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Archiv "Johann Friedrich Dieffenbach: Der Doktor der Doktoren..." (31.01.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT MEDIZINGESCHICHTE

Johann Friedrich Dieffenbach:

Der Doktor der Doktoren...

Zum 200. Mal jährt sich am 1. Februar 1992 Dieffenbachs Ge- burtstag. Mit zahlreichen Chirurgen aus aller Welt wird aus die- sem Anlaß in der Berliner Charite eine internationale Gedenkfei- er stattfinden zu Ehren des wohl ideenreichsten und elegantesten Chirurgen des letzten Jahrhunderts.

H

aben Sie einen Schie- lenden unter Ihren To- ten?" — Wir befinden uns im Totenhaus der Charite, an einem Septembernachmit- tag 1838. Dieffenbach erklärt Frau Vogelsang, der Wächterin des Sektionssaales, seine Idee, das schielende Auge zu operie- ren. Zu diesem Zeitpunkt ist Johann Friedrich Dieffenbach 46, im sechsten Jahr Professor an der Berliner Charite, her- vorragender Arzt und For- schergeist, verehrter Wunder- heiler, galanter und stürmi- scher Fahrer eines heißblüti- gen ungarischen Rappenge- spanns . . ., um nur einige Tä- tigkeiten zu nennen.

Geboren wurde Johann Friedrich, meist Fritz oder Frit- zing genannt, am 1. Februar 1792 in Königsberg. Als der Vater stirbt, siedeln Mutter, Schwester Sophie und der Zweijährige nach Rostock um.

Dort verbringt Fritz seine Schul- und Jugendzeit.

Freunde und Verwandte schütteln nicht wenig den Kopf, als sich der als junger Drauf- gänger Bekannte an der Aca- demia Rostochiensis ausge- rechnet zum Theologiestudium einschreibt. Drei Jahre, bis zum Krieg der Nation gegen Napoleon 1813, bleibt sein Vorhaben ernsthaft. Doch en- thusiastisch schließt er sich dann den Mecklenburger Jä- gern an und wird Grünrock.

Der Krieg verändert ihn: Als er danach eine angekündigte Pre- digt nicht antritt, zieht es ihn zwei Jahre lang „in die große Welt und zu Frauen ersten Ranges", bei denen dieser breitschultrige, schöne Mann mit offenem Schillerkragen und Spitzbart gern gesehen ist.

Dann schreibt er sich 1816 mit mittlerweile 24 in Königsberg für Medizin ein. Der „nicht mehr ganz junge Beflissene der Arzneiwissenschaften" fällt sei- nen Lehrern schnell auf durch eigenartige Selbstversuche:

Nicht nur, daß er Augenbrauen.

von Freunden auf seinen Un- terarm pflanzt und zwei von sechs zum Wachstum gelangen;

auch der Sporn eines jungen Hahnes auf einer Warze seines linken Daumens gedeiht.

Die Leidenschaft der Transplantation läßt ihn seit- dem nicht mehr los. 1823 macht er in Berlin das preußische Staatsexamen und nennt sich

fortan „Arzt und Operateur".

Nach 26 Semestern steht ein ziemlich bemooster Student am Beginn seiner Profession.

Die Anfänge in einer klei- nen Wohnung, die zugleich auch Praxis ist, in der Mittel- straße 54 sind einfach. Man be- nutzt den Eingang für Bedien- stete. Und Johanna Motherby, die ehemalige Geliebte aus Kö- nigsberg, die durch einen Skan- dal fast den vorzeitigen Ab- bruch seiner Laufbahn verur- sacht hätte, reist als geschiede- ne Frau nach. Heimlich wird geheiratet. Die Wohnsituation und die Einnahmen sind be- scheiden, oft operiert er ohne oder gegen ein geringes Ent- gelt. Der Lohn seiner Arbeit:

Er wird bekannt unter den Stu- denten und Armen. Seine Spe- zialität: Leistenbrüche ohne Ende. Und auf den Paukböden der Studenten, wo im Fecht- kampf schon mal die Spitze ei- ner Nase oder eine Backe in den Sand fällt, findet er seine

„menschlichen Versuchskanin- chen": Denn nach all seinen Erfahrungen durch Tierversu- che beschäftigt ihn immer dringlicher die Frage nach dem Wiederanheften verlorener Körperteile.

Einer genialen Idee schließ- lich verdankt er 1827 seine er- ste erfolgreich abheilende Rhi- noplastik: Die Form der Nase bleibt erhalten, wie während des Eingriffes geplant; denn der erfinderische Arzt hat die Wunden nicht mit den üblichen harten Fäden vereinigt, son- dern die Karlsbader Insek- tennadeln genommen. Deren, glattes Material reizt das Ge- webe nicht, wenn sie mit der sogenannten umschlungenen Naht befestigt werden. Ein noch heute gängiges Verfah- ren!

Inzwischen erkennt den Mitte Dreißigjährigen die Fachwelt als übersetzer aus- ländischer Fachliteratur an. Er veröffentlicht ferner neue Me- thoden zur Stomato- und parti-

Das ist der Doktor Dieffenbach, der Doktor der Doktoren.

Er schneidet Arm und Beine ab.

Macht neue Nas' und Ohren.

(Vers der Berliner Schusterjun- gen auf Johann Friedrich Dief- fenbach, Anno 1840)

ellen Rhinoplastik und einen historischen Rückblick zur Bluttransfusion. 1828 beendet er den ersten Band seines gei- stigen Werkes: „Die chirurgi- schen Erfahrungen über die Wiederherstellung zerstörter Teile des menschlichen Kör- pers nach neuen Methoden".

Dennoch — trotz seiner bis ins Ausland anerkannten Lei- stungen tritt Johann Friedrich lange auf der Stelle. Was er braucht, ist eine Klinik mit Bet- ten und Operationsräumen.

Die Berliner Chirurgie aber scheint fest in den Händen des Herrn von Graefe und des chir- urgischen Direktors der Chari- te, Geheimrat Rust. Mißgün- stig beobachten sie die Erfolge des jungen Doktors. Doch die Mißgunst muß schließlich dem Genie weichen, Rust überläßt aus Gesundheitsgründen dem aufstrebenden Arzt seinen Po- sten. Ab 1829 ist Dieffenbach

„dirigierender chirurgischer Arzt" der Charite.

Bevor er 1832 den Professo- rentitel erhält, erlebt er mit,

wie die Pest aus Osteuropa vie- le Todesopfer fordert. Heilmit- tel hierfür existieren nicht, und so unternimmt er erste Trans- fusionen an Kranken mit eini- gem Erfolg; die Erfahrungen seiner Tierversuche nutzen ihm dabei. Kaum bekannt ist sein Versuch, das Herz durch einen eingeführten Katheter von in- nen zu stimulieren. Dabei führt er einem Sterbenden über die linke Armarterie eine elasti- sche Sonde ein und beobachtet, wie der Herzschlag sich deut- lich bessert und beschleunigt.

Wieder aus Tierversuchen weiß er, daß sein Patient nicht an dieser Methode sterben kann.

„Nebenbei" reformiert er das Krankenpflegesystem der Charite; zur Weiterbildung der Kollegen gründet er das Fach- organ „Zeitschrift für die ge- samte Medizin . . ." (1836) und hält Vorlesungen vor Studen- ten: Seine Operationen vor ver- sammeltem Auditorium haben einen unschlagbaren Ruf. Ab 1838 operiert er bisher für un- heilbar gehaltene Klumpfüße nach einer Technik seines Freundes Stromeyer, und am 26. Oktober 1839 vollbringt er die erste Schieloperation der Geschichte, die er nach Lei- chenstudium am Sohn der Frau Vogelsang, jener Wächterin des Totensaales der Charite, durchführt. Sie wird ein voller Erfolg.

Zwei Jahre später wechselt Dieffenbach von der Charite zur Klinik in der Ziegelstraße für weitere tatenreiche Jahre.

Von den Berlinern wird er ver- ehrt.

Am 19. Oktober 1847 findet Dieffenbachs 25jähriges Dok- torjubiläum statt, und nach ei- ner Erholungskur droht er nun der Fachwelt mit 25 weiteren Jahren seines Handelns. Da ge- schieht knapp einen Monat später jedoch Folgendes: Am 11. 11. stellt er in seiner Vorle- sung drei Operierte vor und läßt dann einen Weißhaarigen hereinführen. Er begrüßt ihn, setzt sich auf sein schwarzes Ledersofa; der alte Mann nimmt neben ihm Platz. Alle warten gebannt auf die Worte des Meisters über den vorzu- nehmenden Eingriff. Doch

Dieffenbach bleibt still sitzen;

denn soeben war sein Leben erloschen! Er ist im 56. Lebens- jahr gestorben.

Antje Müller-Schubert

Dt. Ärztebl. 89, Heft 5, 31. Januar 1992 (75) A1-305

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