Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KONGRESS-BERICHT
Referiert wurde über die Grundla- genprobleme des kontrollierten kli- nischen Versuches, der therapeuti- schen und diagnostischen Indika- tion am Krankenbett sowie die so- ziologischen, ethischen und philo- sophischen Aspekte des therapeuti- schen Handelns.
Gross (Köln) und Anschütz (Darm- stadt) hielten Einführungsreferate zum kontrollierten klinischen Ver- such und zum Indikationsproblem.
Überla (München) versuchte, in sei- nem Vortrag „Indikationen zum kon- trollierten klinischen Versuch und Alternativen der statistischen Er- kenntnisgewinnung" zu begründen, daß und warum der lege artis ge- plante und durchgeführte kontrol- lierte klinische Versuch eines der besten Instrumentarien zur Gewin- nung von Erkenntnissen über die Wirksamkeit von Therapeutika dar- stellt.
Kienle (Herdecke) hielt in seinem Referat „Die offenen wissenschafts- theoretischen Probleme des kontrol- lierten klinischen Versuches" dem entgegen: „Es ist ein grundlegender wissenschaftlicher Irrtum, zu glau- ben, man könne mit Hilfe kontrollier- ter klinischer Versuche Erkenntnis über die Wirksamkeit von Arzneimit- teln gewinnen." Der Positivismus habe die Wahrheit durch Richtigkeit ersetzt, und der Neopositivismus ha-
*) Gefördert durch die Robert Bosch Stiftung GmbH, Stuttgart. Alle Vorträge werden in Band IV des Archivs für Medizinforschung veröffentlicht (Burgverlag, Tecklenburg)
—) Siehe DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 74 (1977) 1578
be erfolglos die Wissenschaft aus- schließlich auf formale Regeln zu gründen versucht. Richtigkeit for- maler Operationen verfehle jedoch die Wahrheit. Die Wahrheitsnähe wissenschaftlicher Aussagen lasse sich nicht durch Statistik abschät- zen; zudem seien Krankheit und Ge- sundheit keine Meßgrößen.
Richtberg (Frankfurt) erörterte in seinem Vortrag „Therapieorientierte Diagnostik aus psychiatrischer Sicht" den Gedanken, daß der Hilfs- auftrag des Patienten das diagno- stisch-therapeutische Handeln be- gründet und begrenzt. Diagnose als Basis der Therapie genüge nicht im- mer. Behinderungsanalyse und Ein- beziehung der historisch-individuel- len Dimensionen der Person des Pa- tienten seien unerläßlich. Schaefer (Kiel) begründete in dem Referat
„Therapeutisch relevante Diagno- stik. Zur Problematik diagnostischer Verfahren in der Kardiologie" die Forderung, daß die Diagnostik the- rapeutisch relevant zu sein habe. Er legte ein entsprechendes Konzept vor, dessen Bedeutung anhand von kardiologischen und kardiochirurgi- schen Beispielen demonstriert wur- de.
Hartmann (Hannover) zeigte in sei- nem Vortrag „Konjekturen und Indi- kationen als Formen ärztlichen Ur- teils. Vorbereitung eines kritischen Empirismus in der Medizin", daß der ärztliche Erkenntnis-, Urteils- und Entscheidungsvorgang eine Such- bewegung („Schnupperverhalten") darstellt und in erster Linie durch Mutmaßen (Konjektur) gekennzeich- net ist. Eine systematische Analyse
dieses Verhaltens sei nicht nur aus medizinmethodologischen Gründen erforderlich, sondern könne auch ein ärztlicher Beitrag zur prakti- schen Philosophie sein.
Hucklenbroich (Münster) leistete ei- nen solchen Beitrag in seinem Refe- rat „Therapie und Handlungstheo- rie". Mit Hilfe einiger Grundbegriffe der aus der modernen Wissen- schaftstheorie und Sprachphiloso- phie stammenden Handlungstheorie zeigte er, wie man eine Handlungs- wissenschaft von einer Naturwissen- schaft unterscheiden kann, und daß die Medizin Anteile aus beiden ent- hält. Medizinische Therapien seien als spezielle Handlungsstrategien rekonstruierbar, zu deren potentiel- len Subjekten Arzt und Patient ge- hörten.
Schoene (Münster) erörterte die
„soziologischen Aspekte der thera- peutischen Beziehung". Seiner Mei- nung nach sind die Prämissen strikt naturwissenschaftlich orientierter Medizin für die zwischenmenschli- che Arzt-Patient-Beziehung unab- hängig vom therapeutischen Erfolg bestimmend gewesen. Sie haben die klinische Arbeitsteilung und die Krankenversicherung ermöglicht, je- doch, weil längst überholt, beein- trächtigen sie jetzt das Funktionie- ren der Beziehungen zwischen Arzt und Patient sowie zwischen Medizin und Öffentlichkeit.
Toellner (Münster) stellte im Schluß- referat den Patienten in den Mittel- punkt der therapeutischen Arzt-Pa- tient-Beziehung und diskutierte die ethischen Probleme, welche die For- derung nach Mündigkeit des Patien- ten implizierten.
Privatdozent Dr. med.
Kazem Sadegh-zadeh Institut für Theorie und Geschichte der Medizin der Universität Münster Waldeyerstraße 27 4400 Münster
Probleme der Therapie und Indikation
Bericht vom dritten Arbeitsgespräch*)
des Arbeitskreises für Methodologie der klinischen Medizin**)
Kazem Sadegh-zadeh
1642 Heft 35 vom 27. August 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT