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Archiv "Friedrich Joseph Haass (1780–1853): Der „heilige Doktor“ von Moskau" (07.03.2008)

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A518 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 107. März 2008

Z

wei Ärzte betreten im Jahr 1848 einen der Krankensäle des Moskauer Armenspitals. Der ei- ne ist schon älter, hochgewachsen und breitschultrig, und trägt einen abgewetzten Gehrock und im Knopfloch das Abzeichen des Wla- dimirordens – es ist Friedrich Joseph Haass, so wie er in seinen letzten Le- bensjahren für seine Patienten und die Moskauer Bevölkerung ein ver- trauter Anblick war. Er wird beglei- tet von einem hospitierenden ärzt- lichen Kollegen, A. K. Schisnewsky, der später von dieser Szene berich- ten wird, die sich während der zweiten großen Choleraepidemie in Moskau abgespielt hat.

Haass betrachtet jeden seiner Pa- tienten im Raum, von denen die meisten alt, schwach, schwer krank und ärmlich gekleidet sind, mit güti- gem, wohlwollenden Blick. Er hat für jeden von ihnen ein aufmuntern- des Wort, eine freundliche Berüh- rung oder eine persönliche Frage;

ihr Befinden, körperlich und see- lisch, scheint ihm sehr am Herzen zu liegen. So gehen die beiden durch den Raum und kommen schließlich an einem Bett am Ende des Saals an, in dem ein Schwerkranker liegt und

stöhnt. Haass wendet sich zu seinem Begleiter und sagt mit Nachdruck:

„Das ist der erste Cholerakranke bei uns“, beugt sich über den Patienten und küsst ihn liebevoll. Der er- schrockene Kollege schaut ungläu- big und weicht einen Schritt zurück.

Hätte man den noch jungen Haass mit solch einer Perspektive konfrontiert, würde er wahrschein- lich nur nachsichtig den Kopf ge- schüttelt haben. Denn eigentlich sah es aus, als würde er eine ärztliche Bilderbuchkarriere machen: Gebo- ren im August 1780 in Münstereifel, aufgewachsen in einer christlichen Familie als Sohn eines Apothekers, besuchte Haass als Jugendlicher das Gymnasium der Stadt und setzte seine Ausbildung zunächst an der Hohen Schule in Köln und seit 1802 an den Universitäten von Jena und Göttingen fort. Als Student der Me- dizin, Philosophie und Naturwis- senschaften bildete er sich – ganz im Stil der damaligen Zeit – auf breiter Front und hatte engen Kontakt zu den Naturphilosophen um Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, deren Ideen ihn begeisterten und die ihn stark beeinflussten. Um sich in der Augenheilkunde fortzubilden, ging

Haass nach seiner Promotion 1805 nach Wien.

Schon im nächsten Jahr nahm er ein Angebot der Petersburger Fürs- tin Repnin an, sie als ihren Hausarzt nach Russland zu begleiten. Die Reise ging bis Moskau, wo Haass es innerhalb kürzester Zeit schaffte, sich einen Namen als fähiger und vertrauenswürdiger Arzt zu machen und im Juni 1807 als Chefarzt des Pauls-Krankenhauses in den Staats- dienst berufen zu werden. Neben dieser Anstellung, die er 1812 wie- der aufgab, und seiner Tätigkeit als Stadtphysikus von Moskau in den Jahren 1825 und 1826 war Haass in den nächsten 21 Jahren ohne Unter- brechung in seiner gut gehenden Privatpraxis als Hausarzt des Mos- kauer Bürgertums tätig und betreute außerdem unentgeltlich und freiwil- lig die Kranken in den Armenhäu- sern der Stadt. Er war Mitglied in der Moskauer Naturwissenschaft- lich-Medizinischen Gesellschaft und unternahm 1809 und 1810 zwei Rei- sen in den Kaukasus, wo er die von ihm so benannten Alexanderquellen erforschte.

Alles deutete also darauf hin, dass er den Traum eines jeden jun- gen aufstrebenden Arztes verwirk- licht hatte: Seine Praxis florierte, er war mittlerweile wohlhabend genug für den Erwerb eines großen Stadt- hauses, einer standesgemäßen Kut- Arzt und Seelsorger für die Häftlinge und

Deportierten in Russland

Kreml und Stein- brücke, F. J. Alexe- jew 1801, Aquarell und Gouache

FRIEDRICH JOSEPH HAASS (1780–1853)

Der „heilige Doktor“ von Moskau

Foto:picture-alliance/akg

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 107. März 2008 A519

T H E M E N D E R Z E I T

sche und eines Landguts. Seine Pati- enten schätzten ihn als guten Arzt, und auch sein Verhältnis zu den Re- gierenden der Stadt und den ärztli- chen Kollegen war ungetrübt.

Doch dann kam das Jahr 1828 und damit die große Wende in Haass’ Leben – er wurde von Gene- ralgouverneur Golicyn als einer der ärztlichen Direktoren in das Mos- kauer Gefängnisschutzkomitee be- rufen. Haass war erschüttert von den menschenunwürdigen Zuständen, die in den städtischen Gefängnis- sen und in den Sammelstellen für die Deportationen nach Sibirien herrschten. Ohne Zögern machte er sich daran, das ihm Mögliche zu ei- ner Verbesserung der Verhältnisse umzusetzen. Bereits 1829 wurde ihm die ärztliche Oberaufsicht über die Gesundheit der Deportierten übertragen.

In den folgenden zehn Jahren bemühte er sich immer wieder, das Beste für seine Schützlinge zu errei- chen: Ob es sein Einsatz für leichte- re und menschenwürdigere Fesseln auf dem Fußmarsch war, die Verlän- gerung des Krankenhausaufenthalts eines kranken Deportierten, eine Fa- milienzusammenführung oder die Versorgung mit Bibeln und Süßig- keiten für den Marsch – mit einer Mischung aus medizinischer Be- gründung und moralischem Appell an die Verantwortlichen, mit Bitt-

briefen, Eingaben bei Behörden und persönlichen Besuchen erreichte Haass meistens das, was er wollte;

und zwar ohne Rücksicht auf sich selbst, seine Würde, Gesundheit oder finanzielle Lage. Gerade dieses unermüdliche, für die Mächtigen Moskaus so unbequeme Engage- ment bescherte ihm jedoch auch viele Feinde und führte dazu, dass er dieses Amtes 1839 wieder enthoben wurde – was ihn nicht daran hinder- te, bis zu seinem Tod 1853 damit in- offiziell weiterzumachen.

1829 war Haass auch zum Chef- arzt der Moskauer Gefängniskran-

kenhäuser berufen worden. Auch hier tat er mit seinen unkonventio- nellen Methoden alles in seiner Macht Stehende für seine Patienten und trieb zur Verbesserung ihrer Le- bensbedingungen unter anderem den Neu- und Umbau des Katha- rinen-Krankenhauses und den Bau eines Obdachlosenkrankenhauses voran. Dort zog er 1845 auch selbst ein und verband damit sein Leben endgültig untrennbar mit dem der Armen, Kranken und Hilflosen.

Immer mehr war Haass als tief- gläubiger Christ um das seelische

Heil der Gefangenen und um ihre Rückkehr zu Gott besorgt. Sein un- gebrochener Glaube an das Gute im Menschen, gerade bei den Verbre- chern in seiner Obhut, und die be- dingungslose Liebe, Güte und Nachsicht, mit der er ihnen stets be- gegnete, waren für ihn der einzig richtige und glaubwürdige Weg, dies zu erreichen. So verschob sich im Lauf der Jahre sein Fokus immer mehr hin zu einem eher seelsorgeri- schen Umgang mit den Gefangenen und weg von ihrer rein ärztlichen Betreuung. Seine medizinischen Behandlungen waren gegen Ende

seiner ärztlichen Tätigkeit eher ver- altet und wurden von seinen Kolle- gen und auch den Moskauer Bür- gern mehr belächelt als tatsächlich für wirksam erachtet.

Friedrich Joseph Haass starb nach kurzer Krankheit im August 1853. Er blieb, wie es auch schon in der eingangs beschriebenen Szene anklingt, nach seinem Tod im Ge- dächtnis der Menschen, die ihm be- gegnet waren, als der „heilige Dok- tor von Moskau“ verhaftet: eine et- was kauzige und eigensinnige, je- doch von ungebrochenem Eifer und schier grenzenloser Liebe beseelte und vom Volk verehrte Persönlich- keit, die eine Berufung im Leben gesucht und mit ihrem Wirken für die Armen und Gefangenen gefun- den zu haben schien. Aufgrund sei- nes Geburtsorts Bad Münstereifel wurde 1998 vom zuständigen Erz- bistum Köln das Seligsprechungs- verfahren eröffnet. Dieses ist nach Durchlaufen von verschiedenen vor- geschriebenen Stadien (Zeugenein- vernahme, Bildung einer Historiker- kommission, Sammlung der Schrif- ten des „heiligen Doktors“) noch nicht abgeschlossen. I

Katharina Pfeifer Universität Regensburg Prof. Dr. Dr. Werner E. Gerabek Institut für Geschichte der Medizin Universität Würzburg

LITERATUR

1. Koni AF: Doktor Friedrich Haass – Lebens- skizze eines deutschen Philanthropen in Rußland. Zur Geschichte des russischen Gefängniswesens im 19. Jahrhundert.

Übersetzung aus dem Russischen, Leipzig 1899.

2. Müller-Dietz H: Friedrich Joseph Haass als Arzt in Moskau. Biographische Skizzen, Berlin 1980.

3. Hamm A, Teschke G: Ein deutscher Arzt als

„Heiliger“ in Moskau. 2. Aufl. Berlin, Bonn 2000.

4. Haass FJ: Meine Reise zu den Alexander- quellen in den Jahren 1809 und 1810. Dr.

Friedrich Joseph Haass als Arzt und Natur- forscher im nördlichen Kaukasus. Aus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Dietrich M. Mathias, 2. Aufl. Aachen 2007.

5. Neshnyi A: Der „heilige Doktor“ von Mos- kau. Friedrich Joseph Haass, Münstereifel 1780–Moskau 1853. Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen und einer Schlussbetrach- tung von Karl Kardinal Lehmann, aus dem Russischen von Maria Klassen, hrsg. von der Friedrich-Joseph-Haass-Gesellschaft, Bad Münstereifel 2007.

. . . eine etwas kauzige, jedoch von ungebrochenem Eifer

und schier grenzenloser Liebe beseelte Persönlichkeit.

Referenzen

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