• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Integrationsversorgung: Zukunftsperspektiven im Wettbewerb" (24.11.2000)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Integrationsversorgung: Zukunftsperspektiven im Wettbewerb" (24.11.2000)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 46½½½½17. November 2000 AA3157

D

ie Gesundheitsreform 2000 hat den Spielraum für die Entwicklung neu- er Versorgungsformen erweitert. Es fehlen allerdings umsetzungsreife Kon- zepte. Wichtige Akteure, beispielsweise die Krankenhäuser, sind noch mit der Umsetzung der Gesundheitsreform 2000 befasst. Das Entwicklungstempo wird da- her zunächst langsam und regional unter- schiedlich sein. Dennoch steht eine nach- haltige Systemänderung bevor.

Ein Vergleich der Aussagen zur künf- tigen Gesundheitspolitik deutet auf ei- nen parteiübergreifenden, mehrheits- fähigen Konsens im Hinblick auf eine wettbewerbliche Ausrichtung des „An- bietermarktes“ hin. Die wesentlichen Punkte sind dabei:

❃ mehr Spielräume für Direktverträ- ge zwischen Ärzten und Krankenkassen;

❃ mehr Wahl- und Gestaltungsfrei- heit für Ärzte, Krankenkassen und Ver- sicherte (Vertragswettbewerb);

❃ mehr Informationen zur Qualität, Wirtschaftlichkeit und Patientenzufrie- denheit;

❃ pauschalierte Vergütungssysteme und damit die Zusammenführung me- dizinischer und ökonomischer Verant- wortung.

Künftige Reformen werden die jetzi- ge Weichenstellung in der Gesundheits- politik wohl nicht zurücknehmen. Nie- dergelassene Ärzte diskutieren deshalb zunehmend ihre Zukunftsperspektiven in einem wettbewerblich organisierten Gesundheitssystem. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund engagieren sich die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Beratung von Praxisnetzen. Sie lassen sich dabei von zwei zentralen Überle- gungen leiten:

1. Nur organisationsfähige Netze mit operationalisierbaren Zielen haben Er- folgsaussichten.

2. Für Patienten machen Praxisnetze nur Sinn, wenn sie nachvollziehbare Qualität und patientennahe Versor- gung bieten.

Eine Beratung durch die KVen muss außerdem darauf zielen, dass die im Rahmenvertrag nach § 140 d SGB V (integrierte Versorgung) formulierten organisatorischen Voraussetzungen für die Übernahme eines Versorgungsver- trages durch die Praxisnetze erfüllt wer- den können. Insbesondere werden dies voraussichtlich folgende sein:

– eine Konzeption für eine sektor- übergreifende Versorgung der teilneh- menden Versicherten;

– eine auf die Versorgungskonzep- tion abgestellte Organisations- und Fi- nanzierungsplanung;

– eine Konzeption für ein wirksames Qualitätsmanagement;

– ein qualifiziertes und mit organi- satorischer und finanzieller Entschei- dungskompetenz ausgestattetes Manage- ment;

– eine Rechtsform, die auch die Haf- tung für eingegangene Verpflichtungen sicherstellt.

Organisationsformen aus Sicht der Ärzte

Damit Praxisnetze als Anbieter auf dem Gesundheitsmarkt auftreten kön- nen, müssen sie sich organisieren. Das heißt: Netze müssen ihre informellen Absprachen zu verbindlichen Regeln machen und darauf Einfluss nehmen, dass diese Regeln von allen Mitglie- dern auch eingehalten werden. Bei der Entwicklung eines KV-Beratungsange- botes stellte sich zunächst die Frage, welche Vorstellungen die Netze selber zu Organisationsformen haben. Für ein

möglichst praxisnahes Beratungsport- folio wurde für die KVen durch eine empirische Untersuchung (Psychono- mics, Köln) die Perspektive der Netz- ärzte erfragt. Dabei stellte sich heraus, dass Netzärzte Organisationsformen mit klaren Leitungsstrukturen und Regel- verbindlichkeit ebenso anstreben wie basisdemokratische Zusammenschlüs- se ohne Bindungswirkung für die Mit- gliedspraxen.

Welche Organisationsform, die par- tizipative oder die durch eindeutige Leitungsstrukturen gekennzeichnete, er- folgreich sein wird, lässt sich nicht voraussagen. Bei der Entwicklung der Organisationstypen wird es darauf an- kommen, betriebswirtschaftliche Ratio- nalität mit der Kultur ärztlichen Han- delns zu verbinden. Wo genau die Kompromisslinie zwischen ärztlicher Entscheidungsfreiheit, praxisübergrei- fendem Qualitätsmanagement und öko- nomischer beziehungsweise betriebs- wirtschaftlicher Rationalität verläuft, ist eine offene Frage.

Heute bestehende Praxisnetze sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht meist Interessengemeinschaften. Sie sind ein horizontaler Zusammenschluss weiter- hin selbstständiger Unternehmen auf vertraglicher Basis.

Praxisnetze als

„Unternehmen“

Ab einem bestimmten Punkt ihrer Ent- wicklung, spätestens bei Übernahme der Budgetverantwortung, werden Net- ze mit einem für alle Mitgliedspraxen verbindlichen Zielkatalog agieren müs- sen, der Versorgungsprozesse mit ent- sprechenden Vergütungs- und Finan- zierungsansätzen festlegt. Die Interes-

Integrationsversorgung

Zukunftsperspektiven im Wettbewerb

Die Kassenärztlichen Vereinigungen beraten Praxisnetze – insbesondere über die organisatorischen Voraussetzungen.

Christina Tophoven

Marcus Siebolds

(2)

sengemeinschaften werden gegenüber dem Status quo eine neue Qualität an- streben müssen. Mittelfristig geht es um eine Integration, die auf die Entwick- lung eines Unternehmens beziehungs- weise einer nach innen ausreichend re- gelverbindlich arbeitenden Organisa- tion abzielt.

Theoretisch kann man sich den künf- tigen Organisationsformen von Netzen über den Vergleich von drei Unterneh- mensformen nähern:

❃ marktwirtschaftlich ausgerichtete Organisationen (Betriebe), deren Ziel die Gewinnmaximierung ist;

❃ Non-Profit-Organisationen mit Sachzielen, wie zum Beispiel die Ver- besserung der Versorgungsqualität;

❃ Genossenschaften mit dem primä- ren Ziel der gegenseitigen Hilfe und Förderung.

Mit der Entscheidung für eine Un- ternehmensform sind Vorstellungen zur Steuerung der Organisation verbunden.

Betriebe und Genossenschaften kenn- zeichnen klare Leitungsstrukturen. Non- Profit-Organisationen und teilweise

auch Genossenschaften setzen hinge- gen auf eine partizipativ ausgerichtete Entscheidungsfindung.

Betriebe produzieren marktfähige Individualgüter; ihr Erfolg misst sich an Kriterien wie Gewinn, Umsatz und Marktanteil. Hier könnte sich neben be- rufsrechtlichen Problemen ein Span- nungsfeld aufbauen zwischen dem be- trieblichen Interesse, zum Beispiel durch IGEL-Leistungen Gewinne zu er- zielen, und dem Selbstverständnis der Ärzte als unabhängig, wissenschaftlich orientiert Handelnde. Non-Profit-Orga- nisationen produzieren in der Hauptsa- che öffentliche Güter, zum Beispiel eine Verbesserung der Qualität. Neben der Internalisierung des Nutzens (Qualitäts- verbesserungen wird man den Versicher- ten nicht vertragschließender Kranken- kassen kaum vorenthalten können) wer- den sie Schwierigkeiten mit der Ziel- operationalisierung haben. Dies gilt ins- besondere für das Ziel Qualitätsverbes- serung, da zu definieren ist, was die Be- teiligten unter Qualität verstehen und wie sie diese im Einzelfall dokumentie-

ren und messen wollen. Genossenschaf- ten werden sich als Beschaffungs- und Verwertungsgemeinschaften verstehen und insofern ihren Erfolg ähnlich wie ein Betrieb an marktbestimmten Grö- ßen messen wollen.

Die Entscheidung für eine Unter- nehmensform bestimmt die Art des Managements. Betriebe und Genossen- schaften werden, schon aufgrund der angestrebten klaren Leitungsstruktu- ren, auf ein hauptamtliches Manage- ment setzen, während Non-Profit-Orga- nisationen vorwiegend ehrenamtliche Leitungsstrukturen bevorzugen, um ih- re partizipative Steuerung zum Tragen zu bringen.

„Arbeitsbuch für Netze“

Derzeit gibt es keine validen Informa- tionen zur Umsetzbarkeit und den Erfolgsaussichten der Organisations- und Unternehmensformen. Auch Misch- formen sind denkbar. Also kann es Standardlösungen für die Organisati- onsentwicklung der Netze nicht geben.

Gleichzeitig ist der Prozess der Netz- gründung beziehungsweise Reorgani- sation von zentraler Bedeutung für die Erfolgsaussichten eines Netzes. Die Organisationsentwicklung sollte daher qualitätsgesichert ablaufen. Dies lässt sich über ein Layout-System ähnlich der DIN ISO 9000 umsetzen. Die KVen haben hierzu als zentralen Baustein ei- nes umfassenden Beratungsportfolios das Arbeitsbuch für Netze entwickelt.

Es enthält neun Themenkomplexe mit 13 Arbeitsblättern (Tabelle). Der Fragenkatalog soll sicherstellen, dass al- le wichtigen Fragen der Gründung oder Weiterentwicklung der Organisation im Kreis der Netzgründer diskutiert und anschließend dokumentiert werden. Ein in diesem Sinne transparenter und be- züglich der Ergebnisse darlegungsfähi- ger Gründungs- oder auch Reorganisa- tionsprozess macht für alle Mitglieder des Netzes deutlich, worauf sie sich ein- lassen. Mit der Beantwortung der Fra- gen planen Netze ihre organisatorischen und unternehmerischen Grundlagen und legen Regeln für ihre künftige Zu- sammenarbeit fest.

Das fragengeleitete Entwickeln von Strukturen führt außerdem zu einem T H E M E N D E R Z E I T

´ Tabelle CC´

„Arbeitsbuch für Netze“*

Gründung

Arbeitsblatt 1: Warum will ich ein Netz gründen?

Arbeitsblatt 2: Wer kann Mitglied im Netz werden beziehungsweise bleiben?

Arbeitsblatt 3: Haben Sie einen Geschäfts- und Finanzierungsplan?

Angebotsprofil

Arbeitsblatt 4: Wie beurteilen Sie die Versorgungsstruktur in Ihrer Region?

Arbeitsblatt 5: Wie könnte das Angebotsprofil Ihres Netzes aussehen?

Gremienstruktur und Verantwortung

Arbeitsblatt 6: Wie wünschen Sie sich die Entscheidungsstrukturen in Ihrem Netz?

Arbeitsblatt 7: Wie sichern Sie ausreichend Regelverbindlichkeit?

Informationen für Patienten und Geschäftspartner

Arbeitsblatt 8: Wie sichert das Netz ausreichend Transparenz für Patienten und Geschäftspartner?

Qualitätsentwicklung

Arbeitsblatt 9: Wie läuft die Qualitätsentwicklung bei Ihnen ab?

Gestaltung des Umgangs mit KV und Krankenkassen Arbeitsblatt 10: Wie gestalten Sie Ihre Beziehungen zur KV?

Arbeitsblatt 11: Wie gestalten Sie Ihre Beziehungen zu den Krankenkassen?

Aufbau- und Ablauforganisation

Arbeitsblatt 12: Wie sieht Ihre Aufbau- und Ablauforganisation aus?

Controlling und Evaluation

Arbeitsblatt 13: Welchen Bedarf an Controlling und Evaluation haben Sie?

* KBV (Hrsg.): Arbeitsbuch für Netze, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2000

(3)

A

A3162 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 47½½½½24. November 2000

eindeutig geklärten Beratungsbedarf des Netzes. Bestimmte Fragen lassen sich nur mit der Unterstützung eines Steuerberaters oder Rechtsanwaltes beantworten. Die Qualität dieser Bera- tungsleistungen nimmt zu, wenn ein Netz weiß, was es will und welche Fra- gen die Experten beantworten sollen.

Viele durch die Arbeitsblätter ver- langten Entscheidungen lassen sich nur treffen, wenn vorher ausreichend In- formationen zur Verfügung stehen. Die Aufarbeitung dieser Informationen kann dazu führen, dass das Netz ähnlich wie ein Unternehmen sich von vornher- ein ein „marktgängiges“ Angebotsprofil zulegt. Die Schlüsselfragen des Arbeits- buchs für Netze sind daher diejenigen zum Angebotsprofil, zum Geschäfts- und Finanzierungsplan und zur Aufbau- und Ablauforganisation eines Netzes.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen bie- ten für die Beantwortung der Fragen notwendige Informationen, Verfahrens- vorschläge und Erfahrungsberichte.

Mit dem Arbeitsbuch für Netze und professionell ausgebildeten Beratern unterstützen die Kassenärztlichen Ver- einigungen niedergelassene Ärzte bei der Entwicklung einer Organisations- form, die ihnen auch in einem wettbe- werblich ausgerichteten Gesundheits- markt Zukunftschancen sichern kann.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3157–3162 [Heft 47]

Literatur

CSU-Kommission: Für eine sozial gerechte Gesundheits- reform, 1999 – Gesundheitspapier der CDU, Gesund- heitspolitik für Patienten und Versicherte, 1999 – CDU:

Der faire Sozialstaat – eine Politik für eine neue Zeit, 2000 – CSU: Eckpunkte für eine sozial gerechtere Ge- sundheitsreform – gegen die Mehr-Klassen-Medizin der rot-grünen Koalition, 2000.

KBV (Hrsg.): KBV Kontext 12: Praxisnetze – Innovation des Gesundheitssystems, Köln 1999 – KBV (Hrsg.): Kontext 14:

Sicherstellung auf dem Prüfstand, Köln, 2000.

Schwarz P: Management in Non-Profit-Organisationen, Bern, 1996.

KBV (Hrsg.): Arbeitsbuch für Netze, Köln, 2000.

Anschrift der Verfasser:

Dr. rer. pol. Christina Tophoven Kassenärztliche Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3

508931 Köln

Prof. Dr. med. Marcus Siebolds

Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen Fachbereich Gesundheitswesen

Wörthstraße 10 50668 Köln

M

ehr Frauen als Männer schrie- ben sich im vergangenen Jahr für das Medizinstudium ein.

Doch werden sie später kaum die glei- chen Berufschancen haben wie ihre männlichen Kollegen. Ein Symposium des Deutschen Ärztinnenbundes ging den Gründen für die noch immer man- gelnde Chancengleichheit von Frauen nach – im Arztberuf, aber auch als Pati- entin.

Mit 53 Prozent sind Studentinnen unter den Studienanfängern in der Hu- manmedizin heute in der Mehr- heit. Auch der Anteil der Ärztinnen ist seit den 70er-Jahren von 20 Pro- zent auf zuletzt 39,1 Prozent gestiegen (1999).

Doch nach der Appro- bation ist die Karriere häufig blockiert. In Führungspositionen sind Frauen krass unterreprä- sentiert: Sie stellen nur sechs Prozent aller Chefärzte/innen. Bei den Lehrstühlen liegt der Anteil bei nur drei Prozent. In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, wo man einen hohen Anteil an Frauen in leitenden Stellun- gen vermuten würde, gab es bis vor kurzem keine einzige Lehrstuhlinhabe- rin. Erst kürzlich wurde Prof. Dr. med.

Marion Kiechle von der TU München als erste Frau in diese Domäne der

„weiblichen Ärzte“ berufen.

Insofern hat das Anliegen des Deut- schen Ärztinnenbundes, die Interessen der Medizinerinnen im Gesundheitswe- sen zu vertreten, seit seiner Gründung im Jahr 1924 nicht an Aktualität verlo- ren. Das vom Deutschen Ärztinnen- bund kürzlich in Essen veranstaltete

Symposium „Unsere Gesellschaft braucht Ärztinnen“ sollte allerdings nicht nur auf spezielle Probleme von Ärztinnen aufmerksam machen, son- dern auch den Blick schärfen für spezi- elle Belange von Patientinnen.

Für Dr. med. Annegret Schoeller, Bundesärztekammer, bedeutet eine ef- fektive Interessenvertretung von Ärz- tinnen eine der Bedeutung entspre- chende Repräsentanz von Ärztinnen in allen berufspolitischen Gremien der Ärzteschaft. Ein solches Gremium ist beispielsweise der „Ausschuss und Ständige Konferenz Ärztinnen“ der Bundes- ärztekammer. Er wurde auf Beschluss des 94.

Deutschen Ärztetages 1991 eingerichtet, um auf Bundesebene die Anliegen von Frauen im Arztberuf angemessen zu diskutieren, zu vertreten und die Aktivitäten der Lan- desärztekammern auf diesem Ge- biet zu koordinieren.

Diese „Ärztinnen-Gremien“ haben seither einige wichtige Anstöße gege- ben, darunter etwa:

❃ Weiterbildung in Teilzeit: Einer Forderung der „Ärztinnen-Gremien“

von 1992 entsprach der 95. Deutsche Ärztetag bei der Neuformulierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung in § 4 Abs. 6.

❃ Frauenförderung in der Wissen- schaft: Sie wurde 1994 von den „Ärztin- nen-Gremien“ gefordert. Heute gibt es an fast jeder Hochschule eine Frauen- beauftragte. Eine Frauenquote verbes- sere die Einstellungschancen für Ärz- tinnen.

Symposium: Deutscher Ärztinnenbund

Nachholbedarf in vielen Bereichen

Nicht nur in der Berufspolitik, sondern auch in der

medizinischen Forschung sind die spezifischen

Belange von Frauen lange zu wenig beachtet worden.

(4)

❃Teilzeitstellen: 1994 forderten die

„Ärztinnen-Gremien“ eine tarifgerech- te Gewährung von Freizeitausgleich nach Bereitschaftsdiensten. Zum Ab- bau von Überstunden sollten vermehrt Teilzeitstellen geschaffen werden. In- zwischen sei vielerorts der Freizeitaus- gleich eingeführt worden. Wo dies nicht geschehen ist, liegt oftmals ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz vor.

❃Job-Sharing: 1994/96 forderten die

„Ärztinnen-Gremien“ die Möglichkeit, eine Vertragsarztstelle auf mehrere Ärztinnen und Ärzte aufzuteilen. In der Bedarfsplanungsrichtlinie, die 1997 in Kraft trat, wurde dies berücksichtigt.

Ebenso in den Angestellten-Ärzte- Richtlinien von 1998. Das Job-Sharing werde inzwischen von Ärztinnen und Ärzten vielfach genutzt.

❃ Vergütung: Die „Ärztinnen-Gre- mien“ forderten 1998, die verminderte Einsatzfähigkeit von Ärztinnen mit Kindern bei der Festlegung der Ge- samtpunktzahl der Vertragsärzte zu berücksichtigen. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen tat dies bei der Überarbeitung der Bedarfspla- nungsrichtlinie, die 1999 in Kraft trat.

❃Kindererziehungszeiten: Sie sollen bei der Festlegung des Honorarvertei- lungsmaßstabes der Kassenärztlichen Vereinigungen im Sinne einer Härte- fallregelung berücksichtigt werden.

Der Länderausschuss der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung griff 1999 eine entsprechende Forderung der „Ärztin- nen-Gremien“ von 1998 auf. Bereits seit 1994 bemühen sich die „Ärztinnen- Gremien“ um eine Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten bei der Be- rechnung der Renten. Mit Erfolg: Nach einer Umfrage der Bundesärztekam- mer im letzten Jahr haben 17 ärztliche Versorgungswerke Betreuungszeiten von drei Jahren (wie in der gesetzlichen Rentenversicherung) und eine Ärzte- kammer eine Erziehungszeit von einem Jahr eingeführt.

❃Weiterbildungskosten von Ärztin- nen im Praktikum und arbeitslosen Ärztinnen: Im letzten Jahr appellierten die „Ärztinnen-Gremien“ an die Lan- desärztekammern, die Kosten durch Kammerbeiträge mitzutragen. Eine Umfrage ergab, dass diese Anregung – natürlich auch für männliche Kollegen – aufgegriffen wurde.

Nachholbedarf

Aus Sicht des Ärztinnenbundes gibt es jedoch nicht nur im berufspolitischen Be- reich Nachholbedarf. Auch in der medi- zinischen Forschung sind die spezifi- schen Belange von Frauen als Patientin- nen in der Vergangenheit zu wenig be- achtet worden. So waren Frauen lange Zeit in klinischen Studien deutlich unter- repräsentiert. In den großen Studien zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkran- kungen und Krebs nahmen überwiegend Männer teil, die Erkrankungen treten je- doch ebenso häufig bei Frauen auf.

Es ist keineswegs sicher, dass die in Männer-Studien gewonnenen Erkennt- nisse zu Diagnose und Therapie auf Frauen übertragbar sind. Inzwischen ist das Problem erkannt worden; Frauen werden zunehmend in klinische Studien einbezogen. So hat in den USA die Wo- men’s Health Initiative begonnen. An dieser bisher größten präventionsorien- tierten Studie überhaupt nehmen an 40 Zentren in den USA ausschließlich Frauen teil. Untersucht werden Risiko- faktoren der wichtigsten Alterserkran- kungen wie Krebs, Morbus Alzheimer und die Osteoporose.

Privatdozentin Dr. med. Vera John- Mikolajewski (Universitätsklinik Es- sen) machte auf einen bisher nur wenig beachteten Aspekt aufmerksam. Viele Erkrankungen haben keine rein organi- sche, sondern eine sozio-kulturelle Ge- nese. Hierzu zählt beispielsweise die Bulimie, die fast ausschließlich bei Frauen auftritt. Ein Kennzeichen dieser

sozio-kulturell bedingten Erkrankun- gen ist, dass sie mit einer Änderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingun- gen genauso mysteriös wieder ver- schwinden, wie sie entstanden sind.

Ein Beispiel hierfür ist die Hysterie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts häufig diagnostiziert wurde, heute aber in Diagnosenmanualen gar nicht mehr erwähnt wird. Solche Erkrankungen treffen übrigens keineswegs nur Frau- en. Als Beispiel für eine ebenfalls in Vergessenheit geratene sozio-kulturell bedingte Erkrankung nannte John-Mi- kolajewski die „Zitterkrankheit“. Sie

befiel Soldaten im Ersten Weltkrieg, wo sie in einigen Bataillonen die Wehrkraft zersetzte. Ihr Pendant im Zweiten Weltkrieg waren Magenerkrankungen ohne organisch fassbare Ursache, die ebenfalls nur bei Soldaten auftraten.

Rein somatische Ursachen haben da- gegen geschlechtsspezifische Unter- schiede bei der Wirkung von Arznei- mitteln, die nach Einschätzung von Dr.

med. Andrea Steioff vom Philipp-Klee- Institut für klinische Pharmakologie am Klinikum Wuppertal viel zu wenig be- achtet werden. Dasselbe Medikament in der gleichen Dosis wirkt bei Frauen häufig stärker oder schwächer als bei Männern. Verantwortlich sind ge- schlechtsspezifische Unterschiede in der Resorption, Distribution, Plasma- proteinbindung und Elimination von Arzneimitteln. Die bei Frauen längere gastro-intestinale Transitzeit etwa ver- zögere die Resorption von Arzneimit- teln; der höhere Körperfettanteil bei T H E M E N D E R Z E I T

Weisen auf die spezifischen Belange von Frauen als Patientinnen hin:

A. Steioff, V. John-Mikolajewski, P. A. Thürmann, M. Niemeyer, J. Günther, A. Schoeller (von links nach rechts). Foto: Birgit Künanz

(5)

Frauen erhöhe bei lipophilen Arznei- mitteln das Verteilungsvolumen.

Einen deutlichen Einfluss auf die Bio- verfügbarkeit von Arzneimitteln hätten auch Unterschiede im Abbau von Stero- idhormonen. So ist im weiblichen Orga- nismus die Aktivität des Isoenzyms CYP3A4 der Cytochrom-P450-Gruppe erhöht. Es metabolisiert physiologi- scherweise Östrogene, könne aber auch einige Medikamente, etwa Methylpred- nisolon, abbauen. Vielfältige Wechsel- wirkungen seien bei der Einnahme von oralen Kontrazeptiva zu beachten. Die orale Einnahme von Ampicillin, Rifam- picin oder einiger Antiepileptika ver- schlechtere die kontrazeptive Wirkung, wogegen der gegenteilige Effekt bei Imi- pramin und Corticosteroiden eintrete.

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakodynamik haben zur Folge, dass Acetylsalicylsäure bei Frau- en zu einer geringeren Thrombozyten- aggregation als bei Männern führt. Die Rezeptorempfindlichkeit für Glucocor- ticoide sei dagegen erhöht. Auch hin- sichtlich der Schmerzwahrnehmung ge- be es Unterschiede zwischen Mann und Frau. Frauen hätten im Experiment ei- ne niedrigere Schmerzschwelle, reagier- ten jedoch weniger gut auf eine analgeti- sche Behandlung mit Ibuprofen.

Die geschlechtsspezifischen Unter- schiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Arzneimitteln machen auch in der Arzneimittelfor- schung spezielle Studien an Frauen not- wendig. Dass hierauf in der Vergangen-

heit jedoch weitgehend verzichtet wur- de, ist nach Auskunft von Prof. Dr.

med. Petra A. Thürmann, Philipp-Klee- Institut für Klinische Pharmakologie am Klinikum Wuppertal, nicht zuletzt durch die erschreckenden Erfahrungen mit Thalidomid (Contergan®) und Diethylstilbestrol bedingt.

Was als verständliche Vorsichtsmaß- nahme gedacht war, kann jedoch die Behandlung von Frauen erschweren, sogar unmöglich werden lassen. Denn manchmal stellt die Teilnahme an klini- schen Studien die einzige Möglichkeit dar, potenziell bessere Arzneimittel frühzeitig zu erhalten. Dieses Dilemma wurde Anfang der 90er-Jahre relevant, als HIV-infizierte Frauen nur im Rah- men klinischer Studien neue und besse- re Arzneimittel erhalten konnten, von diesen Studien aber ausgeschlossen werden sollten. Dies führte zumindest teilweise zum Umdenken; heute sind sich alle Seiten der Problematik ge- schlechtsspezifischer Unterschiede in der Arzneimittelforschung bewusst.

Dennoch hat Thürmann Zweifel dar- an, dass geschlechtsspezifische Unter- schiede in der Forschung ausreichend berücksichtigt werden, solange nicht mehr Frauen an den entsprechenden Stellen der forschenden Industrie posi- tioniert würden. Bei der Vergabe von öffentlichen Fördergeldern würde Frauen jedoch regelmäßig wesentlich weniger Kompetenz für Forschungsför- derung zugesprochen als Männern, wie eine in „Nature“ publizierte Untersu-

chung (Wenneras C, Wold A: Nepotism and sexism in peer-review 1997; 387:

341–343) gezeigt habe. Thürmann for- derte deshalb eine stärkere Berücksich- tigung von Frauen in der Wissenschafts- förderung und in der Stellenbesetzung der Industrie und Wissenschaft, wo zur- zeit nur fünf Prozent aller Plätze mit Frauen besetzt würden.

Der geringeren Berücksichtigung in Medikamentenstudien stehen die höhe- ren Verordnungen von Medikamenten an Frauen gegenüber. Ein verbreitetes Vorurteil besagt: Frauen gehen häufi- ger zum Arzt und nehmen mehr Medi- kamente ein als Männer. Tatsächlich zeigt eine Analyse des GKV-Arzneimi- tellindex, dass Frauen, die in der Bevöl- kerung einen Anteil von durchschnitt- lich 53 Prozent haben, 1998 circa 57 Prozent der Gesamtkosten für Arznei- mittelverordnungen verursachten. In allen Altersgruppen (mit Ausnahme der unter Fünfjährigen) wird den Frau- en mehr als den Männern verordnet.

Eine genauere Analyse von Dr. rer.

nat. Martina Niemeyer und Dr. rer. nat.

Judith Günther vom Wissenschaftlichen Institut der AOK, Bonn, ergibt jedoch ein differenzierteres Bild: Danach wer- den Männern vorzugsweise teure und innovative Medikamente verordnet, wogegen Frauen häufiger Medikamente aus dem generikafähigen Marktseg- ment erhalten. Erhebliche Unterschie- de in der Verordnungsmenge bei Frauen und Männern gibt es auch in einzelnen Indikationsgebieten: So erhalten weibli- che Patientinnen ab einem Lebensalter von 45 Jahren beispielsweise aus der Gruppe der Psychopharmaka zwischen 60 und 150 Prozent mehr Anti- depressiva und Tranquillanzien als männliche Patienten derselben Alters- gruppe. Auch in der Gruppe der kardio- vaskulär wirksamen Arzneimittel wie ACE-Hemmer, Betarezeptorenblocker, Calciumantagonisten, Diuretika und Antihypertensiva ist ein Mehrver- brauch bei Frauen zu beobachten, ob- wohl es in diesem Bereich eine höhere Inzidenz der Erkrankung bei Männern zu geben scheint. Die Mehrverordnung von Medikamenten für Frauen erklärt sich ferner aus der Hormonsubstitution in der Postmenopause und den bis zum 21. Lebensjahr von den Kassen erstatte- ten Kontrazeptiva. Rüdiger Meyer

A

A3166 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 47½½½½24. November 2000

Auch Regierungskoalition und Union drängen auf eine stärkere frauen- spezifische Gesundheitsversorgung in Deutschland – sie streiten jedoch über den geeigneten Weg dorthin. Dies mach- te jüngst eine Debatte im Bundestag deutlich. In einem Antrag kritisierten SPD und Grüne, dass die geschlechts- spezifischen Unterschiede in der For- schung, Gesundheitsversorgung und bei der Prävention nicht ausreichend be- rücksichtigt würden. Die CDU/CSU- Fraktion forderte in einer Vorlage Maß- nahmen zur Stärkung des Brustkrebs-

Früherkennungskonzepts sowie ein Pro- gramm zur Förderung von Früherken- nung, Prophylaxe und Therapie bei Osteoporose. Die CDU-Abgeordnete Annette Widmann-Mauz sagte, „rot- grüne Budgetierungswut“ erschwere es, wichtige neue Versorgungsangebote und innovative Behandlungsmethoden zu etablieren. Helga Kühn-Mengel (SPD) warf der Union vor, in ihrem Antrag ver- meide sie jede Kritik am Arztverhalten.

Stattdessen werde stereotyp die Forde- rung nach Aufhebung der Budgetierung erhoben. FDP-Politiker Detlef Parr – einziger männlicher Redner in der De- batte – plädierte für eine sachliche Bera- tung im Gesundheitsausschuss. Beide Anträge seien eine gute Diskussions-

grundlage. JF

Frauenspezifische Versorgung

Streit im Bundestag

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Chefärzte sollten — so- weit sie nicht selbst den Mut zur Mitteilung schwer- wiegender Ergebnisse ha- ben — ihre vor allem jünge- ren Kollegen immer wieder darauf hinweisen,

Danach soll über den Konnektor und ein VPN(Virtual Private Network)-Gate- way in der Arztpraxis eine sichere Ver- bindung zu einem so genannten SAVeD- Knoten aufgebaut werden, der

Baumgärtner betont, dass den Medi-Ärzten an Einigkeit gelegen ist: „Die Ärz- te, die bei uns mitmachen, erkennen doch, dass Fachgruppenegoismus uns nicht weiterbringt.“ Im Kern gebe

habe mir für die Fälle, wo Pa- tienten vor Ablauf der Dreijah- resfrist eine neue unveränderte Brille haben wollen, einen roten Stempel ,Nur nach vorheriger Genehmigung durch

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte, dass sich noch zeigen müsse, wie der soziale Aus- gleich künftig über Steuern geleistet werden könne.. Nach den bisherigen

Tatsache ist, dass der Not- arzt-Indikationskatalog (NAIK) in Rheinland-Pfalz federführend von der Klinik für Anästhesiologie der Jo- hannes Gutenberg-Univer- sität Mainz und dem

Der Arzt, so Seehofer weiter, wisse dann wieder, dass es auf sein Können und seine Zuwendung gegen- über dem Patienten ankommt und nicht auf die staatliche Regulierung:

F ast 300 Projekte wurden einge- reicht, für 31 hat sich eine Jury im Auftrag der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen nun ent- schieden: Das Rennen um