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Archiv "Die Wirtschaftskrise erzwingt zusätzliche Sparsamkeit: Das rechte Maß der Gesundheits- und Sozialpolitik in einer sich noch verschlechternden Gesamtsituation" (16.10.1975)

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72. Jahrgang/Heft 42 16. Oktober 1975 Postverlagsort Köln

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5000 Köln 40 (Lövenich) Postfach 40 04 30 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

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DEUTSCHE S

Die Information:

Bericht und Meinung

AR ZTE B LATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Die Wirtschaftskrise erzwingt zusätzliche Sparsamkeit

Das rechte Maß der Gesundheits- und Sozialpolitik in einer sich noch verschlechternden Gesamtsituation Hans Wolf Muschallik

Das Gesundheitswesen und die für die Gesundheitssicherung auf- zubringenden Kosten sind nach wie vor — wenn auch aus unter- schiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen — bevorzugtes Diskussionsthema der Presse und der Politik. Und das wird auch einige Zeit so bleiben.

Im Vordergrund standen dabei bisher die Diskussionen um die Krankenhäuser und die Pflegekosten und dabei auch, zumindest in mittelbarem Zusammenhang, „geplante Modellversuche" für prä- stationäre Diagnostik und poststationäre Behandlung in eben die- sen Krankenhäusern, deren ungünstige Kostensituation man gleich- zeitig lauthals beklagt. Neuerdings wird, sogar auch in Kreisen der Regierungskoalition, außerdem ganz offen darüber gesprochen und geschrieben, daß die Sparerwägungen keinesfalls auf das Kran- kenhaus beschränkt bleiben dürften, sondern daß sie den ganzen Sozialbereich umfassen sollen, beispielsweise den Wegfall der Be- zahlung einer „verwandten" Haushaltshilfe bei Krankenhausauf- enthalt der Mutter, die Begrenzung des Zuschusses der Kranken- kassen zum Zahnersatz, den Wegfall von Kuraufenthalten im Aus- land, eine Erhöhung der Rezeptgebühr, die Einführung von Wie- derholungsrezepten, einen Ausschluß der Verordnung bestimmter Medikamente, die Zahlung von Mutterschaftsgeld nur noch unter der Voraussetzung der Inanspruchnahme der gesetzlichen Früher- kennungsuntersuchungen, ja sogar die „zumutbare Eigenbeteili- gung der Versicherten an den Kosten", zumindest bei psychothera- peutischen, kieferorthopädischen oder vergleichbaren Behandlun- gen („Die Welt" am 30. September 1975).

Den Bundesverbänden der Orts-, Betriebs- und Innungskranken- kassen war es schließlich vorbehalten, auch eine Änderung des Kassenarztrechts als „Möglichkeit einer Kostendämpfung" in die Erörterung mit einigen SPD-Bundestagsabgeordneten einzubrin- gen, — mit der „Begründung", es sei vor mefir als zwanzig Jahren

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 42 vom 16. Oktober 1975 2879

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Die Information:

Bericht und Meinung

Sparsamkeit in der Wirtschaftskrise

unter Verhältnissen entstanden, die heute in medizintechnischer, wirt- schaftlicher und sozialer Hinsicht überholt seien. Eine fadenscheini- ge Begründung zwar, - nichtsde- stotrotz werden interessierte Kreise schon dafür sorgen, daß unter dem Vorwand der Ko- stendiskussion eben "alles" in Frage gestellt wird. (Siehe da- zu die ausführliche Berichter- stattung in der vorigen Ausgabe - DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 41 vom 9. Oktober 1975, Seite 2809).

Aus der Diskussion über den Aus- bau unseres Krankenhauswesens in den letzten Jahren muß man ei- nen höchst zwiespältigen Eindruck gewinnen, wenn man daran denkt, daß bis vor wenigen Monaten die überwältigende Mehrheit der Stim- men immer nur mehr, größere und klassenlosere Krankenhäuser for- derte; und es muß fast zur Ironie reizen, wenn heute von den glei- chen Stimmen festgestellt wird, daß wir nicht nur genug, sondern erheblich .zu viele Krankenhausbet- ten haben. Dabei erkennen die so gelobten "Planer" anscheinend auch erst heute das Fehlen von Krankenhäusern der Langzeitbe- handlung, und man hat überdies unmittelbar vor der besseren Ein- sicht die zum Teil kostengünstiger arbeitenden kleineren Krankenhäu- ser der Basisversorgung zum Aus- sterben verurteilt!

Die groteske Konfusion der "Planer"

Fast grotesk muß es anmuten, daß die gleichen "Planer" dennoch nicht müde werden, für eine prä- stationäre Diagnostik und poststa- tionäre Behandlung an Kranken- häusern einzutreten und nicht be- reit sind, aus einschlägigen Erfah- rungen im Ausland zu lernen, die zeigen, daß für ambulante Leistun- gen Krankenhäuser aus ihrer Struktur heraus notwendigerweise, auch kostenmäßig, ungünstiger lie- gen müssen als die freie Praxis, deren Kostenstruktur anders und für diese Leistungen günstiger ist.

Man will im Gesundheitswesen sparen, aber - möglicherweise aus ideologischen Gründen nicht zur Kenntnis nehmen, daß man sich in England und Schwe- den heute auf das Intensivste dar- um bemüht, den ambulanten Teil der Diagnostik so schnell wie mög- lich wieder aus den Krankenhäu- sern zu verlagern, weil es dort zu teuer ist.

ln dieser Debatte wird mit dem Wort "Doppeluntersuchung" viel Schindluder getrieben und der schwarze Peter unsachgerecht und unsinnig hin- und herge- schoben.

Dies gilt im übrigen auch für den gesamten undifferenzierten, aber so beliebten Vergleich von Kran- kenhaus und Praxis, obgleich jeder Sachkenner weiß, daß die Krank- heitsgeschehen in den beiden Sek- toren einfach nicht verglichen wer- den können.

Das Honorar -

ein Teilaspekt der Krise

Für den Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung zeigt sich im Zusammenhang mit den jetzt wie- der begonnenen parlamentari- schen Beratungen über die Geset- ze zur Änderung der Reichsversi- cherungsordnung, aber auch im Zusammenhang mit den auf Lan- desebene anlaufenden Honorarver- handlungen eine kritische Ausein- andersetzung mit der im Juli die- ses Jahres abgeschlossenen

"Empfehlungsvereinbarung" auf

Bundesebene und dabei mit der Frage, welche Kosten trotz der niedrigen Margen in der Empfeh- lungsvereinbarung tatsächlich den Krankenkassen erwachsen wer- den.

...,.. Es hat den Anschein, daß die Fi- nanzmisere in unserem Land ganz allgemein und die Finanzmisere im Bereich der gesetzlichen Kranken- versicherung im besonderen noch wesentlich prekärer ist als sie zur Zeit in Presse, Rundfunk und Fern- sehen dargestellt wird.

2880 Heft 42 vom 16. Oktober 1975 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Geht man davon aus, daß hierbei - unabhängig von den Gegeben- heiten in unserem Land und unab- hängig von den obengenannten Ur- sachen, die beispielsweise im Ge- sundheitswesen zu einer solchen Misere geführt haben - von einer

"Weltwirtschaftskrise" gesprochen werden kann, und trifft es zu, daß hierbei das Problem der Energie- versorgung und der steigenden Öl- preise eine besondere Rolle spielt, dann ist die Überlegung nicht von der Hand zu weisen, daß durch ei- nen damit zusammenhängenden weiteren Rückgang zum Beispiel des bundesdeutschen Exportes wei- tere finanzielle Einbußen und wei- tere vielleicht stark ansteigende Arbeitslosenzahlen die Folge sein können.

Im Rahmen des Möglichen:

"Maßhalten" in der Kassenpraxis Zur Lösung der Frage, was vor al- lem im Bereich des Gesundheits- wesens kostensparend getan wer- den könne, hat keiner ein Patentre- zept vorzuweisen, dies vor allem auch deshalb, weil bei all diesen Gegebenheiten politische Zielset- zungen und politische Taktiken eine entscheidende Rolle spielen.

...,.. Auf uns bezogen, muß man die Frage prüfen, ob und wie man ei- ner Fehlinterpretation vorbeugen kann, wenn trotz der erwiesenen Bereitschaft der deutschen Kas- senärzte zu einem stabilitätsbe- wußten Verhalten und trotz der ex- trem niedrigen linearen Honorar- Vertragsvereinbarungen die Ge- samtzahlungen der Krankenkassen dennoch weiter steigen, was aus vielerlei objektiven Gründen unver- meidbar und auch auf Grund der bisher überschaubaren Abrech- nungsergebnisse der Fall sein wird .

Wenn in diesem Zusammenhang aus dem politischen Raum - und zwar aus dem, der an der Erhal- tung und Weiterentwicklung des jetzigen Systems unserer Gesund- heitssicherung interessiert ist - die Forderung an uns Ärzte gerich-

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tet wird, zur Begrenzung der Ko- sten, die durch uns mittelbar oder unmittelbar verursacht werden, beizutragen, dann sind wir sicher bereit, angesichts der heute von al- len Bürgern in unserem Land ge- forderten Sparsamkeit das von uns aus Mögliche dazu beizutragen.

Zu fordern: Spar-Taten auch von Politik und Kassen!

Dies setzt allerdings voraus, daß man "solche Appelle" auch von po- litischer Seite und seitens der Krankenkassen der Öffentlichkeit gegenüber vertritt. Ein solcher Weg sollte möglich sein, ohne daß - was keiner will - unser Gesund- heitswesen in seiner Wirksamkeit gegenüber dem, der Hilfe braucht, im Wert gemindert wird.

Bisher hat man dies, auch als man schon absehen konnte, wie die Ko- stenentwicklung und ihre Finan- zierbarkeit verlaufen würden, nicht getan.

Man hat im Grunde genommen ge- rade das Gegenteil von dem getan, was man heute gern tun möchte.

Man hat zur Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialversicherung im allgemeinen und der Kranken-

versicherung im besonderen in sol-

cher Weise unaufhörlich angereizt, daß es kaum verwundern kann, wenn immer größere Bevölke- rungskreise mit einem nichtberech- tigten "reinen Verbrauchsdenken"

an die Krankenversicherung heran- gehen. Man hat mit einer "neuen Definition" des Begriffs der Wirt- schaftlichkeit in der RVO - eine Voraussetzung für jede Solidarge- meinschaft - diese letztendlich aufgeweicht. Man hat die Leistun- gen der Krankenversicherung ge- setzlich ausgeweitet, etwa nach dem Motto "Deine Krankenversi- cherung zahlt für Dich alles, und gehe auch schon bei dem kleinsten Unwohlsein zu Deinem Arzt". Man fördert trotz oft fehlender wissen- schaftlicher Untermauerung Mo- dellversuche zu weiteren Früher- kennungsmaßnahmen ohne Rück-

sieht auf die damit verbundenen, in die Millionen gehenden, von den Krankenkassen zu tragenden Fol- gekosten, obgleich man uns zum Sparen aufruft und heute doch an- scheinend mit jeder Million rech- nen muß. Auch die Entwicklung der Kostenerstattung für Zahnersatz ist alles andere als eine Demonstration des Willens zur Sparsamkeit in der gesetzlichen Krankenversiche-

rung.

All solche Entwicklungen lassen sich aber nicht wie ein Wasser- hahn nach Wunsch abstellen oder gar umkehren!

Auch das sogenannte "Kurwesen"

einschließlich der hierfür jahrelang betriebenen Propaganda erweist sich heute als dringend reformbe- dürftig. Die Auswirkungen der Tat- sache, daß der Anteil krankenversi- cherter Rentner am gesamten Mit- gliederbestand der Krankenversi- cherung stetig zunimmt und noch weiter zunehmen wird, sowie die bei der Verordnung von Arzneimit- teln zu berücksichtigende psycho- somatische Komponente des Krankheitsgeschehens in der am-

bulanten ärztlichen Tätigkeit seien

zur Vervollständigung dieses Bil- des erwähnt.

Einkommensdebatte lenkt nur von den wahren Problemen ab Wenn man auch bedauerlicherwei- se davon überzeugt sein muß, daß solche Erkenntnisse nicht verhin- dern werden, daß es für manche Heilslehrer "in" ist, und "in" blei- ben wird, auf den ärztlichen Ein- kommen herumzureiten und sie zu dem wesentlichen Schuldfaktor an der eingetretenen Entwicklung hochzustilisieren, obgleich jeder Sachkundige weiß, daß dies un- richtig ist, halten es manche offen- bar für bequemer, dazu zu schwei- gen. Anstatt all diese Entwicklun- gen und Gegebenheiten gedank- lich nachzuvollziehen und objektiv zu werten, fährt man fort, nach an- geblich "Schuldigen" zu suchen und rückt dabei ganze Gruppen von Menschen, die arbeiten wie je-

Die Information:

Bericht und Meinung

der Berufstätige, wenn sie auch nicht unter die Berufsausübungs- bezeichnung "Arbeitnehmer" fal- len, an den Rand der kollektiven

Kriminalität. Welche Saat, wenn

man sich solche Vorgänge fortge- setzt denkt!

Aber dennoch wird man trotz all dieser Gegebenheiten zugeben müssen, daß es auch unter uns Ärzten, wie in jeder anderen Be- rufsgruppe "schwarze Schafe"

gibt, und man wird heute auch er- kennen müssen, daß wir im Rah- men unseres genossenschaftlichen kassenärztlichen Zusammenschlus- ses vielleicht mehr hätten tun können, um unwirtschaftliches Handeln in einzelnen Bereichen zu vermeiden.

Unabdingbar:

Verantwortungsbewußtes Verhalten aller

..,. Auch wenn es häufig für den Kassenarzt die Lösung der Qua- dratur des Kreises bedeuten wird, sollte er angesichts der Tatsache, daß die Stabilität bzw. die Labilität der Staatsfinanzen Opfer von allen Bürgern unseres Landes verlangt, in jedem Einzelfall prüfen, ob man nicht auch im Rahmen der uns obliegenden Verpflichtung zu wirt- schaftlichem Handeln eine zusätzli- che Sparsamkeit beachten kann.

Vom Patienten wie vom Arzt sollte man Verständnis für den Vorrang geordneter Staatsfinanzen vor ver- ständlichen Eigeninteressen erwar- ten können. Dies gilt gleicherma- ßen für die Durchführung der unse- rer Selbstverwaltung obliegenden Verwaltungsarbeiten.

Auch wenn man drastische Aus- wirkungen von einer solchen Ein- stellung zumindest kurzfristig kaum erwarten kann, erlaube ich mir, all dies deutlich anzusprechen, und ich hoffe, mit den obigen Darlegun-

gen Fehlinterpretationen vorge-

beugt zu haben.

..,. Ich spreche all dies aber auch an, um den kassenärztlichen Selbstverwaltungsgremien den

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 42 vom 16. Oktober 1975 2881

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Die Information:

Bericht und Meinung

Vorwurf zu ersparen, nicht recht- zeitig jeden einzelnen Kassenarzt darauf aufmerksam gemacht zu ha- ben, daß gerade heute mit einem weiteren Anstieg der Kosten im ambulanten Bereich, der nicht mit der Ausweitung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen ist, Auswirkungen verbunden sein können, die dann nicht nur die wirtschaftliche Situa- tion jedes einzelnen Kassenarztes drastisch beeinflussen, sondern die ihm möglicherweise durch eine Sy- stemänderung auch unwieder- bringbar den Rest seines freien ärztlichen Handlungsspielraums entziehen könnten.

Erkennen wir alle die Zeichen der Zeit!

Bemühen wir Kassenärzte uns, in dem so guten System ambulanter ärztlicher Versorgung in unserer Bundesrepublik durch verantwor- tungsvolles Handeln zu beweisen, daß dieses System neben der frei- en Arztwahl und der Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versor- gung unserer Bevölkerung durch freipraktizierende Ärzte auch ko- stengünstiger ist als alle anderen Versorgungssysteme, dann habe ich trotz der heute so schwierigen Zeit die Zuversicht, daß es gelin- gen wird, die bisherigen Gegeben- heiten in ihrem Grundsatz auch in der in Kürze zu erwartenden ge- setzlichen Neuregelung der Reichsversicherungsordnung zu erhalten.

Erkennen wir auch alle, daß die kassenärztliche Selbstverwaltung, und damit die Stellung der deut- schen Kassenärzte, heute mehr denn je nur so stark ist, wie jeder einzelne Kassenarzt sie durch sein tagtägliches Wirken macht.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hans Wolf Muschallik Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 5 Köln 41 (Lindenthal) Haedenkampstraße 3

Wer darf

die Ärzteschaft informieren?

Prof. Dr. jur. habil. Günther Kü- chenhoff, emeritierter o. ö. Profes- sor der Universität Würzburg, hat in einem Privatgutachten der Arz- neimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Ausschuß der Bundes- ärztekammer) das Recht bestritten, durch ihre Bekanntgaben die Ärz- teschaft über Probleme der Arznei- behandlung zu informieren. Sie sei zu „amtsähnlichen Verlautbarun- gen nicht befugt".

Seine privatgutachtlichen Ausfüh- rungen sind in der Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit" veröffent- licht worden. Soweit seine Angriffe rein juristische Probleme berühren, werden sie von kompetenter juristi- scher Seite beantwortet werden.

Soweit sie aber die ärztliche Sorg- faltspflicht auf dem Arzneimittel- sektor betreffen, bedürfen einige Punkte schon jetzt der Klärung.

I. Es überrascht, daß das so wichti- ge Problem der Verantwortung des einzelnen Arztes bei der Arzneiver- ordnung (Abwägen von Nutzen und Risiko) in den Küchenhoffschen Darstellungen kaum eine Rolle spielt.

Warum ärztliche Beobachtungen über unerwünschte Arzneimittel- wirkungen gesammelt, ausge- wertet und international verglichen werden müssen und warum dies seit 1961 in enger Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisa- tion und mit dem Bundesgesund- heitsamt getan wurde, wird von Kü- chenhoff überhaupt nicht berück- sichtigt. Die Zusammenarbeit der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft mit dem Bundes- verband der Pharmazeutischen In- dustrie- e. V. zum Schutz der Ver- braucher findet keine Erwähnung,

— ebenso wenig wie ihre intensive Mitarbeit an der Vorbereitung des ersten und zweiten deutschen Arz- neimittelgesetzes.

II. Weder die Contergan-Katastro- phe noch das „Estil-Urteil" des Bun- desgerichtshofes vom 11. 7. 1972 scheinen Küchenhoffs Überlegun- gen beeinflußt zu haben. Dabei sind für die Informationsarbeit der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft auch juristische Zitate von großer Bedeutung:

1. Im schriftlichen Einstellungsbe- schluß der Ersten Großen Straf- kammer des Landgerichts Aachen vom 30. 4. 1971 im sog. Contergan- Verfahren wird u. a. ausdrücklich hervorgehoben:

„Es kann nach Auffassung der Kammer keinem Zweifel unterlie- gen, daß das Interesse des Ver- brauchers, sich durch die Einnah- me eines Arzneimittels keiner Schädigung seiner Gesundheit auszusetzen, dem Interesse des Arzneimittelherstellers an einem uneingeschränkten Vertrieb seines Präparates vorzugehen hat. Die Gesundheit ist das höherwertige Rechtsgut."

„Die Kammer übersieht dabei nicht, daß dem Verbraucher gege- bene Warnhinweise — worauf ins- besondere Professor Kreienberg hingewiesen hat — auch zu einer Verunsicherung des Verbrauchers führen können. Doch ist diese Ge- fahr, zumindest bei ersetzbaren Arzneimitteln, nicht sehr hoch zu veranschlagen, weil der Verbrau- cher, falls er infolge gegebener Warnhinweise Bedenken hat, ein bestimmtes Mittel weiterzunehmen, auf therapeutisch gleichwertige, aber unschädliche Präparate aus- weichen kann."

„Die Kammer verkennt zwar nicht, daß die Arzneimittelkommission keine hoheitlichen Befugnisse hat.

Man hätte aber gleichwohl bei- spielsweise erwarten können, daß sie angesichts der unzureichenden Informierung der Ärzte durch die Firma Chemie-Grünenthal selbst die Ärzte schnell und ausführlich über den gegen Contergan beste- henden Verdacht unterrichtete.

Auch durfte sie sich nicht zu sehr auf die Angaben des Herstellerwer- kes verlassen, deren Unvollstän- digkeit sie frühzeitig erkannt hat- te."

DER KOMMENTAR Sparsamkeit

2882 Heft 42 vom 16. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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