Sorgen der öster-reichischen Wirtschaftstreibenden, die durch den Wegfall der DDR-Geschäfte Einbußen befürchteten, sollten sich nicht bewahrheiten. Tatsächlich „profitierte Österreich von der westdeutschen Investitionswelle in die Infrastruktur der ehe-maligen DDR“ in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre.393

388 Siehe Dok. 172.

389 Siehe Dok. 178–179. Siehe dazu auch Wolfgang Schallenberg, Obsoleterklärung einiger Arti-kel des österreichischen Staatsvertrages, in: Manfried Rauchensteiner / Robert Kriechbaumer (Hg.), Die Gunst des Augenblicks. Neuere Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität, Wien / Köln / Weimar 2005, S. 503–517.

390 Siehe Dok. 173.

391 Vereinigung BRD-DDR; Frage der Weitergeltung von Verträgen zwischen Österreich und der DDR, Gesandter Johann Plattner, Wien 21. Juni 1990, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1990, GZ.

22.17.01/160-II.1/90.

392 Siehe zur Sicht Österreichs ausführlicher Gehler, Österreich, die DDR und die Einheit Deutschlands, S. 447–449; sowie Dok. 160, Anm. 17 und Dok. 165.

393 Felix Butschek, Vom Staatsvertrag zur EU. Österreichische Wirtschaftsgeschichte von 1955 bis zur Gegenwart, Wien / Köln / Weimar 2004, S. 200.

Im Mai wurden die österreichisch-ostdeutschen Beziehungen zur DDR noch um ein Kuriosum ergänzt. Obwohl sich das Ende der DDR abzeichnete, machten sich der österreichische Vizekanzler Josef Riegler (ÖVP) und Lothar de Maizière noch daran, zumindest zum Schein Parteikontakte zwischen der ÖVP und der CDU-Ost zu etablieren.394 Die beiden waren im Mai trotz de Maizières „sehr gedrängten Terminkalenders“ anlässlich des World Economic Forum in Berlin zu einem Meinungsaustausch zusammengetroffen, den der DDR -Ministerprä-sident zu einer ausführlichen Darlegung der eigenständigen Politik seiner Re-gierung nutzte und Zweifel am Vereinigungswillen der ostdeutschen Bevölke-rung äußerte.395 Daraufhin hatte Riegler den Leiter der Politischen Akademie der ÖVP Andreas Khol damit beauftragt, die vereinbarte Intensivierung der Kontakte zwischen den beiden Parteien in Angriff zu nehmen. Zudem lud er de Maizière zur Eröffnung der Salzburger Festspiele nach Österreich ein,396 was dieser dan-kend annahm.397 Da Rieglers Vorgehen nicht mit der CDU abgestimmt war, sorgte es für eine „beträchtliche Irritation“ in Rieglers Verhältnis zu Kohl – nicht zuletzt, da dessen Beziehung zu de Maizière zu jener Zeit eben „nicht frei von Spannungen war“.398

Kurz nach dem EG-Gipfel in Dublin Ende Juni 1990 gab Lothar de Maizière dem Brüsseler Korrespondenten der Tageszeitung Die Presse, Otmar Lahodynsky, ein Interview. Darin betonte er vor dem Hintergrund der anstehenden Wäh-rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, dass Moskaus Führung die deutsche Ein-heit nicht mehr aufhalten, „nur noch erschweren“ könne. Bei diesem Gespräch im Kölner Maritim-Hotel hatte de Maizière zwei Mitarbeiterinnen im Gefolge. Seine Pressesprecherin war damals Angela Merkel. Zehn Jahre später traf Lahodynsky Merkel wieder bei einem Interview in Berlin. Sie war bereits zur CDU -General-sekretärin avanciert und wollte nicht an die Zeit als Pressesprecherin erinnert werden: „Da wechselte sie ganz schnell das Thema“, so Lahodynsky.399

Im Sommer 1990, als der Weg für die Einheit endgültig frei geworden war, ab-solvierte de Maizière am 25. Juli noch einen offiziellen Besuch in Österreich.400 Es

394 Vgl. dazu Helmut Wohnout, Vom Durchschneiden des Eisernen Vorhangs bis zur Anerken-nung Sloweniens und Kroatiens. Österreichs Außenminister Alois Mock und die europä-ischen Umbrüche 1989–1992, in: Andrea Brait / Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989.

Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich, Wien / Köln / Weimar 2014, S. 185–219, hier S. 200.

395 Siehe Dok. 151.

396 Riegler an de Maizière, Wien, 21. Mai 1990, BArch, Abt. DDR, DC 20/6075, Bl. 66.

397 De Maizière an Riegler, Berlin, 28. Juni 1990, BArch, Abt. DDR, DC 20/6075, Bl. 65; profil, 12. Oktober 2009 und 19. Oktober 2009.

398 Wohnout, Vom Durchschneiden des Eisernen Vorhangs, S. 200 und Fußnote 47.

399 Wir danken Otmar Lahodynsky (seit 1998 beim Nachrichtenmagazin profil und derzeit Prä-sident der Association of European Journalists) für diese Auskunft. Für das Interview siehe

„Wer immmer in Moskau das Sagen hätte“. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière hält die deutsche Vereinigung für unumkehrbar, höchstens erschwerbar, in: Die Presse, 27. Juni 1990, S. 3.

400 Siehe Dok. 160 und 165.

war das dritte Zusammentreffen auf Ebene der Regierungschefs zwischen Öster-reich und der DDR seit dem „Mauerfall“. Als ihn Bundeskanzler Vranitzky am Flughafen fragte, ob er das erste Mal in Österreich sei, antwortete er in seiner typisch lakonischen Art: „Ich bin überall zum ersten Mal.“401

Ursprünglich war für den Folgetag ein Treffen zwischen de Maizière und Kohl an dessen Urlaubsort St. Gilgen vorgesehen, das dann aber nicht stattfand. Das Unterbleiben der deutsch-deutschen Begegnung in Österreich war der öster-reichischen Regierung schon angesichts der möglichen Optik im Ausland nur allzu recht.402 Ein Schwerpunkt des Besuchs – zu dem bisher kein Gesprächspro-tokoll aufgefunden werden konnte – lag darauf, zu betonen, dass die traditionell guten Beziehungen zu diesem „Raum“ im vereinigten Deutschland aufrechterhal-ten und weiter ausgebaut werden sollaufrechterhal-ten.403 In diesem Sinne wurden auch noch im Sommer 1990 kulturelle Vereinbarungen mit der DDR geschlossen.404

De Maizière blieb Österreich auch danach eng verbunden. So dachte er nicht nur über einen Urlaub in der Alpenrepublik nach dem 3. Oktober nach, sondern informierte die österreichische Diplomatie auch persönlich über die letzten Auf-gaben der DDR-Regierung bis zu diesem Datum. Das Tempo des Übergangs be-reitete ihm in mancherlei Hinsicht Sorgen.405 Auch die österreichische Botschaft in Ost-Berlin hatte ob der nahenden Einheit den Eindruck: „Die Stimmungslage jedoch erscheint gespalten.“ Zu groß war das Bewusstsein, dass „nicht in weni-gen Monaten alle Schwierigkeiten“ überwunden werden können. So machte sich ein „gewisses Maß an Verunsicherung“ breit und Botschafter Binder vermutete bereits, dass sich die „Deutschen des Ostens“ noch einige Jahre „als Deutsche zweiter Klasse fühlen“ würden. „Trotz der mitunter zwiespältigen Stimmung im Lande“ – so urteilte Binder – „dürfte dennoch bei der Mehrheit der Optimismus überwiegen, daß diese Schwierigkeiten in wenigen Jahren überwunden sein wer-den und sich Außenminister Genschers Vorhersage vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, daß von Deutschland nunmehr Frieden ausgehen wird, bewahrheitet.“406

An diesen Punkt knüpfte das von der österreichischen Generalkonsulin im vormaligen West-Berlin, Gabriele Matzner-Holzner, verfasste „positive, auf

per-401 Vranitzky, Politische Erinnerungen, S. 209.

402 De Maizière reiste allerdings bereits am 31. Juli erneut nach Österreich und traf mit Kohl in St. Gilgen am Wolfgangsee zusammen, wo sich die beiden deutschen Regierungschefs über „die Verhandlungen zum Einigungsvertrag und zum Wahlvertrag“ austauschten. Siehe Europa-Archiv 16/1990, Z. 170.

403 Siehe Dok. 165, Anm.4.

404 Andrea Brait, „Vor Torschluss“: Österreichs Kulturbeziehungen zur DDR 1989/90, in: Mi-chael Gehler / Maximilian Graf (Hg.), Europa und die deutsche Einheit. Beobachtungen, Ent-scheidungen und Folgen, Göttingen 2017, S. 349–374; idem, Kultur als Grenzöffner? Motive und Schwerpunkte der österreichischen Kulturaußenpolitik im Verhältnis zu seinen öst-lichen Nachbarn in den Jahren 1989–91, in: Zeitgeschichte 41 (2014) 3, S. 166–183.

405 Siehe Dok. 168.

406 Siehe Dok. 174.

sönlichen Wahrnehmungen des Generalkonsulats beruhende Stimmungsbild eine Woche nach der deutschen Einheit“ an. Sie sah „potentielle Störfaktoren“

fortbestehen und meinte: „Viel Fingerspitzengefühl, gewaltige Anstrengungen und Solidarität werden in den nächsten Monaten erforderlich sein, um diese abzubauen.“407

Anders als einige mit Skepsis behaftete diplomatische Stimmen, gab sich die österreichische Politik von der künftigen Rolle Deutschlands in Europa positiv überzeugt. Mock richtete ein Gratulationsschreiben an seinen Amtskollegen Gen-scher, Bundeskanzler Vranitzky gab am 3. Oktober 1990 anlässlich des Vollzugs der deutschen Einheit eine Erklärung ab und brachte diese Einschätzung auch in einem Brief an Kohl zum Ausdruck: „Wir sind davon überzeugt, dass Deutsch-land auch in seiner neuen Form und unbeschadet der großen innen- und wirt-schaftspolitischen Aufgaben, die nun vor Ihnen liegen, immer seinen Beitrag zu der neuen Architektur Europas, zu einem Europa der immer stärkeren Gemein-samkeit in Freiheit, Frieden und Sicherheit, leisten wird.“408

8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick