A2438 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 36⏐⏐7. September 2007
K U LT U R
D
a ist der Werbefachmann, des- sen Kolleginnen mit klappern- den Stöckelabsätzen ins Hospiz stür- men. Sie lassen Sektkorken an sei- nem Bett knallen und sagen Dinge wie „Das wird schon wieder“. Das Wort Sterben nehmen sie nicht in den Mund. Da ist die Mutter, die nur den Wunsch hatte, dass ihr Sohn vor ihr stirbt. Kurz nachdem die Ärzte einen Gehirntumor bei dem Sechsjährigen festgestellten hatten, wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Nach sei- ner Beerdigung konnte die Mutter zum ersten Mal wieder durchschla- fen. 25 Tage später starb sie.Der Fotograf Walter Schels hat die Gesichter der Menschen zunächst im Leben eingefangen, manchmal Wo- chen, manchmal wenige Tage vor ihrem Tod. Seine Aufnahmen sind zurzeit im Oldenburger Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu se- hen. Der Sechsjährige hält sichtlich mühsam die Augen offen. Manchen Patienten ragen Schläuche aus der Nase. Die Ecken und Kanten der Per- sönlichkeiten lassen sich in den Ge- sichtern ablesen: Da wird eine Au- genbraue ironisch in die Höhe gezo- gen, der Kopf schief gelegt, Lachfält- chen umspielen die Augen. Eine Greisin scheint aufgebracht vor sich hin zu schimpfen.
In den Bildern der Toten hingegen ist das Individuelle der Schicksale verwischt, das Persönliche nivelliert.
Stirnfalten und verkrampfte Lippen entspannen sich, die Lachfältchen weisen jetzt nach unten. Die ge- schlossenen Augen liegen tief in den Höhlen, die Mundpartie entgleitet auf eigentümliche Weise. Die Fotos neh- men dem Tod das Unheimliche und Verschwiegene. Die Gesichter der Toten hat Schels wie die der Leben- den vor neutralem dunklem Hinter- grund fotografiert: nah, direkt, re- spektvoll.
Schels hat einmal für die Zeit- schrift „Eltern“ Neugeborene fotogra- fiert und sich gewundert, wie schrum-
pelig und mitgenommen sie aussehen.
Im Gegensatz dazu, meint er, wirken die Toten meist schön und gelöst. Sei- ne erste, traumatische Begegnung mit dem Tod anderer hatte der Hamburger mit neun Jahren im Bombeninferno des Zweiten Weltkriegs. Seither hat ihn das Thema nicht losgelassen. In- zwischen hat sich der Fotograf einen Ruf als Experte für die letzten Dinge erworben: So wurde er nach dem Tod des Malers Jörg Immendorff angeru- fen mit der Bitte, dessen letztes Por- trät zu machen.
Die sichtbaren Unterschiede zwi- schen Leben und Tod relativieren sich aus der Sicht des Mediziners.
Michael Schwarz-Eywill, Leiter des Palliativzentrums im Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg, meint:
„Sterbende Menschen verändern sich nach und nach. Es ist ein fließender Übergang.“ Die Initiative dazu, die bereits in vielen europäischen Städ- ten gezeigte Ausstellung „Noch mal leben“ von Walter Schels und Texten der „Spiegel“-Redakteurin Beate La- kotta nach Oldenburg zu holen, ging von Medizinern des Palliativstütz- punkts Oldenburg aus.
Dort werden Kompetenzen von Krankenhauspersonal, Hospizdienst, niedergelassenen Ärzten und ambu- lantem Pflegedienst gebündelt und für die Region koordiniert. Derzeit sind mehr als 80 Oldenburger als eh- renamtliche Hospizhelfer aktiv, be- gleiten Sterbende und entlasten An- gehörige. Durch die Ausstellung hof- fen die Mediziner, noch mehr Bürger zu finanziellem und ehrenamtlichem Engagement in der Hospizarbeit zu bewegen. „In unserer Arbeit geht es um das Leben, nicht um den Tod“, ist Schwarz-Eywill überzeugt.
Die Ausstellung ist bis zum 23.
September im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Olden- burger Schloss, zu sehen. Näheres im Internet unter: www.Landesmuseum- oldenburg.niedersachsen.de. I Annedore Belte/KNA
FOTOAUSSTELLUNG
Der Tod verwischt das Persönliche
Oldenburger Museum zeigt Porträts von Hospizpatienten.
Fotos:Walter Schels