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Archiv "Gesundheitsläden lassen schön grüßen" (29.08.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

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u neuem Leben erweckt wer- den soll die Jahres-Großver- anstaltung der „Beschäftig- ten und Betroffenen des Gesund- heitswesens": der „Gesundheits- tag", der heuer zum dritten Mal über die Bühne gehen wird, und zwar in der Woche vom 1. bis 7.

Oktober 1984 in Bremen. Bereits jetzt trommelt der Veranstalter, der Bremer Gesundheitsladen e.V., zur regen Mitarbeit und wirbt um generöse Spenden, Kredite und Vorauszahlungen der Teil- nehmerbeiträge. Den Spendern winkt die steuerliche Abzugsfä- higkeit ihres Obulus — dank einer großzügigen Anerkennung der

„Gesundheitsläden" als gemein- nützige und damit steuerprivi- legierte Einrichtungen durch das Finanzamt!

Alles, was Beine und fahrbare Un- tersätze besitzt, wird im goldenen Oktober 1984 zu einem gesund- heitsbewußten Sternmarsch an die Weser gebeten, wie weiland die „Bremer Stadtmusikanten".

Sie sind denn auch von den Ge- sundheitstags-Initiatoren als ta- tenfreudige, optimistische und nonkonformistische Symbolfigu- ren des „Nicht-Kongresses" (so der Anspruch der Gesundheits- Ladner) auserkoren worden.

Fast wie aus der „Bremer-Stadt- musikanten"-Parabel liefert das Programmdossier eine Kostprobe

dessen, was die von den Veran- staltern prophezeiten „10 000 bis 20 000 Teilnehmer" erwartet: „Wir sind nachdenklicher als vor drei Jahren auf dem Hamburger Ge- sundheitstag. Es haben sich viele neue Initiativen, Projekte und Selbsthilfegruppen aus der eher optimistischen Gesundheitsbewe- gung herausgebildet, aber teils 'sind sie auf einem Spezialtrip oder Scheuklappen-Ritt, teils sind sie gescheitert, teils stromlinien- förmig angepaßt, je nach Kon- junktur und Mode, teils verein- nahmt worden von der Politik und Wissenschaft. Unser Ziel ist, die fliehenden Kräfte aus den Schlammlöchern der Resignation

Gesundheits- läden lassen schön grüßen

und den ökologischen Nischen heraus in Auseinandersetzungen zu verwickeln, die Widersprüche auf den Tisch zu packen, unsere Träume vom Staub der geplatzten Illusionen zu befreien, die guten Ideen in gemeinsame Arbeit um- zusetzen ..."

Offenbar aus den negativen Erfah- rungen mit meist chaotischen Go ins der voraufgegangenen Ge- sundheitstage gereift, haben die Initiatoren die Einzelveranstaltun- gen streng konzeptionell durch- mustert und thematisch struktu- riert. Das Angebot der Hunderte von Einzelveranstaltungen soll je- weils zwei Schwerpunkte haben:

Vormittags soll der „Markt der Möglichkeiten" ausgelotet wer- den; nachmittags wollen die Ge- sundheitsarbeiter frank und frei ihr „Forum der Widersprüche" er- öffnen. Jedenfalls soll der „Ge- sundheitstag" Unruhe stiften in unseren und anderen Köpfen. Wie gehabt wird das Krankheitsge- schehen ausschließlich in einen

ökologischen Zusammenhang ge- bracht; die Schuldzuweisung ist jetzt bereits vorprogrammiert, denn es heißt in der breit gestreu- ten Offerte: „Nicht der Mensch ist krank, sondern die Umwelt, die er krank macht, macht ihn krank."

Und im gleichen Kontext heißt es, daß die marode Arbeitswelt, der Streß am Arbeitsplatz oder das Los des Dauerarbeitslosen krank mache. Selbsthilfe und alternative Gesundheitsbewegung lautet die Losung, um sich aus diesem

„Schicksal" zu befreien.

Die Gesundheitsarbeiter, die Pro- motoren der Gesundheitsläden, können und wollen auch in Bre- men nicht verhehlen, daß sie eine besondere Affinität zur Laienme- dizin, zur Naturheilkunde und Selbsthilfe- und Selbsterfah- rungsgruppen haben. Die „Haus- medizin/Ganzheitliche Medizin"

wird wie ein „Selbstgänger" pro- pagiert. Mit Hilfe universitärer Mit- streiter soll unter anderem der Frage auf den Grund gegangen werden: „Wer/Was sind die Krank- macher: Wettbewerb/Konkurrenz, AKW, das fette Schweinefleisch, die Regierung, saurer Regen und Blei oder Pershing 2?"

Und auch in einem anderen Enga- gement bleiben sich die Bremer Gesundheitsladen-Leute treu:

Vom „Gesundheitstag Bremen"

erwartet man allerlei Solidaritäts-

2474 (24) Heft 35 vom 29. August 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT Gesundheitsläden

Am Beispiel der Mediziner:

Agonie der Friedensbewegung

bekundungen für die Unterdrück- ten und Unterjochten in aller Welt und jegliche Fortschritte in der

„Friedensarbeit", zu einer huma- nitären „Solidaritätsarbeit in Form von Gesundheits- und Arbeitsbri- gaden für Nicaragua" wird eben- falls aufgerufen ...

Damit der „Bremer Gesundheits- tag" nicht zu einem provinziellen Lokalereignis absinkt, wollen die Initiatoren keine Mühen und Ko- sten scheuen, um die Werbetrom- mel kräftig zu rühren. Bereits im März 1984 ist eigens dafür eine Verlagsgesellschaft Gesundheit mbH in Berlin ins Leben gerufen worden, die rechtzeitig zum Ge- sundheitstag im Herbst 1984 ein Sprachrohr der Gesundheitsla- denaktivisten, ein Monatsmagazin mit dem Titel „Gesundheit!", auf den Markt bringen will. (Konkur- renz für „Dr. med. Mabuse"?) Warten wir's ab, ob die projektier- ten 160 000 DM Start- und Anlauf- kosten für dieses Unterfangen die von den Initiatoren sehnlichst ge- wünschte Bewegung in das Ge- sundheitswesen bringt!

Inzwischen hat Peter Schröder, der Hauptmacher vom Bremer Gesundheitsladen die zu erwar- tenden Veranstaltungskosten kal- kuliert: 300 000 DM! Immerhin werden 15 000 Teilnehmer zum

„Alternative-Medizin-Treffen" er- wartet. Die Teilnehmergebühren:

25 DM, ein Betrag, der weiterer Subventionen bedarf. Inzwischen hat der Bremer Senat, der sonst alle Steuergroschen notdürftig zusammenkratzen muß, den Ver- anstaltern einen Kredit von 100 000 DM zugesagt, aus Lotto- mitteln sollen weitere 20 000 DM beigesteuert werden. Und auch die schützende Hand des Gesund- heitssenators Herbert Brückner (SPD) waltet über dem Bremer Treffen. Sein Senatsdirektor Dr.

med. Hans-Helmut Euler erklärte gegenüber den „Bremer Nach- richten": „Wir freuen uns außeror- dentlich, daß dieses Treffen in Bremen stattfindet, und unterstüt- zen die Veranstalter, wo wie kön- nen." Harald Clade

Frank Praetorius

Vorgeschichte

Die Situation erinnert an die Zeit nach 1968. Nach einem großen emotionalen Aufschwung erleb- ten die kritischen jungen Men- schen, wie das amerikanische Volk seine Regierenden zur Been- digung des Vietnam-Abenteuers drängte — und mit dem Erfolg der Bewegung diese erlosch. Bei uns hatte es zu etwas gemilderten Notstandsgesetzen und einer Hochschulreform gereicht, die heute niemanden mehr befriedigt (schon gar nicht die Mediziner).

Viele sicherlich gut gemeinte Hoffnungen waren enttäuscht — Hoffnungen auf eine bessere, ei- ne mehr „moralische" Gesell- schaft, die man zwar utopisch, aber doch nicht unerreichbar fand. Die Utopie scheiterte mehr an den Interessenlagen der Hof- fenden als jenen der Herrschen- den: denn es waren letztlich sehr persönliche Motive (meist im anti- autoritären Bereich), die sich kurzzeitig zur Massenbewegung amalgamiert hatten.

Symptomatik

Diesmal ist es ein Mißerfolg, der die Agonie auslöst: es gelang ja nicht, die Raketen-Nachrüstung zu verhindern. Aber die Zeichen des nahenden Endes der Bewe-

gung sind ähnlich. Der medizini- sche Teil der Friedensbewegung

— die mindestens 112 „Initiativen"

— zeigt die Symptome in seinen jüngeren Texten und Diskussio-

nen besonders eindrucksvoll (1, 2). Die Symptome der Agonie sind dabei: Rückzug ins Individuelle, rigoroses Sektierertum, Aufreten von „Kadern" und Fraktionen (z. B. KoFAZ-Spektrum), Akzen- tuierung des antiautoritären Aus- gangsimpulses, Aktionismus und die Monotonisierung der Grund- fragendiskussion.

„NICHT ZITTERN, HANDELN" heißt es beschwörend in Leitartikeln (1), und gleich wird die Tendenz zum Rückzug in die kleine Gruppe (Frühsymptom der Auflösung des Ganzen) deutlich: „nur, wenn ... wir uns untereinander solida- risch verhalten, uns gegenseitig stützen, dann haben wir gemeinsam eine Chan- ce ...". Die Großschreibung legt den Verdacht des Aktionismus nahe; mit

„HANDELN" ist dezidiert persönlicher Ungehorsam gemeint. Dieser bringt als erstes einen „Kammerbeitragsboykott 1984" hervor (1, 2), begründet mit

„Zorn" gegen die Ärztekammern und ei- nem offenbar als bereits sicher gelten- den „militarisierten Gesundheitswe- sen": ein ebenso emotionales wie lo- gisch unbegründetes Unterfangen, das auch in den Initiativgruppen („Inis") nicht mehrheitsfähig war: am 28. 11.

1983 hatten ganze 0,4% aller Ärzte mit- gemacht, unter den in der Friedensbe- wegung aktiven Ärzten auch nur 5 %.

Das Unternehmen wurde abgeblasen (2) Wenn der Verfasser einen Niedergang der Friedensbewegung, ein Abgleiten bis hin zum Sektiererischen diagnostiziert, dann nicht aus Schadenfreude, sondern um das Anliegen, ständig ge- gen den Krieg und für den Frieden einzutreten, zu retten.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 35 vom 29. August 1984 (27) 2475

Referenzen

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