2 Scheiben und Träger
2.2 Bruchmechanismen
Bruchmechanismen
Bruchmechanismen für Scheiben und Träger (oberer Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie)
• Anwendung in der Praxis vor allem für die Beurteilung der Tragsicherheit bestehender Bauwerke und die Überprüfung von (zum Beispiel) mit FE-Berechnungen ermittelten Bewehrungslayouts.
• Die Entwicklung eines statisch zulässigen Spannungszustandes ist in solchen Fällen aufwändig (Fliessbedingungen durch bestehende Konstruktion und Bewehrung gegeben). Mit Bruchmechanismen können wichtige Details und Abmessungen dagegen selbst in komplizierten Fällen mit relativ geringem rechnerischem Aufwand überprüft werden.
Vorgehen
• Annahme kinematisch verträglicher Bruchmechanismen
• Berechnung der zugehörigen Arbeit W der äusseren Kräfte sowie der Dissipationsarbeit D (Dissipation in beim Kollaps fliessender Bewehrung und im Beton entlang Diskontinuitäten)
• Ermittlung der Kollapslast aus der Bedingung W(Q) = D → Qu ≤ Q für jeden Mechanismus
• Massgebend ist der Mechanismus mit dem tiefsten Verhältnis D/W (= kleinste Kollapslast)
• Dissipation in fliessender Bewehrung kann sehr einfach berechnet werden; Dissipation im Beton (Diskontinuitäten) ist etwas aufwendiger zu ermitteln (siehe nächste Folie)
Stoffel / Marti (1995)
Sigrist / Marti (1992)
Kaufmann / Marti (1995) Bachmann / Thürlimann
(1965)
Maier / Thürlimann (1985)
Bruchmechanismen
Bruchmechanismen
δ
(plastische Verzerrungsinkremente, Superskript «(p)» weggelassen)
• Diskontinuität (Gleitlinie) in Punkt P (Achsen (n,t) normal/senkrecht zur Gleitlinie)
• Sprungvektor (in Ebene (n,t), in Winkel α)
• Verschiebungen variieren linear über Dicke d:
• Plastische Verzerrungsinkremente:
(Verzerrungszustand ist homogen, unabhängig von n und t)
( ) ( )
,
,t t,
sin cos
sin 0
cos
n t
n n n t t,t
tn n n
n n
u u
d d
u d u
u u d
α α
= =
ε = = α ε = =
γ = + = α
δ δ
δ δ
δ θ3 θt
2 y ≡
x P II
1
n d
I P' t ≡
z
4 2 π α−
3
n sin
ε = dδ α
tn cos
γ = dδ α α
α αt
α3
4 2 π α−
ε 1 N
Z
δ d α T≡I Q
θ3
II X
4 2 π α−
3
γ 2
α3
4 2 π α−
Gleitlinien und Dissipation in Beton
Bruchmechanismen
Gleitlinien und Dissipation in Beton
• Hauptverzerrungen und Hauptrichtung folgen aus dem Mohrschen Kreis
• Für den Grenzwert d → 0 werden ε1 und ε3 unendlich gross (ε1 → ∞, ε3 → -∞), ε2 ist dagegen endlich, somit herrscht für d
→ 0 (wegen ε2 / ε1 → 0, ε2 /ε3 → 0) ein ebener Verzerrungszustand (für endliche d dagegen ein ebener Spannungszustand)
• Die Richtung 2 ist eine Hauptrichtung, somit Betrachtung in Ebene (n, t) ausreichend
( )
( )
1
3
1 3
3
1 sin 2
1 sin 2
1 sin 1 sin
2 4
t
d
d
ε = + α
ε = − − α ε = − + α
ε − α
α = α + −α π
δ
δ δ
θ3 θt
2 y ≡
x P II
1
n d
I P' t ≡
z
4 2 π α−
3
α αt
α3
4 2 π α−
ε 1 N
Z
δ d α T≡ I Q
θ3
II X
4 2 π α−
3
γ 2
α3
4 2 π α−
Gleitlinien und Dissipation in Beton
Bruchmechanismen
• Hauptrichtungen 1 und 3 halbieren die Winkel zwischen der Parallelen zur Gleitlinie (I) = t und der Normalen zur Verschiebungsrichtung (II)
• In den sogenannten charakteristischen Richtungen (I,II) treten reine Schiebungen auf
• Dissipation pro Volumeneinheit allgemein:
• Für jede beliebige Fliessbedingung folgt der zu den Verzerrungsinkrementen (Richtung:
-(1 + sinα) / (1 − sinα) gehörige Spannungszustand aus der Theorie des plastischen Potentials (plastischen Verzerrungsinkremente senkrecht zur Fliessbedingung!)
( )
( )
1
3
1 3
3
1 sin 2
1 sin 2
1 sin 1 sin
2 4
t
d
d
ε = + α
ε = − − α ε = − + α
ε − α
α = α + −α π
δ
δ
dD = σ ε⋅ θ3
2 y ≡
x P
d
P'
z
4 2 π α−
I t ≡
II
n 3
1
θt
α αt
α3
4 2 π α−
ε 1 N
Z
δ d α T≡I Q
II X
4 2 π α−
3
γ 2
II
T I≡ θ3
4 2 π α−
α3
α α
ebener Spannungszustand ebener Verzerrungszustand Gleitlinien und Dissipation in Beton
Bruchmechanismen
Für die Bruchbedingung von Coulomb kσ1−σ3=fc betragen die plastischen Verzerrungsinkremente:
Bruchlinie:
→ für verträgliche Mechanismen muss α = ϕ sein
1 sin 1 sin 2 cos 1 sin
c
k f c
+ ϕ
= − ϕ
= ϕ
− ϕ
1 3 1 3
1
1 3
1 3 3
1 sin 2 cos 1 sin 2 cos
1 sin 1 sin 1 sin 1 sin
1 sin 1 sin
1 sin 1 1 sin
(siehe oben)
c c
Y
Y Y
+ ϕ ϕ + ϕ ϕ
σ − σ = → = σ − σ −
− ϕ − ϕ − ϕ − ϕ
ε
∂ + ϕ ∂ + ϕ
ε = κ = ε = κ = − = −
∂σ − ϕ ∂σ ε − ϕ
1 3
1 sin 1 sin ε = − + α
ε − α
α
Gleitlinien und Dissipation in Beton
Bruchmechanismen
cos dD = ⋅c α ⋅ δ
δ δ
(1 sin ) 2
fc
dD = − α ⋅ δ
• Für eine allgemeine Mohrsche Hüllkurve beträgt die Dissipation pro Einheitsfläche der Diskontinuität, bezogen auf eine Einheitsverschiebung dD = c·cosα
• Für die quadratische Fliessbedingung folgt dD = fc·(1− sinα)/2
• Für α = π/2 resultiert keine Dissipation im Beton: sogenannter Kollapsriss
cos c⋅ α α c
(
1 sin)
2fc − α α
α α
α
NB: ω > 2/3 →
Verschiebung vertikal, keine Dissipation in Längsbewehrung
α
α
Fachwerkmodell (direkte Abstützung) und Translationsmechanismus:
Arbeit der äusseren Kräfte:
Dissipationsarbeit:
Gleichsetzen W =D (mit h/d= 1 + ω/2):
Minimieren nach α liefert die Traglast (ω< 2/3):
→ identisch wie unterer Grenzwert, siehe Fachwerkmodell, d.h. vollständige Lösung
Bruchmechanismen
Beton Längsbewehrung
( )
cos 2
W = ∆ α + β − π Q
(
1 sin)
sin(
2)
sin 2
w c
w c
b h f
D − α b d f
= ∆ ⋅ + ∆ ω α + β − π
β
( )
( )
1 sin
2 sin 2
sin 1 2
2 cos 2
w c
Q b hf
− α + α + β − π ω
β + ω
= ⋅
α + β − π
( )
( )
2
2
1 2
1 2
w c
b f h
Q a
ω − ω
= ⋅
+ ω
Scheibe ohne Vertikalbewehrung unter Einzellast
α II
I 3
α α
Bruchmechanismen
Scheibe ohne Vertikalbewehrung unter Einzellast Biegemechanismus
→ Kollapsriss D-H (Verschiebung senkrecht zur Gleitlinie, α = π/2, keine Dissipation im Beton)
→ Traglast ist unabhängig von der Neigung des Kollapsrisses und identisch mit derjenigen des Translationsmechanismus und des Fachwerkmodells (vollständige Lösung)
→ Bestätigt, dass Längsbewehrung (ohne Bügel) nicht abgestuft werden kann
Rotationsmechanismus
→ Gleitlinie: Hyperbel im Koordinatensystem (ξ,ζ)
→ Degeneriert für grossen Abstand O → ∞ zu Translationsmechanismus, gleiche Traglast
α
II I 3
Bruchmechanismen
Kollapsrissmechanismen in Scheiben mit horizontaler und vertikaler Bewehrung Rotationsmechanismus (Biegeschubbruch)
→ Kollapsriss (Verschiebung senkrecht zur Gleitlinie, α = π/2, keine Dissipation im Beton)
→ Dissipation in Längsbewehrung und Bügelbewehrung
(Relativverschiebung in Bewehrungsrichtung · Fliesszugkraft)
→ Vollständige Lösungen: β = Druckfeldneigung
→ Massgebende Mechanismen: Kollapsrisse unmittelbar neben Bügeln, Abstufungen der Längsbewehrung oder Querschnittssprüngen
→ Senkrechter Kollapsriss: «Biegemechanismus»
Translationsmechanismus
→ Selten massgebend, möglich bei Zugnormalkraft (N leistet Arbeit)
z
V
∆
β
β
V z
N
AB
∆
α
Bruchmechanismen
Stegdruckbruchmechanismen
Stegdruckbruch mit diskreter Bruchlinie
→ bei grossen Längsbewehrungsgehalten massgebend
(Bruchverschiebung vertikal, d.h. keine Dissipation in Längsbewehrung)
→ Beton versagt auf Druck, Bügelbewehrung fliesst, Längsbewehrung bleibt elastisch
→ Obere Grenzwerte für die Traglast in Abhängigkeit der Neigung β der Bruchlinie:
τ = nominelle Schubspannung
ωv = mechanischer Bügelbewehrungsgehalt
Stegdruckbruch mit Bruchzone
→ In Schubversuchen oft beobachtet, kann als Serie von Bruchlinieninterpretiert werden (gleiche Traglast)
→ Berücksichtigung der Dissipation in den Flanschen (plast. Gelenke) möglich; bei diskreter Gleitlinie wäre Abscheren nötig.
(
1 cos)
1 cot
sin 2
1 cos 2 sin cot
w c
w c v
v
c w c
b z f
V b zf
V f b zf
− β
⋅ = ⋅ + ω β
β
τ = = − β+ ω β β
min!
Beton Bügel
β
V z
A
B
∆ =1
d 0 d
=
β
( )
cosβ = − ω1 2 v τ fc = ωv 1− ωv
z
V
β
∆
β
( )
v
a f
sw sb f
w cω =
Bruchmechanismen
Stegdruckbruchmechanismen
Einschränkung für die der Neigung β
→ Neigung der Gleitlinie ist geometrisch begrenzt durch die Beziehung
→ Bei kleinen Bügelbewehrungsgehalten massgebend, mit kleinstem oberem Grenzwert der Traglast:
2 2
1 1 2
net net net
v c
a a a
f h h h
τ = + − + ω
fc
τ
0.5
0 0.5 ωv
(
1)
v v
fc
τ = ω − ω
(
1)
2
v v
fc
τ = ω − ω
β = π
2 2
1 1
2
net net net
v c
a a a
f h h h
τ = + − + ω
Beton Bügel
tanβ ≥h anet
β
V h
∆
V
β
anet anet
V V
Bruchmechanismen
Praktische Anwendung
→ Kombination mit Spannungsfeldern zur Eingabelung der Traglast
→ Analytische Formulierung der Bruchlast, resp. deren Minimierung, gelingt in praktischen Fällen nur selten
→ Stattdessen numerische Minimierung oder Näherung (Minima sind in der Regel flach)
→ Bei der Überprüfung bestehender Bauwerke sind soweit bekannt die effektiven Bewehrungslagen zu berücksichtigen → diskrete Gleitlinien zwischen Bügelenden betrachten
q
sup1
V d
n s ⋅ z x
q
infRotationsmechanismus Translationsmechanismus
2.0 1.0
D W
n Bügelabstände
n Bügelabstände
[aus Marti und Stoffel 1999]
Bruchmechanismen
Bruchmechanismen für Einfeldträger
Statisches System (a)
Biegemechanismus (b)
Biegeschubbruchmechanismus (c)
Stegdruckbruchmechanismus (d)
[aus Marti und Stoffel 1999]
x 1
z
x 1
z
l x z
z
x z
1
Bruchmechanismen
Bruchmechanismen für Randfelder
Statisches System (a)
Biegemechanismus (b)
Kombinierter Biege-/Biegeschubbruchmechanismus (c)
Stegdruckbruchmechanismus (d)
[aus Marti und Stoffel 1999]
x 1
z
x z
l
z
x
x z
1
1
Bruchmechanismen
Bruchmechanismen für Innenfelder von Durchlaufträgern Statisches System (a)
Biegemechanismus (b)
Kombinierter Biege-/Biegeschubbruchmechanismus (c)
Kombinierter Stegdruckbruch-Biegemechanismus (e)
[aus Marti und Stoffel 1999]
Translatorischer Stegdruckbruchmechanismus (d)
l
z z
x
x z
1
x z
1
z 1
x
1
z
Massgebender Mechanismus
Q q G
Bruchmechanismen
[aus Marti und Stoffel 1999]
Bruchmechanismen bei Brücken mit mehreren Längsträgern Anstatt eines «globalen» Versagens aller Längsträger kann – insbesondere, da die Achslasten nur an einer Stelle, d.h. über einem Träger anzuordnen sind – auch ein «lokales» Versagen massgebend werden, bei welchem einzelne Längsträger starr bleiben.
Es sind diverse Kombinationen möglich, siehe Abbildung. Dabei ist die Dissipation in der Fahrbahnplatte (siehe Bruchmechanismen von Platten) zu berücksichtigen.
Im Beispiel lieferte tatsächlich ein solcher «lokaler» Mechanismus den untersten oberen Grenzwert für die Traglast (leicht ungünstiger als ein globaler Biegemechanismus).
Bruchmechanismen
Lehnenviadukt Neuenhof
Aus: Vogel, T., Bargähr, R. (2006), Zustandserfassung von Brücken bei deren Abbruch (ZEBRA), Bundesamt für Strassen, Bern
Bruchmechanismen
Lehnenviadukt Neuenhof
• Bauherr: Tiefbauamt des Kantons Aargau
• Baujahr: 1972
• Abbruch: August 2001 (Teilabbruch)
• Abbruchgrund: Neue Linienführung
• Bauwerksart: (Im Spannbett vorfabrizierte) Einfeldträger aus Spannbeton, aufgelöster Querschnitt
• Sieben Felder à elf Träger (Höhe 1.75m) mit einer Spannweite von jeweils ca. 25 m
• Bewehrung: aus 74 im Spannbett vorgespannten Vorspanndrähten Ø 7 mm aufgebaut.
0.223 0.115 0.223 0.6
0.12 0.08
1.25 1.75 0.06
0.14 0.10
Bruchmechanismen
Lehnenviadukt Neuenhof
• Ein vorfabrizierter Träger wurde als Ganzes auf den Freiluft-Belastungsstand der ETH Hönggerberg transportiert und im Rahmen einer Diplomarbeit bei Prof. Vogel bis zum Bruch belastet.
• Mit Hilfe des oberen Grenzwertes der
Plastizitätstheorie wurde mit den an Proben ermittelten mittleren Materialeigenschaften in einer Nachrechnung der massgebende
Biegeschubmechanismus bestimmt:
Abweichung von lediglich 5.4%.
Aus: Vogel, T., Bargähr, R. (2006), Zustandserfassung von Brücken bei deren Abbruch (ZEBRA), Bundesamt für Strassen, Bern