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Archiv "Gerichtliche Gutachten: Festlegung ist häufig nicht möglich" (07.03.2003)

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ei Arzthaftungsprozessen oder auch bei versicherungsrechtlichen Verfahren, in denen es um die Be- wertung einer Schädigung des Patien- ten geht, ist immer wieder festzustellen, dass die juristische Zielvorstellung und die sachverständige Begutachtung di- vergieren. Während Richter sich vom Sachverständigen eine eindeutige Ant- wort zum Beispiel auf die Frage erhof- fen, ob eine bestimmte Schädigung kau- sal auf das ärztliche Handeln oder auf einen Unfall zurückzuführen ist, ob ei- ne bestimmte Krankheitserscheinung psychische oder physische Ursachen hat, vermögen Ärzte sich häufig nicht festzulegen – jedenfalls nicht im Sinn ei- ner monokausalen Ursache.

Die Abgrenzung zwischen juristi- scher und medizinischer Fragestellung bereitet häufig große Probleme, und ei- ne saubere Trennung ist vielfach nicht möglich, obwohl die endgültige Beur- teilung dem Gericht vorbehalten sein soll, dem der Gutachter seine sachver- ständige Meinung zur Verfügung stellt.

Gesicherte medizinische Erkenntnisse

Im Allgemeinen sollen der Begutach- tung als gesichert geltende medizini- sche Erkenntnisse zugrunde gelegt wer- den. Oft können Ärzte allerdings nur mit den Begriffen der mehr oder min- der großen Wahrscheinlichkeit bezie- hungsweise der an Sicherheit grenzen- den Wahrscheinlichkeit operieren. So- fern die Beantwortung einer Gutach- terfrage die Einbeziehung medizini- scher Hypothesen und die Darstellung kontroverser Ansichten erfordert, soll-

te dies aus der Argumentation zweifels- frei hervorgehen. Die Entscheidung, in- wieweit die jeweiligen sachverständi- gen Feststellungen dann eine Subsumti- on unter ein bestimmtes Tatbestands- merkmal erlauben, ist die – häufig außerordentlich schwierige – Aufgabe des Gerichts.

Kann ein Gutachter die vom Gericht erwünschte eindeutige Antwort nicht geben, sieht er sich also aus medizini- schen Gründen außerstande auszu- führen, ob eine bestimmte gesundheitli- che Schädigung Folge eines Unfalls oder Auswirkung einer Vorerkrankung darstellt, sollte er dies in seinem Gut- achten klar zum Ausdruck bringen. So ist es medizinischen Gutachtern im Fall des Leistungsausschlusses der Unfall- versicherung (§ 2 Abs. 4 AUB 88) häufig nicht möglich, eindeutig festzustellen, ob eine auf einen Unfall zurückgehen- de krankhafte Störung „infolge psychi- scher Reaktionen“ eingetreten ist.

Sieht der Gutachter mehrere mitwir- kende Ursachen, und kann er es wissen- schaftlich verantworten, eine Rangfol- ge ihrer Kausalität oder prozentuale Anteile auszuwerfen, sollte er dies er- gänzend tun. So spielt zum Beispiel im Bereich der Unfallversicherung (§ 8 AUB 88) die Mitwirkung von Vorer- krankungen für den Umfang der Lei- stungspflicht eine entscheidende Rolle.

Wenig hilfreich ist für Gerichte, wenn auf eine klare Fragestellung eine wenig klare, diffuse Beantwortung erfolgt.

Ist eine eindeutige Antwort des ärzt- lichen Gutachters nicht zu erlangen, so bedeutet dies für den Juristen, dass eine bestimmte Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt oder ein bestimmtes Merk- mal einer Rechtsverteidigungsposition

nicht gegeben ist. Nach Erschöpfung sämtlicher Beweismittel hat die Nach- teile der Nichterweisbarkeit derjenige zu tragen, dem der Nachweis des be- haupteten Anspruches beziehungswei- se des erhobenen Einwandes obliegt, wobei die Rechtsprechung nach so ge- nannten Risikobereichen differenziert.

Als Beispiel möge der aus dem Be- reich der Arzthaftung sattsam bekannte

„Behandlungsfehler“ dienen: Vom me- dizinischen Sachverständigen werden im Arzthaftungsprozess Feststellungen begehrt, die es dem Gericht erlauben, ei- nen Behandlungsfehler als grob oder als nicht grob einzustufen. Konstatiert der Sachverständige nur einen einfachen Behandlungs-, Organisations- oder Dia- gnosefehler, so muss der Patient den Nachweis führen, dass das ärztliche Handeln seine Gesundheitsschädigung hervorgerufen hat – ein Nachweis, der in der Regel kaum zu führen ist.

Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers

Unterläuft dem Arzt demgegenüber ein so genannter grober Fehler, so muss er – um einer Haftung zu entgehen – den Nachweis führen, dass dieser Fehler für die Schädigung nicht ursächlich gewor- den ist, dass der Schaden – zum Beispiel wegen der körperlichen Konstitution des Patienten – auch bei fehlerfreier Behandlung aufgetreten wäre.

Einer in den letzten Jahren festzu- stellenden Neigung der Instanzgerichte, einen Behandlungsfehler als grob anzu- sehen, selbst wenn die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen hierzu nicht eindeutig waren, hat der Bundesgerichtshof 2002 in verschiede- nen Entscheidungen gegengesteuert:

Ein grober Behandlungsfehler liegt nur dann vor, wenn neben einem eindeuti- gen Verstoß gegen bewährte ärztliche Regeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse ein Fehler zu bejahen ist, der aus objektiver Sicht nicht mehr ver- ständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Dr. jur. Ingelore König-Ouvrier Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht

Die Langfassung mit zusätzlichen Informationen zum medizinischen Gutachterverfahren vor Gericht ist abruf- bar unter www.aerzteblatt.de/plus1003.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A612 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 107. März 2003

Gerichtliche Gutachten

Festlegung ist häufig nicht möglich

Kann der gutachtende Arzt die vom Gericht

erwünschte eindeutige Antwort nicht geben,

sollte er dies klar zum Ausdruck bringen.

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