• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Evidenzbasierte Missverständnisse beim Mammakarzinom: Schlusswort" (29.04.2005)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Evidenzbasierte Missverständnisse beim Mammakarzinom: Schlusswort" (29.04.2005)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

tasie der Grafik 2 entnehmen kann), das heißt, letztlich erreicht man über den gesamten Zeitraum doch die ange- kreideten hohen Prozentwerte von sechs bis neun Prozent (30 ⫻0,2 bis 0,3 Prozent). Im Übrigen ist diese Zahl wesentlich verständlicher als ein jährli- ches „kleines“ Risiko. Diese hohe Pro- zentzahl ist für die Frauen auch leicht überprüfbar: Viele Frauen haben, so- bald ein bestimmtes Alter erreicht ist, eine Bekannte, die an Brustkrebs lei- det.

Welche Gesamtmortalitätsredukti- on erwartet der Autor, wenn jedes Jahr

„nur“ circa vier Prozent der Sterbe- fälle (Bundesamt für Statistik, Bonn, Sterbetafeln 2002) unter Frauen auf Brustkrebs zurückzuführen sind? Ei- ne Mammographie wird mit Sicherheit keinen Herzinfarkt, keinen Schlag- anfall, keinen Darm-/Lungenkrebs und schon gar nicht einen Unfall ver- hindern können. Somit ist natürlich der Effekt auf die zum Beispiel in Deutschland im Jahr 2002 knapp 18 000 Todesfälle durch Brustkrebs bei Frauen, gesehen in Relation zu den gesamt 452 000 Todesfällen unter Frauen im gleichen Zeitraum, gering (Bundesamt für Statistik, Bonn, Ster- betafeln 2002). Ich möchte in meiner Argumentation auch die klinische Epidemiologie nicht zu kurz kommen lassen und wie vom Autor gefordert, jedoch selbst in seiner Schlussfolge- rung nicht umgesetzt, absolut argu- mentieren: Sollte das Brustkrebsscree- ning so erfolgreich sein, wie behauptet (2), das heißt, dass eine Reduktion der Brustkrebssterblichkeit in Höhe von etwa 21 Prozent erreicht wer- den könne, dann hieße dies, ausge- hend von den Zahlen aus 2002, dass allein in Deutschland jährlich circa 3 700 Brustkrebstodesfälle zu vermei- den wären. Dies bedeutet in Relation zur Gesamtsterblichkeit 2002 von gut 452 000 Todesfällen lediglich eine Re- duktion um 0,8 Prozent, aber die Aus- wirkungen sowohl relativ (–21 Pro- zent) als auch absolut (–3 700 Todes- fälle) auf die Brustkrebssterblichkeit sind nicht unerheblich. Eine Inter- vention kann auch in der klinischen Epidemiologie nur die Zielgröße ver- ändern, auf die sie überhaupt einen theoretischen Einfluss hat, das heißt

in diesem Fall die relativ niedrige, aber absolut recht hohe Gesamtzahl an Brustkrebstodesfällen 2002 von 17 780 Frauen.

Panikmache wird bei der häufigsten Krebserkrankung der Frau nicht be- trieben, sondern nur Aufklärung, die extrem wichtig ist. Der Autor hat ver- sucht auf evidenzbasierte Missver- ständnisse hinzuweisen, zu diesen Miss- verständnissen gehören jedoch auch die Unterbewertung durch Untertrei- bung eines Risikos und die alleinige Darstellung des Wertes der Interventi- on in Bezug auf die Gesamtmortalität.

Literatur

1. Gøtzsche PC, Olsen O: Cochrane review on screening for breast cancer with mammography. Lancet 2001;

358: 1340–1342.

2. Nyström L, Andersson I, Bjurstam N, Frisell J, Nor- denskjöld B, Rutquist LE: Long term effects of mam- mography screening: updated overview of the Swe- dish randomised trialsl. Lancet 2002; 359: 909–919.

Christian Weber Berliner Straße 44 69120 Heidelberg

Schlusswort

Mein Artikel zielt nicht primär auf das Für und Wider des Mammographie- screenings, sondern auf die Datenprä- sentation, die Ärzte den Rat suchen- den Frauen schulden, damit das Ein- verständnis zur Mammographie oder ihre Ablehnung auf Information und nicht auf Desinformation gründet.

Herr Kollege Warszawski spricht den derzeitigen Sumpf des „grauen“

Screenings an, der mit Einführung des Mammographiescreenings ausge- trocknet werden soll. Das mag ein eh- renwertes Motiv sein, aber diesseits und jenseits der erfassten Altersgrup- pe von 50 bis 69 werden sich die Sümp- fe weiterentwickeln, wenn man den Empfehlungen folgen wird, die in der Pressemitteilung der Gesellschaft für Senologie vom 3. September 2004 for- muliert und auf der Internetseite der DKG zu lesen sind (1). Der Hinweis von Herrn Kollegen Ziemer, die Vali- dität eines Mammographiescreenings mit der „number needed to screen“ zu beschreiben, ist richtig. Ohne diese Zahl als solche zu bezeichnen, ist sie in meinem Artikel als Zitat enthalten:

„Mit Mammographiescreening bei 1 000 Frauen über zehn Jahre hat eine Frau einen Nutzen, da sie in dieser Zeit nicht an Brustkrebs stirbt.“ Dies er- rechnet sich allgemein nach 1/ARR (ARR, absolute Risikoreduktion) und damit hier aus 1/0,001. Herr Ziemer kommt auf 1 428 Frauen, weil er ohne Rundung mit 1/0,0007 gerechnet hat.

Herr Kollege Weber sieht in meiner Darstellung des Erkrankungsrisikos eine Neigung zur Untertreibung. Das aus den Inzidenzraten abgeleitete Er- krankungsrisiko ist weder eine unter- noch eine übertriebene Risikoschät- zung und auch ohne Fantasie kann aus meinem Text der Zeithorizont ent- nommen werden: „Mit diesen Zahlen sollte in der klinischen Beratungssitua- tion das absolute und aktuelle Risiko einer Frau beschrieben werden, in Ab- hängigkeit ihrer Altersklasse innerhalb eines Jahres an Brustkrebs zu erkran- ken.“ Weiter führt Herr Kollege Weber aus, die Zahl des kumulierten Risikos sei wesentlich verständlicher als ein jährliches kleines Risiko, insbesondere sei ja diese hohe Prozentzahl für die Frauen leicht überprüfbar, weil viele eine Bekannte hätten, die an Brust- krebs leide. Ohne dem Kollegen Weber diese Absicht unterstellen zu wollen, setzt ein solches Argument doch auf ein in der Gesellschaft (leider) weit verbreitetes mathematisches Analpha- betentum, das Paulos, ein amerikani- scher Mathematiker, unter anderem so beschreibt: „Mathematische Analpha- beten neigen dazu, die Häufigkeit von Zufällen drastisch zu überschätzen und Übereinstimmungen aller Art gro- ße Bedeutung einzuräumen, während schlüssige, nicht so spektakuläre stati- stische Beweise wesentlich weniger Eindruck auf sie machen“ (4).

3 700 Brustkrebstodesfälle weniger in Deutschland errechnet Herr Kolle- ge Weber bezogen auf die Zahlen aus dem Jahr 2002 bei einer relativen Mor- talitätsreduktion durch Mammogra- phiescreening von 21 Prozent, wie von Nyström et al. (3) angegeben. Das ist richtig, dennoch beträgt auch in der zitierten Arbeit die absolute Morta- litätsreduktion pro Jahr nur 0,0072 Prozent (aus 0,0346 Prozent minus 0,0274 Prozent) und diese Zahl ist in der Information für eine Frau anzuge- M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1729. April 2005 AA1211

(2)

M E D I Z I N

A

A1212 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1729. April 2005

ben, die sich zum Screening entscheiden soll, denn sie wird wohl an ihrer persön- lichen Mortalitätsreduktion durch Scree- ningteilnahme interessiert sein und nicht an der epidemiologischen Auswir- kung ihrer Screeningteilnahme auf die Gesamtmortalität des Mammakarzi- noms in Deutschland. Fast verzweifelt schrieb mir eine Frauenärztin aus Baes- weiler: „Macht man die Aussage, 999 von 1 000 Frauen gehen „umsonst“

zum Screening, geht man als normaler Mensch eigentlich nicht mehr hin.“

Warum fürchten wir uns vor der Reak- tion auf diese zutreffende Informati- on? Dennoch teile ich die Skepsis von Herrn Kollegen Ziemer, inwieweit sol- che Hinweise zu den Unterschieden von absoluten, relativen und kumulier- ten Risikoangaben irgendeinen Ein- fluss auf die Beratung haben werden.

Meine Skepsis gründet aber nicht in den dargestellten Daten, die sind eben so, sondern in der Tatsache, dass das Mammakarzinom inzwischen eine

„politische“ Krankheit (2) geworden ist, zu der das Mammographiescree- ning als heilige Kuh dazu gehört. Sie schlachten zu wollen, kommt mir über- haupt nicht zu. Aber es steht mir zu, darauf hinzuweisen, dass diese Kuh wohl nie heilig war und nur mit hohen protzigen Prozenten weiter für heilig gehalten wird.

Literatur

1. Deutsche Gesellschaft für Senologie. (Pressemittei- lung) Reihenuntersuchung zur Brustkrebsfrüherken- nung nicht nur für Frauen mittleren Alters sinnvoll.

www.deutsche-krebsgesellschaft.de.

2. Hölzel D, Engel J, Schubert-Fritschle G: Disease-Ma- nagement-Programm Brustkrebs. Versorgungsrea- lität, Konzeptkritik und Perspektiven. Dtsch Ärztebl 2004; 101: A 1810–1819 (Heft 25).

3. Nyström L, Andersson I, Bjurstam N, Frisell J, Nor- denskjöld B, Rutqvist LE: Long-term effects of mam- mography screening: updated overview of the Swe- dish randomised trials. Lancet 2002; 359: 909–919.

4. Paulos JA: Zahlenblind. Mathematisches Analphabe- tentum und seine Konsequenzen. München: Wilhelm Heyne Verlag 1990.

Prof. Dr. med. Rainer Kürzl

1. Frauenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Innenstadt

Maistraße 11 80337 München

E-Mail: rainer.kuerzl@med.uni-muenchen.de

Sozioökonomische Aspekte unberücksichtigt

Der Artikel bedarf dringend einer we- sentlichen Ergänzung. Das Autoren- team geht nämlich nicht auf die sozialen Aspekte der Entstehung von Adiposi- tas ein, dagegen recht ausführlich auf die biomedizinischen und genetischen Grundlagen, die mit der Frage zu tun haben, ob es sich bei der Adipositas tatsächlich um eine Erkrankung han- delt. Ich möchte hier nur auf eine ganze Reihe von Studien hinweisen, die den Zusammenhang zwischen sozioökono- mischem Status und Übergewicht/Adi- positas belegen (1–4).

Die Lektüre der zitierten Artikel könnte zu der Überlegung führen, ob Adipositas nicht überwiegend eine Fol- ge von Armut und den Praktiken der Nahrungsmittelindustrie ist, vor allem fett-, kohlenhydrat- und energiereiche Nahrungsmittel zu niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen. Handelt es sich dann noch um eine Krankheit im eigentlichen Sinn?

Aber unbestritten ist die Tatsache – nicht nur die klinische „Lebenserfah- rung“ sagt uns das, sondern groß ange- legte epidemiologische Studien –, dass Fehlernährung und Übergewicht ein Phänomen ist, das unter Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status wesentlich weiter verbreitet ist und dort

in vielen Fällen eindeutig alle Charak- teristika einer Krankheit hat.

Jedoch gibt es gegen den niedrigen so- zialen Status von keiner Pharmafirma ei- ne wirksame Pille. Das erklärt zumin- dest in meinen Augen das offensichtliche Ignorieren dieses Themas. Allerdings liegt hier – in Bildung, Ernährungsbera- tung, Förderung eines sozialen Aus- gleichs – das viel größere Präventionspo- tenzial, nicht nur in Bezug auf die Adipo- sitas.

Literatur

1. Drewnowski A, Specter SE: Poverty and Obesity: the role of energy and energy costs. Am J Clin Nutr 2004;

79: 6–16.

2. Everson SA, Siobhan CM, Lynch JW, Kaplan GA: Epide- miologic evidence for the relation between socio- economic status and depression, obesity and diabe- tes. J Psychosomatic Res 2002; 53: 891–895.

3. Power C, Parsons T: Nutritional and other influences in childhood as predictors of adult obesity. Proc Nutr Soc 2000; 59: 267–272.

4. Reinehr T, Kersting M, Chahda Ch, Andler W: Nutri- tional knowledge of obese compared to non obese children. Nutr Res 2003; 23: 645–649.

Dr. med. Barbara Hoffmann Görlitzer Straße 43

10997 Berlin

Versicherungsmedizinische Aspekte

Als ärztlicher Berater einer privaten Krankenversicherung, der relativ häu- fig mit der Beurteilung der medizini- schen Notwendigkeit von einer Adipo- sitastherapie betraut wird, erlaube ich mir eine Ergänzung. Der juristische Krankheitsbegriff kann nur einen recht groben, im Einzelfall wenig hilfreichen Rahmen vorgeben. Dies betrifft sowohl die Begriffe des „regelwidrigen Körper- und Geisteszustandes“, als auch das

„Abweichen vom Leitbild eines gesun- den Menschen“.

Dass die Adipositas wegen vorsätzli- cher Herbeiführung des Versicherungs- falls, wie von den Autoren dargestellt, bisher zum Leistungsausschluss führt, habe ich in keinem Fall erlebt. Dies gilt meines Erachtens weder für die Grund- krankheit noch für die Folgekrankhei- ten. Bei der versicherungsmedizini- schen Bewertung handelt es sich um eine Einzelfallbeurteilung, die Alter, Schweregrad der Adipositas, aber auch bisher vorgenommene Therapieversu- zu dem Beitrag

Ist Adipositas eine Krankheit?

Interdisziplinäre Perspektiven von

Prof. Dr. med.

Johannes Hebebrand Prof. Dr. theol.

Peter Dabrock, M.A.

Prof. Dr. rer. pol.

Michael Lingenfelder Dr. jur. Elmar Mand

Prof. Dr. rer. soz. Winfried Rief Prof. Dr. jur. Wolfgang Voit in Heft 37/2004

DISKUSSION

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Das aus den Inzidenzraten abgeleitete Er- krankungsrisiko ist weder eine unter- noch eine übertriebene Risikoschät- zung und auch ohne Fantasie kann aus meinem Text der

Unverzichtbar für die Indikations- stellung einer adjuvanten Chemo- therapie sind erstens der axilläre Lymphknotenstatus, wobei immer wieder gefordert wird, daß minde- stens acht

Es wird unmittelbar ersichtlich, wie mit diesen kumulativen 10,2 Prozent die absoluten Erkrankungsrisiken pro Alters- klasse massiv überschätzt werden, denn die 55-jährige Frau hat

Für die Chirurgie stellt diese Studie einen Ansporn dar, auch in ihrem eigenen Fachgebiet, zum Beispiel bei der Thera- pie des Rektumkarzinoms, vermehrt nach Lebensqualität

Herr Schermuly weist damit zu Recht auf das zentrale Problem der speziellen Untergruppen und der kleinen Fallzahlen in Studien hin. Die Frage kann heute nicht

dass ihr eine Botulinusbehandlung hel- fen könne, nach der Behandlung war es ein Faktum (die Hypothese war somit positiv getestet). Es ist genau wie bei ei- ner lege

Die adjuvante Che- motherapie kann nun als eine Standardbehandlung für diese Pa- tientinnen betrachtet werden, auch wenn eine weitere Verbes- serung der Effektivität noch er-

Auch dann, wenn man weiß, dass Azathioprin zu den Anti- metaboliten gehört, die eine Zellprolife- ration und eine Genaktivierung in Ent- zündungszellen inhibieren, hat