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Archiv "Sterben und Tod im Sozialismus" (26.02.1981)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Von uns weitgehend unbeachtet, hat seit einigen Jahren auch im Gesund- heitswesen der DDR eine gezielte Diskussion über den Problembe- reich „Sterben und Tod" eingesetzt.

Diese wurde sowohl im Rahmen me- dizinischer Fachtagungen als auch in der medizinischen Fachliteratur geführt. Sie unterscheidet sich von den in der Bundesrepublik ange- stellten Betrachtungen vor allem da- durch, daß der in der DDR vertretene Materialismus gegenüber dem Phä- nomen „Sterben und Tod" eine ei- gene weltanschauliche Position ein- nimmt und sich die Situation Ster- bender aus soziologischer Sicht teil- weise anders darstellt.

Sterben und Tod

aus weltanschaulicher Sicht Auf dem Hintergrund, daß die „allge- meine Einstellung gegenüber ge- schädigtem Leben... abhängig von sozialökonomischen Verhältnis- sen und weltanschaulichen Positio- nen ist" (1)*), besteht unter den im folgenden herangezogenen Autoren weitgehend Einigkeit darüber, daß eine detaillierte sozialistische Theo- rie zum Umgang mit Sterbenden erst noch entwickelt werden muß (2). Zu- gleich wird auf dem Gebiet der Ster- bebewältigung ganz allgemein ein

„Zustand der Theorienlosigkeit"

festgestellt (3). Bei der Bestandsauf- nahme stoßen einige der DDR-Auto- ren nur auf „goldene Worte über die Fürsorge um den Sterbenden... in der Literatur" (4). Deutlich kritisiert

wird auch der fortbestehende „Ein- druck der uneingeschränkten Domi- nanz christlicher Weltanschauung"

(5), das „Trugbild künftigen Aufge- hobenseins" sowie das „Weiterwir- ken der in den vielen Jahrhunderten christlichen Einflusses erzeugten Todesfurcht und Mystifizierung des Todes" (6).

Eine Infragestellung des verfas- sungsrechtlich garantierten Grund- rechts auf Glaubensfreiheit oder ir- gendeine Mißachtung religiöser Ein- stellungen sehen die Autoren mit diesen Positionen jedoch nicht ver- bunden (7). Nicht zuletzt, so heißt es in anderem Zusammenhang, be- stünde ja im praktischen gesell- schaftlichen Verhalten in vielen we- sentlichen Fragen eine einheitliche Haltung bei Atheisten und religiös orientierten Menschen (8).

Die Entwicklung einer eigenen, ma- terialistisch begründeten Orientie- rung und Lebenshaltung wird um so notwendiger erachtet, als in der DDR gegenüber den Phänomenen von Sterben und Tod eine zuneh- mende Verunsicherung, teilweise auch eine Verdrängung des Pro- blems zu verzeichnen ist. Als Reak- tion entstünde teilweise ratlos-stö- render Übereifer, Abwendung und Zurückziehen vom Sterbenden so- wie eine ein angemessenes Handeln blockierende psychische Belastung der Umgebung (9).

In diesem Zusammenhang wird dann ausdrücklich das Bedürfnis

nach einer Verbesserung der medi- zinischen Betreuung infaust Kranker und sterbender Patienten geäußert (10). Man bedauert, daß vor allem auch die psychologische Analyse der Betreuungsperson noch nicht in Gang gekommen sei. Die Problema- tik konzentriert sich dabei im we- sentlichen auf die Fälle des langsa- men Sterbens, da sich nur hier eine spezielle Pflegeproblematik stellt (11). Letztlich ist daher (insbesonde- re die hausärztliche!) Betreuung Sterbender meist ein Problem der Versorgung älterer Menschen. Dies zeigte auch eine von 24 Allgemein- medizinern (1975/76) durchgeführte Untersuchung, bei der 93,1 Prozent der Verstorbenen älter als 60 Jahre und 87,5 Prozent sogar älter als 70 Jahre waren (12).

Erklärt wird das bisherige Fehlen ideologischer Hilfen für die Bewälti- gung der Sterbesituation unter an- derem damit, daß die „tiefere indivi- duelle Problematik von Sterben und Tod" in den „Anfangsphasen der Entwicklung der sozialistischen Ge- sellschaftsordnung, als es schlecht- hin um deren Überleben und um die Schaffung von ersten gesellschaftli- chen Grundlagen eines neuen men- schenwürdigen Lebens ging und ein harter Klassenkampf zu bestehen war, nicht im Vordergrund gesell- schaftlicher und weltanschaulicher Bemühungen stehen konnte" (13).

Für die Lösung der Problematik ist zumindest aber die weltanschauli- che Ausgangsposition fest vorgege- ben. Hier gilt im Rückgriff auf Marx und Engels, daß „die Negation des Lebens als wesentlich im Leben selbst enthalten ist, so daß das Le- ben stets gedacht wird mit Bezie- hung auf sein notwendiges Resultat, das stets im Keim in ihm liegt, den Tod. Weiter ist die dialektische Auf- fassung des Lebens nichts. Aber wer dies einmal verstanden, für den ist alles Gerede von der Unsterblichkeit der Seele beseitigt." Wie wenig die- ses Dogma die sich auch dem DDR- Bürger aufdrängenden Fragen nach

*) Die Ziffern in 0 beziehen sich auf die An- merkungen (mit Literaturverweisen) im Sonderdruck

Sterben und Tod im Sozialismus

Herbert Mück

Der folgende Beitrag verdeutlicht, daß auch in einem sozialistischen Staat bei der Bewältigung der Probleme „Sterben und Tod" ähnliche Schwierigkeiten wie in anderen Industrienationen bestehen. So wird auf die spezielle Pflegeproblematik und die mangelnde Vorbereitung des medizinischen Personals im Umgang mit Sterbenden hingewie- sen. Fragen nach dem „Daseinssinn" und nach dem Sinn von Tod und Sterben werden ebenso behandelt wie das Problem der „Sterbehilfe".

420 Heft 9 vom 26. Februar 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterben und Tod im Sozialismus

Sinn und Inhalt menschlichen Le- bens und Sterbens zu beantworten vermag, wird auch von den DDR- Wissenschaftlern gesehen. Ihnen stellt sich dabei das Problem, daß aus materialistischer Sicht „das Le- ben Produkt der Selbstorganisation der Materie ist und damit zunächst eine Gegebenheit ohne jeden positi- ven oder negativen Sinn..." In dieser Betrachtungsweise „ist das Dasein der Lebewesen einschließlich des Menschen Selbstzweck. Das heißt, der Sinn des Lebens wird nur im Leben selbst realisiert und das höchste Wesen für den Menschen ist der Mensch; aber nicht der ab- strakt vereinzelte Mensch, sondern der Mensch wie er als soziales We- sen nur durch das Dasein anderer und im Dasein und Wirken für ande- re existiert" (14).

Bei der Suche nach einer positiven Bestimmung des Daseinssinnes wird dabei keineswegs an dem an- sonsten so zentralen Kriterium der Arbeits- und Leistungsfähigkeit fest- gehalten (Engels: „Sie — Ergänzung:

die Arbeit — ist die erste Grundbedin- gung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinne sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.") (15). Mit der Po- sition des sozialistischen Humanis- mus, so heißt es vielmehr, sei es nicht vereinbar, fremdes Leben nach Nützlichkeitskriterien, ja als lebens- unwert zu betrachten (16). Insbeson- dere sei Leben nicht nach seinem

„Wert" unterscheidbar (17). Das Kri- terium „Sinn des Lebens" betreffe in erster Linie das Empfinden und das Bewußtsein des Individuums über sich selbst in seinem gesellschaftli- chen Dasein. Allein dieses subjekti- ve Kriterium, das unter Umständen nur auf Illusionen und Hoffnungen beruht, sei entscheidend. Die dar- aus folgende Achtung vor jedem menschlichen Leben (auch dem schwerst geschädigten) verbietet dann auch jede Form der aktiven Sterbehilfe (18).

Während sich die soeben skizzierte Haltung zur Frage des Daseinssin- nes an humanistischen Prinzipien orientiert, rekurriert die DDR-Litera-

tur bei der Erörterung der Frage nach dem Sinn von Tod und Sterben auf die schon aufgezeigte materiali- stische Grundposition. In diesem Punkt, so heißt es, „ergibt sich für die ausschließlich auf objektiv reale Gegebenheiten orientierte materiali- stische Weltanschauung kein Grund und Anlaß, dem Sterben für das Indi- viduum einen besonderen Sinn zu geben und die Sinnerfüllung des Le- bens besonders durch einen ,sinn- vollen Tod' verwirklicht zu sehen.

Wir" — so heißt es weiter — „verste- hen das Leben nicht vom Tode her und lehnen eine positive Sinnge- bung, mystische Schicksalsdeutung und Glorifizierung des Todes als ei- ne irrationale Fantasterei ab. Ster- ben ist in keiner Hinsicht Selbstver- wirklichung. Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, als das notwen- dig hinzunehmende Ende und muß vom jeweils konkret betroffenen In- dividuum und seinen Mitmenschen als solches bewältigt werden" (19).

Doch auch der materialistisch orien- tierte DDR-Bürger soll nicht ohne je- de Hilfestellung dem Tode entge- gensehen. Denn für ihn wird postu- liert: „Halt für das Sterben zieht der Materialist aus starker Lebensbeja- hung in humanistisch-schöpferi- scher Selbstverwirklichung im Da- sein mit anderen und für andere, und aus der schließlichen Bereit- schaft, ganz in dem aufzugehen, was er für andere ist und war, und nichts mehr für sich selbst zu wol- len" (20). In diesem Sinne kann der Sterbende nach materialistischer Auffassung auch davon ausgehen, daß er (das heißt seine Leistungen, seine Gedanken, seine Zuneigun- gen, sein Blick, aber auch seine Kla- gen) in den Lebenden fortlebt und deren Leben bestimmt (21).

Medizinisch-psychologische Probleme des Sterbens

Auch in der DDR beklagt man die mangelnde Vorbereitung des medi- zinischen Personals (22) auf die Pro- bleme des Umgangs mit Sterbenden (bei einer zunehmenden Verlage- rung des Sterbeprozesses in Kran- kenhäuser und Pflegeheime!). Zu-

gleich hält man es jedoch selbst in neuester Zeit noch immer für zu früh, „um auf der Grundlage der vor- liegenden wissenschaftlichen Er- kenntnisse und praktischen Erfah- rungen die Forderung nach einem lehr- und lernbaren medizinisch- psychologischen Maßnahmesystem für diese Grenzsituation menschli- cher Existenz zu realisieren" (23).

Einen der Gründe für diese Zurück- haltung dürften die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Situation Sterbender in der DDR aufzeigen. Dort heißt es: „So erscheint gerade unter häuslichen Bedingungen jedes Sterbegesche- hen als ein ganz individueller Vor- gang. Damit stehen wir vor der Fra- ge, ob diese Individualität überhaupt gestattet, durch quantitative Analy- sen Hinweise für Verbesserungen der Betreuung der letzten Lebens- phase unserer Patienten gewinnen zu können" (24).

Im weiteren wird von den DDR-Auto- ren die Frage aufgeworfen, ob sich denn die psychosozialen Bedürfnis- se in der terminalen Phase von den Bedürfnissen und Erwartungen des Kranken in früheren Abschnitten überhaupt unterscheiden. Dies ver- neint man dann zumindest für die Bedürfnisse des Patienten nach Ge- nesung, Behandlung, Pflege, Infor- mation, Schmerzvermeidung, Si- cherheit, Verständnis, Achtung und Zuwendung (25). Als entscheidend wird vielmehr der qualitative Sprung in der Behandlungskonzeption an- gesehen, der durch die Kenntnis der infausten Prognose und damit das Wissen um die Unmöglichkeit einer Genesung herbeigeführt wird.

Dieses Wissen muß nicht notwendi- gerweise auch beim Patienten vor- handen sein, da die Aufklärung des Todkranken in der DDR im allgemei- nen differenziert gehandhabt wird.

Dabei lehnt man aus wissenschaftli- chen und sittlichen Gründen nur das Aussprechen zeitlicher Prognosen des bevorstehenden Todes ent- schieden ab (26). Ansonsten wird je- doch angestrebt, daß der infaust Kranke und Sterbende über den Ernst der Lage und die bescheide- DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 9 vom 26. Februar 1981 421

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Sterben und Tod im Sozialismus

nen Möglichkeiten weiterer Thera- pie offen informiert wird (27).

Im übrigen gilt der in der medizini- schen Literatur entwickelte Grund- satz, „daß im Verhalten zu infaust Kranken und Sterbenden das Be- dürfnis nach Information auf eine solche Weise befriedigt werden soll- te, daß daraus keine neuerlichen Be- lastungen und Krisensituationen für den Patienten erwachsen" (28). Von anderen DDR-Autoren wird dieses Prinzip noch weiter konkretisiert.

Sie erklären: „Die Wahrheit am Ster- bebett sagen, das heißt die konkrete Situation und Persönlichkeit des Pa- tienten zu berücksichtigen. Es muß eine helfende, hoffnungsgebende und dem Patienten beistehende Wahrheit sein. Man sollte dem Kran- ken eine Deutung seines Zustands- bildes geben, die ihm eine Verarbei- tung dieser besonderen Situation, der zunehmenden Symptomatik und möglicher Veränderungen therapeu- tischer Maßnahmen ermöglicht. Es

ist stets zu bedenken, daß trotz mög- licher verbaler Äußerungen der Tod niemals in seiner Tatsächlichkeit ge- dacht wird, das heißt als das endgül- tige Ende des Seins. Die Hoffnung zu leben ist ein Grundbestandteil des Lebens" (29).

Für die Ärzte stellt sich jedoch be- reits vor dem Beginn der Aufklärung zunehmend häufiger die Schwierig- keit, daß es in Anbetracht der Fort- schritte in der modernen Medizin immer komplizierter wird, die Pro- gnose „infaust Kranker" zu stellen (30). Alle diejenigen Fälle, in denen Menschen akut und ohne eine ent- sprechende Voraussage verstarben, werden daher auch regelmäßig aus der Erörterung der Sterbeproblema- tik ausgeklammert.

Weiterhin stellt sich auch für die DDR-Ärzte auf dem Hintergrund der heutigen medizinischen Möglichkei- ten das Problem, nicht nur den Be- ginn des Sterbens, sondern auch dessen Ende genau zu bestimmen, bzw. nach den Minimalkriterien menschlichen Lebens zu fragen.

Hier geht man auch in der DDR von der Hirntodfeststellung als entschei- dendem Kriterium aus. Im einzelnen

heißt es dazu aus weltanschaulicher Sicht: „Das Bewußtsein, die Be- wußtseinsfähigkeit ist das entschei- dende Kriterium menschlichen Le- bens. Nicht soziale Aktivität und ge- sellschaftliche Werte schaffendes Handeln sind damit gefordert, son- dern hinreichend ist passive Kom- munikation, menschliches Empf in- dehgsvermögen" (31).

Für das Selbstverständnis des Arz- tes erwächst auch in der DDR schließlich aus der Stellung der in- fausten Prognose noch das Pro- blem, daß er sich nicht mehr mit dem Bild des heilenden und erfolg- reichen Therapeuten identifizieren kann und damit ein wichtiger Aspekt seiner Berufsrolle in Frage gestellt wird. Soweit der Arzt in ein behan- delndes Team eingefügt ist, wird da- her in der DDR häufig die folgende Beobachtung gemacht: „Beim Fi- nalkranken läuft mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein eigenartiger Auf- lösungsprozeß dieses klinischen Teams ab. Ein Teammitglied nach dem anderen scheidet aus, schwei- gend, sachlich und für alle selbstver- ständlich. Es eliminieren sich der Konsiliarius, die paraklinischen Dia- gnostiker und zuletzt — nicht selten — auch der behandelnde Arzt. Zurück bleibt die Krankenschwester" (32).

Diese ist jedoch regelmäßig überfor- dert, auch wenn ihre Tätigkeit im Sozialismus der DDR bewußt als ei- genständige Leistung und nicht nur als vom Arzt delegierte Funktion ge- wertet wird (33).

Für den Sterbenden selbst stellt sich in dieser Situation das Problem, daß er—oft ohne jede Orientierungshilfe

— in der „größten emotionalen Krise seines Lebens" sich selbst überlas- sen und oft von einer „Verschwö- rung des Schweigens" umgeben ist (34), die nur gelegentlich von den Kanälen eines nonverbalen Informa- tionssystems durchbrochen wird.

Auch in der DDR-Literatur besinnt man sich daher auf das griechische Wort, daß es nicht das größte Übel sei zu sterben, sondern dabei allein zu sein. Nur auf diese Situation der totalen Einsamkeit wird es dann auch zurückgeführt, wenn sich auf dem Sterbebett ein Atheist und Ma-

terialist noch „bekehrt". Ein solcher Schritt_ entspringe in erster Linie menschlichem Verlassensein und daher einer nicht verwunderlichen elementaren Daseinsangst (35).

Die Situation Sterbender im speziellen

Zur Frage des am besten geeigneten Sterbeortes finden sich in der DDR- Literatur leicht divergierende An- sichten. So stellt man etwa aus me- dizinisch-technischer Sicht die Fra- ge, ob es heute überhaupt noch ver- tretbar ist, Sterbenskranke zu Hause zu versorgen (36). Auch beklagen einige Stimmen, daß zwar für jedes Neugeborene ein Krankenhausbett bereitstehe, jeder zweite Sterbende aber noch vom Hausarzt in der Woh- nung betreut werden müsse (37). Im allgemeinen dürfte jedoch auch heute noch in der DDR das häuslich- familiäre Milieu als der geeignetste Ort für das Sterben angesehen wer- den. Dort wird — wie erwähnt — in ländlichen Gebieten zur Zeit noch jeder zweite Sterbende betreut (38).

Nach den Erfahrungen der DDR-Ärz- te wird dabei die Sterbesituation der Patienten in der eigenen Wohnung im allgemeinen „gut durchgestan- den". Probleme ergaben sich vor al- lem aus psychologischer Sicht und hier vor allem bei Alleinstehenden, den über 70jährigen und bei Patien- ten, die an Geschwülsten bzw. Zere- bralinsulten erkrankt waren.

Das Festhalten an der häuslichen Betreuung wird zum einen damit be- gründet, daß die vorhandenen Be- treuungsmöglichkeiten im klini- schen und im ambulanten Bereich des DDR-Gesundheitswesens noch nicht ausreichen (insbesondere die psychologische Fürsorge) (39). Zum anderen sieht man gerade in der Be- treuung durch Angehörige günstige Voraussetzungen für die Befriedi- gung der sozialen Bedürfnisse des Sterbenden. Wo erforderlich, sollen daher immer die Einstellung der An- gehörigen und die gesellschaftliche Anerkennung ihrer betreuerischen Leistungen durch den Arzt gezielt gefördert werden.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sterben und Tod im Sozialismus

Eine Einweisung des Todkranken in die Klinik (die diesem häufig die Schwere seines Zustandes erst rich- tig bewußt macht!) ist vor allem in folgenden Fällen vorgesehen: wenn sich die Kranken in einem Zustand sozialer Isolierung befinden, wenn Angehörigen die Betreuung auf- grund des Zustands des Patienten nicht zugemutet werden kann oder wenn die notwendige Leidensmilde- rung einen durch das ambulante Ge- sundheitswesen nicht mehr zu tra- genden medizinischen Aufwand er- fordert (40). Dabei dürften die häu- figsten Schwierigkeiten in der Be- rufstätigkeit beider Ehepartner und in dem Umstand bestehen, daß älte- re Bürger oft allein und getrennt von ihren Kindern wohnen (41).

Obwohl durch die genannten sozio- logischen Veränderungen das Kon- zept der häuslichen Betreuung er- schwert wird, wurden nach den Er- gebnissen einer Untersuchung länd- licher Gebiete (252 zugrunde liegen- de Fälle) immerhin noch 93 Prozent der Patienten unter Mitwirkung von Angehörigen gepflegt (im übrigen z. B. durch Gemeindeschwestern, Hauskranken- und Hauswirtschafts- pflegerinnen). Die ökonomische Si- tuation der Angehörigen wurde bei 89,3 Prozent der Betroffenen als

„gut" und nur in 4,8 Prozent als

„schwierig" beurteilt. 10 Prozent der Patienten konnten jedoch aus objek- tiven Gründen (z. B. räumliche Ent- fernung) keinen Vorteil aus der so- zial günstigen Lage ihrer Angehöri- gen ziehen. Die Beobachtung, daß wegen möglicher materieller Einbu- ßen die Pflege durch Angehörige un- terblieb, konnte in keinem der unter- suchten Fälle gemacht werden. Zum soziologischen Hintergrund und zur Verarbeitung der Sterbesituation lie- ferte die Untersuchung schließlich noch folgende Daten: 40 Prozent der Verstorbenen waren nicht verheira- tet. 70 Prozent hatten am Ort woh- nende Kinder, und rund 15 Prozent lebten in Familien, in denen noch drei Generationen unter einem Dach vereint waren. Rund 68 Prozent der Sterbenden verhielten sich freund- lich gegenüber den Pflegepersonen und 15 Prozent (Sterbende mit le- bendem Partner) bzw. 12,5 Prozent

(Sterbende ohne Partner) verhielten sich gleichgültig. Das psychische Engagement der Pflegepersonen bei Sterbenden, deren Partner lebte, wurde in 78 Prozent der Fälle als

„liebevoll" eingestuft, während dies bei Sterbenden ohne Partner nur bei 64,5 Prozent erfolgte (42).

Das Problem der Sterbehilfe Auch in der DDR wird einmütig jede Form der aktiven Sterbehilfe abge- lehnt („Eine ‚großzügige' Indikation des ‚Sterbenlassens' ist mit dem Hu- manismus der sozialistischen Ge- sellschaftsordnung nicht vereinbar"

(43). Als Begründungen finden sich unter anderem folgende Argumente:

1. Die anderenfalls erfolgende Er- schütterung des Vertrauensverhält- nisses der Bevölkerung zur Medizin;

2. die Ergebnisse verschiedener Un- tersuchungen: Diese zeigen, daß entsprechende Wünsche eines Ster- benden nur unter Ausnahmebedin- gungen und als vorübergehende Phase in einem komplizierten psy- chologischen Prozeß der Einstel- lung eines Menschen auf die Not- wendigkeit des Sterbens auftreten.

Sie können deshalb auch nicht für ärztliches Handeln maßgeblich wer- den. Sie sollen vielmehr nur ein wichtiger Anlaß sein, die erforderli- che psychologische Hilfe bei der Be- wältigung der komplizierten Situa- tion zu erweisen (44).

Nur gelegentlich finden sich in der Literatur auch Richtlinien für die Ge- staltung des Sterbevorgangs, wobei es sich jedoch immer nur um Hilfen im Sterben und niemals um Hilfen zum Sterben handeln soll (45). So heißt es beispielsweise: „Es kann unange- messen sein, bei einem Patienten im Endstadium einer todbringenden Er- krankung, nachdem beispielsweise durch Stoffwechselveränderungen eine zunehmende Bewußtseinstrü- bung eingetreten ist und das Sterben unmittelbar bevorsteht, die Mittel und Möglichkeiten einzusetzen, diese Be- wußtseinstrübung wiederabzubauen und den Sterbenden wiederholt dem Bewußtsein seines Zustandes auszu- setzen" (46).

Wie problematisch der Übergang vom sinnvollen Einsatz für die Le- benserhaltung zum Bemühen um die Linderung des Sterbens letztlich ist, wird auch in der DDR immer wieder hervorgehoben. Dabei würdigt man besonders kritisch die Möglichkeiten und Folgen der modernen Intensiv- therapie („Aufrechterhaltung von De- fektzuständen", „Therapieren über den Tod hinaus") (47).

Eine Entscheidungshilfe für den Arzt in Form eines „Patiententestamen- tes" — wie es bei uns diskutiert und teilweise in Umlauf gebracht wird — scheint man in der DDR jedoch abzu- lehnen (Argument: „Wer sich nicht in der Situation der Todesgefahr befin- det, kann sich dazu rechtsverbindlich nicht äußern. Hier gibt es keine dem Testament ähnliche Erklärungsmög- lichkeit.") (48)

Konkret mit Tod und Sterben kon- frontiert ist somit auch der DDR-Arzt letztlich immer auf sich selbst, seine Erfahrungen, und sein Gewissen an- gewiesen. Da einige international entwickelte Standards (wie etwa die

„Richtlinie für Sterbehilfe" der Schweizerischen Akademie der Me- dizinischen Wissenschaften) als

„weitgehend gesellschaftsord- nungsindifferent" angesehen wer- den (49), kann ihm zumindest von dorther noch eine gewisse Hilfestel- lung erwachsen.

Ausblick

Sieht man von den bewußt eingenom- menen weltanschaulichen Positio- nen ab, so stellen sich im Gesund- heitswesen der DDR bei der Bewälti- gung der Probleme von Sterben und Tod die gleichen Schwierigkeiten wie in anderen modernen Industrienatio- nen. Auch auf diesem Gebiet scheint daher ein grenzüberschreitender Er- fahrungsaustausch in der Zukunft wünschenswert.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. jur. Herbert Mück Schlagbaumsweg 1 5000 Köln 80

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