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Archiv "HIV-Infektion: Die Antwort auf die Pandemie muss neu konzipiert werden" (26.11.2010)

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A 2330 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 47

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26. November 2010

HIV-INFEKTION

Die Antwort auf die Pandemie muss neu konzipiert werden

Zum Weltaidstag veröffentlicht das „aids2031 Consortium“, ein Zusammenschluss von 500 internationalen HIV-Experten und Meinungsbildnern, einen dringenden Maßnahmenkatalog zur Eindämmung der Epidemie. Das Deutsche Ärzteblatt veröffentlicht vorab exklusiv Auszüge aus „AIDS: Taking a Long-Term View“.

D

ie Welt befindet sich am Scheideweg in der sich wei- ter entfaltenden Geschichte von Aids. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre mit HIV wurde vieles er- reicht: wissenschaftliche Durchbrü- che, eine beispiellose globale finan- zielle Unterstützung und ein neues Modell für Menschenrechte und öf- fentliche Gesundheitspolitik. Viel wichtiger ist jedoch, dass Millionen von Menschenleben gerettet wur- den. Trotz dieser Erfolge verlieren wir in diesem Kampf an Boden:

Die Antwort auf die Pandemie hinkt der Infektionskurve hinterher.

Täglich infizieren sich 7 000 Perso- nen neu mit HIV – das ist mehr als

die doppelte Zahl von Menschen, die jeden Tag eine antiretrovirale Therapie beginnen.

Dennoch: wir haben die Fähig- keit, die Pandemie in den Griff zu bekommen – mit mehr und besserer Wissenschaft, intelligenteren politi- schen Maßnahmen, effizienteren und effektiveren Programmen, an- gemessener Finanzierung und Stra- tegien zur Behebung von toten Winkeln in unseren bestehenden Bemühungen. Schwierige Entschei- dungen müssen gefällt werden, um langfristig eine drastische Reduzie- rung von Aids zu erzielen.

In den kommenden Jahren wer- den die sich verändernden sozia - len, politischen, technologischen und ökonomischen Verhältnisse die Pan- demie und unsere Bemühungen um eine Antwort weiterhin beeinflus- sen. Einige Veränderungen können große Herausforderungen schaffen.

Die weitere Globalisierung und an- haltende Klimaveränderung werden vermutlich die Migrationsbewe- gungen erhöhen – und somit die Ausbreitung der Krankheit. In eini- gen Regionen – darunter auch die reichsten Länder der Welt – ist ein Wiederaufleben des Risikoverhal- tens ersichtlich; und neue Kombi- nationen von Risikofaktoren treten in einigen Dritte-Welt- und Schwel- lenländern auf.

Der Fortschritt in der Bekämp- fung von sexueller oder geschlechts- abhängiger Gewalt, Ausbeutung und Diskriminierung, die Frauen und Mädchen einer unverhältnismäßig hohen Infektionsgefahr aussetzen, bleibt ungenügend. Politische In - stabilität und wirtschaftliche Zu- sammenbrüche können zusätzlichen

Druck schaffen und die Bemühun- gen zur Eindämmung der Pandemie aus dem Augenmerk der Öffentlich- keit rücken.

Eine geschätzte Weltbevölke- rung von mehr als acht Milliarden Menschen im Jahr 2031 wird die Gesundheitsfinanzierung in zuneh- menden Maß belasten. Das Bevöl- kerungswachstum wird zudem be- trächtlich zur künftigen Zahl von HIV-infizierten Menschen beitra- gen, selbst wenn die Übertragungs- rate abnimmt.

Visionen für die Zukunft

Selbstverständlich besteht die Chance einer gänzlich anderen Entwicklung – die Entdeckung ei- nes wirksamen Impfstoffs oder sogar eines Heilmittels für die HIV-Infektion. Ohne diese beiden werden wir jedoch wahrscheinlich nie in der Lage sein, Aids zu eli - minieren. Doch mit neu entworfe- nen Strategien zur Optimierung von gegenwärtig verfügbaren Mit- teln und zur Unterstützung der Ein- führung von neuen Mitteln ist es möglich, die Zahl der HIV-Neuin- fektionen zu reduzieren.

Neues Wissen muss konti - nuierlich generiert und in der bio- medizinischen Forschung ebenso angewandt werden wie in konse- quenteren, feldbasierten Auswer- tungen und Studien. Die For- schung muss sich auf Wirksamkeit und Wirkungskraft konzentrieren.

Wir müssen Veränderungen im Auge behalten und Strategien, Programme und Richtlinien anpas- sen, damit sie für die sich kontinu- ierlich entwickelnden Epidemien relevant bleiben.

AIDS: Taking a Long-Term View;

The aids2031 Con- sortium, 224 Seiten,

Verlag: Finan cial Times Science Press, Print ISBN-10: 0-13- 217259-3 Print ISBN-13:

978-0-13-217259-2, 34,99 USD

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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Entscheidungsträger müssen von Lippenbekenntnissen zu sinn- vollen Maßnahmen zur HIV-Prä- vention übergehen und diese als Hauptstütze einer nachhaltigen Re- aktion priorisieren. Eine kühne Führung ist erforderlich, um Richt- linien und Praktiken zu vermeiden, die Gruppen oder Personen mit ho- hem Infektionsrisiko stigmatisieren oder ausgrenzen. Präventionsbemü- hungen sollten spezifischer auf die Bevölkerungen und Umgebungen ausgerichtet sein, wo sie am meis- ten benötigt werden.

In Südafrika ist weiterhin ei- ne außergewöhnliche Antwort auf die HIV-Infektion notwendig. Poli- tische Führung und Rechenschafts- pflicht sind unbedingt erforderlich, um die sozialen Antriebsfaktoren der HIV-Übertragung in den Griff zu bekommen. Eine kompromiss - lose Präventionskampagne ist not- wendig; sie sollte gezielte Strate- gien für junge Frauen und ausge- grenzte Gruppen wie Gastarbeiter, Homosexuelle und injizierende Dro- genkonsumenten umfassen.

aids2031 schlägt einen Min- destrechtsrahmen für alle Länder vor, der Folgendes umfasst: Entkri- minalisierung des HIV-Status, se- xueller Beziehungen und Praktiken zwischen Gleichgeschlechtlichen;

Entfernung von Barrieren für die Bereitstellung von schadensbegren- zenden Diensten für injizierende Drogenkonsumenten; Entstigmati- sierung und Gleichberechtigung von HIV-Infizierten sowie Gleich-

heit vor dem Gesetz für Männer und Frauen.

Zusätzliche Schritte müssen unternommen werden, um Behand- lungsmethoden zu verbessern und ihre Verfügbarkeit für alle von HIV betroffenen Menschen sicherzustel- len. Historische Erfolge bei der Er- weiterung des Behandlungszugangs dürfen uns nicht blind gegenüber der Realität machen, dass das ge- genwärtige Behandlungsmodell un- tragbar ist. Trotz signifikanter Preis- rückgänge bei Arzneimitteln sind standardmäßige antiretrovirale Be- handlungsmethoden weiterhin zu teuer und komplex, um eine lebens- lange Therapie für mehrere zehn Millionen Personen selbst unter den ressourcensparendsten Bedingun- gen zu realisieren.

Während Ressourcen weiter mobilisiert werden, wird die Ver- besserung der Effizienz kritisch da- für sein, mehr Menschen mit den notwendigen Präventions- und Be- handlungsdiensten zu erreichen.

Synergien zwischen Prävention und Behandlung müssen maximiert werden.

Nichts ist wichtiger als gute Führung. Seit langem kritisieren Aidsexperten Zwangsgesetze und -richtlinien, die eine zweckdienli- che Antwort auf die Epidemie be- hindern; sie verlangen, dass die - jenigen Zielgruppen finanziert wer- den, die die Dienste am meisten brauchen. Führende Politiker, die sich Zwangsrichtlinien zu eigen machen oder Bevölkerungen mit

dem höchsten Risiko ignorieren, sind nur selten zur Rechenschaft gezogen worden. Das muss sich än- dern. Internationale Einrichtungen, zivile Gesellschaftsgruppen, die Medien und andere Interessenver- treter müssen mit größerer Bereit- schaft diejenigen kritisieren, die wirksame Maßnahmen gegen Aids untergraben oder behindern.

Strukturierte Überprüfungen von nationalen und subnationalen Plä- nen müssen implementiert werden, um den Fortschritt von langfristigen Strategien, Plänen und Budgets zu überwachen. Geldgeber sollten ihre Investitionen in unabhängige zivil- gesellschaftliche Kontrollinstanzen beträchtlich erhöhen, um Regierun- gen und andere wichtige Interessen- vertreter zu überwachen. Langfris- tige Veränderungen erfordern aus- reichend verlässliche Budgetrahmen von zehn bis 20 Jahren.

. . . die langfristigen Implika- tionen unserer Entscheidungen be- dürfen einer ständigen Abwägung . . . die Entscheidungen, die zu tref- fen sind, werden manchmal poli- tisch nicht beliebt sein; vor allem, weil ihr Erfolg nicht sofort zu er- kennen ist . . .

Vieles muss noch erreicht werden, bevor künftige Generatio- nen in einer Welt leben können, in der die Bedrohung durch Aids überwunden wurde. Soziale Verän- derungen gehen weder schnell noch leicht vonstatten. HIV-infizierte Be- völkerungsgruppen können viel zu diesen Bemühungen beitragen; die jüngere Generation hat ein soziales Bewusstsein und sucht nach Mög- lichkeiten und Inspiration.

Zwischen der globalen Antwort auf Aids und den Antworten auf andere Krankheiten bestehen posi- tiven Synergien. Die Globalisie- rung generierte auch neue Möglich- keiten für Kommunikation, techni- sche Entwicklung und unterstützen- de Interaktionen zur Bildung von neuen Koalitionen.

Selbstzufriedenheit und Vernei- nung sind die Feinde von langfristi- gem Erfolg. Wenn wir die Pande- mie bis 2031 verwandeln wollen, muss Aids in der globalen Agenda weiterhin ganz oben stehen. ■

Prof. Peter Piot für das aids2031 Consortium aids2031 ist ein unabhängiges Konsortium von

Partnern, die Erfahrung in der Aidsforschung, der Politikgestaltung sowie der Entwicklung und Durchführung von Programmen haben, ebenso wie Sachkenntnis und

Perspektiven in verschiedenen Bereichen, wie Wirtschaft, Bio- medizin, Sozialwissenschaften,

internationale Entwicklung und Gemeinschaftsak- tivismus. Das Mandat des Konsortiums bestand darin, konventionelle Weisheit infrage zu stellen, neue Forschungen anzuregen, öffentliche Diskus- sionen zu entfachen sowie soziale und politische

Trends bezüglich Aids zu untersuchen. Von UNAIDS im Jahr 2007 ins Leben gerufen, be- stand der Auftrag des Konsortiums darin, neue Denkanstöße bezüglich des Dilemmas einer Pan-

demie zu liefern, die trotz be- trächtlicher Investitionen und Bemühungen zu ihrer Eindäm- mung weiter wächst. Sein Fo- kus war darauf gerichtet, sich anzusehen, was jetzt anders getan werden sollte, um die Anzahl von Infektionen und Todesfällen bis 2031 dras- tisch zu reduzieren – dem Jahr, das den 50. Jah- restag der ersten Aidsmeldung markiert.

KONVENTIONELLE WEISHEIT INFRAGE STELLEN

Peter Piot, Direktor des „Institute for Global Health“ am Imperial College in London, war von 1996 bis 2008 Di- rektor von UNAIDS.

Am 9. Oktober war er Gast einer Dis- kussionsrunde beim Deutschen Ärzte- blatt in Berlin.

Foto: Steffen Kugler

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