Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4110. Oktober 2003 AA2609
S E I T E E I N S
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in Schnellschuss war es nicht.Schließlich brüteten die Mitglie- der der CDU-Sozialkommission un- ter Leitung von Alt-Bundespräsi- dent Roman Herzog ganze sechs Monate über Konzepten, wie der marode Sozialstaat nachhaltig sa- niert werden könnte. Nicht zu Ende gedacht erscheinen die von den CDU-Vordenkern auf 76 Seiten zusammengetragenen Reformvor- schläge dennoch. Von einem „Ge- samtkonzept“, wie es Herzog rekla- mierte, ist die vorgelegte Ideen- sammlung weit entfernt.
So sehen die Pläne eine radikale Umstellung des Krankenversiche- rungssystems auf ein kapitalgedeck- tes Prämienmodell vor. Die Beiträge lägen dabei weitgehend einheitlich bei etwa 264 Euro. Damit würde ei- ne Krankenschwester die gleiche
Prämie zahlen wie ein leitender An- gestellter. Der soziale Ausgleich soll über Steuern finanziert werden. Der Arbeitgeber würde einen gedeckel- ten Beitrag von 6,5 Prozent tragen.
Zwar ist eine solche Umstellung laut Herzog frühestens in zehn Jah- ren zu verwirklichen, teuer würde den Versicherten der Systemwechsel schon heute kommen. 2,6 Prozent Beitragsanstieg müssten einkalku- liert werden, um einen für das Prä- mienmodell nötigen Kapitalstock aufzubauen. Die erhofften Entla- stungen durch die gerade beschlosse- ne Gesundheitsreform wären dahin.
Während sich CDU-Chefin Ange- la Merkel und mit ihr das Präsidium und der Bundesvorstand der CDU hinter Herzog stellten, zeigte sich der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer
„schockiert“. Abgelehnt wird das
Konzept auch von CDU-Arbeitneh- mervertreter Hermann-Josef Arentz.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte, dass sich noch zeigen müsse, wie der soziale Aus- gleich künftig über Steuern geleistet werden könne.
Nach den bisherigen Plänen müss- te der Fiskus bis 2030 ganze 43 Mil- liarden Euro extra aufbringen, um soziale Härten auszugleichen und um versicherungsfremde Leistun- gen zu übernehmen. Woher die Mit- tel kommen sollen, bleibt unklar.
Herzogs einzige Lösung: mehr Wirt- schaftswachstum. „Wenn das Wachs- tum ausbleibt, fliegt das System in die Luft“, räumte der Alt-Bundes- präsident ein. In diesem Punkt dürf- te sich das Herzog-Modell nicht we- sentlich vom heutigen System unter- scheiden. Samir Rabbata
Herzog-Bericht
Unausgegoren
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ie integrierte Versorgung nach dem neu gefassten Paragraphen 140 a bis h SGB V soll nun endlich ab Beginn des kommenden Jahres ans Laufen kommen. Die Bundesre- gierung wurde nicht müde, die inte- grierte Versorgung als ein „Herz- stück“ der neuerlichen Reform hoch zu loben. Der ursprünglich als Selbstläufer gedachte Kooperati- ons- und Verzahnungsmechanismus, der bereits in der Gesundheitsstruk- turreform 2000 gesetzlich verankert wurde, erwies sich als fußkrank. Jetzt werden bis zu 680 Millionen Euro pro Jahr als „Anschub“ separiert.Ab 2004 soll gemäß § 140 Abs. 1 SGB V bis Ende 2006 mit einem Pro- zent Pauschalabzug aus den Budgets der ambulanten und stationären Ver- sorgung der Integrationstopf ge- speist werden. Und schon hat ein
Run auf die künftigen Integrations- Fleischtöpfe begonnen. Politik, Poli- tikberater und Krankenkassen sind munter dabei, die Leistungserbrin- ger ebenso wie die Kassen zu animie- ren, schnellstens zu gemeinsamen Vertragsabschlüssen zu kommen.
Bei den jüngsten Biersdorfer Krankenhausmanager-Gesprächen haben die Strategen verkündet: Un- ter allen Umständen soll der Umsatz- verlust beziehungsweise der (Rabatt-) Pauschalabzug in Höhe von einem Prozent wieder wettgemacht werden.
Schließlich müsse man aus Kosten- gründen das wieder hereinholen oder möglichst überkompensieren, was zwangsweise abgezogen wird, so Jörg Robbers von der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft. Die Kranken- kassen sind ebenfalls am Start: Erst- mals sollen die speziell eingerichte-
ten Stabsstellen für die integrierte Versorgung ein eigenes Budget er- halten und verwalten, das sie automa- tisch davon entbindet, im Einzelfall die Abzugsanteile zu ermitteln. Kas- senexperten gehen davon aus, dass die Höhe des Abschlages bei den an- stehenden Budgetvereinbarungen mitgeteilt und in die Vereinbarung, im Krankenhaussektor, aufgenom- men werden muss. Weil im Klinik- sektor „gemeinsam und einheitlich“
verhandelt wird, resultiert folglich auch ein einheitlicher Abschlag bei allen Kassen und Kassenarten. Da- mit die Euphorie nicht allzu groß wird, bremste Verwaltungschef Wil- fried Jacobs, AOK Rheinland: Erst müssen evidenzbasierte, qualitätsge- sicherte Modelle vertraglich verein- bart werden, erst dann kann Geld fließen. Dr. rer. pol. Harald Clade