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Archiv "Im Dienste der Staatssicherheit: „Ich stand hinter der DDR“" (05.05.2006)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006 AA1201

A

ufgewühlt ist Dr. med. Bernhard Schmidt* nur innerlich. Nach außen wirkt er ruhig, obwohl ei- ne gewisse Nervosität im Raum liegt, wenn er über seine Vergangenheit be- richtet. „Vielleicht kann man mit solch einem Gespräch ein kleines bisschen von der Schuld abtragen, die man auf sich geladen hat“, sagt er leise. Mit dem Wort Schuld habe er allerdings so seine Probleme, fügt er hinzu. Es sei nicht in Ordnung gewesen, was er ge- tan habe, und diese „gewisse Schuld“

belaste ihn, doch als übermäßig emp- finde er sie nicht.

Schmidt war als Arzt in der DDR tätig und 39 Jahre alt, als er vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als inoffiziel- ler Mitarbeiter (IM) aus „politischer Überzeugung“ geworben wurde. 13 Jah- re lang – bis zur „Wende“ im Herbst 1989 – versorgte er als IM „Klaus“ die Staatssicherheit mit Informationen, vor allem über Kollegen und das DDR-Ge- sundheitswesen. Regelrecht überrollt von den politischen Ereignissen, endete seine Tätigkeit offiziell nie. „Man schämt sich, wenn man das alles Revue passie- ren lässt, was geschehen ist“, gesteht Schmidt. Heute habe er eine andere Ein- stellung zu seiner „Nebentätigkeit“, aber damals habe er politisch hinter der DDR gestanden. „Ich kann es nicht ungesche- hen machen; ich muss damit leben“, sagt er nachdenklich und blickt starr auf die Tischplatte. Heute steht für ihn fest: „Es gibt genügend zwischenmenschliche Probleme und Zuträgereien. Das ist schlimm genug. Und das sollte nicht von einem Staat ausgenutzt werden – nicht in dieser Art und Weise.“

Bernhard Schmidt gehörte zum Gros der inoffiziellen Mitarbeiter der Staats- sicherheit: angeworben aus politischer Überzeugung. Dadurch unterscheidet sich seine Geschichte deutlich von der von IM „Sabine“ (DÄ, Heft 3/2006), einer Ärztin, die aus Gründen der

„Wiedergutmachung“ einige Jahre für die Stasi arbeitete. „Klaus“ stieg nicht wie „Sabine“ vorzeitig aus, sondern berichtete der Stasi bis zum Ende der DDR – in einem für

einen IM durchschnitt- lichen Umfang.

Auch die Geschichte seiner Anwerbung ist ty- pisch für einen IM-Le- benslauf: Sie geschah

ohne Zwang, jedoch durch einen will- kommenen Anlass. „Ich hatte ein paar Probleme mit meiner Wehrpflicht“, er- zählt Schmidt, der von seiner Militärzeit bei der Nationalen Volksarmee zum Studium freigestellt worden war. „Nach meiner Facharztweiterbildung bin ich offenbar vergessen worden, habe ich mich nie wieder darum gekümmert, hatte aber immer im Hinterkopf: In dei- nem Wehrpass steht nichts drin. Und das war ein bisschen heikel.“ Als er ei- nes Tages einen Brief vom Wehrkreis- kommando erhielt, sei ihm „das Herz in die Hose gerutscht“. „Ich dachte: ,Jetzt haben sie dich.‘ Aber dann hat mich dort nicht das Wehrkreiskommando er- wartet, sondern das MfS“, berichtet Schmidt. Schnell fügte sich dann eines zum anderen: Dem Arzt wurde der so- fortige Einzug zur Armee vor Augen ge- halten, aber auch die Möglichkeit zur Mitarbeit bei der Stasi. Schmidt zögerte nicht und schlug ein. Bedenken, der Sta- si Auskunft über Mitmenschen zu ge-

ben, hatte er offenbar nicht. „Da ich voll hinter der DDR stand, war das kein Riesenproblem für mich. Und darauf- hin war das Thema Armee erledigt.“

Dass ihm die Wehrzeit erlassen wur- de, sieht Schmidt als einzigen Vorteil sei- ner Stasi-Tätigkeit an. „Ich war heilfroh, dass ich da nicht hinmusste. Dieser Drill war mir irgendwie zuwider.“ Berufliche oder finanzielle Vergünstigungen will Schmidt nicht erhalten haben. „Ich habe meinen ganz normalen Weg gemacht: eine Kran- kenhausabteilung aufge- baut und eine Oberarzt- stelle erhalten“, erzählt Schmidt. Nebenbei habe er noch andere „gesell- schaftliche Arbeit“ geleistet, zum Bei- spiel beim Deutschen Roten Kreuz.

„Ich habe niemanden aus seiner Stel- lung gedrängt – das war nicht mein Ding“, erklärt er. Nachteile hat der ehe- malige IM nicht gespürt, auch im Um- gang mit Kollegen nicht. „Die haben mir nicht alles erzählt, das wird sicher so ge- wesen sein“, ist er überzeugt. „Aber es hat mich auch nicht gestört, wenn ich nicht alles wusste.“

Als IM „Klaus“ hatte Schmidt regel- mäßig Kontakt zum MfS, „vielleicht drei- bis viermal im Jahr“. „Ich habe die Fragen beantwortet oder die Dinge be- richtet, nach denen ich gefragt worden bin.“ Notiert hätten weder er noch sein erster Führungsoffizier etwas. Es sei um das Krankenhaus und um Kollegen gegangen, nie um Patienten. „Ich habe auch die Dinge, von denen ich dachte, dass sie schlecht laufen, gesagt. Wir ha- ben uns einfach unterhalten“, ergänzt Schmidt. „Das war übrigens ein ange- nehmer Zeitgenosse vom Umgang her.

Im Dienste der Staatssicherheit

„Ich stand hinter der DDR“

Der Arzt Bernhardt Schmidt erzählt erstmals öffentlich seine Geschichte: 13 Jahre lang arbeitete er aus „politischer Über- zeugung“ als inoffizieller Mitarbeiter.

* Name von der Redaktion geändert

„Man schämt sich, wenn man das alles Revue passieren lässt,

was geschehen ist.“

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Ich hatte nie das Gefühl: Das hier ist et- was richtig Bedrohendes.“

Nach dem Umzug in eine andere Stadt aufgrund seiner Scheidung erhielt IM „Klaus“ neue Führungsoffiziere, zunächst „einen älteren Herrn, der sehr schlecht ausgewählt und ein Dummkopf ersten Ranges war“. Der habe „ganz primitive sexuelle Dinge“

wissen wollen und ständig mit einem Tonband gearbeitet. Später hatte

„Klaus“ Kontakt zu einem jüngeren Führungsoffizier, der „angenehmer“

war. Dieser forderte den Arzt auf, Be- richte zu schreiben. „Ich sollte zum Bei- spiel einen Kollegen einschätzen, der nach Amerika zu Verwandten fahren wollte. Und eine Kollegin, die nach Dä- nemark reisen wollte“, erzählt Schmidt.

„Da hat man immer ausgewählt.“ Mit dem Kollegen habe er direkt und vor al- lem gut zusammengearbeitet. „Ich kannte seine persönliche Einstellung.

Da hat man so einen Bericht schon ein bisschen positiv gefärbt“, räumt Schmidt ein. „Ich konnte ihm keine so- zialistischen Ideale andichten. Aber Dinge, die nicht so gut angekommen wären, habe ich vielleicht etwas abge- schwächt. . . . Die Kollegin wiederum

konnte ich absolut nicht leiden. Da ha- be ich das vielleicht nicht so gemacht.

Und sie ist dann auch nicht nach Däne- mark gefahren.“

Nach der Wende kam die fristlose Kündigung

Dieser Vorfall gehört offenbar zu den Ereignissen, für die Schmidt „eine ge- wisse Schuld“ einsieht. Heute schäme er sich für seine Vorgehensweise, vor al- lem dafür, dass sie nicht politisch, son- dern persönlich motiviert war, sagt Schmidt. „Durch diese menschlichen Unzulänglichkeiten habe ich anderen vielleicht schon geschadet . . .“, meint er. Gemeldet hat sich nach der Wende jedoch keiner derjenigen bei Schmidt, über die er berichtet hatte. Der Kollege, der nach Amerika gefahren ist, sei Chefarzt geworden, weiß Schmidt. Die Kollegin sei noch immer in demselben Krankenhaus tätig.

Den letzten Kontakt zum MfS hatte Schmidt im Sommer 1989. Danach mel- dete sich sein Führungsoffizier nicht mehr. „Der hat wahrscheinlich eher ge- merkt als ich, dass das Ganze den Bach

hinunterging“, meint Schmidt. „Wir hatten uns zuletzt immer mal in seinem Auto auf dem Parkplatz getroffen. Da hat er gesagt: ‚Ach, es ist alles nicht mehr so.‘ Und ich wollte da immer noch Sozialismus.“

Nach der Wende gestand Schmidt ei- nigen Kollegen seine Berichtstätigkeit für das MfS, unter anderem seiner Oberärztin und seinem Chef. „Und als dann 1992 die Bögen kamen, habe ich alles reingeschrieben. Ja, und dann kam die Kündigung, die fristlose Kün- digung.“ Auf Anraten von Kollegen habe er Einspruch eingelegt und ei- ne Einzelfallüberprüfung gefordert.

„Doch die haben mich nur gefragt: ,Ha- ben Sie oder haben Sie nicht?‘ Da habe ich gesagt: ,Ja, ich habe.‘ Und das bitte schön, das war es.“

Einige Zeit hat sich Bernhard Schmidt dann mit einer Urlaubsver- tretung in einer Reha-Klinik und Ernährungsberatung über Wasser ge- halten. 1995 nahm er einen nichtärztli- chen Job an einer Schule an, in dem er bis 2005 tätig war. Seine Stasi-Akte kennt er bis heute nicht.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Dr. phil. Francesca Weil T H E M E N D E R Z E I T

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A1202 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006

Motiv: „Politische Überzeugung“

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ie Rekrutierung von inoffiziellen Mitarbeitern des MfS auf der Grundlage von „politischer Überzeugung“ war die Hauptmethode beziehungsweise die wichtigste und hauptsächliche Art der Anwerbung. Neben „Wiedergut- machung“ (Erpressung) sowie „persönlicher und materieller Interessiertheit“ (Vorteilserwägungen) ist dieses Motiv aus Sicht des MfS das häufigste unter den inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Begrifflich wurde „politische Überzeugung“ allerdings weit gefasst.War es Ende der 1950er-Jahre noch Ziel der Stasimit- arbeiter, derart motivierte IM von der „Überlegenheit des sozialisti- schen Lagers“ zu überzeugen, wurde seit Ende der 1960er-Jahre unter

„Überzeugung“ eher die ablehnende Haltung zur Politik kapitalistischer Staaten akzentuiert. Schließlich war in der zuletzt gültigen IM-Richtlinie von 1979 nur noch von „progressiv politischen Überzeugungen“ die Re- de. Dieser Begriff umfasste marxistisch-leninistische, humanistische sowie

„antiimperialistische“ Einstellungen. Dazu zählten „Friedensliebe, die Solidarität mit den unterdrückten Völkern, Patriotismus, bürgerlich- demokratische und humanistische Bestrebungen und Absichten“.

Viele IM standen dem Sozialismus als Idee und der DDR als dessen

„realem Gesellschaftssystem“ aufgeschlossen gegenüber. Das MfS war sich dennoch der Tatsache bewusst, dass der hohe Anteil der IM, die angeblich aus „politischer Überzeugung“ inoffiziell mit dem Staats-

sicherheitsdienst zusammenarbeiteten, keinesfalls realistisch war.

Nicht alle dieser Informanten handelten aus „ideologischer Über- einstimmung mit dem DDR-System“. Das belegt zum einen der Fakt, dass sich auch „überzeugte“ IM der Kooperation mit dem MfS entzogen, indem sie nicht zu vereinbarten Treffen kamen, sich dekonspirierten, Republikflucht begingen oder Aus- reiseanträge stellten.

Zum anderen geschah es durchaus häufig, dass die An- werbung dieser IM „legendiert“ erfolgte. In diesen Fällen wurden die IM-Kandidaten mittels „Legenden“ (erfundener Geschichten) angeworben und dadurch teilweise unter Druck gesetzt. Die weitaus häufigste Legende zur Anwerbung von Ärzten war der Versuch hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter, die Abwerbung und Ausschleusung von fachkompetenten Medizinern aus der DDR als Verlust für das sozialistische Gesundheitswesen sowie als berufsethisches Vergehen gegenüber Patienten darzustellen, das es mit allen Mitteln zu verhindern galt. Diesem Anspruch an eine IM-Tätig- keit hatten nur wenige Ärzte etwas entgegenzusetzen – zumindest nicht, ohne befürchten zu müssen, politisch in Misskredit zu geraten und ernsthafte Konsequenzen tragen zu müssen. Francesca Weil

Literatur: Helmut Müller-Enbergs, Inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit – Mo- tive für geheimpolizeiliche und nachrichtendienstliche Kooperation, in: Sven Max Litzcke/

Siegfried Schwan (Hg.), Nachrichtendienstpsychologie 3. Beiträge zur inneren Sicherheit, Brühl 2005, S. 7–41, hier S. 35 f.; ders., Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staats- sicherheit. Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, Berlin 1996, S. 108 f.

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