Doktor Furioso
Dem University College Hospital Magazine aus dem Jahr 1926 sind erstaunliche Mitteilungen aus dem Leben und der Arztpra- xis eines Dr. P. Robert Liston zu entnehmen, des „Mannes mit dem schnellsten Messer" im West End von London. In den vierziger Jahren des 19. Jahr- hunderts bewohnte Dr. Liston, Sohn eines schottischen Geist- lichen, ein Haus in Nähe der Bond Street, von wo aus er ein Pferd bestieg, um seine Patien- ten aufzusuchen — meist im Ga- lopp. Er huldigte dem Motto
„mehr Hast, weniger Schmer- zen". Entweder mit Opium, Rum oder einer mit einem Lappen umwickelten Wäscheklammer zum Hineinbeißen wurde der auf ein Brett gefesselte Patient versehen, ehe der Arzt zu Werk ging. Sein Skalpell wie einen Fechtdegen schwingend, so wird berichtet, rief Dr. Liston bei seinen Operationen immer wie- der aus: „Aufgepaßt! Die Minu- ten gezählt! Schneller als ich macht's keiner!" Man sah das Messer blitzen, hörte die Säge ratschen, und, um beide Hände freizubekommen, hielt Dr. Li- ston das blutige Messer inzwi- schen mit seinen Zähnen fest.
Am 21. Dezember 1846 operier- te er als erster Arzt in Europa unter Anwendung von Narkose, die aus Amerika eingeführt wor- den war.
Die Letalität war zu seiner Zeit bei operativen Eingriffen und Amputationen erschreckend hoch. Liston tat das Seine, um sie zu erhöhen: Er amputierte in weniger als zweieinhalb Minu- ten ein Bein — der Patient, wie damals nicht unüblich, verstarb später an Wundbrand. Gleich- zeitig verlor unter dem Skalpell Dr. Listons ein Assistent, der nicht schnell genug reagierte, zwei Finger seiner Hand, der junge Mann verstarb ebenfalls
an Wundbrand. Einem Arzt-Kol- legen, der als Beobachter zu na- he stand, zerschnitt der furiose Operateur den Mantel und ritzte ihn in den Oberschenkel — vor Schreck, weil er sich schwerer verletzt glaubte, fiel der Getrof- fene tot zu Boden: eine denk- würdige Operation mit einer To- desrate von 300 Prozent!
Kein Wunder, daß Richard Gor- don, Autor des Buches „Great Medical Disasters" und verant- wortlich für eine ganze Filmko- mödienserie über Ärzte und Pflegepersonal, diesen Fall auf- griff — er entspricht ganz der bri- tischen Vorliebe für schwarzen Humor. AR
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Zeichnung: Dr. med. Manfred Krause-Sternberg, Pulheim
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
POST SCRIPTUM
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954 (136) Heft 12 vom 23. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A