der sind ein und sieben Jahre alt. Der Große besucht die Dorfschule, auf den Kleinen passt der Opa auf. Für die Kin- der wollen Gyalsang und seine Frau ei- ne bessere Zukunft aufbauen. Sie sollen einen Beruf erlernen und nicht etwa nur einen Job in einer der zahllosen Trä- ger-Karawanen ausüben, die täglich das Tal hinaufziehen. Es sind zierliche Män- ner und Frauen, die unglaublich bela- den sind und meist „Flip-Flops“ an den Füßen tragen.
Die Probleme lassen sich nicht mit Waffen lösen
„Das, was du entlang des Touristen- trecks siehst, ist nichts im Vergleich zur Armut in den entlegenen Bergdör- fern“, erklärt Gyalsang weiter. Aus sol- chen Dörfern kommen die vielen Trä- ger, die entweder für Touristen Ausrü- stung oder für Einheimische Baumate- rial, allerlei Gerätschaften und Lebens- mittel schleppen. Der 19-jährige Rudrà arbeitet als Träger, als „local porter“, auf der Strecke von Syabru Besi (1 450 Meter) bis hinauf nach Langtang Village (3 514 Meter) oder Kyanjin Gompa (3 900 Meter), wo sich eine atemberau- bende Bergkulisse mit mehreren 6 000 und 7 000 Meter hohen Eisgipfeln auf- tut. Rudrà hat für die Gipfel des Lang- tang Lirung, für riesige Gletscher und steil abfallende Eiswände nur wenig Blicke. Für die 2 000 beziehungsweise 2 500 Höhenmeter und gut 80 Entfer- nungskilometer bekommt er von seinen Auftraggebern 15 Nrp pro Kilogramm Traglast, bei einem Minimum von 50 Ki- logramm. Für den Transport hat er zwei Tage Zeit, Essen und Unterkunft gehen auf seine Kosten. Rudrà erhält für das Schleppen von drei schweren Holzbal- ken ganze neun Euro, bevor er in einem Tag wieder nach Sybru Bensi hinunter- läuft, wo ihn seine nächste Ladung er- wartet.
Es ist die nepalesische Gesellschaft, die ihre knappen Ressourcen ungerecht verteilt, die das Land an der Korruption ersticken lässt und einen Teil der Bevöl- kerung als „Unberührbare“ betitelt.
Immer noch. So wächst die Zahl der Unterprivilegierten, Armen und Naiven ins Unendliche an. Entwicklung und Schulbildung, Hygiene und Gesund-
heitsversorgung der Bevölkerung blie- ben und bleiben auf der Strecke. Genau hier haken die maoistischen Rebellen mit ihrer Gleichheits- und Gerechtig- keitsideologie ein und stürzen das Land weiter in Terror und Bürgerkrieg. Die Regierung antwortet mit Härte und Re-
pressalien gegen die Rebellen, ihre Un- terstützer und ihre vermeintlichen Sym- pathisanten. Nur wenige, wie Gyalsang, scheinen verstanden zu haben, dass nur gesellschaftliches Bewusstsein und nicht Waffen ihre Probleme lösen kön-
nen. Dagmar Nedbal
T H E M E N D E R Z E I T
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A2676 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 401. Oktober 2004
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s gibt Momente im Leben, da sagt man einfach die Wahrheit. Kommt man auf die Welt, muss man plötzlich kalte Luft einatmen, also schreit man seinen ehrlichen Protest heraus. Später, in der Schule, nickt man montags morgens während des Unterrichts ein und tut damit kund, dass das Wochenende entschieden mehr Spaß gemacht hat. Da dieses Verhalten aber meist auf wenig Gegenliebe stößt, geht man mit der Ehrlichkeit zunehmend vorsichtiger um, was man auch daran ablesen kann, dass es unzählige Rich- ter und Staatsanwälte benötigt, uns diese zu erhalten.Trotzdem ist es besser, ein berührungsfreies Auskommen mit diesen Berufsgruppen zu pflegen.Daher übe auch ich mich in treuherziger Ehrlichkeit.
Es sitzt ein Patient vor mir, der ausführlich über die Geschichte seiner er- krankten Ehefrau berichtet. Zwei Kliniken hätten sich vergeblich um sie bemüht, bis er mittels Internet den richtigen Doktor gefunden habe, der sie prompt kurierte. Nun ist er ganz stolz und erwartet ein Lob von mir, dass er
und das Internet die Heilung herbeiführten. Ehrlicherweise antworte ich ihm aber, dass im Internet alles steht (mit Betonung auf alles) und dass es für Nichtmediziner kaum möglich ist, die wesentlichen Informationen zu selek- tieren. „Aber da stehen doch so viele Professoren vor den Artikeln!“ Die aber meist mit Bürokratie so absorbiert sind, dass sie die Internetauftritte delegie- ren müssen. „Ich konnte mich im Internet ausführlich belesen und mit den Ärzten diskutieren!“ Aus Sicht des Arztes gehört die Kommentierung von In- ternetwissen zu den wenig attraktiven Seiten des Berufes. Den stundenlangen Kommentar von Internet-Halbwissen würde ich selbst lieber dazu nutzen, mich um meine Patienten zu kümmern. „Aber ich habe aufgrund meines Insi- stierens und meiner Internetkenntnisse die Ärzte davon überzeugen können, meine Frau in das andere Krankenhaus zu verlegen!“ Falls die Kollegen dabei einen ausgeprägten Rotationsnystagmus aufgewiesen haben, muss man diffe- renzialdiagnostisch in Betracht ziehen, dass das Bedürfnis nach Internetdis- kussionen erschöpft war. Sichtbar grantig verlässt der Patient die Praxis. Tags darauf stürmt er die Anmeldung und poltert los: „Bei der Untersuchung von 1 057 Arzt-Patienten-Gesprächen erfüllten nur neun Prozent der Konsultationen sieben geforderte Kriterien für eine informierte Entscheidungsfindung! Der vorin- formierte, fragende und fordernde Patient ist mit einer paternalistischen Arzt-Patienten-Beziehung nicht zu- frieden zu stellen! So steht’s im Internet! Das muss ich Ihrem Chef mal unter die Nase reiben!“
Ich überlege mir ab sofort, wann ich wieder so ehr-
lich bin. Dr. med. Thomas Böhmeke