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Archiv "Die Erklärung von Hawaii" (01.12.1977)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Welt-Psychiater-Kongreß

4. Die Entdeckung von langzeitig wirkenden Phenothiazinen hat es für viele Schizophrene im Westen mög- lich gemacht, ambulant behandelt zu werden — findet-diese Erfahrung in der UdSSR Parallelen?

5. Die Psychiater in der Sowjetunion (und die südafrikanische Regierung) haben Psychiater eingeladen, als Kollegen (nicht als Richter) zu kom- men und sich ihre psychiatrischen Kliniken anzusehen — würden alle Mitgliedsstaaten das Prinzip einer Inspektion durch ein internationales Psychiaterteam, vielleicht durch die World Psychiatric Association be- nannt, akzeptieren, und hätte dieses Team überall Zutritt?

6. Psychiater in der UdSSR, Südafri- ka, Rumänien und Chile sind des Mißbrauchs der Psychiatrie beschul- digt worden — warum sind nur die UdSSR und Südafrika Ziel heftiger Attacken auf diesem Gebiet?

7. Reaktion auf psychiatrische Be- handlung — warum erwähnt niemand die Veränderungen, die im Patienten vorgehen können?

8. Wenn der politische Dissident ein messianisches Verlangen nach Kreuzigung hat, müßten dann nicht alle von uns, die einer Ideologie an- hängen, besser aufpassen, damit nicht der politische Arm einer un- ethischen Psychiatrie die Schuldi- gen zu Geisteskranken macht und damit auch die Freien in Schrecken versetzt?

Schließen wir mit erfreulichen Nach- richten: Prof. K. Heinrich aus Düs- seldorf wurde in den neuen Exekutivausschuß der WPA gewählt, während Prof. H. E. Ehrhardt aus Marburg, der zwölf Jahre lang im Ausschuß mitgearbeitet hat, unter langem Applaus in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste als Parlamentarier die persönliche Ehrenmitgliedschaft zugesprochen wurde. Solange die WPA sich auf solche Leute berufen kann, können wir zuversichtlich sein, daß der Verband den hohen Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, gerecht wird. C. A. S. Wink

Die Erklärung von

Hawaii

„Bereits in den frühen Stadien vieler Kulturen war die zentrale Bedeutung ethischer Aspekte in der Heilkunst bekannt; es gab ein Wissen um die ethische Problematik ärztlichen Handelns. Die vielseitigen und zum Teil widersprüchlichen Bindungen des Arztes in der heutigen Gesell- schaft, der eigenartige und sich wandelnde Charakter des Arzt-Pa- tient-Verhältnisses, die Möglichkei- ten des Mißbrauchs psychiatrischer Kenntnisse und Fertigkeiten im Ge- gensatz zu den Prinzipien der Hu- manität: das alles sind Phänomene und Entwicklungstendenzen unse- rer Zeit, die den Psychiater in seiner Wissenschaft und Praxis mehr denn je zur Wahrung ethischer Grundsät- ze in seinem Denken und Handeln verpflichten.

Als Arzt wie als Staatsbürger hat der Psychiater die besonderen ethi- schen Implikationen seines Fachge- bietes ebenso zu berücksichtigen wie die moralische Verpflichtung des ärztlichen Auftrags im allgemei- nen und die für jedermann gültigen Regeln menschlichen Zusammenle- bens in einer Gemeinschaft.

Klare Vorstellungen und ein selb- ständiges Urteil sind entscheidende Voraussetzungen für sittlich fun- diertes Verhalten. Trotzdem, oder auch deswegen, erscheint es ange- bracht und zweckmäßig, bestimmte Grundregeln schriftlich festzulegen.

Sie sollen dem einzelnen Psychiater eine Hilfe bei der eigenen Meinungs- bildung und für die persönliche Ent- scheidung sein.

Die Generalversammlung des Welt- verbandes für Psychiatrie hat des- halb die folgenden Leitlinien einer fachspezifischen Berufsethik als verbindlich für die Psychiater in aller Welt erklärt.

1. Aufgabe der Psychiatrie ist die Pflege der seelischen Gesundheit,

die Förderung der persönlichen Ent- wicklung des Menschen mit dem Ziel der Selbstverantwortung und der Selbstbestimmung in Freiheit.

Der Psychiater soll in Übereinstim- mung mit den anerkannten Prinzi- pien seiner Wissenschaft und der ärztlichen Ethik nach bestem Wis- sen und Können den Interessen sei- ner Patienten dienen. Das allgemei- ne Wohl und eine gerechte Vertei- lung der für die Gesundheitspflege insgesamt verfügbaren Mittel soll er dabei stets angemessen berücksich- tigen.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben be- darf es intensiver und kontinuierli- cher Forschung in allen Bereichen der Psychiatrie, der konsequenten Aus-, Weiter- und Fortbildung aller an der psychiatrischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen und schließlich einer gezielten Öffent- lichkeitsarbeit.

2. Jedem Patienten ist die Therapie mit den für ihn größten Erfolgsaus- sichten anzubieten. Die Behandlung ist mit Sorgfalt und unter Beachtung der Würde des Menschen sowie des Grundrechtes der Selbstbestim- mung, auch über das eigene Leben und die Gesundheit, durchzuführen.

Der Psychiater ist für therapeutische Maßnahmen seiner Mitarbeiter ver- antwortlich. Er hat deshalb für eine angemessene Supervision und für eine qualifizierte Ausbildung Sorge zu tragen. Wann immer erforderlich, oder auch auf den ausdrücklichen und begründeten Wunsch des Pa- tienten, sollte der Psychiater den Rat oder die Unterstützung eines erfah- reneren Kollegen suchen.

3. Die therapeutische Beziehung zwischen dem Patienten und seinem Psychiater beruht auf einer beidsei- tig verpflichtenden Vereinbarung, die Zutrauen und Vertraulichkeit, Offenheit und Zusammenarbeit so- wie gemeinsame Verantwortlichkeit erfordert. Sofern eine solche Verein- barung mit Schwerkranken — oder auch mit Minderjährigen — nicht möglich ist, sollte sie mit einer Per- son, die das Vertrauen des Patienten und die rechtliche Befugnis zu sei-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2872 Heft 48 vom 1. Dezember 1977

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Erklärung von Hawaii

ner Interessenvertretung besitzt, ge- troffen werden.

Das Verhältnis des Psychiaters zu einem Patienten, der — wie in der forensischen Psychiatrie — nicht zum Zweck der Behandlung zu ihm kommt, muß in seiner Eigenart rechtlich geregelt sein und dem Be- troffenen hinreichend erklärt werden.

4. Der Psychiater hat den Patienten über seinen Gesundheitszustand, über die beabsichtigten diagnosti- schen und therapeutischen Maß- nahmen, einschließlich möglicher Alternativen, sowie über die Progno- se aufzuklären. Die Aufklärung soll

in einer der seelischen Verfassung des Patienten angemessenen Form erfolgen und ihm die Möglichkeit der Wahl zwischen geeigneten und verfügbaren Behandlungsmethoden geben.

5. Gegen den erklärten Willen oder ohne die Zustimmung des Patienten sind keine ärztlichen Maßnahmen durchzuführen; es sei denn, der Pa- tient verfügt nicht — infolge seiner psychischen Erkrankung oder Be- hinderung — über die erforderliche Freiheit der Willensentschließung, er vermag nicht zu erkennen, was in seinem wohlverstandenen eigenen Interesse erforderlich ist, oder aber er befindet sich in einem Zustand erheblicher Selbst- oder Gemeinge- fährlichkeit.

In diesen Fällen muß die Möglichkeit der Zwangsunterbringung und -be- handlung bestehen. Zwangsmaß- nahmen sind stets nur im wohlver- standenen Interesse des Patienten und immer nur so lange wie unbe- dingt erforderlich anzuwenden. Der Psychiater soll sich um Aufklärung und Einverständnis von Vertrauens- personen des Patienten wie auch um dessen nachträgliche Zustim- mung bemühen.

6. Sobald die genannten Vorausset- zungen für eine Zwangsbehandlung nicht mehr gegeben sind, ist der Pa- tient zu entlassen, wenn er nicht mit der Fortführung der Behandlung auf freiwilliger Basis einverstanden ist.

Die Anordnung einer Zwangsunter- bringung oder Zwangsbehandlung sowie die Regelung ihrer Durchfüh- rung muß durch ein dafür zuständi- ges, unabhängiges und neutrales Gremium (Gericht) erfolgen.

Jeder Patient muß über die Existenz dieses Gremiums informiert sein, über sein Recht der Anrufung, per- sönlich oder durch einen Vertreter, ohne Einschaltung des Kranken- hauspersonals oder irgendwelcher sonstiger Personen.

7. Der Psychiater darf sein berufli- ches Wissen und Können niemals zur Mißhandlung von Einzelperso- nen oder Gruppen benutzen. Er soll- te stets darauf bedacht sein, daß persönliche Wünsche, Gefühle oder Vorurteile sein ärztliches Handeln in keiner Weise beeinflussen.

Der Psychiater darf sich nicht an ei- ner Zwangsbehandlung beteiligen, die nicht aufgrund des Krankheits- zustandes erforderlich ist. Wenn vom Patienten oder von dritter Seite Maßnahmen verlangt werden, die gegen wissenschaftliche oder ethi- sche Grundsätze verstoßen, muß der Psychiater seine Mitwirkung verwei- gern. Wenn aus irgendwelchen Gründen entweder die Wünsche ei- nes Patienten oder seine wohlver- standenen Interessen nicht entspre- chend berücksichtigt werden kön- nen, so muß er darüber informiert werden.

8. Was auch immer der Patient dem Psychiater mitteilt und anvertraut, was während der Untersuchung oder Behandlung aufgezeichnet wird, muß vertraulich bleiben. Es sei denn, der Patient entbindet den Psychiater von seiner Pflicht zur Verschwiegenheit, oder ein höheres Interesse, sei es der Allgemeinheit oder des Patienten, verlangt die Of- fenbarung des Geheimnisses. In die- sen Fällen ist der Patient unverzüg- lich über den erforderlichen Bruch der Schweigepflicht zu informie- ren.

9. Die Vermehrung und die Verbrei- tung psychiatrischen Wissens und Könnens verlangt die Beteiligung

der Patienten. Zur Vorstellung eines Patienten im Unterricht oder zur Veröffentlichung einer Krankenge- schichte bedarf es, wenn möglich, seines Einverständnisses. Alle zweckmäßigen Vorkehrungen sind zu treffen, um die Anonymität zu wahren und das persönliche Anse- hen des Patienten zu schützen.

Im Rahmen klinischer, insbesondere therapeutischer Forschungsprojek- te ist jedem Patienten die bestmögli- che Behandlung zu bieten. Seine Teilnahme muß freiwillig sein. Er hat Anspruch auf volle Information über Ziele, Verfahrensweisen, Risiken und Unbequemlichkeiten. Stets muß ein vernünftiges Verhältnis zwi- schen den kalkulierbaren Risiken oder Belästigungen für den Patien- ten und dem mutmaßlichen Nutzen der Untersuchung bestehen.

Bei Kindern oder anderen einwilli- gungsunfähigen Patienten bedarf es der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder einer rechtlich be- fugten Vertrauensperson.

10. Jedem Patienten oder Proban- den steht es jederzeit frei, ohne An- gabe von Gründen die Fortführung jeder Form der freiwilligen Behand- lung oder die weitere Beteiligung an einem Lehr- oder Forschungs-Pro- gramm abzulehnen. Eine Verweige- rung der Behandlung oder der Teil- nahme an einem Lehr- oder For- schungs-Programm darf den Psych- iater niemals in seinen Bemühun- gen, dem Patienten oder Probanden zu helfen, beeinflussen.

Der Psychiater sollte jedes thera- peutische, jedes Lehr- oder For- schungs-Programm, das sich im Wi- derspruch zu den Prinzipien dieser Erklärung entwickelt, abbrechen."

Übersetzung der „Erklärung von Hawaii":

Professor Dr. med. Dr. phil. Helmut Ehrhardt, Direktor des Instituts für gerichtliche und Sozial-Psychiatrie der Universität, Ostenbergstraße 8, 3550 Marburg 1

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 1. Dezember 1977 2873

Referenzen

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