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Archiv "Müssen die Präventionsangebote noch ausgedehnt werden, Frau Süssmuth?" (05.11.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS AKTUELLE INTERVIEW

In den öffentlichen Äußerun- gen der — nicht mehr ganz so neuen — Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Professor Dr.

Rita Süssmuth, nehmen Hin- weise auf die Bedeutung der Vorsorge und Früherken- nung einen ansehnlichen Stellenwert ein — Anlaß, um in einem Interview nachzuha- ken. Frau Süssmuth, Ministe- rin und Pädagogin, äußert sich über die vorhandenen Angebote, deren Nutzung sowie zur Ausdehnung der Präventionsangebote — etwa auf psychische Krankheiten.

DÄ: Reicht Ihrer Meinung nach die Palette der Präventionsangebote — das sind ja insbesondere Angebote bei Krebsfrüherkennung, Vorbeu- gung und Früherkennung von Kin- derkrankheiten und Mutterschafts- vorsorge — aus?

Süssmuth: Es muß zunächst ein- mal grundsätzlich zwischen Vor- sorge und Früherkennung unter- schieden werden, zumal sich hier- aus auch Gründe für die mangeln- de Akzeptanz entsprechender An- gebote ableiten. Während an den

Schwangerenvorsorgeuntersu- chungen insbesondere spezielle Gruppen ungenügend teilnehmen, die Kinderfrüherkennungsunter- suchungen im wesentlichen nur hinsichtlich der letzten beiden Un- tersuchungstermine an mangel- hafter Akzeptanz leiden, sieht es beim Krebsfrüherkennungspro- gramm ganz anders aus: Hier geht es nämlich darum, eine sehr ge- fürchtete Krankheit zu erfassen, wenn sie bereits da ist, also auch zum Teil ebenso gefürchtete Be- handlungsmaßnahmen erfordert.

Zudem umfaßt das Programm nur

Bundesministerin Prof. Rita Süssmuth

einen Teil der Krebserkrankungen, eine umfassende Sicherheit gibt es also auch bei Teilnahme am Programm nicht.

DÄ: Sollten also nicht weitere Krankheiten in Vorsorge- und Früh- erkennungsprogramme einbezogen werden?

Süssmuth: Insgesamt ist die Palet- te bereits wesentlich farbiger ge- worden. Zur Vorsorge gehören auch Impfungen — einmal für Kin- der, für Touristen, aber auch für jene, die zu Risikogruppen zählen, ich denke hier z. B. an die Hepati- tis-B-Impfung für Ärzte und ande- re Medizinfachberufe. Weiter sind als spezifische Maßnahmen der Prävention die Fluoridprophylaxe und die Vitamin-D-Prophylaxe und als unspezifische Maßnahmen die Verbesserung der Wohn- und Ar- beitssituation — ich erinnere an das Programm der Bundesregie- rung „Humanisierung des Arbeits- lebens" — und Umweltschutzmaß- nahmen zu nennen. Und viele Lei- stungen in der ärztlichen Praxis sind doch auch Maßnahmen zur

Krankheitsfrüherkennung : Ich denke an Blutdruckkontrollen, an Urinzuckertests, „Blutuntersu- chungen", Augendruckmessung (bezüglich Grüner Star) und vieles andere mehr. Und gehören nicht auch die Untersuchungen von Blutkonserven auf Hepatitis B und HIV-Antikörper dazu? Und auch Perinatalstudien!

Sicherlich laufen die Bestrebun- gen darauf hin, die Präventions- maßnahmen darüber hinaus noch auszuweiten. Hierbei ist aber auch zu berücksichtigen, daß die ein- schlägigen Bestimmungen der RVO die Einführung von Vor- sorgeuntersuchungen ausdrück- lich auf solche Erkrankungen, für die wirkungsvolle Maßnahmen zur Behandlung zur Verfügung ste- hen, beschränken.

DÄ: Was bedeutet Prävention für Sie vor allem?

Süssmuth: Prävention — der Krankheit zuvorkommen, heißt die Frage stellen, wo denn Krankheit beginnt und auf welcher Ebene Möglichkeiten des Vorsorgens ge- geben sind. Üblich ist die Unter- scheidung zwischen primärer, se- kundärer und tertiärer Prävention, was für unterschiedliche Krank- heiten und Maßnahmen, die es zu treffen gilt, von erheblichem Be- lang ist. Was zwischen den Polen

„gesund" und „krank" liegt, zu welchen Überlappungszonen es kommt, ist nicht auf eine knappe Formel zu bringen. Dies gilt in be- sonderem Maße für die Psychia- trie.

DÄ: Inwiefern gilt das auch für die Psychiatrie?

Süssmuth: Einsichten über Zu- sammenhänge und Verflechtun- gen eines Kranken mit seiner un- mittelbaren und weiteren Umwelt haben uns gelehrt, daß nicht nur die individuelle Konstitution sich in Krankheit ausdrückt.

Nach ziemlich übereinstimmender Auffassung leiden etwa 30 Prozent der Kranken, die einen Arzt aufsu-

Müssen die Präventionsangebote

noch ausgedehnt werden, Frau Süssmuth?

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 45 vom 5. November 1986 (21) 3085

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Präventionsangebote LESERMEINUNG

chen, an seelischen Spannungen, an Konflikten und Ängsten, die keine symptomfreie Verarbeitung mehr zulassen. Prävention wäre demgemäß der Versuch, soziale Risikofaktoren zu erkennen und zu verhindern sowie dem einzel- nen aus seiner Selbstfesselung herauszuhelfen. Geeignete Hilfen für diejenigen, die ihre Probleme nicht aus eigener Kraft zu bewälti- gen vermögen, mit sich und ihrer Umwelt unzufrieden sind, müssen sowohl generell präventiv — bei der Stärkung ihrer persönlichen Kontakte und Beziehungen — als auch konkret bei der Schaffung bedarfsgerechter Anlaufstellen ansetzen.

DÄ: Was verstehen Sie unter „be- darfsgerechten Anlaufstellen"?

Süssmuth: Ich sehe hier beispiels- weise eine vorrangige Aufgabe so- wohl der Jugend- als auch der Fa- milienpolitik. Zu denken ist insbe- sondere an Erziehungsberatungs- stellen und Ehe- und Familienbe- ratungsstellen, die imstande sind, rechtzeitig Konfliktstoff zu bewäl- tigen, korrigierend tätig zu wer- den.

DÄ: Nun lassen sich ja psychische Erkrankungen nicht in jedem Fall vermeiden. Was dann?

Süssmuth: Wo Verhüten nicht möglich ist, sehe ich Prävention psychischer Krankheiten darin, möglichst frühzeitig über Diagno- se und Therapie den Verlauf der Krankheit aufzuhalten oder gün- stig zu beeinflussen.

Prävention bedeutet auch, Rück- fälle zu vermeiden, bleibende Schäden nicht zu verschlimmern, Möglichkeiten der Rehabilitation zu nutzen. Beispiele der Hilfe sind Krisenintervention, Sozialpsych- iatrische Dienste, therapeutisch betreute Wohngruppen, Über- gangsheime. Die Bundesregie- rung hat mit ihrem Modellpro- gramm Psychiatrie entscheidende Verbesserungen in der Versor- gung psychisch Kranker und Be- hinderter bewirkt. Das zum 1. Ja- nuar 1986 in Kraft getretene Ge-

setz zur Verbesserung der ambu- lanten und teilstationären Versor- gung psychisch Kranker tut sein übriges. Die Frage, ob der finan- zielle Aufwand sich lohne, ist nicht die zentrale Frage. Wenn Krank- sein so sehr drängt, daß ärztliche oder ärztlich verordnete Hilfe not- wendig wird, läßt sich nicht auf- rechnen, ob die Kosten „ökono- misch" sind.

Ich denke, wenn das alles, was be- reits angeboten und möglich ist, breitere Akzeptanz erfährt, werden wir ein entscheidendes Stück in der Prävention und damit im Ge- sundheitswesen vorankommen.

Denn bei den großen Volkskrank- heiten Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenkrebs und anderen bösar- tigen Tumoren sowie bei Erkran- kungen des rheumatischen For- menkreises, teilweise auch bei psychiatrischen Krankheiten — um nur die wichtigsten zu nennen — können durchschlagende Erfolge letztlich nur durch breit angelegte präventive Maßnahmen erreicht werden. Dazu ist es notwendig, durch Forschungsbemühungen weitere gesicherte Programman- gebote zu entwickeln. Die Bundes- regierung unterstützt diese Bemü- hungen im Rahmen ihres Pro- gramms „Forschung und Entwick- lung im Dienste der Gesundheit"

nachhaltig.

DÄ: Welche Belastungen sehen Sie auf die Krankenversicherer zukom- men?

Süssmuth: Die Zukunft des Ge- sundheitswesens liegt vor allem in der Prävention, und das gilt lang- fristig auch für die Kostenentwick- lung. Die notwendige Forschungs- arbeit dürfte zum weit überwie- genden Teil aus staatlichen Mit- teln, insbesondere Bundesmitteln zu finanzieren sein. Bei Vorhan- densein von geeigneten, den Er- fordernissen der RVO genügen- den Verfahren für ein Massen- screening oder die Untersuchung von Risikopatienten müßte dieses durch die Krankenkassen getra-

gen werden.

Interview: Dieter Pohl und Redaktion DÄ

LA-MED-Befragung

Ihr Urteil ist erneut gefragt!

In den kommenden Wo- chen befragt die Ar- beitsgemeinschaft LA- MED, in der die über- regionalen und die re- gionalen medizinischen Zeitschriften zusam- mengeschlossen sind, erneut die Ärzte zu ih- rem Leseverhalten.

Falls Sie zu den reprä- sentativ ausgewählten Ärzten gehören, die vom Untersuchungsinstitut IVE um ein Interview ge- beten werden, bitten wir Sie herzlich um Ihre be- reitwillige Mitwirkung.

Verlag, Redaktion und Herausgeber des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTS sind sehr daran interes- siert zu erfahren, wie Sie unser Informationsange- bot einschätzen und nutzen. Zur weiteren Verbesserung unserer Zeitschrift sind wir auf Ihr Urteil darüber ange- wiesen, wie unsere Ar- beit bei Ihnen „an- kommt". Sie werden den Nutzen daraus zie- hen!

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

Ihr

Deutscher Ärzte-Verlag

3086 (22) Heft 45 vom 5. November 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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