Ankündigung, das Problem einer wach- senden Zahl von Menschen ohne Kran- kenversicherungsschutz zu lösen.
Für alle diese Projekte braucht man Geld – und damit dringend eine trag- fähige Finanzreform der GKV. Durch dieses „ungelöste Problem“ laste „der größte Druck auf uns“, sagte der nie- dersächsische Ministerpräsident Chri-
stian Wulff unlängst. Er warnte sogar vor einem Scheitern der großen Koaliti- on an der Gesundheitspolitik. Franz Müntefering hat mehr Zutrauen. Der Koalitionsvertrag sei „bei weitem nicht reinrassig sozialdemokratisch“, befand er auf dem Parteitag. Ein solches Pro- gramm einer gemischten Politikertrup- pe wie der jetzigen großen Koalition ha-
be Vorzüge, machte er den Genossen mit einer „alten Erfahrung vom Dorf“
klar: „Straßenköter sind oft durchset- zungsfähiger und robuster als die fein- sinnigen Sensibelchen.“
Samir Rabbata, Sabine Rieser, Heinz Stüwe
Der Koalitionsvertrag im Internet: www.aerzteblatt.de/
plus4705 P O L I T I K
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A3224 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005
KOMMENTAR
B
eim Komplex „Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversiche- rung“ fanden die Koalitionäre (noch) nicht zueinander. Dafür gab es einen bemerkenswerten Schulter- schluss beim Plan, die ärztlichen Ho- norare für die Privatbehandlung von bestimmten Personengruppen – Beam- ten, Standardtarifversicherten – zu sen- ken, teils zur Sanierung der Staatsfi- nanzen, teils als Kompensation für den Finanzausgleich zulasten der mit der privaten Krankenversicherung assozi- ierten privaten Pflegepflichtversiche- rung. Die SPD verfolgt damit zugleich konsequent ihren Kurs, die private Krankenversicherung (PKV) so zu de- montieren, dass ihre Attraktivität suk- zessive beseitigt wird. Am Ende steht die so genannte Bürgerversicherung.Mit der beabsichtigten Reduzierung des Gebührenrahmens der GOÄ in noch nicht erkennbare Tiefen – anstel- le der über Jahrzehnte verschleppten, längst überfälligen Reform der veral- teten GOÄ mit völlig unausgewoge- nem Bewertungsgefüge – ist die Schmerzgrenze der Ärzte überschrit- ten. Die Arbeitsbedingungen der Ärz- te in der Praxis und am Krankenhaus haben sich in den letzten Jahren per- manent verschlechtert. Immer mehr junge Ärzte streben Berufsziele außer- halb der Patientenversorgung an (bis zu 45 Prozent im Jahr 2004) oder wan- dern ins Ausland ab (13 000, Tendenz steigend). Immer mehr ältere Ärzte steigen vor Erreichen der Altersgrenze aus dem Berufsleben aus. Der wach- sende Ärztemangel wird weiter ver-
größert und offensichtlich politisch ebenso in Kauf genommen wie die da- mit verbundene Gefährdung einer qualitativ hoch stehenden, flächen- deckenden Versorgung. Sogar eine weitere Vernichtung von Arbeitsplät- zen von bis zu einer Million Beschäf- tigten in Krankenhaus und Praxis im Gesundheitswesen scheint die politi- schen Entscheidungsträger nicht zu beirren: Arztpraxen und Krankenhäu-
ser werden Personal entlassen müssen, die schwierige Personalsituation in den Kliniken wird sich verschärfen, die Demotivierung des ärztlichen Nach- wuchses über eine sinkende Mitarbei- terbeteiligung an Privateinnahmen der Chefärzte (Poolregelung) dramatisch zunehmen, denn der unverzichtbare Finanzierungsbeitrag über Privatein- nahmen wird durch Reduzierung des Vergütungsniveaus ebenfalls gekürzt.
Die dadurch sinkende „Quersubven- tionierung“ durch die PKV wird die Fi- nanzierungslücken der Gesetzlichen Krankenversicherung noch weiter ver- größern.
Verkannt wird, dass derzeit einiger- maßen angemessene Vergütungen
(Bruttoumsätze!) für ärztliche Lei- stungen nur noch über die Privatbe- handlung erzielbar sind, wenngleich diese im internationalen Vergleich be- reits gering ausfallen. Der immer wie- der – auch von der Privatassekuranz – bemühte Vergleich zwischen den völ- lig unzulänglichen, budgetbedingten GKV-Vergütungen und der Privatli- quidation für eine freiberufliche Tätig- keit hat die fatale Fehleinschätzung über das Abschöpfungspotenzial bei ärztlichen Privathonoraren genährt – dies, obwohl Ärzte in den vergangenen 25 Jahren – aufgrund ausbleibenden Inflationsausgleichs durch Punkt- wertanhebung – reale Einkommens- verluste hinnehmen mussten, Im Ver- gleich dazu haben andere freie Berufe weitaus besser abgeschnitten. So er- hielten Rechtsanwälte 2004 als Inflati- onsausgleich für die letzten zehn Jahre real eine 20-prozentige Honoraranhe- bung. Ärzte wurden mit 3,6 Prozent abgespeist.
Dieser Akt der Willkür lässt sich nur durch die fragwürdige Verquickung der Interessen des Staates als Zah- lungspflichtiger für die Beihilfe und zugleich als GOÄ-Verordnungsgeber erklären. Die Gebührentaxe eines frei- en Berufes für die Zwecke der Beihilfe zu missbrauchen und zudem diesen
„freien Beruf“ mit Zwangsmaßnah- men zu knebeln, verdeutlicht die Dis- krepanz zwischen der „Wertschät- zung“ der Ärzteschaft in der Politik und der hohen Anerkennung des Ar- beitseinsatzes von Ärzten durch die Bevölkerung. Renate Hess