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Archiv "Der heilige Doktor und Sacharow" (24.02.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS BESONDERE BUCH

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ew Kopelew, der ausgebürger- te russische Schriftsteller und Freund der Deutschen, hat ein Buch geschrieben über einen deutschen Menschenfreund, der in Rußland bis heute in hohem An- sehen steht, den Arzt Dr. Friedrich Joseph Haass, den heiligen Dok- tor von Moskau. Als Kopelew vor einigen Tagen sein neues Werk, es zählt zu seinen kleineren, in Bad Münstereifel, dem Geburtsort jenes Dr. Haass, vorstellte, stand er ganz unter dem frischen Ein- druck eines Briefes, den er von der Familie des Wissenschaftlers, Dissidenten und in die Provinz Verbannten Andrej Sacharow be- kommen hatte. Was mit der Fami- lie Sacharow geschehe, rief Kope- lew aus, sei ein lang hingezoge- ner Foltermord; und er drängte wieder einmal, sich für Sacharow einzusetzen und dabei nicht zu er- müden.

Denn Sacharow, und damit kam Lew Kopelew auf den heiligen Doktor zurück, sei von allen Men- schen, die er kenne, der, der am meisten dem Dr. Haass ähnlich sei; beide repräsentierten die be- sten Seiten des russischen Men- schen. Ja auch Haass, wiewohl Deutscher und seiner Heimat zeit- lebens verbunden, gilt Kopelew und vielen Russen als Wahlver- wandter. Kopelew erkennt Haass in vielen literarischen Figuren wieder, die in Werken von Pusch- kin, Gogol, Dostojewski oder Tschechow auftreten. In diesen Werken der „heiligen russischen Literatur" nämlich walten Mitleid, Verständnis, Nachsicht und Ach- tung für Erniedrigte und Verfolgte—

auch wenn sie Verbrecher waren.

Friedrich Joseph Haass wurde 1780 geboren; er studierte in Köln, Jena und Wien Medizin, aber auch, und offenbar sehr in- tensiv, Philosophie; er war ein gläubig-kritischer Anhänger des Romantikers Schelling. Nach sei- nem Studium 1806 kam Haass nach Moskau, eingeladen von ei- nem russischen Fürsten, dessen Schwiegervater er von einem Au- genleiden befreit hatte. Vom Leib-

Der

heilige Doktor und Sacharow

arzt einer Fürstenfamilie gelangte er bald zu größeren Aufgaben, als Leiter eines großen Krankenhau- ses, als Stadt-Physikus und schließlich — seine selbstgewählte große Lebensaufgabe — zur ärzt- lichen und menschlichen Betreu-

Lew Kopelew (Foto) hat vorgeschlagen, eine Haass-Stiftung ins Leben zu rufen.

Diese solle alljährlich am 16. August, dem Todestag von Haass, 25 Medaillen vergeben an Menschen, die Bedräng- ten tatkräftig geholfen haben — 25 des- halb, weil Friedrich Joseph Haass 25 Jahre als Armen- und Gefängnisarzt in Moskau gewirkt hat Foto: Weihs ung russischer Strafgefangener und Verbannter.

Kopelew beschreibt nicht nur den Lebenslauf des Dr. Haass, son- dern auch die russische Gesell- schaft des 19. Jahrhunderts, die Fürsten und Bischöfe, das Los der Leibeigenen und Verbannten. Ko- pelew weiß aus eigenem Erleben, was Gefangenschaft und Verban- nung bedeuten, beides besteht heute ja noch fort (siehe Sacha- row). Seine Haass-Biographie ist kein großes Stück Literatur, ist

auch kein wissenschaftlicher Bei- trag. „Ich berichte nur die Wahr- heit", schreibt er bescheiden und selbstbewußt.

Das Buch setzt sich zusammen aus biographischen Skizzen, Zita- ten, aus Dokumenten und roman- haften Passagen, in denen Kope- lew sich in Haass und das Leben vor hundert Jahren einzufühlen versucht. Insgesamt entsteht so ein lebhaftes und anrührendes Bild eines merkwürdigen Men- schen: Wissenschaftler, Helfer, Sonderling und Mann der Gesell- schaft.

Über Haass gibt es zwar eine Fül- le, zumeist kleinerer, biographi- scher Schriften, so von Heinz Mül- ler-Dietz vom Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin.

Dennoch hat Heinrich Böll mit der Bemerkung im Vorwort zu Kope- lews Buch recht, dieser Wohltäter der Menschheit sei uns bisher un- terschlagen worden. Böll: „Merk- würdig genug, daß er in Deutsch- land so wenig, fast gar nicht be- kannt ist, wo es doch so wenige Deutsche gibt, die wir als Wohltä- ter der Menschheit vorzuzeigen haben."

In Rußland ist Haass heute noch lebendig. Viele, auch Sacharow, so sagt Kopelew, kennen noch aus Kindertagen seine Lebens- beschreibung. Auch er, Kopelew, habe von dem guten Doktor schon als Kind von seiner Lehrerin ge- hört: „Sie las darüber aus einem Bilderbuch vor; ihr kamen die Trä- nen, und wir weinten mit ihr." Da- mals habe er Friedrich Haass' Auf- forderung: „Beeilt Euch, Gutes zu tun", zu seiner Devise wählen wol- len. Darüber sei dann zunächst das Leben als aktiver Kommunist hinweggegangen. Mit seinem neuen Buch trägt Kopelew somit auch eine Dankesschuld ab.

Norbert Jachertz Der heilige Doktor Fjodor Petrowitsch, die Geschichte des Friedrich Joseph Haass, Bad Münstereifel 1780 — Moskau 1853, erzählt von Lew Kopelew, Hoff- mann und Campe Verlag 1984, 232 Sei- ten, 32 DM

490 (18) Heft 8 vom 24. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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