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Archiv "Der Mensch und sein Tod" (18.04.1991)

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cher Zeit" ist der Titel des letzten Teils dieser umfangreichen kulturge- schichtlichen Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben. Con- drau: „Wenn wir davon ausgehen, daß nur der Mensch um sein Sterb- lichsein weiß, daß demzufolge nur der Mensch in des Wortes wahrstem Sinn stirbt, dann ist auch jedes Ster- ben ,menschlich`." Andererseits stirbt der Mensch heutzutage unter anderen sozialen Umständen als frü- her, so Condrau, sofern er in einem sogenannten zivilisierten Land unter

„optimalen technischen Bedingun- gen" lebt. Die Zeiten seien vorbei, in denen der alte Mensch nach Rege- lung aller sozialen Verpflichtungen und Aufsetzung eines Testaments, die Augen für immer schloß. In der heutigen Zeit werde dagegen vor- wiegend in Krankenhäusern gestor-

ben, angeschlossen an lebensver- längernde oder schmerzlindernde Apparate, zumeist in einer recht di- stanzierten Atmosphäre.

In den Kapiteln „Sterbebeistand - Sterbehilfe" sowie „Sterben und Sterbebegleitung im Krankenhaus"

versucht Gion Condrau die Frage zu beantworten, ob diese Art des Ster- bens und der Sterbebegleitung zu.

Recht als „unmenschlich" oder „wür- delos" bezeichnet werden darf.

(Gion Condrau: Der Mensch und sein Tod. Certa moriendi condicio.

Zweite, völlig überarbeitete Ausgabe des 1984 unter demselben Titel er- schienenen Buches; 480 Seiten mit mehr als 150 Abbildungen, davon über 100 in Farbe, Format: 15,6 x 23,8 cm, Leinen mit vierfarbigem Schutzumschlag, Literaturangaben, Kreuz Verlag, 98 DM) Kli

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

In seinem Buch „Der Mensch und sein Tod", das im März erschien, greift Prof. Dr. med. Dr. phil. Gion Condrau, Zürich, die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Tod und Sterben auf. Der Ansatz- punkt seiner Darstellung ist die Tat- sache, daß jeder Mensch die End- lichkeit auf seine ganz persönliche Art und Weise erfährt. Sie wird be- stimmt durch die individuelle Le- bensgeschichte, durch Religion und.

Gesellschaft. Außerdem haben To- des- und Jenseitsvorstellungen zu al- len Zeiten die kulturelle Entwicklung der Völker entscheidend mitbe- stimmt. Den Tod des Menschen in all seinen Bezügen darzustellen, unter- nimmt diese Neuausgabe eines be- reits im Jahr 1984 erschienenen und längere Zeit vergriffenen Buches.

„Menschlich sterben in unmenschli-

ezepte für ärztliche Sterbehilfe gibt es nicht. Die Ausbildung der Medizinstudenten an unse- ren Fakultäten kann keinerlei Richt- linien zur Auseinandersetzung mit diesem Problem vermitteln. In Not- fällen, dies sei hier gleich beigefügt, wirkt die distanzierte naturwissen- schaftliche Haltung des Arztes oft le- benserhaltend. Für die Rettung von Selbstmordkandidaten genügt aber zum Beispiel weder die Magenspü- lung noch die chirurgische oder in- ternistische Intervention. Hier ist, bei vollem Bewußtsein des Patien- ten, das ärztliche Gespräch dringend erforderlich, das möglicherweise in eine eigentliche Psychotherapie überführt. Beim todkranken Kind gilt es, auch die Eltern psychologisch zu betreuen. Schwieriger wird dies bei der Aussprache mit dem erwach- senen Angehörigen der sterbenden Patienten, welche „die Wahrheit"

wissen sollen. „In einer solchen Si- tuation", sagt Bernard, „ist der Arzt immer der Verlierer" (1981, 23).

Wenn er nämlich dem Drängen der Verwandten nachgibt und diese dann ein Verhalten heimlichen Ein- vernehmens an den Tag legen, fühlt sich der Sterbende verstärkt isoliert.

Das Verhalten des Menschen dem Tod gegenüber zeigt sich aber nicht nur in der Beziehung zu seinem eigenen Sterblichsein, sondern in be- sonderer Weise in der Hilfe, die er

Mensch Der und sein

Tod

als Mitmensch einem Sterbenden zu- teil werden läßt. Zumeist sind es heute die Ärzte, denen die eigentli- che Sterbehilfe obliegt, nachdem die theologische Seelsorge diese Aufga- be zwar keineswegs ablehnt, aber doch weitgehend der Medizin über- geben hat. Der Begriff „ärztliche Sterbehilfe" ist allerdings, wie wir gesehen haben, mehrdeutig gewor- den, nämlich im Sinn des Beistands für den sterbenden Patienten und im Sinn der Euthanasie — bei Bei- und Nachhilfe zum Sterben —, die ihrer- seits nicht nur heftig diskutiert, son- dern in diesen Diskussionen auch noch differenziert wird. Sie läßt sich allerdings, wie bereits dargelegt wur- de, in ethischer Sicht nicht so klar

trennen, und das Problem der Eu- thanasie besteht keineswegs allein als juristischer Diskussionsgegen- stand, sondern ist ebensosehr von der Frage abhängig, wie der Patient, der Arzt und die Gesellschaft zum Tod eingestellt sind — ist also letzt- lich ebenfalls ein philosophisch-me- dizinisch-psychologisches Problem.

Die Begegnung des Arztes mit dem Sterbenden ist vielfältig; am häufig- sten fordert sie wohl den Notfallarzt und den Allgemeinpraktiker heraus

— letzteren vornehmlich auf dem Lande —, sei es, daß er alte Patienten

—gelegentlich natürlich auch Kinder

—sterben sieht, sei es, daß er zu ei- nem tödlichen Unfall gerufen wird.

Der Hausarzt ist zumeist persönlich engagiert; oft hat er den Patienten gekannt, ihn vielleicht jahrelang be- handelt, oft ist ihm auch dessen Fa- milie bereits vertraut. Im Kranken- haus, auf den Intensivstationen und in den Abteilungen für chronisch Kranke getaltet sich diese Begeg- nung unpersönlicher. Der Sterbende geht in der Anonymität des Kran- kenhauses unter, nicht selten räum- lich abgesondert und allein gelassen.

Dies hat sich in neuester Zeit, das darf nicht verschwiegen werden, gebessert. Das Unbehagen über die Anonymität im Krankenhaus hat zu besserer psychosozialer Betreuung geführt. Holländische Ärzte gaben eine Broschüre als Anleitung für ei- Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991 (29) A-1337 Dt.

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nen „sanften Tod" heraus, wobei die

„Sanftheit" des Sterbens allerdings durch Medikamente gewährleistet werden soll. Für eine bessere Ge- sprächskommunikation mit sterben- den Menschen wirbt eine in der Schweiz herausgegebene Schrift (Herzig, 1978), die auch Anleitungen zu der Frage gibt, wie der Arzt mit der „Wahrheit" umgehen soll. Ro- bert Buchmann hat sich mit seinem Buch („Was wir für Sterbende tun können", 1990) ebenfalls um dieses Thema verdient gemacht. „Allen die- sen Bemühungen zum Trotz", schreibt der Chefarzt einer medizini- schen Klinik (Senn, 1981, 295), „muß doch klar gesagt werden, daß das psychosoziale Betreuungsniveau un- serer . . . Kliniken immer noch hinter dem fachlich-technischen Niveau un- seres ärztlich-pflegerischen Behand- lungsangebots zurückbleibt."

Es empfiehlt denn auch die Rückführung bzw. primäre Nicht- hospitalisierung „potentiell Sterben- der", die terminale Pflege im häusli- chen Milieu. Andererseits entstehen Kliniken, die sich speziell der Ster- benden annehmen, sogenannte

„Sterbekliniken". In England wurde im April 1967 das St. Christophers Hospice eröffnet mit dem Ziel, die Einsamkeit des Todes in der Gesell- schaft zu überwinden und dem Ster- benden etwas von seiner Würde zu- rückzugeben.

Dieses „Hospiz" nimmt Patien- ten auf, deren Lebenserwartung im Durchschnitt noch etwa zwei Wo- chen beträgt, also Kranke, die von den Ärzten aufgegeben worden sind.

Trotzdem soll in diesem Kranken- haus keine Friedhofstimmung herr- schen, sondern eine lebensbejahen- de Atmosphäre. Keiner der Patien- ten weiß angeblich, daß er in einer

„Sterbeklinik" ist; das Wort „Krebs"

wird nie ausgesprochen. Schwestern und über hundert freiwillige Helfer verrichten hier ihre Arbeit.

S

chwierigkeiten in der häusli- chen Pflege führten, neben an- deren Gründen, dazu, daß ster- bende Patienten heute mehr als frü- her im Krankenhaus bleiben, obwohl eine angenehmere Umgebung sinn- voller wäre. Nach Eichler starben in

der Bundesrepublik Deutschland 1910 etwa 10 Prozent der Bevölke- rung in einem Krankenhaus, 1966 in der Bundesrepublik bereits 57 Pro- zent (1979, 2411). In den Städten sterben heute etwa 80 Prozent der Menschen in Krankenhäusern und 15 Prozent in Altersheimen; auch in ländlichen Bezirken nimmt die Ten- denz zu, Sterbende in Krankenhäu- ser zu verlegen. Dies sind zum Teil die Gründe, welche zur Alternativlö- sung der speziellen Heime und Hos- pize führten. Die Bezeichnung „Hos- piz" stammt von dem berühmten Hospiz auf dem Großen St. Bern- hard, wo Mönche Reisende in Not gastlich aufnahmen und pflegten. In den englischen Hospizen (beispiels- weise in Sydenham) wurde erstmals die sogenannte „Brompton-Mixtur"

benutzt (wie sie auch in der Schweiz, beispielsweise im Zürcher Stadtspi- tal Triemli, verabreicht wird): eine Mischung von Morphin, Cocain und Alkohol mit Neuroleptika. Die Pa- tienten bleiben bis zu ihrem Tod, im Durchschnitt 16 Tage, im Hospiz. In den USA wurde das erste Hospiz in New Haven (Connecticut) eingerich- tet. Inzwischen sind gegen hundert solcher Einrichtungen geschaffen worden. Den Patienten werden zwei Versprechen gegeben: Sie werden frei von Schmerzen sein, und sie wer- den nicht einsam sterben. In New York gibt es das St. Rosa-Heim, ein Haus, in welchem unheilbar Krebs- kranke von Hawthorne, Dominika- nerinnen gepflegt werden. Die Pa- tienten erhalten Gelegenheit, sich im Rahmen einer Beschäftigungsthera- pie kreativ zu betätigen. Neben seel- sorgerlicher und pflegerischer Hilfe wird ihnen auch die Brompton-Mix- tur angeboten. Im übrigen ist jeder Patient frei, sich auf sich selbst zu- rückzuziehen und Urlaubstage ein- zuschalten. Ein Patient (Jack) er- klärte der Ärztin E. Kübler-Ross an- läßlich eines Besuchs, es sei besser, sich nicht mit anderen Patienten an- zufreunden, da „man dauernd Ab- schied nehmen" müsse (1980, 122).

Die Hospize haben den Vorteil, daß sie den Patienten und dessen Ange- hörige finanziell weit weniger bela- sten als ein Krankenhausaufenthalt.

Das Team von E. Kübler-Ross rich- tet zudem 1977 in Escondido (Kali-

fornien) ein Zentrum zur „Einübung in Leben, Tod und Übergang" unter dem Namen „Shanti Nilaya" ein, in welchem unter anderem Kurse für Leute abgehalten werden, die sich speziell der Betreuung todkranker und sterbender Patienten widmen.

„Erwachsene aller Bildungsstufen sollen hier lernen können, wie sie bis zum Tode wirklich leben können"

(E. Kübler-Ross, 1990, 150). „Shanti Nilaya" bedeutet „das letzte Heim des Friedens". Trotzdem setzt sich auch Elisabeth Kübler-Ross dafür ein, daß die Kranken in ihren letzten Lebenstagen vermehrt in das häusli- che Milieu eingegliedert werden — trotz der Institutionen, die sie zum Teil selbst ins Leben gerufen hat.

ie Untersuchungen von E.

Kübler-Ross ergaben, „daß in unserer Gesellschaft heute immer noch 75 Prozent der Men- schen in Krankenhäusern, Heimen oder Anstalten sterben und daß die überwiegende Mehrzahl von ihnen lieber zu Hause stürbe". Dabei sei es im Grunde so einfach, „die Angehö- rigen auf das Nachhausekommen ei- nes Todkranken vorzubereiten und den Patienten selbst so weit zu brin- gen, daß er sich zu Hause wohl fühlt und ohne unnötige Angst und Aufre- gung lebt".

Letzterem dürfte wohl nicht wi- derspruchlos zugestimmt werden. Sc) einfach, wie es E. Kübler-Ross dar- stellt, ist es nach allgemeiner Erfah- rung nicht, die Angehörigen unserer Gesellschaft davon zu überzeugen, daß der Sterbende ein Anrecht dar- auf hat, daheim den Tod zu erwar- ten. Dabei kann ihnen dies gar nicht immer zum Vorwurf gemacht wer- den. Die Pflege todkranker Famili- enmitglieder ist im allgemeinen nicht so einfach, wie es Frau Kübler-Ross darstellt. Die Sauerstoffflasche ge- nügt zumeist nicht; die Apparaturen, Verbandwechsel und sonstigen me- dizinischen Maßnahmen können in den meisten Fällen nicht durch un- geübte Familienmitglieder in tech- nisch einwandfreier Weise bedient bzw. vorgenommen werden. Grund- sätzlich benötigen „solche Patien- ten" zumeist eine fachgerechte Be- handlung. Das heißt im Klartext, daß A-1338 (30) Dt. Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991

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Gion Condrau

CERTA MORIENDI CONDICIO

DER MENSCH UND SEIN

iree

"

Kreuz Verlag

das „Sterben zu Hause" immer noch eine medizinische Angelegenheit ist und von der Gewährleistung einer entsprechenden medizinischen Ver- sorgung abhängt.

E. Kübler-Ross hat dies in indi- rekter Form auch zugegeben, wenn sie darauf hinweist, daß den Patien- ten morphiumenthaltende Analgeti- ka zur Schmerzlinderung abgegeben wurden. Zumindest ist dies bereits eine ärztliche Maßnahme, sogar dann, wenn die Kranken diese Brompton-Mixtur in Flaschen nach Hause nehmen konnten und selbst dosieren durften.

Die Schmerzbekämpfung ist aber nur die eine Seite der Hilfe beim Sterbevorgang. Wer selbst er- fahren hat, was das wochen- oder monatelange Sterben eines Fami- lienangehörigen bedeutet, was es heißt, täglich nicht nur den körperli- chen und seelisch-geistigen Verfall mitzuerleben, sondern auch die fi- nanziell-wirtschaftlichen Folgen und Sorgen zu tragen, der allein kann er- messen, welche persönlichen Opfer damit verbunden sind. So schön es klingen mag, zu Hause sterben zu dürfen, so schwierig gestaltet sich dies in der Praxis. Im Krankenhaus ist die Situation immerhin eine ande- re. Der Angehörige des Sterbenden verbringt mit diesem, so wie es seine berufliche und persönliche Belast- barkeit erlaubt, einige Stunden täg- lich. Dazwischen jedoch kann er sich von dem ihn belastenden Besuch we- nigstens einigermaßen erholen. Dies ist zu Hause nicht möglich. Die Bela- stung, denken wir beispielsweise an, die endlosen Nächte, kann unerträg- lich werden. Das Resultat: Schuldge- fühle und in deren Folge vermehrtes Engagement, bis der schließlich ein- tretende Tod zur Erlösung nicht nur des Patienten, sondern auch seiner Angehörigen wird. Frau Kübler- Ross spricht meines Erachtens zuviel von jenen Patienten, die „in völligem Frieden und ohne jede Resignation"

sterben. Sie sind seltener, als wir es wahrhaben wollen.

Dies heißt keineswegs, daß Ster- ben und Tod in die Krankenhäuser verbannt bleiben sollen. Es muß ein Ziel der Thanatotherapie sein, das Sterben zu Hause wieder jenen zu ermöglichen, die dies wünschen. Da-

zu bedarf es jedoch nicht nur einer zusätzlichen, bisher kaum vorhande- nen krankenhausexternen, fachkun- digen Pflegeeinrichtung, sondern auch einer gesellschaftlichen Verän- derung. Den Sterbenden in der eige- nen Familie zu behalten oder wieder aufzunehmen, das erfordert eine

Einstellung dem Sterben gegenüber, die in unserer modernen Industrie- gesellschaft längst abhanden gekom- men ist. Das Sterben des anderen, eines uns nahestehenden Menschen, ist immer auch Stück weit eigenes Sterben.

ie Frage, ob Sterbende aus den Krankenhäusern nach Hause zu entlassen seien, ob die Angehörigen die Aufgabe der Pflege wieder übernehmen sollten, zieht zudem andere Fragen nach sich. Warum sollten dann schwer be- hinderte Kinder oder Schwererzieh- bare nicht auch ein Anrecht auf ein familiäres Zuhause anstelle der Pfle- geheime haben. Geisteskranke, Epi- leptiker und andere statt in psychia- trischen Institutionen, Alte statt in Altersheimen nicht in familiärer Ge- borgenheit leben dürfen? Geht durch die soziale Verdrängung die- ser Mitmenschen nicht auch eine po- sitive Potenz unserer Gesellschaft verloren?

Für gänzlich fragwürdig halte ich das Projekt, Sterbekliniken ein- zurichten für Menschen, die für sich.

den „sanften" Euthanasietod wün- schen (Ringel, 1976).

Einiges Aufsehen erregt hat das Buch von Jo Roman „Exit House"

(1980), das unter dem nicht ganz sachgerechten Titel „Freiwillig aus dem Leben" (1981) in deutscher Sprache erschienen ist. Die Autorin, die im Alter von 62 Jahren Suizid be- ging, plädiert darin für eine Instituti- on (eben ein „Exit-House"), die die- jenigen, die gewillt sind, aus dem Le- ben zu scheiden, mit Rat und Tat beisteht, damit sie ihr Vorhaben durchführen können. Sie selbst hat sich bereits sehr früh mit Suizidge- danken beschäftigt, zunächst persön- lich, dann wohl mehr rationalisie- rend für die Allgemeinheit. Ihren ei- genen Suizid plante sie für das Jahr

1992 (im Alter von 75 Jahren). Als jedoch 1978 bei ihr ein Brustkrebs diagnostiziert wurde, beschloß sie, das Todesdatum auf das Jahr 1979 vorzuverlegen. Der Tod selbst sei für sie nicht erschreckend, der Verlust der Lebensqualität aber furchtbar.

Die Selbsttötung bezeichnet sie mehrfach als einen „rationalen, ver- antwortungsbewußten Akt" (das.

71).

Das ganze Buch ist aber ein rein erschütterndes Dokument einer Frau, die fast zeitlebens von Selbst- mordgedanken gequält und schließ- lich, an ihrer zum Tode führenden Krankheit verzweifelnd, ihre „Trau- erarbeit" dadurch leistet, daß sie mo- natelang nach der schmerzlosesten und sichersten Todesart und Mithel- fern sucht. „Du sollst wissen, daß wir dir helfen werden, den besten Au- genblick und den besten Weg zur Be- endigung deines Lebens zu finden.

Und wenn Selbstmord deine Wahl ist, laß uns dir helfen, unverzüglich und voller Selbstachtung zu sterben"

(das. 25). Am 10. Juni 1979 ent- schlief sie sanft nach Einnahme von 4500 mg Seconal. Postum erhielten am Tag ihres Todes dreihundert Freunde und Familienmitglieder ei- nen Brief von ihr, in welchem sie nicht nur Abschied nahm, sondern auch die Forderung bekräftigte,

„daß der überlegte Freitod als ein grundlegendes Menschenrecht aner- A-1340 (32) Dt. Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991

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kannt" werden möge. Das Buch selbst widmete sie unter anderem

„ganz besonders der Jugend"!

I

n deutschen Städten, so stellt eine Studie aus Ulm fest, sterben drei Viertel aller Menschen im Kran- kenhaus. Dies wird in anderen Indu- strieländern kaum anders sein. R.

Metzger, zum Zeitpunkt der Studie Leiter der psychiatrischen Ambulanz der Universität Ulm, fordert dement- sprechend eine bessere Vorberei- tung von Ärzten und Pflegepersonal im Hinblick auf den Umgang mit Sterbenden. Heute unterscheidet sich dieser nämlich in keiner Weise von dem der Laien. Das „verlogene Theater" wirke sich immer auch auf die Angehörigen und schließlich auf die Patienten selbst aus. Auch Th.

Ammann-Ferrari spricht das We- sentliche aus: „Sich im Spital mit dem Sterben auseinanderzusetzen bedeutet, den Gegensatz von medizi- nischer Machbarkeit und Ohnmacht einzugestehen, sich den daraus fol- genden Fragen zu stellen mit dem Ziel, Probleme und Fehlverhalten im Banne der beiden Gegenpole zu er- kennen und zu korrigieren" (1983, 1668). Mit der Feststellung der Un- möglichkeit einer Heilung des Kran- ken steht der Arzt bereits mitten im Problem der Sterbehilfe. Aber „je mehr man sich mit diesem Problem beschäftigt, je mehr man danach ringt, Grundsätzliches festzulegen, Regeln zu finden, die Klarheit schaf- fen sollen, um so unklarer wird alles.

Für den Fall des einen Kranken scheint alles klar zu sein, und schon beim nächsten merkt man, daß alles wieder andersartig betrachtet wer- den muß... Im ganzen Problem- kreis der medizinischen Maßnahmen beim auf den Tod kranken Men- schen darf eines nicht vergessen wer- den: Es gibt weder den Kranken noch die Krankheit, noch den Tod, sondern jedes Schicksal ist einzeln, besonders, einzigartig, jeder Mensch hat seine eigene, nur ihm eigene Ge- schichte und ihren Verlauf, worin nichts, aber auch gar nichts program- mierbar ist, absolut voraussehbar wä- re. Immer bleibt ein Rest von Unge- wißheit im Raume stehen, wie über- haupt im menschlichen Dasein

nichts mit Sicherheit voraussehbar ist, und daran ändert sich auch wäh- rend einer Krankheit und am Ende des Daseins nichts" (das. 1674). Die- se Sätze enthalten wohl das Wesent- lichste, das über die Betreuung Ster- bender zu sagen ist. Es gibt kein

„Lehrfach Sterbehilfe" und wird es wohl nie geben. Es gibt nur die Mög- lichkeit, menschliche Anteilnahme am Krankenbett walten zu lassen, denn der Sterbende ist immer noch ein Kranker, nicht ein Toter. Zu Recht zitiert Ammann-Ferrari in diesem Zusammenhang Jeanne Hersch: „Je mehr man sich mit dem Problem der Sterbehilfe befaßt, um so schwieriger scheint es, Regeln aufzustellen, die zugleich präzis und allgemeingültig sind." — Bei all dem sollen die Versuche nicht kritisiert werden, Kurse für Sterbebegleitung durchzuführen. Im November 1979 begann als erstes Schweizer Kran- kenhaus das Kantonsspital Luzern eine Gruppe von freiwilligen Helfern in Sterbebegleitung auszubilden.

Diesem Versuch folgte 1981 das Kantonsspital Baden. Grundsätzlich geht aus den Unterlagen hervor, daß diese Laienhelfer sowohl im pflegeri- schen Einsatz (Nachtwache usw.) wie in der Gesprächsführung (Wut, Aggression, Feilschen, Trauer, Rol- lenspiele) ausgebildet wurden. Das Ziel war, keinem Menschen mehr al- lein sterben zu lassen, außer es sei dies sein ausdrücklicher Wunsch. Ich zweifle nicht an der Sinnhaftigkeit solcher Kurse; dennoch scheint mir ihre praktische Bedeutung für eine wirkliche Hilfe im Krankenhaus nicht mit dem Idealismus und der Opferbereitschaft Schritt zu halten, sondern eher dem „Begleiter" zu helfen, sein eigenes Sterblichsein besser zu verkraften. Im Zeitpunkt des Sterbens nämlich wünschte ich mir keine noch so aufopfernde und liebenswerte fremde Person an mei- ner Seite, sondern einen Menschen, den ich kenne und liebe.

aß die Betreuung Sterbender

— „begleiten" kann man nie- manden in den Tod — trotz al- lem ein ungelöstes Problem ist, steht außer Zweifel. Die Schwierigkei- ten, das Sterben im Krankenhaus

menschlicher zu gestalten, sind viel- fach nicht nur auf menschliches Ver- sagen der Pflegepersonen zurückzu- führen, sondern auch rein institutio- neller Natur. Da ist einmal zu unter- scheiden, ob der Patient auf einer In- tensivstation oder in einem allgemei- nen Krankenhaus neben weniger schwer Kranken, ob er auf einer all- gemeinen Abteilung mit anderen Pa- tienten im gleichen Zimmer oder al- lein in einem Raum liegt, oder ob er in einem Chronisch-Krankenheim dem Tod entgegensieht. Auf der In- tensivstation ist der Patient zumeist in einem Stadium, das die Pflege auf die vorwiegend somatische Ebene einschränkt. Dies heißt nicht, daß der Kranke das, was um ihn herum vorgeht, nicht bemerkt. Zumeist re- gistriert er scheinbar Unwichtiges in einem Maß, das sogar dem Pflege- personal entgeht. Er entnimmt bei- spielsweise der sorgenvollen Miene einer Schwester, welche die Nadel seiner Tropfinfusion wechselt, daß nicht alles so klappt, wie es sollte. Er hört Gespräche mit, die fast lautlos zwischen dem Abteilungsarzt und der Schwester geführt werden, nimmt Gesprächsfetzen auf und deu- tet dies meist zu seinen Ungunsten.

ndererseits mag es für viele Patienten eine Erlösung sein, daß das qualvolle Nichtstun und Warten durch die Geschäftig- keit, durch die medizinischen An- ordnungen und Techniken ein Ende findet, daß die trüben Gedanken im Zusammenhang mit dem möglichen nahen Ende verdrängt werden kön- nen. Trotzdem bleibt vieles unge- klärt, und nur wenige Kranke kön- nen ihre Gefühle, die sie auf der In- tensivstation erleben, ausdrücken.

Einer, der es konnte, war der Schrift- steller Walter Matthias Diggelmann, der über sein Empfinden in einer au- tobiographischen Erzählung folgen- des schrieb: „Ich begreife allmählich, warum das hier Intensivstation heißt.

Es ist der Innenkreis, ist der Kern al- ler Qualen, die ein Mensch durchlei- den kann, wenn er einmal in diese Kreise geraten ist. Es heißt auch In- tensivtherapie. Nur bleibt die Frage:

Was ist Therapie hier? Je intensiver sie dir beibringen, wie krank du bist Dt. Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991 (35) A-1341

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Senioren-Union fordert Unterstützung von pflegenden Angehörigen

und wie schmerzhaft das ist, desto intensiver erlebst du auch, wie krank du bist. Ich kann mir ein mittelalter- liches Irrenhaus nicht qualvoller vor- stellen. Wenn sie dich auf die Inten- sivstation bringen, dann mußt du da- mit rechnen, daß du zwar mit dem nackten Leben davonkommst, aber frage nicht, um welchen Preis. Du wirst halb zerschmettert sein hinter- her, geschwächt und zerschmettert."

Soweit die Intensivstation. Im

„Normalfall" liegt der Schwerkranke mit vielen anderen, mehr oder weni- ger kranken Menschen, in einer zu- fällig entstandenen Gemeinschaft auf einer „Abteilung". Die medizini- sche und pflegerische Betreuung konzentriert sich nicht mehr in gleich intensiver Weise auf ihn; er muß sie mit anderen teilen. Es kön- nen Gespräche entstehen, man ge- wöhnt sich an den Bettnachbarn, vielleicht sogar an dessen Besucher.

Aber die Nachbarn wechseln, die Besucher ebenfalls, entstandene menschliche Beziehungen verlieren sich wieder. Intime Gespräche mit eigenen Angehörigen sind kaum mehr vertraulich, da andere zuhö- ren. Die familiäre Situation wird öf- fentlich. Anteilnahme am Leiden des anderen ist da, kann aber das eigene Kranksein nicht in Vergessenheit geraten lassen. Die Langeweile schleicht sich ein; man wird des Le- sens müde; die pflegerische Routine mit Waschen, Zähnereinigen, Stuh- len, Umbetten, Verbandwechsel, Frühstück, Mittagessen, Abendes- sen, dazwischen befohlene Ruhe, ge- legentlich ein Stück Zwieback mit Tee, die Arztvisite — dies sind die kleinen Abwechslungen im Leben ei- nes Krankenhauspatienten. Wenn es ernst wird, sind bereits Zweierzim- mer zu groß.

Dann kommt die Isolation. Man stirbt normalerweise auch im Kran- kenhaus nicht im gleichen Zimmer, in dem sich andere, noch Lebende befinden. Es muß nicht das sprich- wörtliche Badezimmer der Abteilung sein, aber doch irgendwie ein Raum, der sonst für andere Zwecke ge- braucht wird. Von vielen Übeln ist dies noch das kleinste. Wie verhee- rend müßte es sich auswirken, wenn die Krankenhäuser noch eigene Ster- bezimmer einrichten würden!

Der Anteil der älteren Men- schen an der Bevölkerung steigt:

Laut Forschungsbericht der Konrad- Adenauer-Stiftung von 1987 waren vor 100 Jahren nur fünf Prozent der Gesamtbevölkerung 60 Jahre und äl- ter. Die Lebenserwartung für ein ge- rade geborenes Kind betrug damals 35 Jahre. Gegenwärtig liegt der An- teil der über 60jährigen bei rund 20 Prozent der Bevölkerung. Ein 60jäh- riger Mann darf heute im Durch- schnitt — statistisch gesehen — mit weiteren 16 Lebensjahren, eine 60jährige Frau mit noch 20 Lebens- jahren rechnen. Bevölkerungsexper- ten gehen davon aus, so Rolf Stadie, der Autor der Studie, daß der Anteil der Alten an der Gesamtbevölke- rung weiter zunehmen wird.

Altenbericht

der Bundesregierung Die Veränderung in der Alters- struktur der Bundesrepublik wird weitreichende gesellschaftliche Ver- änderungen mit sich bringen. Eine Herausforderung, der sich Politiker zunehmend stellen, gibt es doch mittlerweile ein spezielles Ministeri- um für Familie und Senioren. Die damalige Bundesgesundheitsmini- sterin Professor Dr. Ursula Lehr (CDU) präsentierte bereits im Okto- ber vergangenen Jahres einen Teil des „1. Altenberichts der Bundesre- gierung" (dazu DÄ 30/1990). Auf Anfrage teilte ein Sprecher des Fa- milienministeriums mit, daß der Ge- samtbericht voraussichtlich Mitte 1992 vorliegen wird. Schwerpunkte der Arbeit der Sachverständigen- kommission, die 1989 von Ursula Lehr ernannt worden war, sind die Erhaltung und Steigerung der Kom- petenz im Alter sowie die Prävention und Rehabilitation zur Verhinde- rung von Pflegebedürftigkeit.

Beispielsweise steigt mit zuneh- mendem Alter die Anzahl der Arzt- besuche. 50 Prozent der Frauen (ab 60 Jahren) konsultierten nach Anga- ben des Forschungsinstituts der

Konrad-Adenauer-Stiftung inner- halb eines Jahres siebenmal und häufiger einen Arzt; bei den Män- nern (ab 63 Jahren) waren es 44 Pro- zent. 46 Prozent der älteren Männer und 35 Prozent der älteren Frauen leiden an längeren oder chronischen Krankheiten.

Die Senioren-Union der CDU hat nun in einer Stellungnahme zum ersten Altenbericht der Bundesre- gierung aufgrund einiger relevanter Daten und Fakten ihre politischen Forderungen formuliert. Damit die gesundheitliche und soziale Hilfe für ältere Menschen sichergestellt wer- den könne, fordert die Senioren- Union eine Förderung des Selbsthil- fepotentials, die Ergänzung der Selbstversorgung in der Häuslichkeit (Haus- und Familienpflege, organi- sierte Nachbarschaftshilfe, mobile Dienste, medizinisch-pflegerische Versorgung) sowie den Ausbau der stationären und teilstationären Ver- sorgungsangebote (Angebote zur zeitlich befristeten Vollversorgung als Stufe zur stationären und ambu- lanten Versorgung).

Die Pflegenden

besser berücksichtigen Unbedingt notwendig ist, so die Senioren-Union, eine stärkere Be- achtung von pflegenden Familienan- gehörigen. Wichtig sei die Einbezie- hung der Angehörigen in die ambu- lante Rehabilitation von chronisch kranken Patienten sowie außerdem die institutionelle Unterstützung (Angebote zur Einzelberatung bei speziellen Erkrankungen, gruppen- dynamische Angebote zur Verarbei- tung massiver psychischer Bela- stung). Die Erfahrungen, die mit die- ser Form von Angehörigenberatung gemacht wurden, seien ermutigend.

Ebenfalls ermutigend ist die in einem Nebensatz des Berichts der Senioren-Union erwähnte Generati- on der „neuen Alten": Sie seien rei- selustig, verbrauchsfreudig und er- lebnishungrig. Kli A-1342 (36) Dt. Ärztebl. 88, Heft 16, 18. April 1991

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