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Strukturelle Voraussetzungen für die Aktivierung von Glycin-Rezeptoren durch Phenolderivate

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Academic year: 2022

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Aus dem Zentrum Anästhesiologie der Medizinischen Hochschule Hannover Leiter: Prof. Dr. Siegfried Piepenbrock

Strukturelle Voraussetzungen für die Aktivierung von Glycin-Rezeptoren durch Phenolderivate

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover

vorgelegt von Jörg Ahrens aus Hildesheim

Hannover 2005

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Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 14.12.2005

Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover

Präsident: Professor Dr. Bitter-Suermann

Betreuerin der Arbeit: PD Dr. Gertrud Haeseler Referent: Prof. Dr. Ralf Lichtinghagen

Korreferent: Prof. Dr. Marta Szamel

Tag der mündlichen Prüfung:

14.12.2005

Promotionsausschussmitglieder:

Prof. Dr. Ulrich Lips Prof. Dr. Georg-M. Eisenbach

Prof. Dr. Winfried Beil

(3)

In

Dankbarkeit meinem Vater

gewidmet

(4)

Inhaltsverzeichnis

Seite

1. Einleitung 6

1.1 Die Geschichte der Anästhetika 6

1.2 Ionenkanäle 7

1.3 Ligandengesteuerte Ionenkanäle 8

1.4 Der Glycin-Rezeptor 11

1.5 1.6

Propofol und seine Strukturanaloga Zielsetzung der Arbeit

12 16

2. Material und Methoden 17

2.1 Material 17

2.1.1 Zelllinien und Medien 17

2.1.1.1 Eukaryontische HEK 293 Zelllinie 17

2.1.1.2 Zellkultur-Reagenzien für HEK 293 Zellen 17

2.1.2 Plasmide 17

2.1.3 Chemikalien 18

2.1.4 Arzneistoffe und Testsubstanzen 18

2.1.5 Sonstige Materialien 19

2.1.6 Geräte 19

2.2 Methoden 20

2.2.1 Kultivierung von HEK 293 Zellen 20

2.2.2 Transfektion 20

2.2.3 Herstellung der Bad- und Kapillarenlösung 21

2.2.4 Testlösungen und Versuchsabläufe 21

2.2.5 Elektrophysiologische Methoden 23

2.2.5.1 Die Patch-Clamp-Technik 24

2.2.5.2 Der Patch-Clamp-Messstand 24

2.2.5.3 Die Patch-Clamp-Kapillaren 26

2.2.5.4 Datenerfassung und Auswertung 26

2.2.6 Statistische Analyse 27

(5)

3. Ergebnisse 28

3.1 Glycin-Ströme 28

3.2 Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol 29

3.2.1 Coaktivierung des Rezeptors 29

3.2.2 Direkte Rezeptoraktivierung 32

3.2.3 Hemmende Effekte durch Propofol 34

3.3 Methylierte und halogenierte Phenolderivate 35

3.3.1 Coaktivierung des Rezeptors 35

3.3.2 Direkte Rezeptoraktivierung 40

3.3.3 Hemmende Effekte durch halogenierte Phenolderivate 42

3.4 Lösungsmittel Ethanol 43

4. Diskussion 44

4.1 Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol 44

4.2 Methylierte und halogenierte Phenolderivate 48

5. Zusammenfassung 52

6. Literaturverzeichnis 54

7. Abkürzungsverzeichnis 61

8. Danksagung 63

Anhang 64

(6)

1. Einleitung

1.1 Die Geschichte der Anästhetika

Als Geburtsstunde der modernen Anästhesie könnte man den 16. Oktober 1846 bezeichnen.

An diesem Tag demonstrierte der Zahnarzt William T. G. Morton in Boston bei einer Operation die anästhesierenden Eigenschaften des Äthers. Ein Jahr später schlug der Anatom Oliver Wendell Holmes für die durch Mortons Ätherisierung erreichte Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen die Bezeichnung Anästhesie vor. Diese neue Art, Schmerzen zu vermeiden, fand eine schnelle Verbreitung in fast allen Teilen der Welt. Die Anästhesie machte Operationen möglich, die vorher als undurchführbar angesehen wurden.

Komplikationen und unerwünschte Wirkungen führten jedoch, parallel zur Weiterentwicklung der Allgemeinanästhesie, zur verstärkten Forschung auf dem Gebiet der lokalen Schmerzbekämpfung. So konnten 1884, nach der Isolierung des Kokains aus der Kokapflanze, dessen lokalanästhetische Effekte an der Hornhaut des Auges demonstriert werden.

Um 1920 waren die drei volatilen Anästhetika Äther, Chloroform und Lachgas die am häufigsten benutzten inhalativen Narkosemittel. Die anästhesierende Wirkung des Chloro- forms wurde 1847 von Fluorens beschrieben und noch im selben Jahr von Simpson am Patienten angewendet. Die analgetische Wirkung des Lachgases entdeckte Davy schon 1800.

Mit den Barbituraten wurden in den frühen dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die ersten intravenösen Narkosemittel in der klinischen Praxis eingesetzt. Domino und Corssen führten 1965 die Ketamin-Narkose ein, die sich durch eine gute analgetische Wirkung des Ketamins auszeichnet (Corssen et al., 1968). Das 2,6-Di-iso-propylphenol (Propofol) wurde von James und Glen 1980 als ein in Tierversuchen sehr potentes intravenöses Anästhetikum beschrieben (James und Glen, 1980). Heute ist Propofol das Standardmedikament zur Einleitung einer Narkose und zur Durchführung einer Totalen Intravenösen Anästhesie (TIVA). Ebenso findet es zur Sedierung von Patienten auf Intensivstationen weit verbreitete Anwendung.

Die Entwicklung von immer weiteren Anästhetika trieb auch die Suche nach ihren Zielstrukturen im menschlichen Zentralen Nervensystem (ZNS) voran. So entdeckten Aprison und Werman 1965, dass die Aminosäure Glycin in der Lage ist, inhibitorische Effekte im

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ZNS auszulösen (Werman et al., 1967; Werman et al., 1968). Pfeiffer und Betz isolierten 1981 zum ersten Mal den Glycin-Rezeptor aus dem Rückenmark einer erwachsenen Ratte (Pfeiffer und Betz, 1981). Bis heute ist noch nicht abschließend geklärt, über welche Rezeptoren im ZNS Propofol eine Anästhesie auslöst.

Als Grundlage für diese Zusammenfassung diente das Buch „Die Chronik der Medizin“ von Prof. Heinz Schott erschienen 2000 im Chronik-Verlag.

1.2 Ionenkanäle

Zum Transport von Stoffen, die nicht durch die Zellmembran diffundieren können, besitzt eine Zelle Poren und Kanäle, die durch in die Zellmembran eingelagerte Proteine gebildet werden. Im Gegensatz zu den Poren sind Kanäle meist nur für ein bestimmtes Ion durchlässig, sie besitzen eine Ionenselektivität. Die wichtigsten Ionenkanäle des Menschen sind die für Natrium-, Kalium-, Calcium- und Chlorid-Ionen.

Durch Ladungen oder Bindungsstellen in der Wand der Kanäle wird die Permeation für manche Ionen erleichtert und für andere erschwert. Die treibende Kraft für das Fließen von Ionenströmen durch Kanäle ist einerseits ein Konzentrationsgradient zwischen Intra- und Extrazellularraum und andererseits eine Potenzialdifferenz zwischen Extra- und Intrazellularraum. Das Ausmaß des Ionenflusses hängt von der Zahl der offenen Kanäle, der Öffnungsdauer sowie der Permeabilität der Ionen, also der Leitfähigkeit eines Kanals ab. In der Regel gibt es drei verschiedene Zustände, in denen sich ein Ionenkanal befinden kann:

Entweder geschlossen und aktivierbar oder geöffnet oder geschlossen und nicht aktivierbar.

Konformationsänderungen erfolgen hochfrequent von dem geschlossenen, aktivierbaren in den geöffneten und danach in den geschlossenen, nicht aktivierbaren Zustand. Der ständige Fluss überwiegend von Kalium-Ionen durch die Zellmembran erzeugt das sogenannte Ruhemembranpotential, welches bei verschiedenen Zellen zwischen −40 mV und –120 mV liegt. Werden Ionenkanäle aktiviert, was durch eine Änderung des Membranpotentials oder durch Überträgerstoffe wie Aminosäuren (z. B. Glycin) geschehen kann, steigt die Wahr- scheinlichkeit für das Vorliegen des geöffneten Zustandes. Je nach Art des Ionenkanals wird die Membran durch die Leitfähigkeitserhöhung de- oder hyperpolarisiert.

In Nervenzellen werden Informationen mittels Aktionspotentialen weitergeleitet. Ein Aktionspotential entsteht durch den schnellen Einstrom von Natrium-Ionen in die Zelle,

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welcher eine Veränderung des negativen Ruhepotentials zu einem Membranpotential von ca.

+30 mV bewirkt. Die Natrium-Kanäle deaktivieren innerhalb 1 ms spontan. Diese Depolarisation der Membran ist an Nervenzellen kürzer als eine Millisekunde. Dem schnellen Einstrom von Natrium-Ionen folgt ein Ausströmen von Kalium-Ionen aus der Zelle, was eine Repolarisation der Membran bis auf das Ruhepotential bewirkt. Während der Zeit der Repolarisation sind die Natrium-Kanäle nicht aktivierbar, sie sind absolut refraktär. Dieser Mechanismus begrenzt bei einer durchschnittlichen Dauer des Aktionspotentials von 2 ms die Frequenz der weiterzuleitenden Potentiale. Außerdem ist so gewährleistet, dass ein Aktionspotential immer nur in eine Richtung über die Nervenzelle geleitet wird und somit keine unkontrollierten Erregungen auftreten.

1.3 Ligandengesteuerte Ionenkanäle

Ligandengesteuerte Ionenkanäle dienen in synaptischen Nervenendigungen der Weiterleitung von Impulsen und in motorischen Endplatten der Innervierung von Muskeln. Zur Familie der ligandengesteuerten Kanäle gehören die von allen wohl am besten untersuchten nikotinischen Acetylcholin-Rezeptoren, die GABAA-Rezeptoren, die Glycin-Rezeptoren und die Glutamat- Rezeptoren.

Durch die Vernetzung von Nervenzellen erhält eine Zelle über eine Vielzahl von Verbindungen, den Synapsen, ständig Informationen von anderen Zellen. Hierzu existieren sowohl erregende Synapsen, die an der nachgeschalteten Nervenzelle die Entstehung eines Aktionspotentials begünstigen, als auch hemmende Synapsen, die der Bildung eines Aktionspotentials entgegenwirken. Ein Aktionspotential kann die präsynaptische Membran depolarisieren und so einen Überträgerstoff in den synaptischen Spalt freisetzen. Bei direkt ligandengesteuerten Kanälen werden ein oder mehrere Moleküle des Überträgerstoffes an das Kanalprotein in der postsynaptischen Membran gebunden und ermöglichen so die Öffnung des Kanals. Erregende Synapsen depolarisieren die postsynaptische Membran durch Einstrom positiver Ionen. Wird ein Schwellenwert überschritten, entsteht ein Aktionspotential (Erregendes Postsynaptisches Potential (EPSP)) (Abbildung 1A). Hemmende Synapsen erzeugen ein Inhibitorisches Postsynaptisches Potential (IPSP) durch Öffnung von Chlorid- Kanälen (Abbildung 1B). Das Ruhepotential der nachgeschalteten Nervenzelle wird dadurch

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weiter in den negativen Bereich verschoben, was eine Depolarisation erschwert und so die Entstehung eines Aktionspotentials unwahrscheinlicher macht.

Abb. 1

Darstellung der Entstehung eines Erregenden Postsynaptischen Potentials (A), eines Inhibitorischen Postsynaptischen Potentials (B) und ihres Zusammenspiels am Zellkörper einer Nervenzelle (C).

Es gibt eine ganze Reihe kleinmolekularer Überträgerstoffe. Dabei handelt es sich um das Acetylcholin, sowie bestimmte Monoamine und Aminosäuren. Der wichtigste hemmende Überträgerstoff im Zentralen Nervensystem (ZNS) ist die Aminosäure γ-Aminobuttersäure (GABA). Daneben spielen Glycin als hemmender und Glutamat als der verbreitetste erregende Überträgerstoff im ZNS eine wichtige Rolle. Die ligandengesteuerten Ionenkanäle besitzen spezifische Bindungsstellen für einen Überträgerstoff und ermöglichen nur einem bestimmten Ion die Passage durch den Kanal. Der Glycin-Rezeptor zum Beispiel bindet die Aminosäure Glycin und erlaubt den Einstrom von negativ geladenen Clorid-Ionen in die Nervenzelle (Araki et al., 1961a; Araki et al., 1961b).

Jedoch existieren auch andere Stoffe, die an den Rezeptor des Überträgerstoffes binden können und die gleichen Effekte hervorrufen wie der eigentliche Überträgerstoff. Diese Stoffe werden als Agonisten am jeweiligen Ionenkanal bezeichnet. Sie können den Effekt einer geringen Konzentration des eigentlichen Überträgerstoffes verstärken, was als Coaktivierung bezeichnet wird. Außerdem können sie in Abwesenheit des Überträgerstoffes einen Ionenstrom am Rezeptor auslösen. Dieser Effekt nennt sich Direktaktivierung. Wiederum heißen Stoffe, die an den Rezeptor binden und eine Aktivierung des Kanals verhindern,

(10)

Antagonisten. Ein gut bekannter Antagonist des Acetylcholins ist das indianische Pfeilgift Curare, das an der motorischen Endplatte die Übertragung von Signalen des Nerven auf den Muskel verhindert. Alle bekannten direkt ligandengesteuerten Ionenkanäle binden mindestens zwei oder mehr Moleküle des Überträgerstoffes, bevor eine Konformationsänderung in Richtung eines geöffneten Kanals eintritt. Die Reaktionen, die zur Öffnung eines solchen Kanals führen, lassen sich anhand eines Schemas, das in Abbildung 2 dargestellt ist, verdeutlichen:

A A A │ │ │

R ⇆ AR ⇆ A

2

R ⇆ A

3

R ⇆ A

3

O

⇅ ⇅ D ⇆ AD ⇆ A

2

D ⇆ A

3

D │ │

A A

Abb. 2

Zyklisches Reaktionsschema für einen ligandengesteuerten Ionenkanal (modifiziert nach Schmidt/Thews

„Physiologie des Menschen“ Springer Verlag 27. Auflage 1997).

In der oberen Hälfte ist die Bindung des Agonisten (A) an den Rezeptor (R) dargestellt, wobei wie im Falle des α1β-Glycin-Rezeptors zugrunde gelegt wird, dass drei Moleküle des Agonisten notwendig sind, um eine Konformationsänderung hervorzurufen (Kuhse et al., 1993; Burzomato et al., 2003; Langosch et al., 1988). Nach Anlagerung von drei Molekülen des Überträgerstoffes (A) kann der Kanal hochfrequent zwischen dem offenen (A3O) und dem geschlossenen, aktivierbaren Zustand (A3R) wechseln. Je höher die Konzentration des Agonisten im synaptischen Spalt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Kanal im offenen Zustand (A3O) vorliegt. In einer ersten Phase sind bei einer hohen Agonistenkonzentration viele Kanäle gleichzeitig geöffnet, und es kommt zu einem messbaren Stromfluss. Anschließend tritt eine Desensitisierung ein. Hierbei sind immer weniger Kanäle im geöffneten Zustand und immer mehr gehen in den geschlossenen, nicht aktivierbaren Zustand (A3D) über. In diesem Zustand fließen keine Ionenströme mehr durch den Kanal. Dieser Schutzmechanismus verhindert zu lange andauernde Aktivierungen. Vom desensitisierten Kanal (A3D) diffundieren Agonistenmoleküle ab, und der Kanal erreicht wieder den geschlossenen aber aktivierbaren Zustand (R).

(11)

1.4 Der Glycin-Rezeptor

Der Glycin-Rezeptor besitzt eine pentamere Struktur aus drei α1- und zwei β-Untereinheiten, die den transmembranären Teil des Rezeptors bilden (Langosch et al., 1988; Grudzinska et al., 2005). Die α1-Untereinheit besitzt ein Molekulargewicht von 48 kDa und die β-Untereinheit ein Gewicht von 58 kDa. Zusätzlich existiert die rein zytoplasmatische Einheit Gephyrin mit einem Gewicht von 93 kDa (Pfeiffer und Betz, 1981; Pfeiffer et al., 1982). Sie ist verbunden mit dem zytoplasmatischen Anteil der β-Untereinheit und stellt über Tubulin die Verbindung zum Zytoskelett her (Langosch et al., 1991). Die α1-Untereinheiten besitzen die Bindungsstellen für Agonisten und Antagonisten (Vandenberg et al., 1992). Der Glycin- Rezeptor, bestehend aus drei α1- und zwei β-Untereinheiten, lässt sich mittels Transfektion in menschlichen embryonalen Nierenzellen (HEK 293 Zelllinie) exprimieren (Sontheimer et al., 1989). Ein Rezeptor mit ähnlichen funktionellen Eigenschaften wie der native lässt sich in vitro auch aus fünf α1-Untereinheiten herstellen (Sontheimer et al., 1989). Nur β- Untereinheiten alleine bilden keinen funktionierenden Glycin-Rezeptor (Grenningloh et al., 1990; Malosio et al., 1991), beeinflussen aber die Aktivierung des Rezeptors (Shan et al., 2003; Grudzinska et al., 2005).

Glycin-Rezeptoren treten in der grauen Substanz des Rückenmarks und im Verlängerten Mark auf. In geringerer Dichte sind sie auch im Mittelhirn, im Thalamus und Hypothalamus, sowie in der Retina zu finden. Im Großhirn und in der weißen Substanz des Rückenmarks existieren keine Glycin-Rezeptoren (Davidoff et al., 1967; Hokfelt und Ljungdahl, 1971; Werman et al., 1967; Werman et al., 1968; Young und Snyder, 1973; Zarbin et al., 1981; Wassle und Boycott, 1991; Wassle et al., 1998).

Wie der GABAA-Rezeptor reguliert der Glycin-Rezeptor einen Chlorid-Kanal (Araki et al., 1961b). Im Rückenmark ist Glycin der hemmende Überträgerstoff der Renshaw-Zellen (Aprison, 1990). Diese Nervenzellen sind für eine Hemmung der α-Motoneurone verantwortlich. α-Motoneurone übertragen Signale für willkürliche und unwillkürliche Kontraktionen an die Muskeln. Diese Hemmung funktioniert nach dem Prinzip der einfachen Rückkopplung. Die Motoneurone erregen hierbei die Renshaw-Zellen, welche wiederum über Glycin-Rezeptoren an den Motoneuronen IPSPs erzeugen und so eine überschießende Innervation der Muskeln verhindern (Araki et al., 1961b). Weiterhin sind auf Rückenmarksebene Glycin-Rezeptoren neben den GABAA-Rezeptoren wesentlich an der Hemmung von Nervenzellen beteiligt, die Schmerzen weiterleiten. Tiefere Hirnstrukturen, also auch das glycinerge inhibitorische System im Rückenmark, haben großen Anteil an der

(12)

Anästhetika-induzierten Schmerzausschaltung (Franks und Lieb, 1994; Harvey et al., 2004;

Rampil et al., 1993).

Außer für Chlorid-Ionen ist der Glycin-Kanal noch für weitere Ionen permeabel. Geordnet nach der Stärke der Permeabilitäten ergibt sich folgende Reihenfolge: Thiocyanat- > Iodid- >

Nitrat- > Bromid- > Chlorid- > Hydrogencarbonat- > Fluorid-Ionen (Bormann et al., 1987).

Aus Vergleichen zwischen der Größe eines Anions und seiner Fähigkeit, den Kanal zu passieren, lässt sich der mittlere Durchmesser des Kanalproteins des Glycin-Rezeptors auf 5,2 - 5,4 Å berechnen (Rundstrom et al., 1994).

Das pflanzliche Alkaloid Picrotoxin ist ein Antagonist am GABAA-Rezeptor (Nicoll und Wojtowicz, 1980; Olsen und Snowman, 1982; Qian et al., 2004) und blockiert zusätzlich Glycin-vermittelte Chlorid-Ströme an rekombinant exprimierten Glycin-Rezeptoren (Schmieden et al., 1989; Sontheimer et al., 1989). Hierbei blockiert es Glycin-Rezeptoren, die ausschließlich aus α-Untereinheiten zusammengesetzt sind, wesentlich potenter als Rezeptoren, die auch β-Untereinheiten enthalten (Handford et al., 1996; Pribilla et al., 1992).

Im menschlichen Organismus wirkt es in hohen Dosen als ein starkes Gift. Es führt zu gastroenteritischen Beschwerden, Bewusstlosigkeit und Krämpfen.

Eine Reihe von einfach aufgebauten Aminosäuren oder ihre Derivate besitzen eine agonistische Wirkung am Glycin-Rezeptor. Die größte Potenz besitzen Glycin selber und das β-Alanin. Weitere sind Taurin, α-Alanin, Serin und Prolin (Young und Snyder, 1973).

Ethanol vermittelt seine dämpfende Wirkung auf das ZNS unter anderem über die Aktivierung von inhibitorischen Rezeptoren (Crews et al., 1996). In hohen Konzentrationen (50-100 mM) verstärkt Ethanol durch Glycin hervorgerufene Ströme oder aktiviert Glycin- Rezeptoren (Celentano et al., 1988; Eggers und Berger, 2004; Mascia et al., 1996).

1.5 Propofol und seine Strukturanaloga

Die Phenolderivate bilden eine ganze Gruppe von Verbindungen, die potenziell neuromodulatorische Eigenschaften besitzen (James und Glen, 1980; Krasowski et al., 2001).

Die einzige Substanz aus dieser Gruppe, die zur Zeit als Anästhetikum in klinischem Gebrauch ist, ist das Propofol. Propofol (2,6-Di-iso-propylphenol / Disoprivan®) ist ein relativ neues, kurz wirksames Injektionsnarkotikum (James und Glen, 1980). Es besitzt keine chemische Verwandtschaft mit anderen intravenös wirkenden Anästhetika wie den

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Barbituraten oder dem Etomidate (Langley und Heel, 1988; Sebel und Lowdon, 1989). Nach intravenöser Applikation bewirkt es rasch einen Bewusstseinsverlust, der bei einer Dosierung von 2 mg/kg Körpergewicht (KG) für etwa 5–8 Minuten anhält. Wie die meisten anderen Injektionsnarkotika besitzt es keine analgetische Wirkung. Propofol eignet sich sowohl zur Einleitung als auch zur Aufrechterhaltung einer Narkose (Gunawardene und White, 1988;

Langley und Heel, 1988; Green und Jonsson, 1993). Ein großer Vorteil ist seine Eigenschaft, auch bei der Applikation über einen längeren Zeitraum, kaum im Körper zu akkumulieren. Da die Substanz sehr schlecht wasserlöslich ist, besteht das Handelspräparat aus einer Öl-in- Wasser-Emulsion (O/W Emulsion). Als Hilfsstoffe sind unter anderem Sojaöl und Glycerin enthalten.

Allgemein werden hemmende Einflüsse auf das ZNS im Wesentlichen über Glycin- und GABAA-Rezeptoren vermittelt (Laube et al., 2002). Propofol beeinflusst wie andere Anästhetika auch sowohl Glycin- als auch GABAA-Rezeptoren auf verschiedenen Ebenen des ZNS (Franks und Lieb, 1994). Frühere Untersuchungen mit Inhalationsanästhetika zeigen, dass die durch Anästhetika erzeugte Immobilisierung zumindest zum Teil auf Rückenmarksebene entsteht (Rampil et al., 1993). Die Rückenmarksebene als bevorzugter anästhetischer Angriffspunkt kann für Propofol nur bedingt bestätigt werden (Antognini et al., 2001). Während einer durch Propofol erzeugten Anästhesie zeigen sich aber eine verringerte Erregbarkeit von α-Motoneuronen und eine verringerte Verarbeitung sensorischer Informationen (Dueck et al., 2003; Uchida et al., 1995; Kakinohana et al., 2002). Dennoch bleibt der Beitrag glycinerger Mechanismen zu der durch Propofol induzierten Anästhesie unklar. Glycin-Rezeptoren sind interessante Zielstrukturen für potenziell analgetisch und spasmolytisch wirksame Substanzen. Bisher ist nicht bekannt, ob die Aktivierung und die Coaktivierung des Glycin-Rezeptors, wie sie für Propofol beschrieben wurde (Dong und Xu, 2002; Hales und Lambert, 1991; Pistis et al., 1997), auch durch andere Phenolderivate ausgelöst werden kann. Propofol und seine Strukturanaloga erweisen sich als potente Inhibitoren spannungskontrollierter Natrium-Kanäle (Haeseler et al., 2001a; Haeseler et al., 2001b) und als direkte Aktivatoren von GABAA-Rezeptoren (Krasowski et al., 2001;

Mohammadi et al., 2001; Trapani et al., 1998). Strukturelle Veränderungen am aromatischen Ring verschiedener Phenolderivate führen zu einer deutlichen Veränderung des pharmakologischen Profils am GABAA-Rezeptor (Trapani et al., 1998) und am spannungskontrollierten Natrium-Kanal (Haeseler et al., 2001a). Stoffe dieser Substanzklasse könnten also sedierend-antikonvulsive mit lokalanästhetischen Eigenschaften in unter- schiedlichem Ausmaß miteinander verbinden.

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Das 2,6-Di-tert-butylphenol weist von der Struktur her eine große Ähnlichkeit zum Propofol auf. Es trägt seine Substituenten wie das Propofol in ortho-Position am Phenolring. Anstatt der Propyl-Gruppen besitzt 2,6-Di-tert-butylphenol die größeren Butyl-Gruppen. Trotz der strukturellen Ähnlichkeit zeigt es im Tierexperiment keinen anästhetischen Effekt (James und Glen, 1980; Krasowski et al., 2001). Auch in vitro ist es auf den GABAA-Rezeptor sowohl in der Koaktivierung als auch in der Direktaktivierung ohne Wirkung (Krasowski et al., 2001).

Am spannungsgesteuerten Natriumkanal erweist es sich allerdings als ein potenter Blocker (Haeseler und Leuwer, 2003). Diese Befunde sprechen dafür, dass Effekte am spannungsgesteuerten Natriumkanal keine Hauptrolle bei der durch Propofol vermittelten Anästhesie spielen. Es erscheint dennoch fraglich, ob wirklich die anästhetischen Effekte des Propofols und seiner anästhetisch wirksamen Strukturanaloga überwiegend oder ausschließlich über GABAA-Rezeptoren vermittelt werden. Daher soll nach weiteren Angriffspunkten für diese Phenolderivate gesucht werden. Der Glycin-Rezeptor, der der zweite hemmende Rezeptor im ZNS neben dem GABAA-Rezeptor ist, ist deswegen als ein wichtiger Gegenstand weiterer Untersuchungen anzusehen.

In dieser Dissertation werden mehrere neue Fragestellungen untersucht. Die Effekte des Propofols an Glycin-Rezeptoren sollen verglichen werden mit den Effekten des in vivo nicht anästhetisch wirksamen Strukturanalogons 2,6-Di-tert-butylphenol. Auf diese Weise soll die Frage geklärt werden, in wie weit glycinerge Effekte am allgemein-anästhetischen Effekt des Propofols beteiligt sind.

Weiterhin soll untersucht werden, ob sich die in dieser Arbeit für Propofol gezeigten Effekte auch für andere Phenolderivate nachweisen lassen. An Hand von einfach und doppelt methylierten bzw. halogenierten Phenolderivaten soll gezeigt werden, welche Substituenten am Phenolring die Potenz zur Aktivierung des Glycin-Rezeptors bestimmen. Die Effekte werden sowohl an α1-homomeren als auch an α1β-heteromeren Glycin-Rezeptoren getrennt untersucht, um eine mögliche Modulation des Effektes durch eine Coexpression der β- Untereinheit zu erfassen.

(15)

Abb. 3

Strukturformeln der sechs untersuchten Phenolderivate sowie Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol.

OH

CH

3

CH

3

5 6

4

3 2

OH

1

CH

3

5 6

4

3 2

1

2-Methylphenol 2,6-Dimethylphenol

OH

CH

3

CH

3

5 6

4

3 2

OH

1

CH

3

5 6

4

3 2

1

2-Methylphenol 2,6-Dimethylphenol

3 - Methylphenol

OH

CH

3

5 6

4

3 2

1

3 - Methyl - 4 - chlorophenol

OH

CH

3

Cl

5 6

4

3 2

1

3 - Methylphenol

OH

CH

3

5 6

4

3 2

1

3 - Methyl - 4 -

OH

CH

3

Cl

5 6

4

3 2

1

OH CH

3

CH

3

5 6

4

3 2

1

OH

CH

3

CH

3

Cl

5 6

4

3 2

1

3,5 - Dimethylphenol 3,5 - Dimethyl - 4 - chlorophenol

OH CH

3

CH

3

5 6

4

3 2

1

OH

CH

3

CH

3

Cl

5 6

4

3 2

1

3,5 - Dimethylphenol 3,5 - Dimethyl - 4 -

Propofol

(2,6-Di-iso-propylphenol) 2,6-Di-tert-butylphenol

OH

C(CH

3)3

C(CH

3)3

5 6

4

3 2

OH

1

CH(CH

3)2

CH(CH

3)2

5 6

4

3 2

1

Propofol

(2,6-Di-iso-propylphenol) 2,6-Di-tert-butylphenol

OH

C(CH

3)3

C(CH

3)3

5 6

4

3 2

1

OH

C(CH

3)3

C(CH

3)3

5 6

4

3 2

OH

1

CH(CH

3)2

CH(CH

3)2

5 6

4

3 2

1

OH

CH(CH

3)2

CH(CH

3)2

5 6

4

3 2

1

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1.6 Zielsetzung der Arbeit

Im Rahmen dieser Dissertation sollen die Effekte des Anästhetikums Propofol mit denen seines nicht anästhetisch wirksamen Strukturanalogons 2,6-Di-tert-butylphenol an heterolog exprimierten Glycin-Rezeptoren verglichen werden. Diese Vergleiche sollen Aufschluss über die Rolle des Glycin-Rezeptors als möglichen Angriffspunkt für die durch Propofol erzeugte Anästhesie geben.

Ferner soll untersucht werden, ob die agonistischen Effekte des Propofols am Glycin- Rezeptor auch für andere Strukturanaloga des Propofols nachweisbar sind. An Hand von einfach und doppelt methylierten bzw. halogenierten Phenolderivaten soll gezeigt werden, welche Substituenten am Phenolring die Potenz zur Coaktivierung und zur Direktaktivierung des Glycin-Rezeptors bestimmen. Die Effekte werden sowohl an α1-homomeren als auch an α1β-heteromeren Glycin-Rezeptoren getrennt untersucht, um eine mögliche Modulation des Effektes durch Coexpression der β-Untereinheit zu erfassen.

Die Ergebnisse der oben genannten Untersuchungen könnten zur Entwicklung von neuen Substanzen beitragen. Hierbei soll ein für unterschiedliche Indikationen möglichst optimales Profil an lokalanästhetischen, antinozizeptiven und sedierend-antikonvulsiven bzw.

hypnotischen Eigenschaften gefunden werden.

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2. Material und Methoden

2.1 Material

2.1.1 Zelllinie und Medien

2.1.1.1 Eukaryontische HEK 293 Zelllinie

Die HEK 293 Zelllinie (human embryonic kidney) ist eine aus menschlichen embryonalen Nierenzellen stammende Zelllinie. Die HEK 293 Zellen wurden freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. Lehmann-Horn aus Ulm zur Verfügung gestellt.

2.1.1.2 Zellkultur-Reagenzien für HEK 293 Zellen

Dulbecco`s-modified-Eagle`s-Medium (DMEM) Life Technologies, Karlsruhe

Fetales bovines Serum (FBS) Life Technologies, Karlsruhe

L-Glutamin-Lösung Life Technologies, Karlsruhe

Phosphate Buffered Saline (PBS) Life Technologies, Karlsruhe Penicillin-/Streptomycin-Lösung Life Technologies, Karlsruhe

Trypsin-Lösung Life Technologies, Karlsruhe

2.1.2 Plasmide

αα

αα1- und βββ-Untereinheit des Glycin-Rezeptors β

Diese Plasmide basieren auf dem Vektor pCIS2 (Invitrogen, San Diego, USA), in den die für die α1- bzw. die β-Untereinheit des Glycin-Rezeptors codierende cDNA eingebaut ist. Dieses Plasmid wurde freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. Betz aus Frankfurt zur Verfügung gestellt.

(18)

2.1.3 Chemikalien

Brilliantgrün (E142) Sigma, Deisenhofen

Calciumchlorid (CaCl2) Merck, Darmstadt

Cesiumchlorid (CsCl2) Sigma, Deisenhofen

Green Fluorescent Protein (GFP) Sigma, Deisenhofen Ethylene Glycol Tetraacetic Acid (EGTA) Sigma, Deisenhofen

Ethanol 96% J.T. Baker, Griesheim

Glycin Sigma, Deisenhofen

N-[2-Hydroxyethyl]piperazin-N’-[2-ethansulfonsäure]

(HEPES) ICN, Eschwege

Kaliumacetat (C2H3KO2) Sigma, Deisenhofen

Kaliumchlorid (KCl) Merck, Darmstadt

Kaliumdihydrogenphosphat (KH2PO4) Merck, Darmstadt

Magnesiumchlorid (MgCl2) Merck, Darmstadt

Magnesiumsulfat (MgSO4) Sigma, Deisenhofen

Natriumchlorid (NaCl) Sigma,Deisenhofen

Natriumhydrogenphosphat (Na2HPO4) Merck, Darmstadt

Natronlauge (NaOH) Merck, Darmstadt

Picrotoxin Sigma, Deisenhofen

Salzsäure (HCl) Merck,Darmstadt

2.1.4 Arzneistoffe und Testsubstanzen

Propofol (2,6-Di-iso-propylphenol) Braun, Melsungen

2-Methylphenol Sigma, Deisenhofen

3-Methylphenol Sigma, Deisenhofen

3-Methyl-4-chlorophenol Sigma, Deisenhofen

2,6-Dimethylphenol Sigma, Deisenhofen

3,5-Dimethylphenol Sigma, Deisenhofen

3,5-Dimethyl-4-chlorophenol Sigma, Deisenhofen

2,6-Di-tert-butylphenol Fluka, Deisenhofen

(19)

2.1.5 Sonstige Materialien

Blue-Caps, 50 ml Greiner, Frickenhausen

Blue-Caps, 15 ml Greiner, Frickenhausen

Elektroporationsküvetten Biotechnologie GmbH,

Erlangen

Eppendorfgefäße Biozym, Oldendorf

Glaskapillaren aus Borosilikat Harvard Apparatus LTD,

(GC 150 TF-10) Edenbridge, UK

Glasspritzen 5 ml Walter Graf & Co, Wertheim

Filterpapier, ∅ 240 mm Schleicher & Schuell, Dassel

Zellkultur-Flaschen 10 ml Greiner, Frickenhausen

Zellkultur-Platten mit 24 Vertiefungen

(24 well-Platten) Greiner, Frickenhausen

Syringe-Filter 0,2 µm Satorius, Göttingen

2.1.6 Geräte

Axon Patch-Clamp-Messverstärker Axon Instruments, Foster City, USA

Begasungsbrutschrank HERA Cell Heraeus,Hanau

Elektroporationsgerät EquiBio,Kent,UK

Magnetrührgerät Omnilab,Hannover

Mikroskop Axioskop FS Carl Zeiss, Jena

Mikromanipulator Narishige, Japan

Patch-Clamp-Messverstärker Axon Instruments,

Foster City, USA Pipetten-Puller DMZ-Universal-Puller Zeitz, München

pH-Meter Hanna-Instruments

Software pClamp 6.0 Axon Instruments,

Foster City, USA

(20)

Sterilarbeitsbank Clean Air Deutschland GmbH, Hilden

Waage Sartorius-MC1 Sartorius, Göttingen

Zentrifuge Megafuge 2,0 R Heraeus, Osterode

Zentrifuge 5415 D Eppendorf, Hamburg

2.2 Methoden

2.2.1 Kultivierung von HEK 293 Zellen

Die Kultivierung von HEK 293 Zellen erfolgt in Zellkultur-Flaschen mit DMEM Zellkultur- Medium (supplementiert mit 10 % FBS, 100 IU/ml Penicillin, 100 µg/ml Streptomycin) bei 37°C und 5 % CO2 im Begasungsbrutschrank. Der Zellkultur-Mediumwechsel und die Teilung der konfluenten Monolayer erfolgt alle drei Tage im Rahmen der Entnahme von Zellen zur Transfektion. Hierbei wird zunächst an einer Sterilarbeitsbank das Zellkultur- Medium abpipettiert. Danach werden Reste des Mediums mit 3 ml PBS vom Zellrasen gewaschen. Zum Ablösen der Zellen vom Boden der Zellkultur-Flasche werden 2 ml einer 0,1 % Trypsin-Lösung verwendet. Die Zellen werden durch mehrfaches Aufziehen in eine 5 ml-Pipette in 3 ml frischem Zellkultur-Medium resuspendiert. Ein Teilungsverhältnis von 1:6 wird erreicht, indem 0,5 ml dieser Suspension zusammen mit 15 ml frischem Medium in eine neue Kultur-Flasche gegeben werden.

2.2.2 Transfektion

Bei dem hier angewandten Verfahren zur Transfektion der HEK Zellen wird die Zellmembran mittels starker Stromstöße durchlässig gemacht und so die fremde DNS in die Zelle eingeschleust. Diese Methode nennt sich Elektroporation. Die Ionen-Kanäle werden hierbei nur vorübergehend (transient) exprimiert.

Die Zellsuspension (siehe Abschnitt 2.2.1) wird nach Ablösung der Zellen vom Boden für

(21)

vier Minuten bei 1000 rpm zentrifugiert und der Überstand verworfen. Das Zell-Pellet wird zusammen mit 400 µl Elektroporationspuffer (50 mM K2HPO4, 20 mM Kaliumacetat, pH 7,35) aufgenommen und in ein Eppendorfgefäß überführt. Als Cofaktor zur Transfektion werden 10 µl Magnesiumsulfat zugefügt und zusammen mit der für die α1- und die β- Untereinheit des Glycin-Rezeptors codierenden DNS und dem Farbstoff GFP vermischt. Der Farbstoff lässt erfolgreich transfizierte Zellen unter UV-Licht grün leuchten und ermöglicht so ein Erkennen der Zellen, die den Glycin-Rezeptor exprimieren. Die cDNS für die α1- und die β-Untereinheit des Rezeptors werden im Verhältnis 1:10 beigefügt, um die Expression der β- Untereinheit zu gewährleisten (Pribilla et al., 1992). Die Lösung wird in eine Elektroporationsküvette gefüllt und in das Elektroporationsgerät gestellt. Nach erfolgter Transfektion werden jeweils 30 µl der Lösung auf Glasplättchen verteilt. Die Zellen werden nun in einer 24-well-Platte zusammen mit frischem Kulturmedium für 12-24 Stunden im Brutschrank inkubiert.

2.2.3 Herstellung der Bad- und Kapillarenlösung

Die Badlösung entspricht in ihrer Elektrolytzusammensetzung dem extrazellulären Milieu.

Die Lösung in der Kapillare imitiert hingegen das Intrazellular-Milieu. Die Kapillaren werden mittels eines dünn ausgezogenen Polyethylen-Filamentes mit der Kapillarenlösung gefüllt.

Beide Lösungen werden auf einen pH-Wert von 7,40 und eine Osmolalität von 285 mosmol eingestellt.

Badlösung: [mM] 162 NaCl, 5,3 KCl, 0,6 Na2HPO4, 0,22 KH2PO4, 15 HEPES, 5,6 Glucose Kapillarenlösung: [mM] 140 KCl, 2 MgCl2, 11 EGTA, 10 HEPES, 10 Glucose

2.2.4 Testlösungen und Versuchsabläufe

Von allen Testsubstanzen werden aus der Reinsubstanz 1 M Vorratslösungen hergestellt, die bei -20°C lichtgeschützt in Glasgefäßen gelagert werden. Als Lösungsmittel dient 96 % Ethanol. Unmittelbar vor Beginn der Experimente werden die Vorratslösungen mit Badlösung auf die gewünschten Konzentrationen verdünnt und in lichtgeschützten Glasgefäßen mindestens 60 Minuten gerührt. Das 2,6-Di-tert-butylphenol wird 180 Minuten lang gerührt.

(22)

Sämtliche Testsubstanzen werden mit Glasspritzen in das aus Teflon bestehende Applikationssystem überführt. Durch die Verwendung von Teflon anstatt Polyethylen wird ein unkontrollierter Verlust des Wirkstoffes vermieden. Durch Diffusion der Phenolderivate in Polyethylen-Spritzen oder -Schläuche können Verluste von bis zu 95 % der ursprünglichen Konzentration entstehen (Barann et al., 2000).

Um die korrekte Position der Zelle zu verifizieren, erfolgt bei den Messungen zur direkten Aktivierung des Glycin-Rezeptors zuerst eine 2 Sekunden dauernde Applikation einer sättigenden Glycin-Konzentration (1000 µM) als Kontrollmessung. Die durch die Testlösungen erhaltene Stromantwort wird in der Auswertung in Bezug zu der Kontrollmessung gesetzt. Vor und nach jeder 2 Sekunden dauernden Applikation einer Testlösung wird eine wie oben beschriebene Kontrollmessung mit Glycin durchgeführt. Nur wenn Amplitude und Form der Glycin-induzierten Stromantwort stabil bleiben, wird das Experiment weitergeführt. Das Einhalten eines zweiminütigen Intervalles zwischen den Einzelmessungen garantiert eine vollständige Erholung der Kanäle von der Desensitisierung.

Am Ende eines jeden Experimentes wird eine 1000 µM Picrotoxin-Lösung zusammen mit der 1000 µM Glycin-Lösung appliziert. Picrotoxin, ein pflanzliches Alkaloid, blockiert Glycin- Rezeptoren, die ausschließlich aus α1-Untereinheiten zusammengesetzt sind, wesentlich potenter als Rezeptoren, die auch β-Untereinheiten enthalten (Handford et al., 1996; Pribilla et al., 1992). Dies ermöglicht die Unterscheidung von Zellen, die α1- oder α1β-Glycin- Rezeptoren exprimieren.

Während zur Testung der direkten Aktivierung des Rezeptors die Substanzen in Badlösung gelöst werden, werden sie zur Testung der Coaktivierung in aufsteigender Konzentration zusammen mit einer 10 µM Glycin-Lösung appliziert. Zu Beginn des Experimentes wird die Stromantwort einer 10 µM Glycin-Lösung ohne Testsubstanz aufgezeichnet. Für jedes Experiment und jede Testsubstanz wird eine neue Zelle verwendet.

(23)

2.2.5 Elekrophysiologische Methoden

2.2.5.1 Die Patch-Clamp-Technik

Die Patch-Clamp-Technik wurde 1976 von Bert Sakmann und Erwin Neher entwickelt, denen es erstmals gelang, einen sehr kleinen Bereich der Zellmembran elektrisch zu isolieren. Mit einer sehr dünn ausgezogenen Glaskapillare erzeugten sie einen sogenannten Giga-Seal, der die kleinen Einzelkanalströme aus dem Hintergrundrauschen herauslösen konnte.

Das Prinzip dieser Technik ist es, die Spitze der Glaskapillare in unmittelbare Nähe der Zellmembran zu bringen. Dies geschieht unter Mikroskopkontrolle mit Hilfe eines Mikromanipulators, der sehr feine Bewegungen der Kapillare ermöglicht. Die korrekte Position wird durch ein geringgradiges Ansteigen des Kapillarenwiderstandes ersichtlich. Die Zellmembran wird nun an die Kapillarenöffnung durch vorsichtiges Anlegen eines Unterdruckes angesaugt, und es bildet sich die sogenannte cell-attached-Konfiguration aus.

Die hitzepolierten Ränder der Kapillare sorgen für eine elektrische Abdichtung des eingeschlossenen Membranfleckes, den Seal. Idealerweise werden so Abdichtungs- widerstände im Giga-Ohm-Bereich erzielt.

Die Glaskapillare ist mit einer Elektrolytlösung gefüllt, die in der Zusammensetzung dem Intrazellularmilieu entspricht. Außerdem befindet sich in ihrem Innern eine Elektrode, über die zusammen mit einer zweiten in der Badlösung eine Spannung an die Zelle angelegt werden kann. Gleichzeitig kann der Stromfluss durch die Zellmembran gemessen werden (Hamill et al., 1981). Durch erneutes Saugen an der Kapillare und Anlegen einer Spannung von ca. –10 mV wird das Membranstück, das von der Öffnung der Kapillare umschlossen wurde, herausgerissen. Wenn der hohe Abdichtungswiderstand an den Rändern der Kapillarenöffnung, also der Seal, bestehen bleibt, kann der Strom gemessen werden, der durch die gesamte verbleibende Membranfläche der Zelle fließt. Diese Anordnung wird Ganz-Zell-Konfiguration (whole-cell-Konfiguration) genannt (Abbildung 4). Für die Messungen wird ein negatives Haltepotential eingestellt, welches etwa dem Ruhemembranpotential der Zelle entspricht. Alle elektrophysiologischen Untersuchungen werden in der whole-cell-Konfiguration durchgeführt.

(24)

„cell-attached-Konfiguration“ “whole-cell-Konfiguration”

Abb. 4

Schematische Darstellung der Herstellung der whole-cell-Konfiguration (Modifiziert nach Hamill et al., 1981).

2.2.5.2 Der Patch-Clamp-Messstand

Der Messstand verfügt über einen mit Hilfe von Luftkissen schwingungsgedämpften Tisch, auf dem die gesamte Versuchsapparatur aufgebaut ist. Elektrische Störungen werden durch einen Faraday`schen Käfig abgeschirmt. Unter einem aufrechten Mikroskop mit einem 40- fach verstärkenden Wasserimmersionsobjektiv befindet sich eine Kammer, die mit Badlösung gefüllt wird und in der ein Glasplättchen mit transfizierten Zellen platziert wird. Dieser Kammer wird über einen Zufluss kontinuierlich Badlösung zugeführt und durch einen gegenüberliegenden Abfluss wieder entfernt. So ist ein ständiger Austausch der Badlösung gewährleistet. Um die Glaskapillare unter Mikroskopkontrolle präzise auf die Zellmembran aufzusetzen, wird ein Mikromanipulator verwendet. Eine Haltevorrichtung ermöglicht die Übertragung eines Unterdruckes auf das Innere der Glaskapillare, um eine Patchbildung zu ermöglichen. Die über die Elektrode in der Glaskapillare gemessenen Ströme werden bei 2 kHz gefiltert und von einem Patch-Clamp-Messverstärker aufgenommen.

Bei dem verwendeten System zur schnellen Applikation der Testsubstanz (Abbildung 5) wird der Agonist der Zelle mittels eines Flüssigkeitsfilamentes zugeführt. Die Applikations- kapillare mit einem Innen-Durchmesser von 0,15 mm ist parallel zum Fluss der Badlösung angebracht. Ihre Öffnung weist dabei in Richtung des Abflusses. Die Applikationskapillare ist mit einem Applikationssystem verbunden, welches in zwei Kammern jeweils die Kontroll- Lösung und die Testlösung enthält. Der Wechsel zwischen beiden Lösungen wird manuell durch einen Hebel gesteuert. Das Austreiben der Flüssigkeiten geschieht mit Druckluft. So wird ein laminar strömendes Flüssigkeitsfilament in der Badlösung erzeugt. Das Filament der Kontroll-Lösung wird hierbei durch den Lebensmittelfarbstoff Brilliantgrün (E142) sichtbar gemacht. Die Applikationskapillare ist mit einem Piezo-Kristall verbunden, der sie beim

(25)

Anlegen einer Spannung von 1000 V zur Seite bewegt. Der Membran-Patch, der vorher direkt neben dem Filament platziert wird, wird so für eine definierte Zeit komplett von dem Agonistenstrom umspült (Abbildung 6). Ein schneller Lösungswechsel zwischen der kontinuierlich fließenden Badlösung und dem Agonisten, wie er für die Untersuchung ligandengesteuerter Ionenkanäle erforderlich ist, wird hierdurch gewährleistet.

Abb. 5

Schematische Darstellung des Systems zur schnellen Applikation des Agonisten.

0-100V

Hintergrund-L฀ung Glas-Kapillare

Fl・sigkeits-Filament

Piezo Zelle

Patch-Elektrode

(26)

Abb. 6

Die beiden Fotografien zeigen die Position der Patchkapillare zum Lösungsfilament vor (links) und während der Applikation (rechts).

2.2.5.3 Die Patch-Clamp-Kapillaren

Die Patchkapillaren werden vor jedem Experiment neu aus Glaskapillaren hergestellt, um Beschädigung oder Verschmutzung der Spitzen zu vermeiden. Die Glaskapillaren bestehen aus Borosilikat und besitzen einen äußeren Durchmesser von 1,5 mm und einen inneren von 1,17 mm. Bei der Herstellung entstehen aus einer Glaskapillare zwei Patchkapillaren mit konischer Spitze. In einem ersten Schritt wird die Glaskapillare in der Mitte erhitzt und so weit auseinandergezogen, bis sie reißt. Im zweiten Schritt werden die Kapillaren hitzepoliert.

Die so entstandenen Patchkapillaren besitzen einen Eingangswiderstand von 5-8 MΩ und einen Öffnungsdurchmesser von ungefähr 1 µm.

2.2.5.4 Datenerfassung und Auswertung

Zur Akquisition der Daten und ihrer Analyse wird ein Patch-Clamp-Messverstärker in Kombination mit der zugehörigen Software verwendet. Bei den Untersuchungen zur direkten Aktivierung werden die durch ein Medikament erzeugten Ströme normalisiert auf den Strom, der durch eine 1000 µM Glycin-Lösung hervorgerufen wird. Die Größe des coaktivierten Stroms (I) wird angegeben als Prozent der Amplitude des durch eine 10 µM Glycin-Lösung

(27)

induzierten Stroms (I0) (E (%) = 100 [(I-I0)/I0]). Maximale Konzentrationen, für die verlässliche Ergebnisse erzielt werden können, liegen im Bereich von 3000 µM. Sollte in dieser Konzentration kein Plateau-Effekt erreicht sein, gilt als Maximaleffekt der durch diese Konzentration ausgelöste Effekt. Die Anpassung einer Hill-Funktion an die Messergebnisse (Inorm=[1+(EC50/[C])nH]-1) führt zu den Agonisten-Konzentrationen für die halb-maximale Aktivierung des Rezeptors (EC50) und zu den Hill-Koeffizienten nH.

2.2.6 Statistische Analyse

Für jede experimentelle Bedingung wird aus den Einzelexperimenten ein arrithmetischer Mittelwert sowie die dazugehörige Standardabweichung ermittelt. Die Ergebnisse sind graphisch in Konzentrations-Wirkungskurven dargestellt. Die statistische Analyse wird durchgeführt zur Evaluation signifikanter Unterschiede einerseits zwischen den maximalen Effekten und andererseits zwischen den EC50-Werten der untersuchten Substanzen. Es werden also die Unterschiede zwischen den halogenierten und den nicht halogenierten, zwischen den in ortho-Position und den in meta-Position methylierten und zwischen den einfach und den doppelt methylierten Substanzen untersucht. Unterschiede hinsichtlich der maximalen potenzierenden Antwort werden getestet mittels Student-t-Test und bei p< 0,05 als signifikant angesehen. Zur Sicherung der Unterschiede zwischen den EC50-Werten für die Coaktivierung des Rezeptors wird eine mathematische Analyse der einzelnen Hill-Kurven der verschiedenen Experimente herangezogen. Diese Analyse wurde freundlicherweise von Herrn Prof. Hecker (Abteilung Biometrie / MHH) durchgeführt. Nur die Effekte an α1β-Rezeptoren werden einer statistischen Prüfung unterzogen.

(28)

3. Ergebnisse

3.1 Glycin-Ströme

Die folgenden Ergebnisse stammen aus Untersuchungen an insgesamt 135 HEK Zellen. Die in HEK 293 Zellen exprimierten α1- und α1β-Glycin-Rezeptoren erzeugen bei einem Haltepotential von –30 mV nach Applikation einer 1000 µM Glycin-Lösung Chlorid-Ströme mit Amplituden von 1,0 ± 0,5 nA für α1-Rezeptoren und 1,3 ± 0,9 nA für α1β-Rezeptoren.

Die Ströme zeigen einen schnellen Anstieg gefolgt von einem monophasischen Abfall. Die Anpassung einer Exponentialfunktion an den abfallenden Teil der Stromkurve während der Glycin-Applikation führt zu Zeitkonstanten der Desensitisierung von 958 ± 250 ms für α1- und 1026 ± 212 ms für α1β-Rezeptoren. Die Stromkurven desensitisieren während der 2 s dauernden Applikation des Glycins bis auf eine Amplitude von 86 ± 6 % (α1) bzw. 84 ± 8 % (α1β) des Maximal-Stromes.

Eine 10 µM Glycin-Lösung erzeugt einen Strom von 46 ± 5 % (α1) und 21 ± 7 % (α1β) bezogen auf den durch eine 1000 µM Glycin-Lösung jeweils hervorgerufenen Strom. Der Unterschied in der Stromantwort auf eine 10 µM Glycin-Lösung zwischen den α1- und den α1β-Rezeptoren ist signifikant (p < 0,001). Die Konzentration für eine halbmaximale Aktivierung des Rezeptors (EC50) durch Glycin beträgt 12,8 ± 2,3 µM für α1- und 47,0 ± 14,0 µM für α1β-Rezeptoren. Konzentrations-Wirkungskurven sind in Abbildung 7 dargestellt.

Eine 1000 µM Picrotoxin-Lösung blockiert in der simultanen Applikation mit einer 1000 µM Glycin-Lösung die Gesamtamplitude der Chlorid-Ströme an α1-Rezeptoren um 55 ± 0,05 % und an α1β-Rezeptoren lediglich um 19 ± 0,05 %. Wenn die cDNS für die α1- und für die β- Untereinheit des Glycin-Rezeptors bei der Transfektion im Verhältnis 1:10 beigefügt wird, kann mit Hilfe von Picrotoxin in 100 Prozent der Fälle eine Coexpression der β-Untereinheit nachgewiesen werden.

(29)

Abb. 7

Konzentrations-Wirkungskurven für die Aktivierung von α1- (Dreiecke) und α1β-Rezeptoren (Kreise)durch den natürlichen Agonisten Glycin. Die Symbole zeigen gemittelte Einwärtsströme aus 4 – 6 Experimenten (MW ± SD) normalisiert auf den jeweils maximalen durch eine 1000 µM Glycin-Lösung induzierten Chlorid- Einwärtsstrom. Die durchgezogenen Linien zeigen die Anpassung einer Hill-Funktion (Inorm=[1+(EC50/[C])nH]-1) mit den in der Abbildung gezeigten gemittelten Parametern.

EC50 = Konzentration für eine halbmaximale Aktivierung des Rezeptors; nH = Hill-Koeffizient; [C] = Konzentration; I0 = Stromantwort, die durch eine 10 µM Glycin-Lösung hervorgerufen wird; Inorm = Stromantwort, die direkt durch eine Substanz oder durch eine Substanz zusammen mit einer 10 µM Glycin- Lösung ausgelöst wird; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung.

3.2 Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol

3.2.1 Coaktivierung des Rezeptors

Der Strom einer 10 µM Glycin-Lösung wird durch Propofol (n = 5) und durch 2,6-Di-tert- butylphenol (n = 6) im gleichen Konzentrationsbereich (3 – 300 µM) gesteigert. Die durch Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol coaktivierten Ströme desensitisieren während der zwei Sekunden dauernden Applikation nicht. Die Abbildungen 8a und 8b zeigen repräsentative Stromspuren und die entsprechenden Konzentrations-Wirkungskurven. Die Anpassung von Hill-Funktionen an die Daten der einzelnen Experimente ergibt einen mittleren EC50-Wert von 12,5 ± 6,4 µM für Propofol und einen von 9,4 ± 10,2 µM für 2,6-Di-tert-butylphenol. Die Hill-Koefizienten (nH) betragen 1,1 ± 0,6 für Propofol und 1,3 ± 1,0 für 2,6-Di-tert- butylphenol.

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2

0.1 1.0 10.0 100.0 1000.0 10000.0

Glycin [µM]

Inorm

α α α α1ß

EC50 =47,0 ± 14,0 µM nH = 0,8 ± 0,1 α

α α α1

EC50 = 12,8 ± 2,3 µM nH= 0,9 ± 0,1

(30)

Abb. 8a

Konzentrations-Wirkungskurven für die Coaktivierung des Glycin-Rezeptors durch Propofol und 2,6-Di-tert- butylphenol. Die Symbole zeigen Einwärtsströme, die durch eine 10 µM Glycin-Lösung und die Testsubstanz in der jeweils angegebenen Konzentration induziert werden (MW ± SD aus 5 – 6 Experimenten). Sie sind normalisiert auf den höchsten Effekt, der durch eine Coaktivierung des Glycin-Rezeptors erreicht wird (•).

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2

0.1 1.0 10.0 100.0 1000.0

EC50 = 12,5 ± 6,4 µM nH = 1,1 ± 0,6 Inorm

Propofol [µM]

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2

0.1 1.0 10.0 100.0 1000.0

EC50 = 9,4 ± 10,2 µM nH = 1,3 ± 1,0 Inorm

2,6-Di-tert-butylphenol [µM]

(31)

Abb. 8b

Repräsentative Stromspuren für die Coaktivierung des Effektes einer 10 µM Glycin-Lösung durch Propofol bzw.

2,6-Di-tert-butylphenol. Beide Verbindungen coaktivieren im gleichen Konzentrationsbereich den Strom einer 10 µM Glycin-Lösung. Während der zwei Sekunden dauernden Applikation der beiden Substanzen zeigen die Stromspuren keine Desensitisierung.

3 µM Propofol + 10 µM Glycin 1000 µM Glycin

10 µM Glycin

10 µM Propofol + 10 µM Glycin 30 µM Propofol + 10 µM Glycin

100 µM Propofol + 10 µM Glycin

300 µM Propofol + 10 µM Glycin

500pA

2000 ms

1000 µM Glycin

10 µM Glycin

3 µM 2,6-Di-tert-butylphenol + 10 µM Glycin

10 µM 2,6-Di-tert-butylphenol + 10 µM Glycin

30 µM 2,6-Di-tert-butylphenol + 10 µM Glycin

100 µM 2,6-Di-tert-butylphenol + 10 µM Glycin

300 µM 2,6-Di-tert-butylphenol + 10 µM Glycin

500 pA

2000 ms

(32)

3.2.2 Direkte Rezeptoraktivierung

Nur Propofol zeigt in der Applikation ohne den natürlichen Agonisten Glycin eine direkte Aktivierung des Rezeptors (n = 4 Experimente), während 2,6-Di-tert-butylphenol keine Direktaktivierung bewirkt (n = 4 Experimente). Abbildung 9a zeigt repräsentative Strom- spuren der direkten Aktivierung des Rezeptors. Im Gegensatz zu Chlorid-Strömen, die durch den natürlichen Agonisten Glycin induziert werden, zeigen die durch Propofol hervor- gerufenen Ströme keine Desensitisierung.

Die Amplitude bei sättigenden Propofol-Konzentrationen von 600 µM beträgt 71 ± 14 % bezogen auf die Amplitude eines Stromes, der durch eine 1000 µM Glycin-Lösung erzeugt wird. Die Anpassung einer Hill-Funktion an die normalisierten Einwärtsströme, wie in Abbildung 9b gezeigt, ergibt im Mittel einen EC50-Wert von 114 ± 27 µm für die direkte Aktivierung des Rezeptors. Die Hill-Koefizienten (nH) liegen bei 1,7 ± 0,6.

Abb. 9a

Repräsentative Stromkurven während der zwei Sekunden dauernden Applikation von Propofol (linke Spalte), 2,6-Di-tert-butylphenol (rechte Spalte) und jeweils der 1000 µM Glycin-Lösung als Kontrolle. Propofol aktiviert im Gegensatz zu 2,6-Di-tert-butylphenol den Glycin-Rezeptor direkt. Im Gegensatz zu Chlorid-Strömen, die durch den natürlichen Agonisten Glycin induziert werden, zeigen die durch Propofol hervorgerufenen Ströme keine Desensitisierung.

1000 µM Glycin

30 µM Propofol 100 µM Ppropofol

300 µM Propofol

600 µM Propofol

2000 ms 1000 pA

1000 µM Glycin

300 µM 2,6-Di-tert-butylphenol 1000 µM Glycin

30 µM Propofol 100 µM Ppropofol

300 µM Propofol

600 µM Propofol

2000 ms 1000 pA

2000 ms 1000 pA

1000 µM Glycin

300 µM 2,6-Di-tert-butylphenol 1000 µM Glycin

300 µM 2,6-Di-tert-butylphenol

(33)

Abb. 9b

Konzentrations-Wirkungskurve für die direkte Rezeptoraktivierung durch Propofol. Die Messergebnisse sind einerseits normalisiert auf den höchsten durch Propofol induzierten Effekt (•) andererseits auf den Effekt einer 1000 µM Glycin-Lösung (ο). Die durchgezogene Linie zeigt die Anpassung einer Hill-Funktion (Inorm=[1+(EC50/[C])nH]-1) mit den in der Abbildung gezeigten Parametern.

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0

1.0 10.0 100.0 1000.0

EC50 = 114 ± 27 µM nH = 1,7 ± 0,6

Inorm

Propofol [µM]

(34)

3.2.3 Hemmende Effekte des Propofols

Propofol besitzt in Konzentrationen höher als 600 µM bei einer simultanen Applikation mit einer 1000 µM Glycin-Lösung hemmende Effekte, die sich durch eine zunehmende

Reduktion der Stromamplitude mit steigender Konzentration des Propofols und einen beschleunigten Abfall des Stromes nach Aktivierung des Kanals zeigen (n = 4). Nach

Beendigung der simultanen Applikation erfolgt eine erneute Öffnung des Kanals (Abbildung 10). Diese Beobachtungen könnten sich durch einen Offen-Kanal-Block erklären lassen.

Abb. 10

Der hemmende Effekt des Propofols zeigt sich durch eine in höheren Konzentrationen zunehmende Verringerung der maximalen Stromamplitude, einen beschleunigten Abfall während der Applikation und einer erneuten Öffnung des Kanals nach Beendigung der simultanen Applikation mit einer 1000 µM Glycin-Lösung.

1000 µM Glycin

300 µM Propofol + 1000 µM Glycin

600 µM Propofol + 1000 µM Glycin

1000 µM Propofol + 1000 µM Glycin

2000 µM Propofol + 1000 Glycin

2000 ms 1000 pA

1000 µM Glycin

300 µM Propofol + 1000 µM Glycin

600 µM Propofol + 1000 µM Glycin

1000 µM Propofol + 1000 µM Glycin

2000 µM Propofol + 1000 Glycin

2000 ms 1000 pA 2000 ms 1000 pA

(35)

3.3 Methylierte und halogenierte Phenolderivate 3.3.1 Coaktivierung des Rezeptors

Alle untersuchten nicht-halogenierten Phenolderivate coaktivieren Glycin-Ströme sowohl an α1- als auch an α1β-Glycin-Rezeptoren in vergleichbarem Ausmaß. Bei den halogenierten Phenolderivaten sind diese coaktivierenden Effekte jedoch in einem signifikant niedrigeren Konzentrationsbereich nachweisbar.

Die halogenierten Phenolderivate 3-Methyl-4-chlorophenol und 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol erreichen eine halbmaximale Aktivierung des Rezeptors bereits durch 30-fach bzw. 50-fach niedrigere Konzentrationen als ihre nicht halogenierten Strukturanaloga. Die Unterschiede der EC50-Werte zwischen den halogenierten und den nicht halogenierten Phenolderivaten sind signifikant (p < 0,0001).

Abb. 11

Repräsentative Stromspuren erzeugt durch 3,5-Dimethylphenol und 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol bei einer simultanen Applikation mit einer 10 µM Glycin-Lösung am α1β-Glycin-Rezeptor. Beide Substanzen potenzieren den Effekt einer 10 µM Glycin-Lösung. Die halogenierte Substanz zeigt coaktivierende Effekte schon in einem sehr niedrigen Konzentrationsbereich.

2000 ms 500 pA

1000 µM Glycin

10 µM Glycin

10 µM 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

30 µM 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

100 µM 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

3 µM 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

2000 ms 250 pA

1000 µM 3,5-Dimethylphenol + 10 µM Glycin

1500 µM 3,5-Dimethylphenol + 10 µM Glycin

2000 µM 3,5-Dimethylphenol + 10 µM Glycin

10 µM Glycin

100 µM 3,5-Dimethylphenol + 10 µM Glycin

300 µM 3,5-Dimethylphenol + 10 µM Glycin

1000 µM Glycin

(36)

Abb. 12

Repräsentative Stromspuren erzeugt durch 3-Methylphenol und 3-Methyl-4-chlorophenol bei einer simultanen Applikation mit einer 10 µM Glycin-Lösung am α1β-Glycin-Rezeptor. Beide Substanzen potenzieren den Effekt einer 10 µM Glycin-Lösung. Bei der halogenierten Substanz ist dies schon in einem sehr niedrigen Konzentrationsbereich zu beobachten (< 5 µM).

Die in ortho-Position methylierten Substanzen sind nicht signifikant potenter als die Substanzen, die ihre Methyl-Gruppe in meta-Position tragen. Genauso ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den einfach und den doppelt methylierten Substanzen.

Die Abbildungen 11, 12 und 13 zeigen repräsentative Strom-Kurven für 3-Methylphenol und 3-Methyl-4-chlorophenol bzw. 3,5-Dimethylphenol und 3,5-Dimethyl-4-chlorophenol bzw. 2- Methylphenol und 2,6-Dimethylphenol. Die Konzentrationen für eine halbmaximale Aktivierung des α1- und des α1β-Glycin-Rezeptors durch alle untersuchten Phenolderivate sind in der Tabelle in Abbildung 14 und Konzentrations-Wirkungskurven für alle untersuchten Phenolderivate in Abbildung 15 dargestellt.

1000 µm Glycin

10 µM Glycin 30 µM 3-Methylphenol + 10 µM Glycin 100 µM 3-Methylphenol + 10 µM Glycin

300 µM 3-Methylphenol + 10 µM Glycin

1000 µM 3-Methylphenol + 10 µM Glycin

2000 µM 3-Methylphenol + 10 µM Glycin

2000 ms 1000 pA

1000 µM Glycin

10 µM Glycin

3 µM 3-Methyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

10 µM 3-Methyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

30 µM 3-Methyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

100 µM 3-Methyl-4-chlorophenol + 10 µM Glycin

2000 ms 1000 pA

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