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Archiv "Entscheidungen am Lebensende: Teil der ärztlichen Kunst" (27.03.2009)

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A600 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 13⏐⏐27. März 2009

T H E M E N D E R Z E I T

V

or Kurzem erschien im Deut- schen Ärzteblatt (Heft 3/

2009) ein Aufsatz, der anhand eines Fallbeispiels die „hochkomplexe und individuelle“ Entscheidungs- findung am Lebensende darstellt.

Die Autoren beziehen sich in ihren Ausführungen auf die Operations- vorbereitungen für den notfallmäßi- gen Ersatz der aszendierenden Aor- ta bei Dr. Michael E. DeBakey.

Übersetzungsfehler und begriffliche Missverständnisse haben zu der Feststellung geführt, die behandeln- den Ärzte (also auch ich, der ich ei- ne deutsche Approbation besitze)

hätten sich nach deutschem Recht der Körperverletzung schuldig ge- macht und gegen allgemein akzep- tierte ethische Maßstäbe verstoßen.

Keine eigenhändige Erklärung des Patienten

Dazu einige Anmerkungen:

Dr. Michael E. DeBakey erkrankte plötzlich am 31. Dezember 2005, nachdem er trotz seines hohen Al- ters von 96 Jahren zuvor ein extrem aktives Leben geführt hatte. Allein im Monat Dezember 2005 hatte er mehr als viermal den Atlantik über- quert, um an Sitzungen teilzuneh-

men und als Berater zu Fragen des Gesundheitswesens Regierungen in Europa, Asien, Afrika und den USA sein Wissen zur Verfügung zu stel- len. Nach einiger Zeit der Unsicher- heit wurde eine Dissektion der Aor- ta ascendens diagnostiziert, eine Er- krankung, die nach DeBakey klassi- fiziert wird und deren chirurgische Behandlung er maßgeblich ent- wickelt hat. Aufgrund des sehr loka- lisierten Befunds vertrat er selbst die Auffassung, dass eine nicht chir- urgische Behandlung möglich sei.

In der Folge verschlechterte sich je- doch sein Zustand, er musste sta- tionär aufgenommen werden und die Dissektion breitete sich aus.

Zum Zeitpunkt der Krankenhaus- aufnahme notierte ein internisti- scher Konsilarius, dass der Patient nicht operiert werden möchte, und er füllte eine vorgedruckte Erklä- rung aus, dass der Patient im Falle eines Herzstillstands keine Reani- mationsmaßnahmen wünsche. We- der der Patient noch seine Angehö- rigen zeichneten diese Verfügung gegen, was sie nach texanischem Recht bindend gemacht hätte. Es ist wichtig zu betonen, dass der Patient zu keiner Zeit eigenhändig eine Er- klärung abgab, die Direktiven hin- sichtlich seiner Behandlung enthal- ten hätte. Auch mündlich lehnte er zu keinem Zeitpunkt eine Operation grundsätzlich ab. Eine schriftliche Patientenverfügung lag also nicht vor. Das Do-not-resuscitate-Formu- lar, das von dem Internisten ausge- füllt wurde, ist Standard in US-ame- rikanischen Krankenhäusern, und Patienten und ihre Familien sind sich dessen meist bewusst. Das For- mular erlaubt, verschiedene Stufen zu wählen (zum Beispiel keine Intu- bation, keine Thoraxmassage) bis hin zur aktiven Beendigung lebens- erhaltender Maßnahmen. In unse-

ENTSCHEIDUNGEN AM LEBENSENDE

Teil der ärztlichen Kunst

Der behandelnde Arzt von Michael DeBakey berichtet über die schwierige Entscheidungsfindung in dem Fall und beschäftigt sich außerdem mit der Frage, wie der individuelle Wille des Patienten umgesetzt werden kann.

Foto:ddp

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A602 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 13⏐⏐27. März 2009

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rem Krankenhaus ist es Teil der Auf- nahmepapiere, sodass jeder Patient aufgefordert ist, es auszufüllen. Der Patient wird ferner gefragt, ob er ein Patiententestament oder Ähnliches besitze. Es sei betont, dass DeBakey sowohl die Frage nach dem Patien- tentestament verneinte als auch ei- genhändig das Formblatt nicht aus- füllen wollte.

Im Lichte der Prominenz des Pa- tienten zirkulierten bald alle mögli- chen Gerüchte über seinen Zustand, seine Erkrankung und seine Direkti- ven im Krankenhaus und unter sei- nen Kollegen. Es sei aber festgehal- ten, dass der Patient gegenüber sei- ner Familie und seinen behandeln- den Ärzten, die gleichzeitig seine langjährigen Mitarbeiter und Freun- de waren, einen operativen Eingriff niemals grundsätzlich abgelehnt hat. Dem Drängen nach einer baldi- gen Operation begegnete er auswei- chend. Zum Zeitpunkt seiner Kran- kenhausaufnahme und in den fol- genden Tagen war er im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten, führte Telefonate, empfing Besucher und nahm regen Anteil am Krankheits- verlauf der anderen Patienten. Er diskutierte lebhaft seine eigenen Krankheitsbefunde mit Radiologen und Konsiliarärzten.

Als sein Zustand sich so ver- schlechterte, dass nur noch ein ope- ratives Vorgehen sein Leben retten konnte, war er nicht mehr in der La- ge, selbst Aussagen zu machen. Sei- ne Ehefrau trat als nächste An- gehörige an seine Stelle und hatte ganz offensichtlich keine Einwände gegen eine Operation. Der Chefarzt der Anästhesie lehnte allerdings ei- ne Teilnahme an der Operation ab, da er die Erfolgsaussichten für zu gering hielt. Im Laufe der Diskussi- on mag aufgekommen sein, dass er gehört habe, jemand habe gesagt, der Patient wolle gar keine Operati- on. Eine schriftliche Erklärung fand man aber nicht, und alle, die mit dem Patienten geredet hatten, waren sich nicht einer derartigen Verfügung be- wusst. Aufgrund der im Kranken- haus kursierenden Gerüchte und der Tatsache, dass ein auswärtiger Narkosearzt hinzugezogen werden musste, berief die Krankenhauslei- tung eine Sitzung der Ethikkommis-

sion ein. Zwei Fachjuristen prüften die Krankenakte und konnten kei- nen Hinweis darauf finden, dass der Patient sich gegen eine Operation ausgesprochen habe. Schließlich kam man überein, dass der Eingriff durchzuführen sei. Auch nachdem der Patient sich von der Operation erholt hatte, hat er niemals behaup- tet, man habe ihn gegen seinen Willen operiert.

Spekulationen und Missverständnisse

Nach seiner Genesung hat DeBakey den Medizinkorrespondenten der

„New York Times“, Dr. med. Larry Altmann, eingeladen, einen Artikel über den Verlauf der Krankheit zu schreiben. Altmanns Beitrag ist bis heute die einzige öffentliche Quelle zu dem Fall. Er beruht in weiten Strecken auf Gesprächen, die Alt- mann mit dem Patienten, dessen Ehefrau und den behandelnden Ärz- ten geführt hat. Selbstverständlich ist nur ein ganz kleiner Teil des hochkomplexen Verlaufs und der vielen diskussionswürdigen Aspek- te der Behandlung in dem Artikel abgebildet. Larry Altmann hat sich auf das Problem der Entscheidungs-

findung konzentriert und in exzel- lenter Weise die Vielschichtigkeit des Problems wiedergegeben, ohne eine abschließende Bewertung zu versuchen.

Aus Gründen des Datenschutzes hat sich das Krankenhaus gewei- gert, der „New York Times“ Zugang zu den Protokollen der Ethikkom- missionssitzung zu gewähren. Lei- der hat dies zu einer Reihe von Spe- kulationen und Missverständnissen geführt, und der Fall ist fälschlich instrumentalisiert worden, um zu il- lustrieren, wie Ärzte den Willen ih- rer Patienten missachten. Der Arti- kel in der „New York Times“ hat dann als Fallstudie Eingang ins Curricu- lum mehrerer Ethikkurse in den USA gefunden und mag auch in anderen Ländern für Unterrichts- zwecke Verwendung gefunden ha- ben. Der Fallbericht hat auf diese Weise schließlich ein Eigenleben entwickelt, das aus pädagogischen Gründen hilfreich sein mag. Leider ist dabei oft der wahre und tatsäch- lich lehrreiche Inhalt der originalen Krankengeschichte abhandengekom- men. Während Altmann in der

„New York Times“ die Vielschichtig- keit der problematischen Entschei- dungsfindung reflektiert, ist nun der Fall auf eine Situation reduziert worden, in der Ärzte gegen den Wil- len des Patienten einen Eingriff durchführen. Zwar wird den Ärzten attestiert, dass sie in quasi mephisto- phelischer Weise das Böse getan und das Gute bewirkt hätten, als Beitrag zur aktuellen Diskussion über den Nutzen von und Umgang mit Patientenverfügungen scheint dies aber in höchster Weise kontra- produktiv.

Uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht

Das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot, und die Verfügungen der Pa- tienten verdienen Beachtung. Wenn Ärzte die Direktiven ihrer Patienten missachten, ist das falsch, und wenn eine Operation gegen den Willen des Patienten durchgeführt wird, ist das in Texas genauso strafbar wie in Halle an der Saale. Die aktive Be- endigung einer aussichtslosen Be- handlung ist in Texas gesetzlich ge- regelt und kann erfolgen, wenn zwei Der kürzlich ver-

storbene DeBakey war ein Pionier der kardialen Bypass- chirurgie. Er implan- tierte das erste Kunstherz, führte die erste Karotisendar- teriektomie durch und wurde für seine grundlegenden Ar- beiten zur Aortendis- sektion bekannt.

Foto:dpa

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 13⏐⏐27. März 2009 A603

T H E M E N D E R Z E I T

Ärzte übereinstimmen, dass der Pa- tient keine reelle Chance hat, sich innerhalb der nächsten sechs Mona- te zu erholen.

Patientenverfügungen, Patienten- testamente und ähnliche Direk- tiven finden mehr und mehr Ein- gang in die tägliche Praxis des Arz- tes. Eine breite öffentliche Diskus- sion, nicht nur in Deutschland, hat sich mit ihnen beschäftigt und wirft immer wieder die Frage auf, wie dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen Genüge getan werden kann, wenn er sich als Patient in Behandlung begeben muss. Be- mühungen der Parteien, eine ge- setzgeberische Lösung zu finden, sind gerade in Deutschland wieder aktiviert worden. Zu Recht steht dabei der Schutz des Patienten im Vordergrund, fälschlicherweise wird aber der handelnde Arzt als die zu zähmende Bedrohung gesehen.

Vielmehr muss es darum gehen, wie der individuelle Wunsch des Patienten gewürdigt werden kann.

Es muss sichergestellt werden, dass der Arzt einen Behandlungsweg einschlägt, der dem Patienten er- laubt, sein eigenes Lebenskonzept zu verwirklichen, nicht irgendein von außen vorgegebenes Lebens- konzept. Das setzt voraus, dass wir ein uneingeschränktes Selbstbe- stimmungsrecht des Patienten aner- kennen, auch wenn dies bedeutet, dass der Patient einen Weg wählt, mit dem der behandelnde Arzt nicht übereinstimmt. Der Patient muss die Möglichkeit haben, eine fun- dierte Entscheidung zu treffen. Al- lerdings bedarf es für den Arzt der Kenntnis der individuellen Erwar- tungen des Patienten. Darin liegt ein zentrales Problem. Wie wird der Patientenwille vertreten, wenn der Patient nicht in der Lage ist, dies selbst zu tun? Kann ein Dokument, verfasst in gänzlich anderen Le- bensumständen, bestimmen, wie in dieser Extremsituation zu handeln ist? Hat der Patient tatsächlich genügend Informationen erhalten, um die Konsequenzen seiner Ent- scheidung zu erkennen und zu ge- wichten? Was tun, wenn der Patient zwar die Gelegenheit hatte, Direk- tiven abzugeben, dies aber unter- lassen hat?

Das Fallbeispiel zeigt, dass selbst der bestinformierte Patient nicht in der Lage sein mag, für sich eine kla- re Entscheidung zu fällen. Vermut- lich gibt es keinen anderen Men- schen auf der Welt, der so viel über die Erkrankung Aortendissektion wusste wie DeBakey. Einen besser informierten Patienten kann man sich nicht vorstellen. Trotzdem war es ihm ganz offensichtlich nicht möglich, für sich selbst eine Ent- scheidung hinsichtlich seiner Be- handlungswünsche zu treffen. Was immer seine Gründe hierfür gewe- sen sein mögen, die Unfähigkeit, sich zu erklären, kann wohl nicht als Wunsch gelesen werden, nicht be- handelt zu werden.

Weiter zeigt der Fall, wie gefähr- lich es ist, wenn die Entscheidung

gegen eine lebensrettende Interven- tion auf Gerüchten, Hörensagen und Spekulationen beruht. Selbst wenn der Patient irgendwann in der Nacht sich einer Krankenschwester offen- bart und seine Wünsche klar geäußert hätte, sollte dies Rechts- kraft haben? Es ist verbürgt, dass DeBakey niemandem gegenüber derartige Äußerungen getan hat, gleichwohl kursierten unzählige Gerüchte, dass jemand von jeman- dem gehört hatte, der wusste, dass DeBakey dieses oder jenes gesagt habe. Wenn auch überhöht durch die Prominenz des Patienten, zeigt dies deutlich, dass eine Patientenverfü- gung, die auf die Schriftform ver- zichtet, Tür und Tor für Konfusion und Manipulation öffnet.

Die einzige tragfähige Lösung scheint die Bestellung eines Rechts- vertreters zu sein, der gegebenen- falls für den Patienten entscheidet.

Eine offene Diskussion über Fra- gen des Krankseins und Sterbens innerhalb von Lebensgemeinschaf- ten erleichtert die Entscheidungs- findung ganz erheblich. Im Fall DeBakey waren Familienmitglie- der und Freunde involviert, hatte der Patient selbst als Arzt und

Lehrer häufig zu derartigen Fragen Stellung bezogen. Dennoch schien es nicht gänzlich klar, wie er für sich persönlich verfahren wollte.

Keine gesetzliche Regelung, keine Ethikkommission kann von dieser Problematik befreien. Als Freunde, Schüler und enge Mitarbeiter des Patienten erlebten wir, wie schwer es für Patienten und ihre Angehöri- gen ist, zu einer von den behan- delnden Ärzten erfragten Entschei- dung zu kommen. Es sollte berück- sichtigt werden, dass es Zeit braucht und tiefes Einvernehmen innerhalb der Familie und mit dem Patienten, um die Situation zu wür- digen und eine Entscheidung her- beizuführen. Dieser oft leidvolle Prozess kann durch kein Formblatt oder notarielles Dokument ersetzt

werden. Es sind die Angehörigen, die mit den Folgen der Entschei- dung werden leben müssen. Ist der Patient in der Lage, ihnen die Last der Entscheidung abzunehmen, sei es durch klare mündliche Direkti- ven oder in Schriftform, erleichtert dies vieles. Ist dies jedoch nicht der Fall, ist es Teil der ärztlichen Kunst, den nächsten Angehörigen bei der Entscheidungsfindung hel- fend zur Seite zu stehen, sodass sie auch später diese Entscheidung nicht bereuen werden.

Es werden nicht weitere Formu- lare, Regularien oder Gesetze benötigt, die Patienten vor behand- lungswütigen Ärzten schützen.

Vielmehr werden Ärzte gebraucht, die besser ausgebildet sind, ihren Patienten und deren Familien in schweren Situationen beizustehen und bei der Entscheidungsfindung zu helfen. Und es sollte grundsätz- lich mehr Zeit darauf verwandt wer- den, mit den Angehörigen über Krankheit und Sterben zu reden. I

Prof. Dr. med. Matthias Loebe Direktor der Abteilung für Transplantationschirurgie Methodist DeBakey Heart and Vascular Center 6560 Fannin Suite 1860, Houston TX 77030, USA E-Mail: mloebe@bcm.tmc.edu

Eine offene Diskussion über Fragen des Krankseins und

Sterbens erleichtert die Entscheidungsfindung erheblich.

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