• Keine Ergebnisse gefunden

Österreich und die deutsche Frage 1987–1990

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Österreich und die deutsche Frage 1987–1990"

Copied!
790
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Michael Gehler / Maximilian Graf (Hg.)

Österreich und

die deutsche Frage 1987–1990

Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit

(2)
(3)
(4)

Österreich und die deutsche Frage 1987–1990

Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit

Herausgegeben von

Michael Gehler und Maximilian Graf

Unter Mitarbeit von Philipp Greilinger, Sarah Knoll und Sophie Bitter-Smirnov

(5)

der SED-Diktatur, der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., des Instituts für Geschichte der Stiftung Universität Hildesheim sowie des Instituts für Neuzeit- und Zeit- geschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Dieses Werk ist als Open-Access-Publikation im Sinne der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND International 4.0 (»Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen«) unter dem DOI 10.13109/9783666355875 abzurufen. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.

Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Erich Honecker mit dem Bundeskanzler von Österreich,

Franz Vranitzky (r), beim Abschreiten der Ehrenformation, 14. Juni 1988 © ullstein bild – ADN-Bildarchiv

Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-35587-5

(6)

Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 . . . 7

I. Vorbemerkungen . . . 7

II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) . . . 11

1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 . . . 11

2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) . . . 19

3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 . . . 23

4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) . . . 28

5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) . . . 32

III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 . . . 38

1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes . . . 38

2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen . . . 43

3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage . . . 50

4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 . . . 63

5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 . . . . 75

6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht . . . 86

7. Österreichs Abschied von der DDR . . . 92

8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick . . . 95

IV. Editorische Vorbemerkungen . . . 99

Verzeichnis der Dokumente . . . 103

Dokumente . . . 111

Abkürzungsverzeichnis . . . . 723

Literaturverzeichnis . . . . 731

Personenregister . . . 735

Sachregister . . . . 773

(7)
(8)

Michael Gehler und Maximilian Graf

I. Vorbemerkungen

Die Entstehung der vorliegenden Aktenedition1 geht auf Vorarbeiten der beiden Herausgeber zurück. Während Michael Gehler seit 2007 erste Pionierstudien auf Aktenbasis veröffentlichte,2 hat sich Maximilian Graf dem Thema über die Bezie- hungen zwischen Österreich und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) angenähert.3 Gemeinsam mit Andrea Brait, die diesem Editionsprojekt eng ver- bunden war und ebenfalls einen Beitrag zu Österreichs Haltung zur deutschen Vereinigung vorgelegt hat,4 hat Gehler auch Projekte zu Österreich und 1989 im größeren Kontext realisiert.5 Im Rahmen des Editionsprojekts „Österreich und

1 Die vorliegende Edition ist das Ergebnis des FWF-Projekts P 26439-G15 „Aktenedition: Öster- reich und die Deutsche Frage 1987 bis 1990“. Eine Auswahl von 20 Schlüsseldokumenten in englischer Übersetzung ist auf der Onlineplattform des Cold War International History Project des Woodrow Wilson International Center for Scholars zugänglich (siehe: http://

digitalarchive.wilsoncenter.org/collection/495/austria-and-german-unification). Die Arbeiten an diesem Projekt wurden am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Öster- reichischen Akademie der Wissenschaften und am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien durchgeführt.

2 Michael Gehler, Eine Außenpolitik der Anpassung an veränderte Verhältnisse: Österreich und die Vereinigung Bundesrepublik Deutschland-DDR 1989/90, in: idem / Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutsch- land 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Inns- bruck / Wien / Bozen 2007, S. 493–530; Michael Gehler, Österreich, die DDR und die Einheit Deutschlands 1989/1990, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009) 5, S. 427–452.

3 Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1990. Politik und Wirtschaft im Schatten der deutschen Teilung, Wien 2016, darin zur deutschen Einheit, S. 570–607. Siehe auch: idem, Österreich und das „Verschwinden“ der DDR. Ostdeutsche Perzeptionen im Kontext der Lang- zeitentwicklungen, in: Andrea Brait / Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich, Wien / Köln / Weimar 2014, S. 221–242.

4 Andrea Brait, „Österreich hat weder gegen die deutsche Wiedervereinigung agitiert, noch haben wir sie besonders begrüßt“. Österreichische Reaktionen auf die Bemühungen um die deutsche Einheit, in: Deutschland Archiv 2014, Bonn 2015, S. 82–102.

5 Andrea Brait / Michael Gehler (Hg.), Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich, Wien / Köln / Weimar 2014. Der Sammelband ist ein erstes Teil- ergebnis des Projekts „Offene Grenzen, neue Barrieren und gewandelte Identitäten. Öster- reich, seine Nachbarn und die Transformationsprozesse in Politik, Wirtschaft und Kultur seit 1989“. Für einen konzisen Überblick zur Thematik siehe Michael Gehler, Austria, the Revolutions, and the Unification of Germany, in: Wolfgang Mueller / Michael Gehler / Arnold Suppan (Hg.), The Revolutions of 1989. A Handbook, Wien 2015, S. 437–466. Für weitere In- formationen und die in Vorbereitung befindlichen Publikationen (Edition und Zeitzeugen- erinnerungen) siehe: https://www.univie.ac.at/offenegrenzen/index.htm, zuletzt abgerufen

(9)

die deutsche Frage 1987 bis 1990“, das parallel auch bemüht war, die deutsche Einigung im gesamteuropäischen Kontext zu verorten,6 legte Graf Synthesen zur Haltung Österreichs zum Ende der DDR7 und zur deutschen Einheit8 vor. Gehler analysierte insbesondere die europäische Integration im österreichisch-doppel- deutschen Kontext vor dem Hintergrund der deutschen Frage.9 Die beiden Pro- jektmitarbeiter Philipp Greilinger und Sarah Knoll haben ein Panorama der in- ternationalen Wahrnehmungen des deutschen Einigungsprozesses im Spiegel der österreichischen diplomatischen Akten veröffentlicht.10 Darüber hinaus wurde das Editionsteam im letzten Projektjahr von Sophie Bitter-Smirnov verstärkt. Es war ein Vergnügen mit diesem engagierten Team zusammenzuarbeiten, auf das man sich blind verlassen konnte.

Unverzichtbar für das Gelingen der Edition war es, dass für den Projektbei- rat und einen internen Editionsworkshop zur Projektmitte erfahrene und re- nommierte Editoren sowie Herausgeber großer, an ein internationales Publikum adressierter Quellenpublikationen gewonnen werden konnten. Ihre Expertise war nicht nur auf dem Weg zur finalen Dokumentenauswahl, sondern auch hinsicht- lich der Diskussion editorischer Standards, wie des Kommentierungsausmaßes, ein großer Gewinn. Darüber hinaus war dieser erlauchte internationale Experten- kreis auch bei der Auflösung der kniffligsten Kommentierungsfragen und der komplexesten Sachverhalte sowie bei so manchem biografischen Detail stets mit Rat und Tat zur Stelle. Wir sehen eine derartige selbstlose Unterstützung keines- wegs als selbstverständlich an und danken daher in alphabetischer Reihenfolge ganz herzlich: Heike Amos, Tim Geiger, Andreas Hilger, Hanns Jürgen Küs- ters, Wolfgang Mueller, Christian Ostermann, Ilse-Dorothee Pautsch, Andreas Schmidt-Schweizer und Hermann Wentker. Die Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

am 25. August 2017. Michael Gehler / Andreas Brait (Hg.), Am Ort des Geschehens in Zeiten des Umbruchs. Lebensgeschichtliche Erinnerungen aus Politik und Ballhausplatzdiplomatie vor und nach 1989 (Historische Europa-Studien 17/Teilband 3), Hildesheim / Zürich / New York 2017; Michael Gehler / Andrea Brait (Hg.), Von den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa bis zum Zerfall der Sowjetunion 1985–1991. Eine Dokumentation aus der Perspektive der Ball- hausplatzdiplomatie, 2 Bde., Hildesheim / Zürich / New York 2019 (in Vorbereitung).

6 Michael Gehler / Maximilian Graf (Hg.), Europa und die deutsche Einheit. Beobachtungen, Entscheidungen und Folgen, Göttingen 2017. Siehe auch: Frédéric Bozo / Andreas Rödder / Mary Elise Sarotte (Hg.), German Reunification. A multinational history, London / New York 2017.

7 Maximilian Graf, Österreich und das Ende der DDR, in: Michael Gehler / Maximilian Graf (Hg.), Europa und die deutsche Einheit. Beobachtungen, Entscheidungen und Folgen, Göttin- gen 2017, S. 259–294.

8 Maximilian Graf, Österreich und die deutsche Einheit, in: Wolfgang Mueller (Hg.), 1989. Die Samtenen Revolutionen, Österreich und die Transformation in Europa, Wien 2017, S. 131–159.

9 Michael Gehler, Von der Befürwortung zur Verzögerung und Verhinderung: Österreichs EG- Antragsgesuch, die Bundesrepublik und die Annäherungen der DDR an die Europäischen Gemeinschaften 1989–1990, in: idem / Maximilian Graf (Hg.), Europa und die deutsche Ein- heit. Beobachtungen, Entscheidungen und Folgen, Göttingen 2017, S. 295–347.

10 Philipp Greilinger / Sarah Knoll, Die deutsche Einheit. Internationale Reaktionen aus Sicht der österreichischen Diplomatie, in: ebd., S. 375–396.

(10)

und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur haben maßgeblich zum Erscheinen der Edition beigetragen.

Alle Genannten waren an den bis dato wichtigsten Quelleneditionen und Pu- blikationen zur Geschichte der Revolutionen 1989 und der deutschen Einheit beteiligt. Bereits in den 1990er-Jahren sind eine Fülle von bis heute nützlichen Dokumentsammlungen aus ostdeutschen Archiven entstanden.11 Einen Quan- tensprung stellte dann die 1998 erschienene Sonderedition der Dokumente zur Deutschlandpolitik dar, die die Akten des Bundeskanzleramts herausgab.12 Nach- dem zuvor eine Dokumentation zur DDR-Außenpolitik 1989/90 erschienen war,13 lag dann pünktlich zum 25. Jahrestag der Einheit eine Edition der Quellen beider deutscher Außenministerien vor.14 Bereits zuvor wurden die deutschen Akten zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen 1989/90 veröffentlicht.15 Zu diesem Zeitpunkt lag auch eine Reihe von Akteneditionen zur Haltung anderer Staaten zum deutschen Einigungsprozess vor. Insbesondere der sowjetischen Deutsch- landpolitik wurde viel Aufmerksamkeit zuteil. Nachdem Michail Gorbatschow selbst nicht nur umfangreiche Erinnerungen,16 sondern auch einzelne einschlä- gige Dokumente aus seiner Amtszeit veröffentlicht hatte,17 wurden seit Anfang der 2000er-Jahre sukzessive weitere sowjetische Dokumente zu Tage gefördert.18 Eine zuerst 2006 auf Russisch erschienene Edition liegt mit einer entsprechenden historischen Einleitung versehen seit 2011 auch in deutscher Übersetzung vor.19 In den Jahren 2014 und 2015 legten Stefan Karner und sein internationales For-

11 Siehe hierzu unter anderem: Daniel Küchenmeister (Hg.), Honecker – Gorbatschow. Vier- augengespräche, Berlin 1993; Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), „Vorwärts immer, rückwärts nim- mer!“ Interne Dokumente zum Zerfall von SED und DDR 1988/89, Berlin 1994; Detlef Na- kath / Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), Countdown zur deutschen Einheit. Eine dokumentierte Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen 1987–1990, Berlin 1996; Detlef Nakath / Gero Neugebauer / Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), „Im Kreml brennt noch Licht“. Die Spitzenkontakte zwischen SED, PDS und KPdSU 1989–1991, Berlin 1998: Hans-Hermann Hertle / Gerd Rüdiger Stephan (Hg.), Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees. Mit einem Vorwort von Peter Steinbach, 2. Aufl., Berlin 1997.

12 Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs (Hg.), Deutsche Ein- heit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, bearb. von Hanns Jürgen Küsters / Daniel Hofmann, München 1998.

13 Ines Lehmann, Die Außenpolitik der DDR 1989/1990. Eine dokumentierte Rekonstruktion, Baden-Baden 2010.

14 Heike Amos / Tim Geiger (Bearb.), Die Einheit. Das Auswärtige Amt, das DDR-Außenminis- terium und der Zwei-plus-Vier-Prozess, hg. von Horst Möller / Ilse Dorothee Pautsch / Gregor Schöllgen / Hermann Wentker / Andreas Wirsching, Göttingen 2015.

15 Andreas Hilger (Hg.), Diplomatie für die deutsche Einheit. Dokumente des Auswärtigen Amts zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen 1989/90, München 2011.

16 Michail Gorbatschow, Erinnerungen, München 1996.

17 Michail Gorbatschow, Wie es war: die deutsche Wiedervereinigung, Berlin 1999.

18 Alexander von Plato, Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel, Berlin 2002.

19 Aleksandr Galkin / Anatolij Tschernjajew (Hg.), Michail Gorbatschow und die deutsche Frage.

Sowjetische Dokumente 1986–1991, München 2011.

(11)

schernetzwerk zwei gewichtige Bände – zur Haltung des Kremls zur „Wende“

198920 und zur „Wiedervereinigung“ 199021 – vor. Zudem existieren Editionen britischer,22 französischer23 und polnischer Außenamtsakten.24 Darüber hinaus wurden internationale Editionsprojekte zum Warschauer Pakt,25 den Schlüssel- dokumenten des Jahres 198926 und den Gipfeltreffen der Supermächte in diesen entscheidenden Jahren realisiert.27 Sondereditionen anderer europäischer Staaten sind mit Ausnahme Polens und Ungarns28 bisher eine Seltenheit. Jene zur Tsche- choslowakei fokussieren auf die Botschaftsflüchtlinge.29 Auf die vorhandenen Einzelstudien kann hier nicht näher eingegangen werden.30 Sie sind aber wie im Falle Österreichs unverzichtbare Vorarbeiten für künftige Editionen.

Bei der vorliegenden Edition „Österreich und die deutsche Frage 1987 bis 1990“

handelt es sich um eine Auswahledition. Nach umfangreichen Vorarbeiten von Gehler und Graf in österreichischen und deutschen Archiven, die auf Basis einer Sondergenehmigung möglich waren,31 konnten für dieses Projekt erstmals syste-

20 Stefan Karner / Mark Kramer / Peter Ruggenthaler / Manfred Wilke (Hg.), Der Kreml und die Wende 1989. Interne Analysen der sowjetischen Führung zum Fall der kommunistischen Regime, Innsbruck / Wien / Bozen 2014.

21 Stefan Karner et al. (Hg.), Der Kreml und die deutsche Wiedervereinigung 1990, Berlin 2015.

22 Documents on British Policy Overseas (DBPO), Series III, Volume VII: German Unification 1989–1990, hg. von Patrick Salmon, Keith Hamilton und Stephen Twigge, London 2010.

23 Maurice Vaïsse / Christian Wenkel (Hg.), La diplomatie française face à l’unification alle- mande, Paris 2011.

24 Włodzimierz Borodziej (Hg.), Polska wobec zjednoczenia Niemiec 1989–1991. Dokumenty dyplomatyczne, Warschau 2006.

25 Vojtech Mastny / Malcolm Byrne (Hg.), A Cardboard Castle? An Inside History of the Warsaw Pact 1955–1991, Budapest 2005.

26 Svetlana Savranskaya / Thomas Blanton / Vladislav Zubok, Masterpieces of History. The peace- ful end of the Cold War in Eastern Europe, 1989, Budapest / New York 2010. Für ein repräsenta- tives Handbuch siehe: Wolfgang Mueller / Michael Gehler / Arnold Suppan (Hg.), The Revolu- tions of 1989. A Handbook, Wien 2015,

27 Svetlana Savranskaya / Thomas Blanton (Hg.), The Last Superpower Summits. Gorbachev, Reagan, and Bush. Conversations that Ended the Cold War, Budapest / New York 2016.

28 Andreas Schmidt-Schweizer (Hg.), Die politisch-diplomatischen Beziehungen in der Wende- zeit 1987–1990, Berlin / Boston 2018.

29 Karel Vodička, Die Prager Botschaftsflüchtlinge 1989. Geschichte und Dokumente (Berichte und Studien 67), Osnabrück 2014; und leicht gekürzt, aber weitgehend textident: idem / Hans Dietrich Genscher, Zündfunke Prag. Wie 1989 der Mut zur Freiheit die Geschichte veränderte, München 2014.

30 Siehe dazu die Beiträge von Georg Kreis (Schweiz), Aryo Makko (Schweden), Thorsten Borring Olesen und Niels Wium Olesen (Dänemark), Hans Otto Frøland (Norwegen), Anjo Harryvan und Jan van der Harst (Niederlande), Steven Van Hecke (Belgien), Siebo Janssen (Luxemburg) und Miroslav Kunštát (Tschechoslowakei), in: Michael Gehler / Maximilian Graf (Hg.), Europa und die deutsche Einheit. Beobachtungen, Entscheidungen und Folgen, Göttingen 2017.

31 Die Regelung des Zugangs zu den Akten des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA) betreffend Österreichs Einschätzungen der deutschen Frage 1987–1990 wurde im Jahre 2006 auf Anregung und Fürsprache von Österreichs Botschafter (2003–2009) in Berlin, Christian Prosl, ermöglicht und sodann unter maßgeblicher Mithilfe von Bot-

(12)

matisch sämtliche relevanten Bestände der im Archiv des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres lagernden Botschaftsakten, die im Zwischen- archiv des Österreichischen Staatsarchivs befindliche Überlieferung der Politi- schen Sektion des österreichischen Außenministeriums und die Akten im Depo- situm Franz Vranitzky im Kreisky-Archiv ausgewertet werden.32 Darüber hinaus wurden Recherchen in deutschen und weiteren europäischen Archiven angestellt.

Zunächst ist es geboten, den historischen Kontext, Österreichs Umgang mit der deutschen Frage seit 1945 und insbesondere mit den beiden deutschen Staa- ten im europäischen Umfeld kurz zu erläutern, um eine bessere Einordnung der Dokumente in Langzeitentwicklungen zu ermöglichen. Der einleitende Abschnitt kann ob der Größe des Themas und der gebotenen Kürze keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, er nimmt aber die wichtigsten Entwicklungen in den Blick und verweist auf weiterhin fortbestehende Desiderata, die durch künftige Forschungen in Angriff genommen werden sollten. Während die Vorgeschichte mitunter umfassend mit Literaturbelegen dokumentiert wird, basiert der Ab- schnitt zu Österreich und der deutschen Frage von 1987 bis 1990 weitgehend auf den in weiterer Folge präsentierten Dokumenten und den in der Kommentierung erarbeiteten Kontexten.

II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte:

Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987)

1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Österreich aus Sicht der Alliierten zum einen ehemaliger Bestandteil Hitler-Deutschlands, zum anderen aber auch ein befreites Land, dessen Wiedererrichtung seit der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 ein Kriegsziel der Alliierten war.33 Österreich geriet 1945, wie Deutschland unter Viermächtebesatzung. Im Unterschied zu den deutschen Zo- nen kam es jedoch zur Bildung eines Alliierten Rates, der am 11. September 1945 zum ersten Mal zusammentrat, und nicht eines Kontrollrates, sowie einer pro-

schafter Friedrich Bauer durch eine Sondergenehmigung auf Antrag von Prof. Michael Gehler ermöglicht, so dass die Herausgeber in den Folgejahren systematisch die Aktenbestände ein- gehend sichten und schließlich für diese Aktenedition systematisch erschließen konnten.

Hierbei waren im Hause besonders Ministerialrat Dr. Gottfried Loibl und Gesandte Gudrun Graf stets behilflich, wofür wir Ihnen sehr zu Dank verpflichtet sind. Bundeskanzler a. D., Dr. Franz Vranitzky gewährte uns dankenswerter Weise Einsicht in die im Kreisky-Archiv lagernden einschlägigen Akten aus seiner Amtszeit (1986–1997).

32 Siehe dazu auch die „Editorischen Vorbemerkungen“ am Ende dieser Einleitung.

33 Stefan Karner / Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Moskauer Deklaration 1943. „Österreich wieder herstellen“, Wien / Köln / Weimar 2015.

(13)

visorischen gesamtstaatlichen Regierung unter Karl Renner,34 zu freien Wah- len am 25. November 1945 und zum Zweiten Alliierten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946, das die Vetorechte der Okkupanten reduzierte. Dieses erlaubte auf außenpolitischem Gebiet die Aufnahme offizieller Beziehungen, jedoch nur zu Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, denen sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die DDR erst 1973 beitreten konnten.

Des Weiteren erfolgte keine Zwangsvereinigung der Kommunistischen Par- tei Österreichs (KPÖ) und der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ), wie sie 1946 zwischen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozial- demokratischen Partei Deutschlands (SPD) in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) vollzogen wurde und deren Resultat die Sozialistische Ein- heitspartei Deutschlands (SED) war. Österreich erhielt als Ganzes mit seiner so- wjetischen Besatzungszone finanzielle Mittel aus dem Marshall-Plan. Während die UdSSR eine Teilnahme der deutschen SBZ an diesem ausgeschlossen hatte, flossen Mittel des European Recovery Program (ERP) unter sowjetischer Duldung auch in ihre österreichische Zone.35 Ökonomisch zog Österreich zunächst nicht nur aus den Vorteilen der Handelsliberalisierung beim Export großen Nutzen, sondern auch aus quantitativen Restriktionen für den gesamten Warenimport aus den ERP-Teilnehmerländern. Das Land war von Anfang an Netto-Schuldner unter den ERP-Ländern, während schon die anglo-amerikanische Bizone in den Jahren ab 1947 bzw. die Bundesrepublik Deutschland ab ihrer Gründung mit Ver- kündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 Netto-Gläubiger der übrigen west- europäischen Staaten waren.36

Österreich erhielt insgesamt Zahlungen in der Höhe von über einer Milliarde Dollar von den USA. Das Land hatte damit vom Marshall-Plan stark profitiert. Es konnte im Vergleich zu anderen ERP-Teilnehmerländern sowohl seine Produk- tion, als auch den Lebensstandard beträchtlich steigern. Österreich erhielt mit 130 Dollar neben Norwegen die zweithöchste Pro-Kopf-Rate von allen ERP-Emp- fängerstaaten – Island bekam mit 209 Dollar die höchste Quote, die deutschen Westzonen bzw. die Bundesrepublik erhielten im Unterschied dazu lediglich

34 Reinhard Bollmus, Staatliche Einheit trotz Zonentrennung. Zur Politik des Staatskanzlers Karl Renner gegenüber den Besatzungsmächten in Österreich im Jahre 1945, in: Ulrich Engel- hardt / Volker Sellin / Horst Stuke (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt (= Industrielle Welt, Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, Sonderband), Stuttgart 1976, S. 677–712.

35 Siehe dazu: Wolfgang Mueller, Sowjetische Deutschland- und Österreichpolitik 1941 bis 1955 im Vergleich: Die Frage der staatlichen Einheit und des Friedensvertrages, in: Michael Geh- ler / Ingrid Böhler  (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, S. 123–154.

36 Alan S. Milward, The Reconstruction of Western Europe 1945–51, London 1984, Berkeley / Los Angeles ²1986, S. 18, 103 (Table), 177, 205–206, 332, 354 (Table), 360–361 und 422; Werner Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland 1945–1948, Stuttgart 1975; idem, Hilfe und Selbsthilfe. Zur Funktion des Marshallplans beim westdeutschen Wiederaufbau, in: Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989) 1, S. 85–113.

(14)

19 Dollar pro Kopf! Die Güter bekam Österreich zur Gänze geschenkt, während sie Westdeutschland zurückzuzahlen hatte. Im ersten ERP-Jahr 1948/49 emp- fing die Alpenrepublik mit 14 % des nationalen Einkommens den höchsten An- teil des Marshall-Plans.37 Nicht zuletzt deshalb blieb Österreich im Gegensatz zu Deutschland eine handels-, wirtschafts- und währungspolitische Einheit,38 auch wenn die KPÖ durchaus politische Teilungsabsichten hegte.39

Nach 1945 wahrte Österreich gegenüber Deutschland bewußt Distanz. Doch kannte diese Haltung auch Grenzen. Dies zeigte sich nach Gründung der Bundes- republik Deutschland. Ihr strikt prowestlicher Kurs wurde von Österreich als nicht unvorteilhaft für sich selbst angesehen. 1949 erfolgte die „doppelte Staats- gründung“ (Christoph Kleßmann) in Deutschland.40 Besondere unmittelbare Re- aktionen auf die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 aus Österreich liegen nicht vor, zumal sich diese im Schatten der am darauffolgenden Wochenende stattfindenden Nationalratswahlen in Österreich ereignete. Offizielle Beziehun- gen zu beiden deutschen Staaten waren weiterhin unmöglich und wurden vom Ballhausplatz zur DDR wegen des im Grundgesetz der Bundesrepublik verkünde- ten Alleinvertretungsanspruchs auch nicht angestrebt. Obwohl man in Wien die deutsche „Weststaatgründung“ wohlwollend kommentiert hatte, sollte das Ver- hältnis zwischen Österreich und der Bundesrepublik Mitte der 1950er-Jahre er- heblichen Spannungen ausgesetzt sein.41 In diesem Zusammenhang ist angesichts

37 Siehe zuletzt Günter Bischof / Hans Petschar, Der Marshallplan. Die Rettung Europas und der Wiederaufbau Österreichs, Wien 2017.

38 Michael Gehler, Österreich, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 1945/49–1955. Zur Geschichte der gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen Abhängigkeit und gemeinsamen Interessen, in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 8 (1995) 2, S. 221–264.

39 Zu den Teilungsabsichten der KPÖ siehe: Wolfgang Mueller, Die Teilung Österreichs als poli- tische Option für KPÖ und UdSSR 1948, in: Zeitgeschichte 32 (2005) 1, S. 47–54.

40 Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945–1955, 5. Aufl., Göttingen 1991.

41 Zur Haltung Österreichs in der deutschen Frage bis 1955 unter besonderer Berücksichti- gung der Beziehungen zur Bundesrepublik siehe: Michael Gehler, „Kein Anschluß, aber auch keine chinesische Mauer“. Österreichs außenpolitische Emanzipation und die deutsche Frage 1945–1955, in: Alfred Ableitinger / Siegfried Beer / Eduard G. Staudinger (Hg.), Öster- reich unter alliierter Besatzung 1945–1955, Wien / Köln / Graz 1998, S. 205–268; Michael Geh- ler, Österreich, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 1945/49–1955. Zur Geschichte der gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen Abhängigkeit und gemeinsamen Interessen, in:

idem / Rainer F. Schmidt / Harm-Hinrich Brandt / Rolf Steininger, Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1996, S. 535–580. Für österreichische Dokumente zur Deutsch- landfrage siehe: Michael Gehler / Rudolf Agstner (Hg.), Einheit und Teilung. Österreich und die Deutschlandfrage 1945–1960. Festgabe für Rolf Steininger zum 70. Geburtstag, Inns- bruck / Wien / Bozen 2013. Zu den österreichisch-westdeutschen Nachkriegsbeziehungen bis in die 1960er-Jahre siehe: Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–

1965, Köln / Weimar / Wien 2000; Rolf Pfeiffer, Eine schwierige und konfliktreiche Nachbar- schaft – Österreich und das Deutschland Adenauers 1953–1963, Münster / Hamburg / London 2003; Michael Ebert, Bonn – Wien. Die deutsch-österreichischen Beziehungen von 1945 bis

(15)

der österreichisch-deutschen Vorgeschichte, trotz aller gewünschter bilateraler Annäherung an die Bundesrepublik, die gleichzeitige Notwendigkeit einer deut- lichen Abgrenzung Österreichs von der Bundesrepublik als Teil der staatlichen österreichischen Nachkriegsidentität mitzudenken.

Zunächst nahm Wien in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre eine wohlwollende Allianzfreiheit gegenüber Bonn ein – es war dann bereits „Tauwetter“ nach Stalins Tod angesagt, wenn auch der Ost-West-Konflikt manifest blieb. Die Bedeutung der gestiegenen Handelsbeziehungen mit Westdeutschland spielte außerdem eine nicht unerhebliche Rolle. Der erste offizielle Besuch österreichischer Regierungs- mitglieder fand am 19./20. Mai 1953 statt, als der im gleichen Jahr im November dann abgelöste Außenminister Karl Gruber und Staatssekretär Bruno Kreisky in Bonn mit Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer zusammentrafen, um über die zukünftigen bilateralen Beziehungen zu sprechen.

Gruber versuchte Adenauer in Bonn verständlich zu machen, dass die politische Lage Österreichs von jener Deutschlands „grundlegend verschieden“, zumal das Land von Beginn an „durch östliche Initiative in zwei Teile gespalten worden“

sei – eine Auslegung, die der westdeutschen Lesart entsprach. Aufgabe der deut- schen Bundesregierung könne es, so Gruber, nur sein, durch Stärkung seiner wirt- schaftlichen Kraft, den Aufbau neuen internationalen Vertrauens und besonders durch Entwicklung eines Modus vivendi mit den Besatzungsmächten „die beste Voraussetzung für die künftige Wiedervereinigung Deutschlands zu schaffen“.

Das war geradezu prophetisch und entsprach ebenfalls der Zukunftsprognose der

„Politik der Stärke“ Adenauers. Anders gestalte sich, so Gruber, dagegen die Lage Österreichs, ein Land welches vereint geblieben sei. Er argumentierte, Österreich dürfe keine Politik betreiben, die einen Spaltungsprozess einleiten würde. Ade- nauer schien für Österreichs Lage „volles Verständnis“ zu haben.42

Nicht frei von Opportunismus setzte Wien weiter auf die Existenz eines sta- bilen und auch militärisch verteidigungsbereiten Systems in Westeuropa, dem die Bundesrepublik angehören sollte. Dies schloss konsequenterweise jede Emp- fehlung einer Neutralitätspolitik für Deutschland bzw. die Bundesrepublik aus.

Gruber pflichtete Adenauer auch bei, dass es schwer vorstellbar sei, eine „natür- liche Großmacht zu neutralisieren“ und es „keinen Präzedenzfall dieser Art“ gebe.

1961 aus westdeutscher Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der Österreichpolitik des Auswärtigen Amtes, Berlin 2003; Jochen Staadt (Hg.), Schwierige Dreierbeziehung. Öster- reich und die beiden deutschen Staaten (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 18), Frankfurt am Main 2013; Rolf Pfeiffer, Die DDR und Österreich 1949–1972. Beziehungen in den Jahren offizieller Beziehungslosigkeit, Aachen 2015; Graf, Österreich und die DDR. Für einen Aufriss zur Haltung Österreichs zur deutschen Frage siehe:

idem, Österreich und die Deutsche Frage 1945–1990. Realpolitik wider Willen?, in: Roman Kodet / Lukaš Novotný (Hg.), The Chapters to the History of „Realpolitik“/Die Kapitel aus der Geschichte der Realpolitik, Pilsen 2013, S. 115–142. Sämtliche hier zitierten Werke enthalten umfangreiche weiterführende Literaturverweise.

42 Karl Gruber, Zwischen Befreiung und Freiheit. Der Sonderfall Österreich, Berlin 1953, S. 303–306.

(16)

Nicht ohne Eigeninteresse fügte er noch als Draufgabe hinzu, dass die Bundes- deutschen „eine Neutralisierung Deutschlands weder für möglich noch für wün- schenswert“43 hielten. Interessanterweise sprach Gruber nur von Neutra lisierung, nicht aber von Neutralität. Er knüpfte vollständig an die Adenauer-Rhetorik an.

Wien befürwortete aus ureigenstem Interesse die „Normalisierung“44 der Be- ziehungen und die Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation mit der Bundesrepublik als Mittel zur Stärkung der territorialen Integrität und nationa- len Konsolidierung.45

Im Nationalratsklub der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) bemerkte Gruber nach seiner Rückkehr aus Bonn auf die Frage nach der Lebhaftigkeit des An- schlussgedankens in Deutschland, „daß dieser Wunsch bei den Deutschen ver- mutlich immer vorhanden sein wird“. Er habe aber den Eindruck, „daß die deut- sche Regierung den Anschluß nicht durchführen wird“ (!), wohingegen er auf dem Standpunkt „kein Anschluß, aber auch keine chinesische Mauer“ stehe.46

Da durch das Veto der Sowjetunion noch keine diplomatischen Dienststellen errichtet werden durften, einigte man sich in Bonn darauf, noch im selben Jahr Handelsdelegationen einzurichten. Die deutsche Wirtschaftsdelegation in Wien wurde mit Carl Hermann Mueller-Graaf besetzt. Er hatte die Aufgabe, unter dem „Deckmantel“ dieser Handelsdelegation, einen diplomatischen „Routine- betrieb“47 in Österreich aufzubauen, ohne die Sowjetunion zu weiteren „An- schluß“-Verdächtigungen zu veranlassen. Der österreichische Vertreter in Bonn, Adrian Rotter, konnte sich dagegen freier bewegen. Seine Mission wurde am 2. April 1954 in „österreichische Vertretung“ umbenannt. Beide Staaten bemüh- ten sich, die Beziehungen untereinander so natürlich wie möglich zu gestalten.

Außenminister Leopold Figl, der Gruber im Amt gefolgt war, pflegte von „freund- schaftlicher Nachbarkeit“ zu sprechen.48

Das Jahr 1955 stellt dann eine Zäsur in der Geschichte des Dreiecksverhält- nisses Bonn, Ost-Berlin und Wien dar. Die Bundesrepublik war der NATO bei- getreten. Österreich hatte durch den Staatsvertrag (abgesehen von den im Vertrag

43 Reinhard Bollmus, Die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich 1950–1958.

Stationen einer skeptischen Freundschaft, in: Christliche Demokratie 1 (1983) 3, S. 9–23, hier S. 14; zur Geschichte und Problematik von Neutralisierungskonzepten vgl. Andreas Hill- gruber, Alliierte Pläne für eine „Neutralisierung“ Deutschlands 1945–1955 (Rheinisch-West- fälische Akademie der Wissenschaften Vorträge G 286), Opladen 1987, S. 5–31.

44 So lauteten die Pressekommentare: Neues Österreich, 20. Mai 1953; Wiener Kurier, 21. Mai 1953.

45 Vgl. die Replik des Außenministers auf VdU-Positionen Anfang des Jahres: „Dr. Gruber ant- wortet dem VdU“, 29.1.1953, in: Michael Gehler (Hg.), Karl Gruber. Reden und Dokumente 1945–1953. Eine Auswahl (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, Arbeitskreis Europäische Integration, Historische Forschungen, Veröffentlichungen 2), Wien / Köln / Wei- mar 1994, S. 418.

46 Protokoll über die 8. Sitzung des Nationalratsklubs der ÖVP, 27. Mai 1953. Archiv des Karl- von-Vogelsang-Instituts, Ordner NR-Klub 1953.

47 Engelbert Washietl, Österreich und die Deutschen, Wien 1987, S. 62.

48 Ebd., S. 63.

(17)

enthaltenen Einschränkungen)49 seine volle Souveränität zurückerhalten und das Neutralitätsgesetz beschlossen. Die sogenannte Souveränität der DDR war da- gegen durch die Sowjetunion in einem Freundschaftsvertrag bekräftigt worden und nicht zuletzt wurde während des Besuchs Adenauers in Moskau die Auf- nahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundes- republik vereinbart.50 In Moskau saßen von nun an ein ost- und ein westdeutscher Botschafter. Angesichts dieser veränderten Lage, wurde es in Bonn nunmehr auch für nötig erachtet, durch die Formulierung der sogenannten „Hallstein-Doktrin“

zu betonen, aufgrund des verfassungsrechtlich legitimierten bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruchs für ganz Deutschland zu sprechen. Die Hallstein- Doktrin wurde nach dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hallstein, benannt, ging aber auf den Hofjuristen und Völkerrechtler Wilhelm Georg Grewe zurück, der im NS-Staat seine Karriere gemacht hatte. Diese drohte jedem Staat, der die DDR anerkennen würde, den Abbruch der bilateralen Beziehungen durch

49 Österreich auferlegte Bedingungen und Souveränitätseinschränkungen betrafen das Abliefe- rungs- und Ablösungsgebot des deutschen Eigentums bzw. das Rückstellungsverbot an frü- here deutsche Eigentümer, das Anschlussverbot, d. h. keine politische oder wirtschaftliche Vereinigung mit Deutschland (Artikel 4), die Gewährleistung von Minderheitenrechten für die slowenische und kroatische Bevölkerungsgruppe in Österreich (Artikel 7, Absatz 2 und 3);

das Verbot aller nationalsozialistischen Organisationen und die Unterlassung von Wiederbe- tätigung faschistischer oder nationalsozialistischer Organisationen (Artikel 9 und 10); die Fortführung der [Anti-]Habsburgergesetzgebung (Artikel 10) sowie militärische und Luft- fahrtbestimmungen (Artikel 12–16), u. a. die Nichtaufnahme von Personen in das österrei- chische Bundesheer, die in der Deutschen Wehrmacht im Rang eines Obersts oder höherran- gig gedient hatten bzw. als nachweisbar nicht-entlastete Nationalsozialisten galten (Artikel 12) sowie ein Nicht-Mitwirkungsgebot an der „Wiederbewaffnung“ Deutschlands (Artikel 15, Zu- satz 2). Aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse 1989/90 hatte die österreichische Bundesregierung in einer Erklärung vom 20. November 1990 an die vier Signatare des Staats- vertrages (Frankreich, UdSSR, USA, Vereinigtes Königreich) die militärischen und Luftfahrt- bestimmungen (Art. 12–16) für obsolet erklärt. Die Artikel 12 und 15 Zusatz 2 wurden zudem im Jahre 2008 als nicht mehr geltend festgestellt, siehe zum Gesamtkomplex: Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. aktualisierte Auflage, Wien / Köln / Weimar 2005.

50 Zu Adenauers Moskau-Besuch siehe: Helmut Altrichter (Hg.), Adenauers Moskaubesuch 1955. Eine Reise im internationalen Kontext (Rhöndorfer Gespräche 22), Bonn 2007; Wer- ner Kilian, Adenauers Reise nach Moskau, Freiburg im Breisgau 2005. Zu den sowjetischen Motiven siehe Gerhard Wettig, Sowjetische Deutschland-Politik 1953 bis 1958. Korrektu- ren an Stalins Erbe, Chruschtschows Aufstieg und der Weg zum Berlin-Ultimatum (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 82), München 2011, S. 49–58. Zuletzt Hanns Jürgen Küsters / Faina Nowik, Der Besuch Konrad Adenauers in Moskau 1955, in: Helmut Altrich- ter / Wiktor Ischtschenko / Horst Möller / Alexander Tschubarjan (Hg.), Deutschland – Russ- land. Stationen gemeinsamer Geschichte, Orte der Erinnerung – Das 20. Jahrhundert, Mün- chen 2014, S. 227–236; eingehend zum Moskau-Besuch Adenauers auch aus österreichischer Sicht: Michael Gehler, Modellfall für Deutschland? Die Österreichlösung mit Staatsvertrag und Neutralität 1945–1955, Innsbruck / Wien / Bozen 2015, S. 988–1027.

(18)

die Bundesrepublik an und gab fortan den Rahmen des Möglichen für die Bezie- hungen zwischen Österreich und der DDR vor.51

Der österreichische Staatsvertrag erzürnte Adenauer unter anderem aufgrund der Regelung der Frage des „deutschen Eigentums“ in Österreich und seiner Furcht vor dem „Neutralitätsdrachen“.52 Der neue außenpolitische Status Österreichs kann zwar durchaus als Preis für den Staatsvertrag gesehen werden, beschlossen wurde er aber durch den österreichischen Nationalrat und demnach – als aus freien Stücken gewählt – deklariert und notifiziert.53 Die Frage, ob Staatsvertrag und Neutralität seitens der Sowjetunion als „Modellfall“ zur Lösung der deut- schen Frage gedacht waren, bleibt nach wie vor in Diskussion. Bereits zeitgenös- sisch wurde darüber im Westen sehr ernsthaft und intensiv diskutiert.54 Auf die Forschungsdiskussion zur sowjetischen Deutschlandpolitik die in der Regel ohne Berücksichtigung der Rolle Österreichs in der sowjetischen Politik erfolgt, kann hier nicht näher eingegangen werden.55 Von Seiten der DDR wurde der Staats-

51 Zur Hallstein-Doktrin siehe: Werner Kilian, Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955–1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außen- ministerien, Berlin 2001; William Glenn Gray, Germany’s Cold War. The Global Campaign to Isolate East Germany, 1949–1969, Chapel Hill / London 2003. Für eine kritische Einschät- zung zum Stellenwert der Hallstein-Doktrin siehe: Torben Gülstorff, Die Hallstein-Doktrin – Abschied von einem Mythos, in: Deutschland Archiv 2017, Bonn 2018, S. 177–190.

52 Pape, Brüder, insbesondere S. 325–349 spricht vom „Krisenjahr 1955“; Ebert, Bonn – Wien, S. 125–143 fragt zu den österreichisch-westdeutschen Beziehungen im Kontext des Staatsver- trags „Schwarzer Tag der deutsch-österreichischen Geschichte? – Der 15. Mai 1955“; Pfeiffer, Nachbarschaft, S. 57–97 übertitelt den betreffenden Abschnitt mit „Der ‚heiße‘ Sommer 1955:

Wien im Bannstrahl des Bonner Zorns“.

53 Zum österreichischen Staatsvertrag siehe: Stourzh, Um Einheit und Freiheit; Arnold Sup- pan / Gerald Stourzh / Wolfgang Mueller (Hg.), Der Österreichische Staatsvertrag. Interna- tionale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität, Wien / Köln / Weimar 2005; Rolf Steininger, Der Staatvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938–1955, Innsbruck / Wien / Bozen 2005.

54 Siehe hierzu zusammenfassend Gehler, Modellfall für Deutschland?, S. 1113–1242.

55 Zu den sowjetischen Absichten und Planungen sowie deren Umsetzung im Rahmen der Be- satzungspolitik in der SBZ siehe die umfassende Überblicksdarstellung von Norman Nai- mark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945–1949, Berlin 1997;

sowie die organisationsgeschichtliche Arbeit von Jan Foitzik, Sowjetische Militäradminis- tration (SMAD) 1945–1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999; zudem liegen umfassende Dokumenteneditionen in deutscher Sprache vor: Jochen P. Laufer / Georgij P. Kynin (Hg.), Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, 3 Bde., Berlin 2004; weiters: Wettig (Hg.), Der Tjul’panov-Bericht;

sowie zuletzt Jan Foitzik (Hg.), Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954. Do- kumente (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte 18), München 2012. Foitzik hat weitere Editionen zur Thematik herausgegeben. Siehe zudem den nützlichen Sammelband Michael Lemke (Hg.), Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der SBZ / DDR (1945–1953), Köln / Wei- mar / Wien 1999. Die Hauptkontroverse über die sowjetische Deutschlandpolitik wird bis heute zwischen Wilfried Loth und Gerhard Wettig ausgetragen. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Auseinandersetzung lag auf der Frage nach der Ernsthaftigkeit der Stalin-Noten von 1952.

Siehe hierzu Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte,

(19)

vertrag jedenfalls als „erfolgversprechende Variante zur Lösung der Deutschland- frage“ gepriesen. Dies geschah nicht nur aus Gründen der propagandistischen Unterstützung der sowjetischen Politik, sondern auch, da man – auch wenn es keinen direkten Beweis für die Annahme gibt – die Hoffnung in Berufung auf den Neutralitätsstatus Österreichs als begründet ansah, von Österreich analog zu Finnland einen gleichberechtigten Status zur Bundesrepublik eingeräumt zu bekommen.56

Zu Beginn dieser Einleitung wurden die – trotz Parallelen – grundverschie- denen Ausgangsbedingungen und Entwicklungen in Österreich und Deutsch- land nach dem Zweiten Weltkrieg umrissen. 1949 wurde die deutsche Teilung formalisiert. Trotz fortdauernder Besatzung zeigte sich rasch, zu welchem deut- schen Staat Österreich Beziehungen anstrebte und wessen Haltung in der deut- schen Frage es unterstützte. Manifest wurde dies 1955, als Österreich nach dem Abschluss des Staatsvertrags und trotz eines angespannten Verhältnisses diplo- matische Beziehungen mit der Bundesrepublik etablierte, während der DDR die diplomatische Anerkennung bis 1972 verweigert wurde. Österreich nahm das als Hallstein-Doktrin bezeichnete Dogma der westdeutschen Politik zur Kennt- nis – auch wenn dies zeitweise einzelnen österreichischen Interessen widersprach.

In manchen Fällen wurden die engen Grenzen des westdeutschen Alleinvertre- tungsanspruchs auch nur widerwillig eingehalten. Der Neutrale handelte hier re- alpolitisch und dies galt auch für die Sowjetunion, der Anerkennungsdruck von östlicher Seite hinsichtlich der DDR hielt sich in Grenzen. Die Bundesrepublik

Berlin 1994; Gerhard Wettig, Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschland- Politik 1945–1955, München 1999; Peter Ruggenthaler, Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007; Wilfried Loth, Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik von Stalin bis Chruschtschow, Göttingen 2007; für eine ausgewogene Besprechung der jüngeren Forschungsliteratur bis 2008 siehe Bernd Bonwetsch, Die Stalin-Note 1952 – kein Ende der De- batte, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2008, S. 106–113. Dem Titel von Bonwetsch entsprechend, seither wiederum Wilfried Loth, The Crucial Issues of the Early Cold War. The German question from Stalin to Khrushchev: The meaning of new documents, in:

Cold War History 10 (2010) 2, S. 229–245; und Wettig (Hg.), Der Tjul’panov-Bericht, S. 13–138;

idem, Die Stalin-Note. Historische Kontroversen im Spiegel der Quellen (Diktatur und Demo- kratie im 20. Jahrhundert 1), Berlin 2015; sowie Peter Ruggenthaler: Neutrality for Germany or stabilization of the Eastern bloc? New evidence on the decision-making process of the Stalin Note, in: Mark Kramer / Vít Smetana (Hg.) Imposing, maintaining, and Tearing Open the Iron Curtain. The Cold War and East-Central Europe, 1945–1989, Lanham 2014, S. 149–169. Zur Position Michael Gehlers siehe ausführlich: Modellfall für Deutschland?; und zuletzt: ders., Form an Offer for all Cases to a Model Case? Aspects of the Controversy about the Soviets’

Germany, Austria, and Neutrality Policy, 1952–1955, in Current and Recent Research, in:

Heinz Gärtner (Hg.), Engaged Neutrality. An Evolved Approach to the Cold War, Lanham 2017, S. 37–71. Darin auch eine ausführliche Bibliografie der jüngeren Forschungsliteratur.

56 Dazu mit leicht abweichenden Bewertungen: Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 478–480;

Gehler, Modellfall für Deutschland?, S. 719–737; Graf, Österreich und die DDR, S. 98–108.

(20)

war mit der österreichischen Politik gegenüber den beiden deutschen Staaten im Großen und Ganzen zufrieden. Diese Einstellung war nicht zuletzt gegeben, da eine „Wiedervereinigung“ stets als ein Fernziel der europäischen Entspannungs- politik gesehen wurde.

2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963)

Obwohl Österreich während der zweiten Berlin-Krise durch das Gipfeltreffen zwischen Nikita S. Chruschtschow und John F. Kennedy im Juni 1961 zu einer Begegnungsstätte im Kalten Krieg avancierte,57 hatten im Endeffekt – wie bereits zuvor offenkundig geworden war – weder Ost noch West ein ernsthaftes Inter- esse an einer Vermittlertätigkeit des neutralen Österreichs in der deutschen Frage.

Diesbezügliche Aktivitäten von Julius Raab (ÖVP) und Bruno Kreisky (SPÖ) ver- pufften letztendlich ohne Wirkung – auch wenn Kreiskys „Initiative“ von sowje- tischer Seite angestoßen worden war.58

Bereits vor dem Ausbruch der zweiten Berlin-Krise startete Bundeskanzler Raab im März 1958 einen „zunächst geheim gehaltenen, dann öffentlich gemach- ten und schlussendlich erfolglosen Versuch“, der darauf abzielte, eine alliierte Kommission zur Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen zu initiieren, ein Vor- haben, das sowohl von amerikanischer als auch von sowjetischer Seite abgelehnt wurde. Raabs Plan dürfte Adenauer bei einem inoffiziellen Besuch des öster- reichischen Kanzlers am 10. März vorgeschlagen und mit dessen Einverständnis dem sowjetischen Botschafter mitgeteilt worden sein. Aus Moskau erfolgte aber keine Reaktion. Adenauer wollte durch Raab das Moskauer Terrain für seine eigenen deutschlandpolitischen Pläne, eine Neutralisierung der DDR nach öster- reichischem Vorbild, sondieren lassen. Nachdem Raab seinen Vorschlag im April in höchst optimistischer Art und Weise publik gemacht hatte, war die Reaktion von west- und ostdeutscher Seite ablehnend. Walter Ulbricht hatte bereits am V. Parteitag der SED im Juli, an dem auch Chruschtschow teilnahm, den Raab-Plan als „ebenso unrealen wie antiquierten Vorschlag“ abgelehnt. Auch im Zuge von

57 Karner, Stefan / et al. (Hg.), Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy – Chruschtschow, Innsbruck / Wien / Bozen 2011.

58 Hierzu existiert eine vergleichsweise umfangreiche und kontroverse Forschungsliteratur. Zur Rolle Österreichs im Kontext des österreichisch-amerikanischen Verhältnisses siehe: Martin Kofler, Kennedy und Österreich. Neutralität im Kalten Krieg, Innsbruck / Wien / München / Bo- zen 2003; idem, Kreisky – Brandt – Khrushchev: The United States and Austrian Media tion during the Berlin Crisis, 1958–1963, in: Günter Bischof / Anton Pelinka / Michael Gehler (Hg.), Austrian Foreign Policy in Historical Context (Contemporary Austrian Studies 14), New Brunswick 2006, S. 170–185. Für eine bündige Zusammenfassung zu Raabs Deutschland- Initiative siehe: Michael Gehler, Deutschland. Von der Teilung zur Einigung 1945 bis heute, Wien / Köln / Weimar 2010, S. 161–165; idem, Modellfall für Deutschland?, S. 1212–1215; und ausführlich: Matthias Pape, Die Deutschlandinitiative des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab im Frühjahr 1958, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000) 2, S. 281–318;

zur Haltung der DDR siehe Graf, Österreich und die DDR, S. 155–175.

(21)

Raabs Moskau-Besuch, der ein wenig später im Juli 1958 stattfand, kam sein Vor- schlag nicht zur Sprache. Hingegen machte er im Anschluss den „offenbaren“

sowjetischen Wunsch nach einem Gipfeltreffen in Wien öffentlich. Von der west- lichen Diplomatie wurde Raabs Vorschlag hauptsächlich als naiv gewertet. Nichts- destotrotz wies er im Oktober erneut öffentlich im westdeutschen Fernsehen auf seine Idee hin.59

Im ostdeutschen Außenministerium wertete man Raabs Initiative als „fast überraschende Aktivität der österreichischen Regierung in der Deutschland- frage“.60 Seinen Vorschlag, „eine Alliiertenkommission zu bilden, der die Durch- führung gesamtdeutscher Wahlen obliegen sollte“, klassifizierte man eindeutig:

„Das entspricht dem Adenauer-Konzept.“61 Man war der Ansicht, dass Raab

„Adenauer einen guten Dienst erwiesen“ hätte.62 Dass die österreichische Hal- tung zur Deutschlandfrage während Raabs Moskau-Besuch im Juli 1958 nicht thematisiert wurde, vermerkte man daher im MfAA wohlwollend.63 Eine dement- sprechende Information erging auch an das SED-Politbüro.64 Die während seines Moskau-Besuchs geäußerte Kritik an den Verletzungen des österreichischen Luft- raums durch die USA während der Libanon-Krise wurde als Teil der „sporadisch“

erkennbaren Kritik an der amerikanischen und westdeutschen Politik gewertet.65 Im August hatte sich sogar die monatlich in der DDR erscheinende Zeitschrift Deutsche Außenpolitik, die Raum für parteioffizielle Abhandlungen zu außen- politischen Fragen bot, mit der Initiative Raabs befasst.66 Die österreichische Di- plomatie erkannte in den Ausführungen „eine gewisse Nuancierung der bisher verwendeten Argumentation“:

59 Gehler, Deutschland, S. 161–165; Gehler, Modellfall für Deutschland?, S. 1187–1201. Siehe zu- dem kurz: Kofler, Kennedy, 58–59 und ausführlich: Pape, Deutschlandinitiative, S. 281–318.

60 Notizen zur Reise Bundeskanzlers Raab in die USA vom 16.–28. Mai 1958, gezeichnet Haupt, Berlin, 15. Juni 1958, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA / AA), Berlin, Bestand Mi- nisterium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA), A 12824, Bl. 32–37.

61 Hierzu die von Außenminister Bolz angeforderte Ausarbeitung: Österreich, Berlin, 4. Novem- ber 1958, PA / AA, MfAA, A 12824, Bl. 60–63.

62 Quartalsanalyse III. Quartal 1958 (abgeschlossen von Keilholz, Wien, 10. Oktober 1958), über- sandt durch Peuker an Haupt, Wien, 27. Oktober 1958, PA / AA, MfAA, A 12824, Bl. 78–100, hier Bl. 82.

63 Bericht über den Aufenthalt des österreichischen Bundeskanzlers Raab in der Sowjetunion vom 21.–22. Juli 1958, PA / AA, MfAA, A 12822, Bl. 3–9, hier Bl. 8–9.

64 Aktenvermerk über die Verhandlungen der Regierungsdelegation der UdSSR und Österreich, vom 28. Juli 1956, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisation der ehemaligen DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch), Berlin, DY 30/J IV 2/2J/504.

65 Übersicht über die innen- und außenpolitische Entwicklung Österreichs im Jahre 1958, PA / AA, MfAA, A 12824, Bl. 101–122, 108. Zu den Libanon-Überflügen im Speziellen siehe:

Walter Blasi, Die Libanonkrise 1958 und die US-Überflüge, in: Erwin A.  Schmidl (Hg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien 2000, S. 239–259.

66 Karl Seidel, Bundeskanzler Raab und die Deutschlandfrage, in: Deutsche Außenpolitik 3 (1958), S. 755–759.

(22)

„Der Autor des Aufsatzes meint abschließend, es wäre nur begrüßenswert, wenn sich Österreich für die Schaffung eines ‚einheitlichen, friedliebenden und demokratischen‘

Deutschlands einsetzen würde, aber es sei bezeichnend, daß der Herr Bundeskanzler bei Abfassung seines Vorschlages nur die Bundesrepublik und nicht auch die DDR kon- sultiert habe. Wenn der Herr Bundeskanzler einen konstruktiven Beitrag zu Deutsch- landfrage leisten wolle, dann möge er sich dafür einsetzen, daß die Frage eines deut- schen Friedensvertrages auf der Gipfelkonferenz behandelt werde.“67

Hiermit war die Beschäftigung der DDR mit dem Raab-Plan abgeschlossen.

Die Sowjetunion bediente sich, nach einer im September 1958 ergangenen ein- schlägigen diplomatischen Note an die Bundesrepublik, im November des öster- reichischen Botschafters in Moskau, Norbert Bischoff, um mit dem bundesdeut- schen Botschafter Hans Kroll in der deutschen Frage Fühlung zu nehmen. Via Bischoff wurde die Idee lanciert, nach dem österreichischen Beispiel von 1955, Direktverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion auf- zunehmen. In einer von Bischoff an Kroll übergebenen Notiz vom 22. November, die von vom sowjetischen Außenminister Andrej A.  Gromyko stammte, griff der Kreml das österreichische Beispiel auf und ließ im Kontext bzw. Vorfeld des Berlin-Ultimatums von Chruschtschow wissen: „Sollte die Bundesregierung der Bundesrepublik es wünschen, so könnte sie […] dem Beispiel der österreichischen Regierung folgen“. Das seit 1955 neutrale Österreich sollte offensichtlich zu Ver- mittlungen herangezogen werden. Den Moment dieser sowjetischen Fühler be- zeichnete Kroll so, „daß der jetzige Augenblick vermutlich die letzte Gelegenheit ist, um ein Gespräch mit der Sowjetunion über die deutsche Frage aufzunehmen“, sonst müsse man mit „dem endgültigen Verlust der Zone an die Sowjetunion rechnen“. Die bereits parallel dazu von Chruschtschow ausgelöste Berlin-Krise überschattete dann allerdings diese Initiative, die von Adenauer, der nicht an Zugeständnisse Moskaus glaubte und amerikanisches Misstrauen in diesem Zu- sammenhang fürchtete, abgelehnt wurde.68

Wenig später sollte Österreich jedoch erneut als „Vermittler“ ins Spiel kom- men. Chruschtschow versuchte mehrmals über den zu diesem Zeitpunkt noch als Staatssekretär im österreichischen Außenamt fungierenden Bruno Kreisky, mit dem seit 1957 als West-Berliner Bürgermeister amtierenden Willy Brandt einen Kontakt herzustellen. Im März 1959 kurz nach dem Angebot der West- mächte zu einer Außenministerkonferenz in Genf unter Beteiligung von Bundes- republik und DDR startete Chruschtschow seine Initiative. Brandt hatte derartige Gesprächsabsichten im Herbst 1958 gegenüber Kreisky angedeutet. Im Frühjahr 1959 regte Kreisky in einer Rede und in einem Artikel in der Arbeiter-Zeitung ein Sonderstatut für ganz Berlin an. Von sowjetischer Seite dürfte vermutet worden sein, dass die Idee von Brandt stammte und man versuchte, über Kreisky ein

67 Generalkonsul Thalberg an BM Figl, 5. August 1958, Zl. 17-Pol/58, Österreichisches Staats- archiv (ÖStA), Wien, Archiv der Republik (AdR), Bundeskanzleramt / Auswärtige Angelegen- heiten (BKA / AA), II-Pol 1958, Politische Berichte Berlin 1958.

68 Siehe dazu: Gehler, Modellfall für Deutschland?, S. 1212–1215.

(23)

Treffen zwischen Brandt und Chruschtschow zu arrangieren. Adenauer hatte zu diesem Zeitpunkt die Neutralisierung der DDR nach österreichischem Muster er- wogen und stellte Brandt frei, ein derartiges Treffen zu realisieren. Nachdem sich der US-Gesandte in West-Berlin, Bernhard Gufler, gegen ein solches Treffen aus- gesprochen hatte, entschied sich Brandt dagegen. Kreisky war tief getroffen und beklagte sich bei Brandt über die ihm zuteil gewordene Bloßstellung, die unter Umständen auch seine außenpolitische Laufbahn, bereits vor deren eigentlichen Beginn, hätte beenden können.69 Doch blieb Kreisky als Vermittler weiter gefragt.

Im Zuge des Besuchs von Chruschtschow in Österreich vom 30. Juni bis 8. Juli 1960 wurde Kreisky erneut zumindest als „Briefträger“ zu gewinnen versucht.

Außenminister Gromyko übergab Kreisky ein „Berlin-Memorandum“, das die sowjetischen Positionen bekräftigte und ersuchte um Weiterleitung an Brandt.

Kreisky kam dieser Bitte nach, informierte jedoch auch die Bundesrepublik und die USA und lehnte jede Rolle als Vermittler ab. Dies lag an seinen schlechten Er- fahrungen aus dem Jahr 1959. Dennoch fungierte er als Informationskanal. Seine Geheimkontakte kamen erneut in die Presse, was Kreisky sehr verärgerte. Die USA hatten keine Mittlerrolle Kreiskys gewünscht, jedoch wurde es als nützlich angesehen, wenn der Außenminister „dem sowjetischen Botschafter die ‚Fes- tigkeit des Westens‘ in der Berlin-Frage näher bringen könnte“.70 Im Rahmen der UNO-Vollversammlung im September 1960 wurde nun auch von Seiten der Bundesrepublik versucht, Kreisky als Mittler zu gewinnen. Kreisky wollte aber nur auf Basis schriftlicher Unterlagen handeln. Daraufhin wurde das Thema nicht mehr angesprochen beziehungsweise von Seiten der Bundesrepublik nicht mehr weiter verfolgt. Gespräche auf Basis des von Kreisky übermittelten Memo- randums fanden nicht mehr statt, v. a. aufgrund der weltpolitischen Gegebenhei- ten der Zeit.71 Auch 1961, nach dem Vienna Summit, benutzte Chruschtschow den „Kreisky-Kanal“. Der österreichische Außenminister berichtete zwar dem amerikanischen Botschafter, nicht mehr jedoch Brandt und Adenauer. Bis 1963, also auch über den Mauerbau hinaus, sollte Kreisky immer wieder als Vermittler ins Spiel gebracht werden.72

69 Michael Gehler, Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besat- zung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, Bd. 1, Wien 2005, S. 198–205; Kofler, Kennedy, S. 59–60; Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (Zeitgeschichte im Kontext 2), Göttingen 2009, S. 184–194; Peter Ruggen thaler / Harald Knoll, Nikita Chruščev und Österreich, Die österreichische Neutralität als Instrument der sowjetischen Außenpolitik, in: Stefan Karner / et al. (Hg.), Der Wiener Gip- fel 1961. Kennedy – Chruschtschow, Innsbruck / Wien / Bozen 2011, S. 759–807, hier S. 775–798.

70 Kofler, Kennedy, S. 60–61.

71 Erhard Sammer: Die Berlin-Krise von 1958–1961. Ihre Wahrnehmung durch die österrei- chische Diplomatie, Diplomarbeit Graz 2000, S. 151–152.

72 1962–1963 fungierte Kreisky zunehmend als politischer Informant über die Sowjetunion und den Ostblock für die USA. 1963 war der österreichische Generalkonsul Peter Müller an der Übermittlung eines erneuten Gesprächsangebots Chruschtschows an Brandt beteiligt. Dies- mal sagte Brandt wegen der ablehnenden Haltung seines Koalitionspartners in West-Berlin, der Christlich Demokratischen Union (CDU), ab. Siehe hierzu: Kofler, Kennedy, S. 62, 64–65, 126.

(24)

3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972

Nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 waren für Österreich theoretisch auch diplomatische Beziehungen zu beiden deutschen Staaten möglich. Die Bundes- republik nahm mit Österreich trotz seiner Neutralität Ende 1955 diplomatische Beziehungen auf, freilich erst nachdem sich Bonn ausreichend vergewissert hatte, dass Österreich nicht auf sowjetischen Druck auch die DDR anerkennen würde.73 Für Wien war dies aufgrund der westlichen Orientierung und der großen Bedeu- tung der Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik eine im höchsten Maße pragmatische Entscheidung der Staatsräson.

Erst als das deutsch-deutsche Verhältnis im Zuge einer Entspannung im Kal- ten Krieg durch den sogenannten Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 geregelt werden konnte, war der Weg für offizielle Beziehungen zwischen Öster- reich und der DDR frei. Bis dahin war man in Wien unter Berufung auf das Verhalten anderer neutraler Staaten, wie Schweden und der Schweiz, auf dem Standpunkt geblieben, in der Frage der Anerkennung kein politisches Präjudiz schaffen zu wollen. In Österreich trat nur die KPÖ für eine Anerkennung der DDR ein. In seinen Kontakten zur DDR ging das offizielle Österreich nie über das von der Bundesrepublik geduldete Maß hinaus, auch wenn immer wieder die Grenzen ausgelotet wurden. Insbesondere Wirtschaftskreise drängten ab Mitte der 1960er-Jahre gelegentlich auf engere Beziehungen zur DDR. Inoffizielle poli- tische Kontakte brachten keine substantielle Annäherung und blieben sogar dem argwöhnisch über die Einhaltung der Hallstein-Doktrin wachenden Bonner Aus- wärtigen Amt verborgen. Für Probleme sorgte zudem die Lage der bis zu 20.000 in der DDR lebenden Österreicher, die in Ermangelung diplomatischer Beziehungen nicht effektiv vertreten werden konnten. Hier erfolgte die Akzeptanz der Hall- stein-Doktrin zwar nur sehr widerstrebend – man unterwarf sich aber weiter die- ser Priorität der westdeutschen Politik.74 Stellvertretend hierfür sei eine Aussage des österreichischen Vizekanzlers Bruno Pittermann (SPÖ) in einer Ministerrats- sitzung im Oktober 1962 zitiert: „Es ist kein Zweifel, daß wir sofort mit der DDR die gleichen Vereinbarungen treffen könnten, wie mit den anderen Oststaaten.

[…] Aber verhandelt darf nicht werden wegen der BRD. Was ist das für eine Ein- stellung der Bundesrepublik Deutschland, daß unsere Staatsbürger dort geschä- digt werden sollen. Irgendjemand muß ihnen doch beistehen.“75

73 Stefan August Lütgenau, Widersprüchliche Gemeinsamkeiten. Das deutsche Österreichbild, in: Oliver Rathkolb / Otto M. Maschke / Stefan August Lütgenau (Hg.), Mit anderen Augen gese- hen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (Österreichische Nationalgeschichte nach 1945 2), Wien / Köln / Weimar 2002, S. 161–198, hier S. 168.

74 Zusammenfassend hierzu: Maximilian Graf, Austria and the GDR 1949–1972. Diplomatic and Political Contacts in the Period of Non-recognition, in: Arnold Suppan / Maximilian Graf (Hg.), From the Austrian Empire to Communist East Central Europe (Europa Orientalis 10), Wien 2010, S. 151–177; ausführlich: idem, Österreich und die DDR.

75 Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 23. Oktober 1962, ÖStA, AdR, Bundeskanzler- amt (BKA), Ministerratsprotokolle (MRP), 2. Republik Kabinett Gorbach I, Protokoll Nr. 64/

(25)

Zu den gelegentlichen Grenzgängen entlang der Vorgaben der Hallstein-Dok- trin gehörten beispielsweise die Zulassung einer „Verkehrsvertretung der DDR“ in Wien 1960, die offiziell jedoch nicht mehr als ein Reisebüro war, und die so- genannte „Interflug-Affäre“ im Jahre 1963. Bis dahin hatte es zwischen Wien und Ost-Berlin nur „Bedarfsflüge“ beispielsweise anlässlich der Leipziger Messen gegeben. Als im Juni 1963 durch die Austrian Airlines (AUA) und die staatliche Fluglinie der DDR „Interflug“ eine wöchentliche Luftverkehrsverbindung zwi- schen Wien und dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld aufgenommen wurde, protestierte nicht nur die Bundesrepublik lauthals, sondern auch die westlichen Alliierten, die ihr Monopol auf den Flugverkehr mit West-Berlin gefährdet sahen und in der neuen Verbindung eine Konkurrenz erblickten. Dieses Experiment musste bald eingestellt werden. Die DDR hatte den Flugverkehr via Neues Deutsch- land vehement verteidigt und nahm das Auslaufenlassen der Vereinbarung nur widerwillig zur Kenntnis.76

Die „Interflug-Affäre“ hatte mit der Berlin-Frage eines der heißesten Themen des Kalten Kriegs in Europa berührt und war zum Scheitern verurteilt worden.

Da solche Aktionen die Ausnahme blieben, war man in der Regel in Bonn mit der Haltung Österreichs in der deutschen, wie auch in der Berlin-Frage zufrieden.

1964 hielt das Auswärtige Amt würdigend fest, dass die Haltung Österreichs in der „Anerkennungsfrage“ trotz der „Interflug-Affäre“ und einer starken Aktivität der DDR sowie einem ständigen „Drängen der Ostblockstaaten“ eindeutig und unverändert geblieben sei: „Österreich nimmt in der Deutschland-Frage grund- sätzlich eine für uns sehr positive Haltung ein. Die österreichische Öffentlichkeit verfolgt alle Ereignisse um Deutschland und Berlin mit lebhafter Anteilnahme.

In ihrer ganz überwiegenden Mehrheit unterstützt sie den Wunsch der Deut- schen nach Wiederherstellung ihrer staatlichen Einheit.“ Des Weiteren führte man aus, dass die österreichische Regierung „stets Verständnis“ für die Haltung der Bundesrepublik „in der Deutschland- und Berlin-Frage“ gezeigt habe.77 Je- doch war man sich in Bonn der speziellen österreichischen Lage bewusst:

„Die Neutralität ihres Landes legt den österreichischen Politikern jedoch Zurückhal- tung nahe. In amtlichen Kreisen ist immerhin die Auffassung zu hören, dass eine sowje- tische Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung in absehbarer Zukunft nicht zu erreichen sei. Die in der Öffentlichkeit früher verbreitete Vorstellung, dass der ‚Modell- fall Österreich‘ auch für die Lösung der deutschen Frage anwendbar sei, dürfte heute in österreichischen Regierungskreisen weniger geteilt werden. Die Auffassung der öster-

Tagesordnungspunkt 8. Vortrag an den Ministerrat „Die Lage der österreichischen Staats- bürger in der DDR“ (Verschluss!), gezeichnet Kreisky, Wien, 19. Oktober 1962, ÖStA, AdR, BKA, MRP, 2. Republik Kabinett Gorbach I, Protokoll Nr. 64/Tagesordnungspunkt 8.

76 Zur „Interflug-Affäre“ siehe: Stefan Gron, „Partner DDR“? Zur Entwicklung der bilatera- len Beziehungen zwischen Österreich und der DDR, Diplomarbeit Wien 2005, S. 26–30. Für eine Zusammenfassung basierend auf westdeutschen Quellen siehe: Pfeiffer, Nachbarschaft, S. 187–192.

77 Vorbereitungsmappe Besuch Bundespräsident Adolf Schärf in der Sowjetunion 1964, Ab- schnitt: Österreich und die Deutschlandfrage, PA / AA, B 26, Bd. 264.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Le variazioni annuali del grado di traspa- renza delle chiome sono in gran parte spiegabili con l'influsso dell'andamento meteorologico sullo sviluppo della massa

Les diverses facultés de l'Université y ont participé de la façon suivante: la théologie avec 2 cours ; le droit et les sciences politiques avec 4; la médecine avec 10 ; la

wir unsere Ferien verbringen werden, fiel auf das Gebiet rund um den Bielersee, und da war der Entscheid für das Ferienund Begegnungszentrum «Twannberg» sehr naheliegend..

u uhendaja arvamused Tartu ülikoo- 16.juuni 1970- 23 li geograafia osakonna üliõpilaste 5»juuni 1988 diplomitööde kohta.. Masina-

So löst sich die auf dem Boden des Nationalsozia- lismus erwachsene Wissenschaft endgültig von den Bindungslosigkeiten des Relativismus, der eine frei- schwebende Autonomie

  berechnet sind, werden dadurch angepaßt, daß die Höhe der Rente mit der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1988 ermittelt wird.. (2) Eine Rente, deren Höhe sich nicht

Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen.. Dies gilt auch für

В этот класс входят уравнения, интегрируемые методом обратной задачи теории рассеяния ( вполне интегрируемые системы ), уравнения, обладающие