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Archiv "Tod auf der Flucht" (06.02.1975)

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Die „General Steuben" vor ihrer letzten Fahrt Ende Januar 1945 am Preußen-Kai Swinemünde. Die letzten 4000 Verwundeten nach geglückter Rückführung aus Pillau sind in die Lazarettzüge verladen (links)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FEUILLETON

Vor gerade 30 Jahren, in der Nacht zum 10. Februar 1945, schlugen die eiskalten Fluten der winterlichen Ostsee über 5000 Müttern, Kindern, Verwundeten und Greisen zusam-

men, die sich vor dem Inferno des unbeschreiblich chaotischen Un- terganges Ostpreußens schon ge- rettet glaubten. Sie waren auf dem 17 500 BRT großen Verwundeten- transporter, dem ehemaligen Luxus- dampfer des Norddeutschen Lloyd,

„General Steuben". Ihre Todes- fahrt begann im Hafen des ostpreu- ßischen Brückenkopfes Pillau und endete querab vor dem pommer- schen Stolpmünde vor den Torpe- dorohren eines russischen U-Boo- tes. Sicherlich war dies eine der größten Katastrophen, die sich je unter der „unsichtbaren Flagge"

der Humanitas abgespielt haben.

Die „General Steuben" war ein rei- nes Lazarettschiff, hatte nie einen kampffähigen Soldaten an Bord ge-

habt und führte doch keine Rot- kreuzflagge. In diesem mörderi- schen Kriegsende war die Frage nach Leben oder Sterben genauso sinnlos geworden wie die nach der Schutzfunktion des Emblems Henri Dunants.

Wir von der Schiffsbesatzung wuß- ten alle von der hoffnungslos ge- ringen Chance, diese Rettungsak- tion aus Ostpreußen ohne ausrei- chenden U-Boot-Schutz auf der Tiefwasserroute in der Ostsee zu Ende bringen zu können: Der si- cherere Küstenweg war uns ver- sperrt, weil sich dort Eis gebildet hatte; deshalb konnte das Bug- schutz-Räumgerät nicht ausgefah- ren werden, das die dort treiben- den Minen beiseite geschoben hät- te.

Lloyd-Kapitän Hohmann, der die

„General Steuben" durch die

glücklicheren Zeiten friedlicher Kreuzfahrten in aller Welt geführt hatte, und der Chefarzt, Marine- Oberstabsarzt Dr. Lübben — bei der Verladeaktion in Pillau las man schon aus ihren Gesichtern das Grauen vor der ihnen auferlegten Verantwortung und das Wissen um das bevorstehende Schicksal. Die See behielt sie beide.

Als das Schiff am 9. Februar 1945 um 15.30 Uhr das durch Bombar- dierungen, Artilleriebeschuß und die Explosion eines Munitionsde- pots schon sehr zerstörte Pillau verließ, hatte es 1467 Schwerver- wundete und 1213 gehfähige Ver- wundete an Bord, dazu eine gro- ße Anzahl von Flüchtlingen, viele Hochschwangere und Mütter mit kleinen Kindern. Sie waren auf den verglasten Seitendecks unterge- bracht. Diese Angaben kann ich noch heute einem durch Seewas- ser vergilbten Zettel entnehmen, auf dem ich dies damals als Verla- deoffizier notierte.

Die Verwundeten waren in erbar- mungswürdigem Zustand. Erfrie- rungen waren nach wochenlangen Irrfahrten in offenen Güterwagen bei grimmiger Winterkälte die Re- gel. Mit erbärmlichen Papierver- bänden waren sie nur notdürftig versorgt, völlig verlaust, selbst Gasbrand und vereinzelt Tetanus waren zu sehen. In der wohligen Geborgenheit einer luxuriösen Schiffskoje untergebracht, mit ei- ner guten zivilen Bordverpflegung endlich gesättigt, ärztlich und pfle- gerisch so gut versorgt, wie es bei dem Massenansturm möglich war, und in dem Glücksgefühl, der Ver- nichtung entronnen zu sein, in der Vorfreude, nun in Sicherheit oder sogar nach Hause zu kommen, leuchtete freudige Dankbarkeit aus den Augen dieser Verwundeten.

Sie wähnten sich gerettet.

Ich hatte das unterhalb der Was- serlinie gelegene C-Deck mit zwei Verbandsstationen und etwa 800 gehfähigen Verwundeten ärztlich zu betreuen. Gegen Mitternacht rief man mich zu einer Entbindung in das ehemalige Schiffshospital,

Tod auf der Flucht

Vor dreißig Jahren:

Der Untergang des Lazarettschiffs „General Steuben", von einem überlebenden Schiffsarzt in Erinnerung gerufen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 6 vom 6. Februar 1975 377

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Tod auf der Flucht

das hoch oben auf dem Bootsdeck gelegen war. Es handelte sich um eine glatte Entbindung bei einer Multipara; ihre drei Kinder stan- den, trotz aller Müdigkeit, mit ängstlich großen Augen vor der Tür. Gerade als ich dem zur Heb- amme umimprovisierten Sanitäts- maat das Ahlfeldsche Zeichen der Loslösung der Plazenta erklärte, erhielt die „General Steuben" zwei Torpedovolltreffer unterhalb der Brücke. Es war 0.50 Uhr am 10. Fe- bruar.

Das Vorschiff, in dem die zivi- le Schiffsbesatzung untergebracht war, schnitt schnell unter Wasser.

Daher fehlten die sachkundigen Helfer, die die Rettungsboote her- abfieren konnten, und die vereisten Stahltrossen konnten ohnehin nicht mit dem Beil gekappt werden. An Steuerbord waren die Boote durch die starke Schräglage in den Da- vits festgeklemmt und nicht brauchbar.

Alles spielte sich in wenigen Minu- ten ab. Die im Schiffsinneren Ein- geschlossenen konnten sich gar nicht mehr auf das immer schräger liegende Oberdeck retten. Man hörte von unten vereinzelt Schüsse

— war es der Lebenskampf um die verstopften Aufgänge im Wettlauf mit dem hereinstürzenden Wasser, oder war es die ein erlösendes Ende bringende Kugel in die eige- ne Schläfe? Die schreckensstarr auf dem Oberdeck Stehenden fegte bei einer Schräglage von 45 Grad mit ohrenbetäubendem Klirren die lose auf Deck gestapelte kostbare Ausrüstung eines Feldlazarettes über die Backbordreeling in die ei- sige Wasserfinsternis.

Als ich — so in die See geschleu- dert — inmitten von Kinderwagen auftauchte, reckte sich über mir hoch hinaus das Heck der „Gene- ral Steuben", von dem noch Men- schen schreiend in die sich lang- sam drehenden Schiffsschrauben stürzten.

Jetzt ein abrupter Szenenwechsel für jene wenigen, die das Dan- tesche Inferno dieses Unterganges

überlebten: Nun schwammen wir in einer völlig ruhigen, unbewegten See, von milchigem, freundlichen Mondlicht schemenhaft angeleuch- tet, und anstatt der riesigen schwimmenden Lazarettstadt sa- hen wir nur noch die grenzenlose, weite, leere See — und für die we- nigen Überlebenden drohte nun der Kältetod. In der gespenstischen Stille hier und da ein im Wasser gurgelnd erstickender Fluch über Hitler oder die Sinnlosigkeit des Krieges — aber gar kein Vaterun- ser — Gott mußte sich abgewandt haben.

Nur 230 von 5000 überlebten.

Dr. Hermann Kircher 4354 Datteln

Körtingstraße 25

Kunstmarkt Viel Geld

für seltene Stücke

Bei der 10. Buch- und Autographen- auktion der Firma Hartung und Karl, München, zeigten die öffentli- chen Institute starkes Interesse für alte Handschriften. Die Zurückhal- tung der Händler fiel auf, beson- ders bei der „Mittelware", was seit längerer Zeit auf allen großen Auk- tionen zu beobachten ist. Seltene und teure Stücke, die noch weiter an Wert wachsen dürften, waren in vielen Fällen wesentlich intensiver gefragt.

So kam ein Memminger Benedic- tionale von 1484 für 6000 DM (2000 geschätzt) an die Memminger Stadtbibliothek, eine aus Lothrin- gen stammende Gebetsrolle mit 42 schönen Miniaturen (Pergament) für 8000 DM (6000) an die Bayeri- sche Staatsbibliothek, eine um 1470 von dem Arzt Foresi verfaßte Sammelhandschrift mit astronomi- schen Texten des Mittelalters für 4000 DM (3000) an die Westberliner Staatsbibliothek (Handschriftenab- teilung).

Hohe Gebote gab es wieder bei den naturwissenschaftlichen Wer- ken, deren wichtigste Stücke an namhafte Händler gingen. Auf run- de 160 000 DM (mit Aufgeld und Steuer) kam auf diese Weise ein Exemplar der 1543 in Nürnberg ge- druckten Erstausgabe von Koper- nikus' „De revolutionibus orbium coelestium". Ein sehr stolzer Preis, und dennoch erheblich unter dem gelegen, der im Sommer in London dafür gezahlt wurde: 270 000 DM (allerdings mit Errata-Blatt). Auf die gleiche Summe kam die mit 80 000 angesetzte erste Sammlung des kirchlichen Rechts, von Gratia- nus um 1100 verfaßt, und 1472 bei Schöffer in Mainz herausgebracht, mit einem Anhang zur Erfindung der Buchdruckerkunst.

Sebastian Francks Weltbuchausga- be von 1567 kletterte auf 8000 DM (7000), die dritte Ausgabe des

„Kleinen Schedel" (um 1500), ebenfalls auf 8000 DM (6000), drei Homannbände auf Preise zwischen 3400 und 4800 DM, eine um 1740 datierte zweibändige Ausgabe von Homannkarten aus dem Nachtrag auf 21 000 DM (20 000), während beispielsweise die „Legenda sanc- torum" des Jakobus de Voragine, auf 28 000 DM taxiert, nicht das un- tere Limit von 25 000 erreichte.

Sehr begehrt waren bei Hartung und Karl wiederum die Autogra- phen, um die sich ein jeweils be- grenzter, dafür sich jedoch sehr stark engagierender Sammlerkreis schart: 15 000 DM (12 000) brachte ein Konvolut von 71 hand- und 15 maschinengeschriebenen Briefen sowie einer Visitenkarte und 19 Postkarten Klaus Manns an Erich Ebermayer, 10 000 DM (12 000) ein Konvolut von 90 Briefen und 34 Postkarten Stefan Zweigs, eben- falls an Ebermayer gerichtet; ein von 1789 stammender Brief Schil- lers an Gottfried Körner mit der dazugehörigen Antwort brachte 14 000 DM (10 000). Erwähnenswert die 9000 und 15 000 DM (4000 und 8000), welche einem Privatsammler Hölderlins Gedichte (1825) und die Erstausgabe des „Hyperion" wert waren. Britta Steiner-Rinneberg

380 Heft 6 vom 6. Februar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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