ppositionelle in der DDR sind von Mitarbeitern des Mini- steriums für Staatssicherheit (MfS) nicht zielgerichtet oder vorsätz- lich durch Röntgenstrahlen bezie- hungsweise radioaktive Substanzen gesundheitlich geschädigt worden.
Die Stasi hat jedoch im Umgang mit radioaktiven Substanzen die gesund- heitliche Gefährdung von Menschen in Kauf genommen. Das geht aus ei- nem Bericht hervor, den Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung der so genannten Gauck-Behörde Mitte März vorgelegt haben.
Anlass dazu war der Verdacht, in Haftanstalten der DDR habe man Regimegegner durch Röntgen- oder radioaktive Strahlung dauerhaft ge- schädigt. Diese Vermutung war nicht zuletzt aufgekommen, weil bekannte Oppositionelle an Krebs gestorben waren: Rudolf Bahro 1997, Gerulf Pannach 1998, Jürgen Fuchs 1999.
Alte Geräte,
Ausnahmeregelungen
Nach den Erkenntnissen der Gauck-Behörde wurden Häftlinge in Untersuchungshaft in der Regel zwei- mal durchleuchtet. Dabei wurden
„teilweise alte, nicht ordnungsgemäß eingestellte und gelegentlich auch de- fekte Geräte“ eingesetzt. Zugleich er- teilte das MfS Ausnahmegenehmi- gungen mit der Folge, dass Strahlen- schutzbestimmungen der DDR um- gangen wurden. Fazit der Wissen- schaftler: „Es kann also durchaus auf einen teilweise fahrlässigen Umgang mit Röntgenstrahlen bei der Behand- lung politischer Häftlinge geschlossen werden.“
Beim Einsatz von radioaktiven Substanzen spielte das Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf der Akademie der Wissenschaften eine entscheidende Rolle. Es war Versor- ger und Entsorger zugleich. Zwei der zuständigen Mitarbeiter dort arbeite- ten als Spitzel mit der Stasi zusam- men. „Interne Regelungen des MfS sorgten dafür, dass der Transport die- ser hochgefährlichen
Stoffe auf öffentlichen Straßen geheim blieb“, heißt in dem Bericht.
Die Stasi arbeitete seit den 70er-Jahren mit radioaktiven Mar- kierungen. Ziel war ei- ne höhere Effizienz bei der Aufklärung und Überführung des „Fein- des“. Die Einsätze stan- den unter dem Deck- namen „Wolke“. Dafür wurden Papiere, Do- kumente und Geld- scheine mit flüssigen
radioaktiven Substanzen gekenn- zeichnet, um „feindliche Verbindun- gen“ oder Gelddiebstähle aufzu- decken. So wurden einem Entwick- lungsingenieur radioaktiv markierte Dokumente zugespielt, die er später zu Hause einem Westberliner über- gab. Die Markierung war so stark, dass „auch von außen in der Woh- nung“ gearbeitet werden konnte, wie es in Notizen des MfS heißt. „Wir müssen davon ausgehen, dass Manu- skripte von Rudolf Bahro radioaktiv markiert wurden, um ihren weiteren Umlauf nachvollziehen zu können.
Diesen Fall untersucht derzeit die Staatsanwaltschaft“, berichtete Joa- chim Gauck, Bundesbeauftragter für
die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Welche radio- aktive Markierung vorgenommen wurde und ob Bahro damit in Be- rührung kam, ist nicht bekannt.
Zur „Kennzeichnung“ von Perso- nen verwendete man speziell präpa- rierte Stecknadeln, zum Anheften gab es spezielle Folien. Um Kraftfahrzeu- ge verfolgen zu können, wurden radio- aktiv präparierte Magnete eingesetzt oder Autoreifen mit Hilfe eines Ge- schosses markiert. Dem – fragmentari- schen – Material zufolge wurden in den 70er-Jahren etwa 100 radioaktive Markierungen vorgenommen, 30 bis 50 in den 80ern. Im Prinzip sollten da- bei Personen nicht zu Schaden kom- men, aber die gesundheitliche Schädi- gung sei billigend in Kauf genommen worden, meinen die Wissenschaftler.
Nach Erkenntnissen des exter- nen Gutachters Dr. Sebastian Pflug- beil ging das MfS bei seinen Grenz- wertfestlegungen über die zugelasse- nen Dosen für „Nor- malbürger“ hinaus.
Den Berechnungen des Physikers zufolge hätten drei radioaktive Markierungseinsätze an einer „Zielperson“
ausgereicht, die auf 50 Jahre festgelegten DDR-Grenzwerte für
„Normalbürger“ etwa um das Fünffache zu überschreiten. Setzt man aktuelle Grenz- werte an, so wären diese allein bei einem
„Markierungseinsatz“
um mehr als das 250fache überschrit- ten worden.
Die Gauck-Behörde hat ihre Er- kenntnisse an Staatsanwälte und die Zentrale Ermittlungsstelle für Regie- rungs- und Vereinigungskriminalität weitergeleitet. Offen ist, ob Frauen und Männer, die sich an den „Markierun- gen“ beteiligten, noch heute im staat- lich organisierten Strahlenschutzbe- reich tätig sind. Joachim Gauck sagte:
„Deutlich wird auch, dass es in einer Diktatur eine wertneutrale Wissen- schaft nicht gibt . . . Auch beim Einsatz radioaktiver Substanzen war das MfS auf die Mithilfe von Wissenschaftlern, die zum Teil heute noch einen guten Ruf besitzen, angewiesen.“ Sabine Rieser A-816 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 13, 31. März 2000
P O L I T I K AKTUELL
Radioaktive Substanzen
Stasi nahm Gefährdung von Menschen in Kauf
Ein Bericht der Gauck-Behörde belegt: Das Ministerium für Staatssicherheit hat bei der Überwachung von DDR- Oppositionellen auch radioaktives Material eingesetzt.
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Rudolf Bahro starb 1997 an Krebs.
Foto: dpa