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Ethanol zeigt in einer Konzentration von 34000 µM weder in der Direktaktivierung (n = 4) noch in der Coaktivierung zusammen mit einer 10 µM Glycin-Lösung (n = 4) einen Effekt am Rezeptor {Ahrens, 2004 #1037}. Ethanol wird bei der Herstellung der 1 M Vorratslösungen als Lösungsmittel verwendet. Die Konzentration von 34000 µM Ethanol entspricht der Ethanol-Konzentration, die in der Lösung mit der höchsten verwendeten Konzentration der Testsubstanzen enthalten ist.

Abb. 19

Fehlende direkte Aktivierung (linke Spalte) und Coaktivierung (rechte Spalte) des Rezeptors durch das Lösungsmittel Ethanol in der Maximalkonzentration von 34000 µM.

1000 µM Glycin

34000 µM Ethanol 2000 pA

2000 ms

1000 µM Glycin

10 µM Glycin 34000 µM Ethanol + 10 µM Glycin

1000 pA

2000 ms

4. Diskussion

4.1 Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol

Im Rahmen dieser Dissertation wird erstmals gezeigt, dass Propofol im Gegensatz zu seinem nicht anästhetisch wirksamen Strukturanalogon 2,6-Di-tert-butylphenol dazu in der Lage ist, den Glycin-Rezeptor ohne Anwesenheit des natürlichen Agonisten zu aktivieren.

Die Tatsache, dass die beiden sehr ähnlich aufgebauten Substanzen Propofol und 2,6-Di-tert-butylphenol das gleiche Verhalten bei der Coaktivierung, aber ein sehr gegensätzliches bei der direkten Aktivierung des Glycin-Rezeptors zeigen, lässt vermuten, dass die Coaktivierung und die Direktaktivierung des Glycin-Rezeptors durch Propofol über verschiedene Bindungsstellen vermittelt werden. Gleiches wird für die Effekte des Propofols am GABAA -Rezeptor vermutet, da durch eine Punktmutation an einer Untereinheit des GABAA-Rezeptors die Coaktivierung des Rezeptors durch Propofol verloren geht, die direkte Aktivierung aber unverändert bestehen bleibt (Krasowski et al., 1998). Eine weitere Erklärungsmöglichkeit ist, dass eine geringe Konzentration des natürlichen Agonisten durch Aktivierung des Rezeptors die mögliche gemeinsame Bindungsstelle für große Moleküle zugänglich macht. In früheren Mutationsstudien an GABAA- und Glycin-Rezeptoren konnte durch Verwendung einer Rezeptorvariante, die nur gering durch Anästhetika aktiviert wird, eine Bindungsstelle für volatile Anästhetika in der Größe von 45 Aminosäuren gefunden werden (Mihic et al., 1997).

Dies unterstützt die Theorie von der Existenz spezifischer Bindungsstellen für kleine Anästhesie-auslösende Moleküle innerhalb der Kanal-Proteine von Glycin- und GABAA -Rezeptoren. Die Theorie von Bindungsstellen umschriebener Dimension an Proteinen als Angriffspunkt für Anästhetika wurde ursprünglich von Franks und Lieb aufgestellt als Erklärung für den Verlust anästhetischer Wirkung von langkettigen Alkoholen bei einer Zunahme ihres Molekulargewichtes (Franks und Lieb, 1985).

Allgemein wird angenommen, dass die Coaktivierung an inhibitorischen Synapsen der entscheidende Mechanismus zur Erzeugung einer Narkose durch Propofol oder andere Anästhetika ist, da die entsprechenden in vitro Effekte in Konzentrationen beobachtet werden, die als klinisch relevant gelten (Franks und Lieb, 1994). Für Propofol werden Konzentrationen in wässriger Lösung im Konzentrationsbereich bis 10 µM als relevant für die Anästhesie erachtet (Tonner et al., 1992). Für den Verlust des Aufstell-Reflexes bei Kaulquappen, einem Standardmodell, um die anästhetische Potenz von Substanzen in wässriger Lösung zu bestimmen, sind Propofolkonzentrationen von 1-10 µM erforderlich

(Tonner et al., 1992; Krasowski et al., 2001). Allerdings ist es schwierig Anästhesie-auslösende Konzentrationen von intravenös applizierten Anästhetika in wässriger Lösung einzuschätzen, da es schwer möglich ist, Konzentrationen eines Anästhetikums in einzelnen Kompartimenten des Körpers zu bestimmen.

In dieser Dissertation werden coaktivierende Effekte des Propofols an Glycin-Rezeptoren in jenem niedrigen Konzentrationsbereich durch Verwendung von heterolog in HEK 293 Zellen exprimierten Glycin-Rezeptoren nachgewiesen (Ahrens et al., 2004). Diese Beobachtungen werden bestätigt durch frühere Untersuchungen, die Xenopus Laevis Oocyten als Expressionssystem verwendeten (Pistis et al., 1997; Mascia et al., 1996), sowie durch in vitro Untersuchungen von Glycin-Rezeptoren in Rückenmarks-Neuronen von Ratten (Dong und Xu, 2002) und Nagetieren (Hales und Lambert, 1991).

Eine Coaktivierung des Effektes einer submaximalen Glycin-Konzentration wurde jedoch sowohl bei Propofol als auch bei dem nicht anästhetisch wirksamen 2,6-Di-tert-butylphenol beobachtet. Durch beide Substanzen konnten schon in einem niedrigen Konzentrationsbereich (< 5 µM) vergleichbare Effekte erzielt werden (Ahrens et al., 2004). 2,6-Di-tert-butylphenol löst nach peritonealer Injektion bei der Maus keine Anästhesie aus (James und Glen, 1980).

Dies lässt vermuten, dass die Coaktivierung des Glycin-Rezeptors keinen substantiellen Beitrag zum Zustandekommen der Anästhesie leistet (Ahrens et al., 2004). In einer weiteren in vivo Untersuchung erzeugt 2,6-Di-tert-butylphenol auch bei Kaulquappen in einem Konzentrationsbereich zwischen 1-100 µM keine Anästhesie (Krasowski et al., 2001). Es erscheint dabei unwahrscheinlich, dass in den beiden vorgenannten in vivo Experimenten das 2,6-Di-tert-butylphenol seinen Wirkungsort nicht erreicht. Die Passage von Medikamenten durch die Haut von Kaulquappen ist den gleichen physiologischen Variablen unterworfen wie die Passage der Blut-Hirn-Schranke. Die von der Struktur her dem 2,6-Di-tert-butylphenol sehr ähnliche Substanz 2,6-Di-sec-butylphenol ist ein sehr potentes Anästhetikum bei Mäusen und Kaulquappen (James und Glen, 1980; Krasowski et al., 2001). Die Wirksamkeit des 2,6-Di-sec-butylphenol lässt sich verdeutlichen durch einen Vergleich der mittleren Konzentrationen für den Verlust des Aufstellreflexes bei Kaulquappen. 2,6-Di-sec-butylphenol zeigt sich dabei mit einer EC50 von 0,39 µM leicht potenter als Propofol (EC50 = 1,9 µM) (Krasowski et al., 2001). Dies lässt vermuten, dass die tert-Butyl-Gruppen die phenolische Hydroxyl-Gruppe überlagern und dadurch die entscheidende Interaktion zwischen der Hydroxyl-Gruppe und einer spezifischen Bindungsstelle am Rezeptor verhindern (Krasowski et al., 2001).

Direkte Aktivierung des Rezeptors durch Propofol erfordert für einen in vitro erfassbaren Effekt hohe Konzentrationen (> 30 µM), die außerhalb des klinisch relevanten Bereichs liegen. 2,6-Di-tert-butylphenol ist dagegen nicht in der Lage, eine direkte Aktivierung hervorzurufen. Diese Ergebnisse implizieren, dass direkte Aktivierung des Glycin-Rezeptors vermutlich keinen Beitrag zur durch Propofol erzeugten Anästhesie leistet. Andererseits kann im Falle der direkten Aktivierung nicht ausgeschlossen werden, dass auch geringe Effekte durch das Zusammenspiel vieler Rezeptoren in einem neuronalen Netzwerk zu einer lang anhaltenden Hyperpolarisation der Nervenzellen führen.

Das Zusammenspiel hemmender Einflüsse auf Rückenmarksebene ist komplex, und die Anteile der über GABAA- bzw. Glycin-Rezeptoren vermittelten Effekte können je nach Art der Neurone unterschiedlich stark ausfallen (Chery und de Koninck, 1999). In vitro Untersuchungen am Rückenmark der Ratte haben gezeigt, dass durch Propofol ausgelöste Chlorid-Ströme zu 90 % durch den GABAA-Antagonisten Bicucullin und zu 12 % durch den Glycin-Antagonisten Strychnin blockiert werden (Dong und Xu, 2002). Propofol hat sich sowohl in der direkten Aktivierung als auch in der Coaktivierung als ein potenter Agonist am GABAA-Rezeptor herausgestellt (Dong und Xu, 2002; Hara et al., 1993; Lin et al., 1992;

Hales und Lambert, 1991; Concas et al., 1990). 2,6-Di-tert-butylphenol kann dagegen in vitro GABAA-Rezeptoren weder direkt noch zusammen mit dem Agonisten aktivieren (Krasowski et al., 2001). Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, dass die Aktivierung des GABAA -Rezeptors durch Propofol auf Rückenmarksebene eine wesentliche Rolle auch bei der durch Propofol induzierten Immobilisation spielt.

Diese Untersuchungen werden untermauert durch die Resultate von in vivo Studien, die zeigen, dass nicht nur die durch Propofol vermittelte Hypnose, sondern auch die Immobilisation hauptsächlich durch GABAA-Rezeptoren vermittelt werden (Jurd et al., 2003).

Weitere in vitro Untersuchungen in Vorderhorn-Interneuronen der Ratte weisen nach, dass Propofol spontane Aktionspotentiale fast ausschließlich über GABAA-Rezeptoren (zu 96 %) hemmt. Das volatile Anästhetikum Sevofluran entfaltet dagegen seine immobilisierende Wirkung gleichermaßen über GABAA- (zu 38 %) und Glycin-Rezeptoren (zu 45 %) (Grasshoff und Antkowiak, 2004). Eine Injektion des GABA-Antagonisten Picrotoxin steigert die EC50 von Propofol für die Immobilisation um 400 %. Der Glycin-Antagonist Strychnin bewirkt lediglich einen Anstieg um 50 % (Sonner et al., 2003).

In sehr hohen Konzentrationen (> 600 µM) zeigt Propofol auch hemmende Effekte, wenn es zusammen mit Glycin appliziert wird. Diese zeigen sich durch eine zunehmende Reduktion der Stromamplitude mit steigenden Konzentrationen und einen beschleunigten Abfall des

Stromes nach Aktivierung des Kanals. Nach Beendigung der Coapplikation erfolgt eine erneute Öffnung des Kanals. Dem in dieser Dissertation beschriebenen Phänomen könnte ein Offen-Kanal-Block durch Propofol in sehr hohen Konzentrationen zugrunde liegen (Ahrens et al., 2004). In anderen Untersuchungen werden ähnliche Effekte für die Modulation von Glycin-Rezeptoren durch Propofol und die Beeinflussung von GABAA-Rezeptoren durch Inhalationsanästhetika beschrieben (Dong und Xu, 2002; Banks und Pearce, 1999;

Hapfelmeier et al., 2001). Eine alternative Erklärungsmöglichkeit zur Hypothese des Offen-Kanal-Blockes ist eine allosterische Hemmung des Rezeptors, bei der hohe Konzentrationen von Propofol den desensitisierten Zustand des Rezeptors stabilisieren. Dieser Mechanismus wird als Grundlage für die Blockade von Glycin- und GABAA-Rezeptoren durch Picrotoxin angesehen (Qian et al., 2004).

Aus den hier beschriebenen Resultaten der in vitro Experimente mit dem nicht anästhetisch wirksamen Propofolanalogon 2,6-Di-tert-butylphenol lässt sich ableiten, dass die Coaktivierung des Glycin-Rezeptors durch Propofol nicht bedeutsam für die Anästhesie ist, obwohl sie in klinisch relevanten Konzentrationen zu beobachten ist (Ahrens et al., 2004).

Zusammenfassend führen sowohl die Ergebnisse dieser Dissertation als auch die Ergebnisse anderer Untersuchungen zu der Annahme, dass die durch Propofol erzeugte Immobilisation über andere Mechanismen (in erster Linie GABA-erge) und nicht über eine Coaktivierung des Glycin-Rezeptors entstehen muß.