Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 37|
16. September 2011 A 1921 JOHANN VESQUE VON PÜTTLINGEN (1803–1883)Der Doktor und sein Patient
Mit dem Duett für zwei Bässe „Der Doktor und der Patient“ hat Johann Vesque von Püttlingen ein humoriges Salonstück komponiert, das nicht nur durch seinen Wortwitz besticht. Der Jurist Martin Wiemer editierte dieses und weitere Werke des nicht allzu bekannten Komponisten.
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er heutzutage Johann Ves- que von Püttlingen nicht kennt, muss nicht gleich vor Scham erröten ob seiner mangelhaften Bil- dung; doch lohnt es sich vielleicht, diese kleine Bildungslücke zu schließen.Wer war dieser in seiner Zeit hoch angesehene Jurist und Kom- ponist, der in Galizien geboren wur- de, in Wien lebte und wirkte, als Geheimer Hofrat schließlich mit 63 Jahren in den Freiherrenstand (von Püttlingen) erhoben wurde? Er war eine genuine Doppelbegabung: als Jurist mit höchster Auszeichnung zum Dr. iur. promoviert und im Staatsdienst extrem erfolgreich, als Musiker keineswegs ein Dilettant, vielmehr bei besten Lehrern als Pia- nist und Komponist ausgebildet.
Sein Salon war für viele Jahre ge- sellschaftlicher und kultureller Mit- telpunkt Wiens, mit den Schu- manns, mit Berlioz, Liszt, Loewe, Meyerbeer, Mendelssohn-Barthol-
dy und anderen Spitzenmusikern der Zeit stand er in ständigem Aus- tausch. Vesque publizierte wichtige juristische Abhandlungen und ver- öffentlichte daneben circa 300 Lie- der (Schwerpunkt waren Heine- Vertonungen), neun Opern, sakrale Werke und diverse Kammermusik- und Klavierkompositionen. Die Musikkritik der Zeit war ihm ge- neigt, selbst der Kritikerpapst die- ser Jahre, Eduard Hanslick, lobte ihn nachdrücklich, insbesondere für seine „bedeutende Begabung für die Darstellung des Komischen in der Musik“.
Und damit sind wir bei der Sa- che: Das Stück „Der Doktor und der Patient“ hat das nach 15 Jahren zufällige Zusammentreffen eines Arztes mit seinem Patienten zum Thema, wobei der Erstere das Ho- norar für vorangegangene Behand- lungen einfordert. Mag dieses „ko- mische Duett für zwei Bässe und Pianoforte“ auch eher eine „peti -
tesse“ im Gesamtœuvre Vesques sein (opus 13!), ein Salonstück für – die Freunde? – Gottfried Reggla und Peter Lugano aus dem Geist der Figurentradition der commedia dell’arte (mit einem möglicherwei- se vom wortgewandten Juristen selbst verfassten Text): In jedem Fall ist es komisch, mit erkennbarer Lust an der Wortpointe wie an der treffenden musikalischen Charakte- risierung verfasst, in atemlosem Al- legro vom Anfangsrezitativ bis zum Schluss des zweiten Duetts wir- kungsvoll in Schwung gehalten.
Hämmernde Tonwiederholun- gen wechseln mit kleinen Kolora- tureinlagen, fast naive Terzführun- gen mit Reibeharmonien. Der sich nahezu ins Delirium redende Dok- tor mit seinen lächerlichen Hono- rarforderungen (auch die geatmete Luft während der Behandlungszeit des Patienten wird in Rechnung ge- stellt) wie der erst hilflos-verblüff- te, dann aggressiv-listige Patient, der sich am Ende mit einem Fuß- tritt empfiehlt, ohne die präsentier- te Rechnung zu zahlen: Sie sind ein Buffopaar (ungewöhnlich genug:
zwei Bässe!), das ohne Artikulati- onsbrillanz und gute (professionel- le) Höhe dieses Duett nicht bewäl- tigen kann – ein Beleg für das be- achtliche Niveau der „Salon“-Sän- ger jener Jahre, wie wir sie auch aus den Schubertiade-Zirkeln ken- nen. Zugleich wird in der parodisti- schen Übertreibung klar, dass es schon damals ernsthafte Probleme des Gesundheitssystems gab – al- lerdings ist uns Heutigen in diesem Zusammenhang weniger zum La- chen zumute.
Lohnend ist sie also, die Neu - edition dieses frühen Werkes eines Komponisten, bei dem es für Mu- sikliebhaber noch viel mehr zu ent-
decken gibt.
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Prof. Josef Protschka Der Doktor for-
dert das ausste- hende Honorar beim unwilligen Patienten ein.
Fotos: LMM Publishing & Records
Johann Vesque von Püttlingen, 1803 in Galizien ge- boren, starb 1883 in Wien.