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Archiv "Der psychisch traumatisierte Patient in der ärztlichen Praxis" (01.02.2002)

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T

raumatisierende Ereignisse sind ubiquitär und können jeden tref- fen. Unter „Trauma“ wird in der Psychotraumatolgie ein Ereignis ver- standen, das im DSM-IV (309.81) (3) wie folgt beschrieben ist: „Die Person erlebte, beobachtete oder war mit ei- nem oder mehreren Ereignissen kon- frontiert, die tatsächlichen oder dro- henden Tod oder ernsthafte Verlet- zung oder eine Gefahr der körper- lichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen bein- halteten. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosig- keit oder Entsetzen.“

Medienwirksam sind dabei Ereig- nisse wie zum Beispiel die Terroran- schläge in New York und Washington oder die Unfälle in Kaprun und Esche- de; Unfälle jeder Art oder Gewaltver- brechen sowie sexualisierte Gewalt mit sofortigen und/oder späteren Fol- gen können diese Kriterien allerdings ebenfalls erfüllen. Als umschriebene Traumafolgestörungen sind die „akute Belastungsreaktion“ (ICD-10 [45]

F43.0) beziehungsweise die „akute

Belastungsstörung“ (DSM-IV 308.3), die „posttraumatische Belastungsstö- rung“ (PTBS beziehungsweise PTSD:

Posttraumatic Stress Disorder, ICD- 10 F43.1; DSM-IV 309.81) und die

„andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ (nur im ICD- 10: F62.0) sowie die noch nicht klassi- fizierbare „komplexe posttraumati- sche Belastungsstörung“ beschrieben.

Häufig, gerade bei der PTBS, liegt ein lediglich partielles Symptombild vor, während die charakteristischen Sym- ptome erst bei Nachfragen von Patien- ten genannt werden. In der Regel ist zudem eine ausgeprägte Komorbidität festzustellen. So werden zahlreiche Patienten oftmals mit Beschwerden und Symptomen vorstellig, bei denen ein Zusammenhang zu einem trauma-

tisierenden Ereignis nur durch eine sorgfältige, traumabezogene Anam- nese kriteriengeleitet hergestellt wer- den kann.

Aspekte zur Geschichte des Krankheitsbildes

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gibt es eine Reihe systematischer Be- obachtungen zu den häufig auffälligen Folgen von schweren psychischen Belastungen. Damit verbunden wur- den theoretische Ansätze zum Ver- ständnis der posttraumatischen Aus- wirkungen entwickelt (32).

Als erster verwendete Oppenheim (26) den Begriff der „traumatischen Neurose“; das Konzept ist schon bei Charcot (7) zu finden. Oppenheim be- schrieb Desorientiertheit, Probleme zu sprechen sowie Schlafstörungen in der Folge von Eisenbahn- und Arbeits- unfällen. Sein Konzept stieß auf Ab- lehnung, da er die ursächliche Bezie- hung zum belastenden Ereignis und damit eine Entschädigungspflicht an-

Der psychisch

traumatisierte Patient in der ärztlichen Praxis

Zusammenfassung

Schwere psychische Traumafolgen mit den Sym- ptomen einer posttraumatischen Belastungs- störung (PTBS) werden in ihrer Häufigkeit und klinischen Bedeutung meist unterschätzt. Im er- sten Kontakt präsentieren die Patienten oftmals nicht die spezifische Traumasymptomatik, son- dern andere, komorbide Symptome, sodass ein Zusammenhang zu einer psychischen Traumati- sierung schwer eruiert werden kann. Als zu- meist erster Anlaufstelle ist gerade die Rolle des Hausarztes bedeutsam. Man unterscheidet zwi- schen akuter und chronisch komplexer Trauma- tisierung. Traumafolgen sollten weder bagatel- lisiert noch als aus der Kindheit stammende Ent- wicklungsstörung oder als Ausdruck unbewus- ster Konflikte interpretiert werden. Für die Her- ausbildung der spezifischen Traumasymptoma- tik, insbesondere für die intrusiver Erinnerun- gen, wird eine wahrscheinlich traumaspezifi- sche Informationsverarbeitung angenommen,

die durch eine fehlende Verknüpfung von sen- sorischen Erinnerungen und Affektivität sowie eine fehlende Einbindung in biografische Zu- sammenhänge gekennzeichnet ist. Fachärztlich stehen wirksame traumaadaptierte Therapie- verfahren zur Verfügung.

Schlüsselwörter: posttraumatische Belastungs- störung, psychisches Trauma, Allgemeinmedi- zin, öffentliches Gesundheitssystem

Summary

Post Traumatic Stress Disorder Patients in General Practice

The post traumatic stress disorder (PTSD) symp- tomatology that developes after psychological traumatization is often underdiagnosed and its clinical importance is underestimated. In a first contact patients often don´t report the typical symptoms of PTSD, but present with other

comorbidity, where the connection to an earlier psychological traumatization is more difficult to make. As a first contact to the health system the general practitioner is of critical importance.

Clinically acute and chronic stress disorders can be differentiated. The psychological consequen- ces of trauma should neither be played down nor

interpreted as consequences of childhood deficits nor unconscious conflicts. The basic for the specific symptomatology of psychological trauma, especially the intrusive symptoms, seems to be a failure of central information pro- cessing systems. These seem to be unable to link the sensory and affective memory fragments of the trauma to the general autobiographic memory. For the specialist a number of effective treatment methods are available.

Key words: post traumatic stress disorder, psychological trauma, general practitioner, public health

1Abteilung Psychosomatik (Direktor: Prof. Dr. med. Gerd Rudolf) der Psychosomatischen Universitätsklinik Heidel- berg

2EMDR-Institut (Leiter: Dr. med. Arne Hofmann), Ber- gisch Gladbach

3Zentrum für Psychotraumatologie (Leiterin: Dr. med.

Christine Rost), Frankfurt

Günter H. Seidler

1

Arne Hofmann

2

Christine Rost

3

(2)

erkannte. In Frankreich wies vor al- lem Janet (21) auf die Bedeutung rea- ler psychischer Traumata für Erinne- rungsstörungen und andere mentale Symptome hin.

Auf Belastungen durch Kampf- handlungen in den Weltkriegen rea- gierten Soldaten mit vielfältigen Sym- ptomen. Am bekanntesten wurden hier die als „Kriegszitterer“ auffälli- gen Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Während Freud (14) die Situation im Verlauf einer Traumatisierung als Überflutung des psychischen „Reiz- schutzes“ verstand, entwickelte Kar- diner (22) die These, dass es sich bei der traumatischen Neurose im We- sentlichen um eine „Physio-Neurose“

handele. Auf der Grundlage von Be- obachtungen an ehemaligen Soldaten beschrieb er Amnesien für das trau- matische Ereignis, aber auch dessen ständige erlebnismäßige Präsenz.

Zur aktuellen

Konzeptualisierung der PTBS

Zu einer intensiven Zunahme der For- schung im Bereich psychischer Trau- matisierungen kam es jedoch erst, nachdem aus dem Krieg in Vietnam ei- ne zunehmende Zahl junger wehr- pflichtiger Männer zurückkam, die vorher psychisch unauffällig gewesen waren und nun schwere psychische Veränderungen zeigten (11, 25).

In der Folge wurde 1980 die Dia- gnose der „posttraumatischen Bela- stungsstörung“ in das DSM-III (2) auf- genommen. Bedeutsam war dabei die Beobachtung, dass traumatisierende Gewalteinwirkungen relativ gleichför- mige Spuren in der Physiologie der je- weiligen Individuen hinterlassen, un- abhängig von der Art des auslösenden Ereignisses (Unfall, Kriegsereignisse, Vergewaltigung, Folter et cetera). So weisen alle Opfer psychischer Trau- mata Erinnerungsveränderungen (Hy- permnesien und Amnesien), Vermei- dungsverhalten sowie die erst später dem Syndrom der PTBS zugeordne- ten Symptome von Übererregung auf (20, 43).

Ein psychisches Trauma zeigt sich so nach aktueller Auffassung als eine physiologisch verankerte, psychische

Verletzung, die durch ein schwer bela- stendes Ereignis ausgelöst wird. Dabei wird eine wahrscheinlich traumaspezi- fische Informationsverarbeitung für

„the very core of the pathology of PTSD“ gehalten (42, S. 523); eine Ein- wirkung auf diese Vorgänge steht im Zentrum aktuell relevanter Trauma- therapieverfahren.

Bemerkenswert ist, dass Untersu- chungen mithilfe bildgebender Verfah- ren bei diesen Patienten Veränderun- gen in den Bereichen des Gehirns zei- gen, die auch klinisch funktionell auf- fällig sind. So beschrieben Rauch und Mitarbeiter (28) eine Unterdrückung des Broca-Areals, wenn traumatische Erinnerungen erlebt werden – Klini- ker wissen von der „Sprachlosigkeit“

Traumatisierter. Gleichzeitig scheinen Bereiche im limbischen System, über- wiegend der rechten Hemisphäre, die für die Verarbeitung von Wahrneh- mungen, Erinnerungen und Emotio- nen relevant sind, überaktiv zu sein (28, 29).

Von diesem Teil der rechten Hemis- phäre ist bekannt, dass er besonders dicht mit den die Erregung steuernden Zentren des Hirnstammes verbunden ist (35). Weitere Untersuchungen zei- gen, dass zusätzlich andere, vor allem frontale Hirnareale, bei traumatischer Erinnerung ebenfalls in ihrer Funktion eingeschränkt zu sein scheinen (37, 38).

Diese Befunde werden als Ausdruck einer nicht kontextualisierten, nicht in die Biographie des Betroffenen einge- bundenen, wahrscheinlich traumaspe- zifischen Erinnerungsbildung verstan- den. Diese ist durch eine fehlende Verknüpfung von Bild, sensorischer Erinnerung und Affektivität gekenn- zeichnet, mit der Konsequenz für die Therapie, dass derartige Erinnerungs- bruchstücke mit ausschließlich sprach- lichen Mitteln, ohne eine zeitglei- che Aktualisierung der verschiedenen

„Bruchstücke“, kaum zu erreichen und zu integrieren sind.

Diesen Symptomen kommt auch keine „unbewusste“ Bedeutung im Sinne der Krankheitslehre etwa der Psychoanalyse zu (22). Ebenfalls wer- den deutliche Veränderungen des Er- regungsniveaus und der Hypothala- mus-Hypophysen-Nebennierenachse beschrieben (40, 41, 46).

Klinisches Erscheinungsbild von Traumafolgekrankheiten

Die Symptome der PTBS lassen sich drei Gruppen zuordnen:

❃ intrusiven, nicht intendierten, be- lastenden Erinnerungen an das Trau- ma, häufig in Form von Bildern, aber auch in Wahrnehmungen anderer Sin- neskanäle;

❃ Vermeidungsverhalten;

❃ einer Gruppe von Symptomen als Ausdruck eines anhaltenden physio- logischen Hyperarousals (Übererre- gung).

Insgesamt können so neben ande- ren folgende Symptome zu finden sein: Alpträume, Flashbacks (jemand erlebt die traumatische Situation in- nerlich wie in einem Film), physiologi- sche Reaktionen, Amnesien, Entfrem- dungsgefühle, Ein- und Durchschlaf- störungen, erhöhte Reizbarkeit, Kon- zentrationsstörungen, Hypervigilanz und erhöhte Schreckhaftigkeit. Aktu- ell findet der schon lange bekannte Zusammenhang von Trauma und dis- soziativen Symptomen große Beach- tung (10, 15, 16, 17, 34).

Komorbiditäten

Die Mehrzahl vor allem chronisch psy- chisch Traumatisierter wird nicht zu- erst durch ihre posttraumatische Sym- ptomatik klinisch auffällig. Störun- gen der Affektivität (Depression) und der Affektregulation sind eine sehr häufige Komorbidität. Dysphorie und Freudlosigkeit gehört zu den vielfach gesicherten Befunden sowohl bei KZ- Überlebenden (8, 24) als auch bei Op- fern von sexualisierter Gewalt in der Kindheit (5). Häufig sind komorbide Angststörungen (4), Somatisierungs- störungen, insbesondere die somato- forme Schmerzstörung (9) sowie Dia- gnosen aus der Gruppe der Persön- lichkeitsstörungen, vor allem die der Borderline-Persönlichkeitsstörung (15). Insbesondere Kinder weisen eine höhere Empfindlichkeit für psychi- sche Traumatisierungen auf (1); bei wiederholten schweren Traumatisie- rungen in der frühen Kindheit können schwere dissoziative Störungsbilder entstehen (16, 17, 23).

(3)

Symptompräsentationen in der ärztlichen Praxis

Wichtig ist die Unterscheidung zwi- schen akuter Traumatisierung und län- ger zurückliegender. Akut Traumati- sierte suchen häufig zuerst den Hausarzt auf. Sie stellen meist selbst den Zusam- menhang her zwischen ihren Beschwer- den und dem auslösenden Ereignis (Überfälle, Unfälle und Ähnliches). Bei dem Bericht über das traumatische Er- eignis wirken sie meist emotional deut- lich belastet. Sie berichten spontan über allgemeine psychische und körperliche Beschwerden wie Nervosität, erhöhte Schreckhaftigkeit, gedrückte Stim- mung, Neigung zum Weinen, Schlaf- störungen sowie Magen- und Darmpro- bleme, Kopf- und Kreuzschmerzen, mangelndes Interesse an sozialen Akti- vitäten und Konzentrationsstörungen.

Aus Angst, für „verrückt“ gehalten zu werden, werden Flashbacks kaum spon-

tan geäußert. Eher schon wird von auf- tretenden Bildern direkt vor dem Ein- schlafen berichtet, die zu Angst vor dem Einschlafen führen können. Da die spe- zifischen Symptome der PTBS fast nie spontan geäußert werden, sollte nach dem spontanen Bericht noch einmal ex- plizit nach ihnen gefragt werden.

Liegt das Trauma schon lange, oft mehrere Jahre, zurück, stehen eher depressive oder Angstsymptome, kör- perliche Beschwerden oder Suchtpro- bleme im Vordergrund, wegen derer vorwiegend fachärztliche Hilfe ge- sucht wird. Deren Zusammenhang zu einem Traumaereignis ist oft Jahre da- nach weder für die Betroffenen noch die behandelnden Ärzte auf Anhieb erkennbar. Deshalb ist es wichtig, die Lebensumstände vor dem Auftreten der Symptomatik genau zu erfragen.

Trotzdem kann es sein, dass traumati- sche Hintergründe erst im Verlauf ei- ner Psychotherapie deutlich werden.

Ist es bei einer traumatischen Situa- tion zu einer körperlichen Verletzung gekommen, wenden die Betroffenen sich zuerst an einen entsprechenden Facharzt (Chirurgie, Orthopädie, Gynäkologie und andere). Hier ist wichtig zu wissen, dass die psychischen Symptome sich manchmal eher noch verstärken oder sogar erst auftreten können, wenn die körperlichen Ver- letzungen nicht mehr im Vordergrund stehen. Die Betroffenen sollten hier- über informiert werden, und es sollte ihnen Mut gemacht werden, sich spe- zifische Hilfe für eine Unterstützung der Verarbeitung zu holen. Das gilt nicht nur für die, die umgangssprach- lich als „hysterisch“ bezeichnet wer- den, sondern gerade auch für solche, die emotional völlig unbeteiligt wir- ken. Diese scheinen auch ein höheres Risiko zu haben, an einer PTBS zu er- kranken.

Epidemiologie der PTBS

Etwa drei Viertel der Allgemeinbevöl- kerung in den USA hat ein Ereignis erlebt, das dem Stressorkriterium des DSM entspricht (18). Nicht alle ent- wickeln aber eine posttraumatische Belastungsstörung. Lediglich ein Vier- tel der Betroffenen scheint das Störungsbild einer PTBS zu ent- wickeln, wobei die größte Häufigkeit für Vergewaltigungen angegeben wird. Bei etwa einem Drittel dieser be- troffenen Personen mit PTBS-Sym- ptomen kommt es zu einer langjähri- gen chronifizierten Störung. Wichtig ist, außer den Vollbildern auch die partielle PTBS zu berücksichtigen: In einer Stichprobe aus der amerikani- schen Allgemeinbevölkerung fand sich eine PTBS bei 1,2 Prozent der Männer und 2,7 Prozent der Frauen, partielle Störungsbilder waren bei 3,4 Prozent der Frauen und 0,3 Prozent der Männer zu diagnostizieren (39). In einer Untersuchung bei 14- bis 24- jährigen Deutschen zeigte sich eine et- was niedrigere Lebenszeitprävalenz mit einer posttraumatischen Bela- stungsstörung (beziehungsweise eines PTBS-Teilsyndroms) bei Männern von 0,4 Prozent (0,7 Prozent) und bei Frauen von 2,2 Prozent (3,5 Prozent) Grafik

Übersicht über therapeutische Strategien bei posttraumatischer Belastungsstörung. PTSD, Post- traumatic Stress Disorder, EMDR, Eye Movement Desensitization and Reprocessing. (Aus: Flatten G, Hofmann A, Liebermann P, Wöller W, Siol T und Petzold E: Posttraumatische Belastungsstörung – Leitlinie und Quellentext. Stuttgart: Schattauer Verlag 2001; 8; mit freundlicher Genehmigung des Schattauer Verlags, Stuttgart)

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(27). Auch wenn ausführlichere Studi- en bei der erwachsenen Allgemeinbe- völkerung in Deutschland fehlen, kann die Prävalenz schwerer psychi- scher Traumafolgen mit PTBS-Sym- ptomatik auf etwa ein Prozent ge- schätzt werden. Deutlich mehr Frauen als Männer sind von dem Störungsbild betroffen.

Hilfreiche und hindernde Intervention im Erstgespräch

Gerade der erste Kontakt entscheidet oft, ob ein gutes Arbeitsbündnis zwi- schen den Betroffenen und dem Arzt oder der Ärztin entsteht. Scham, der Anspruch, mit den Folgen alleine fer- tig werden können, und die Befürch- tung, wegen der Flashbacks für ver- rückt gehalten zu werden, können die Annahme von Hilfe erschweren. Das gilt besonders für Männer aus Berufs- gruppen wie beispielsweise Polizei und Feuerwehr, die im beruflichen Kontext nicht selten mit traumati- schen Situationen in Berührung kom- men. Die Information, dass die Sym- ptomatik eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis sei, ist oft hilfreich.

Als negativ haben sich sowohl eine negierende Haltung den psychischen Problemen („So schlimm war es doch gar nicht!“; „Es ist doch nichts pas- siert!“) als auch verstärkende Äuße- rungen erwiesen („Da werden Sie lan- ge nicht drüber hinweg kommen!“;

„Das werden Sie nie verkraften!“).

Ebenfalls schädlich sind Äußerungen, die andeuten, dass die psychischen Be- schwerden auf ungelöste kindliche Konflikte zurückzuführen seien. Auch sollten Interventionen auf implizite oder explizite Schuldzuweisungen ge- prüft werden, gerade bei sexuell Trau- matisierten („Sie haben es ihm aber auch leicht gemacht!“; „Was ist denn Ihr Anteil an dem Geschehen?“). Im Unterschied zur Behandlung von neu- rotischen Störungen geht es bei der Behandlung von Traumafolgestörun- gen nicht um ein Verständnis unbe- wusster Wünsche, sondern um die Etablierung von Sicherheit und Er- leichterung der seelischen Verarbei- tung. Dies gilt auch in der Versorgung

akut Traumatisierter, die direkt nach einem belastenden Ereignis vor allem Schutz vor weiterer Traumatisierung und einen Bereich brauchen, in dem (zum Beispiel nach einem Verkehrs- unfall oder einem Terroranschlag) re- lative äußere Sicherheit besteht und in dem vor allem eigene seelische Erho- lungsmöglichkeiten wieder greifen können.

Hauptlinien einer

fachärztlichen Traumatherapie

Trotz weiteren Forschungsbedarfs be- steht international ein deutlicher Kon- sens bezüglich des therapeutischen Vorgehens, der in den entsprechenden Leitlinien formuliert wurde (12, 13).

Danach gliedert sich eine trauma- adaptierte psychotherapeutische Be- handlung meist in drei Phasen:

❃ Stabilisierung,

❃ Verarbeitung der traumatischen Erinnerungen,

❃ abschließende Neuorientierungs- phase.

Wichtig ist bei Festlegung des Be- handlungsplans die vorrangige thera- peutische Berücksichtigung schwerer komorbider Störungen, etwa schwerer Depressionen und signifikanter Sucht- störungen.

Traumaspezifische Stabilisierung

Neben der Stabilisierung der psycho- sozialen Situation geht es hier vor al- lem um die körperliche und psychi- sche Stabilisierung. Der traumati- schen Vergangenheit soll eine siche- re Gegenwart entgegenstellt werden.

Hauptziel dieser Behandlungsphase ist die körperliche, soziale und psychi- sche Stabilisierung sowie der Auf- bau von äußeren und inneren Res- sourcen, die Entwicklung von Affekt- toleranz, insbesondere aber die An- eignung spezieller, meist psychoimagi- nativer Techniken, mit denen sich der Patient gegen das Eindringen in- trusiver Erinnerungsfragmente schüt- zen kann (30, 31). Eine unterstützende Pharmakotherapie ist in ihrer Effek- tivität vor allem bei Serotonin-Reup-

take-Hemmern nachgewiesen (12). Die Stabilisierungsphase dauert unter- schiedlich lange (einige Wochen bis Jahre!); darüber hinaus wird sie meist auch während der nachfolgenden Ex- positionsphase weitergeführt.

Verarbeitung der

traumatischen Erinnerungen

Zentral in der Behandlung psychisch traumatisierter Patienten scheint nach allen Studien eine Wiederbegegnung mit dem Trauma und seinen fragmenta- rischen Erinnerungsspuren unter den geschützten Bedingungen einer psycho- therapeutischen Beziehung zu sein.

Empirisch sind kognitiv behaviorale, hypnotherapeutisch imaginative, mo- difizierte psychodynamische und die EMDR-Methode in ihrer Wirksamkeit gut belegt (12, 13, 44). EMDR (Eye Movement Desensitization and Repro- cessing) ist dabei ein neues Behand- lungsverfahren für Patienten mit Trau- mafolgestörungen, in dem das trauma- tisierende Erlebnis – über eine einfache Exposition hinaus – durch eine rhyth- mische bilaterale Stimulation (zum Bei- spiel Augenbewegungen) beschleunigt verarbeitet zu werden scheint (19, 36).

Die neuartige Methode zeigte sich in 14 kontrollierten Studien bei über 200 Traumaopfern mit dem Vollbild einer PTBS (oder PTBS-Teilsyndromen) als empirisch effektiv und wurde seit 1998 von verschiedenen wissenschaftlichen Kommissionen und Leitlinienkommis- sionen als wirksam anerkannt (6, 12, 13, 33, 44). Ungeeignet scheinen für trau- matisierte Patienten nicht traumaadap- tierte Psychotherapieverfahren sowie eine alleinige Pharmakotherapie zu sein. Jede Methode setzt eine ausrei- chende psychische Stabilität der Betrof- fenen, mit den häufig auftretenden in- tensiven Affekten umgehen zu können, und entsprechende Erfahrungen und Fortbildung der Behandler voraus. Ziel einer derartigen Behandlung ist, die sensomotorischen Fragmente der Erin- nerung zu integrieren, affektiv zu entla- den und die damalige Situation in der aktuellen Gegenwart kognitiv ange- messen bewerten zu können. Vor allem im stationären Bereich haben sich ad- juvante Verfahren in dieser Phase be-

(5)

währt, zum Beispiel künstlerische oder traumaadaptierte körperorientierte The- rapien. Kontrollierte Studien liegen dazu jedoch leider noch nicht vor.

Integration und Neuorientierung

Vor allem bei über lange Zeit miss- handelten Traumaopfern, die durch Traumatisierung, Traumafolgestörun- gen und die oft langen Behandlungen häufig „Lebensjahre verloren“ haben, ist diese Phase nach der Traumabearbei- tung speziell nötig. Viele Traumaopfer stellen fest, dass zwar nach dem Trauma

„nichts mehr wie vorher“ sei, erleben je- doch in dieser Phase Erleichterung durch die unterstützende Begleitung ihrer Trauer um verlorene menschli- che Beziehungen und verlorene eigene Möglichkeiten. Viele Traumaopfer fin- den aber, besonders wenn die belasten- den Erlebnisse erfolgreich bearbeitet werden konnten, wieder Ansätze zu ei- nem inneren, aber auch sozialen und beruflichen Neuanfang. Nicht in jedem Fall sind alle Probleme aber wirklich befriedigend zu lösen; einfühlsame, un- terstützende Begleitung und informie- rende Beratung (zum Beispiel zur Not- wendigkeit weiterer therapeutischer Maßnahmen oder hinzunehmender Verluste und verbleibender Restsym- ptome) gehören hier zu den Aufgaben des behandelnden Arztes. Auch Hilfe- stellungen im in der Regel schwierigen Umgang mit zum Beispiel noch leben- den Tätern gehören in diese Phase (30).

Manuskript eingereicht: 29. 5. 2001, revidierte Fassung angenommen: 5. 11. 2001

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 295–299 [Heft 5]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Günter H. Seidler Abteilung Psychosomatik der Psychosomatischen Universitätsklinik Heidelberg

Thibautstraße 2, 69115 Heidelberg

E-Mail: Guenter_Seidler@med.uni-Heidelberg.de

DNA-Aneuploidie als Progressionsmarker

Die Übersicht zum Thema HPV und Krebsvorsorge kommt zum richtigen Zeitpunkt und ist sehr zu begrüßen, da hier wissenschaftliche Ergebnisse wert- frei dargestellt werden.

Die Autoren erwähnen als Hilfe bei der prognostischen Beurteilung unkla- rer zytologischer Läsionen die so ge- nannten Progressionsmarker, vergessen dabei allerdings leider die DNA-Aneu- ploidie in der Aufzählung. International ist DNA-Aneuploidie als ein Progressi- onsmarker anerkannt: DNA-aneuploi- de Läsionen sind progredient und ent- sprechen der HSIL („high-grade squa- mous intraepithelial lesion“) der Be- thesda-Nomenklatur. Die DNA-Ploidie ist einfach durch Zytometrie an Präpa- raten der Vorsorgezytologie messbar und gehört in vielen Institutionen zur diagnostischen Routine.

Eine Objektivierung zytologisch un- klarer oder positiver Befunde sollte nach unserer Erfahrung kombiniert erfolgen durch gleichzeitige Bestimmung des HPV-Status mit der PCR und der DNA- Ploidie.

In einer noch unveröffentlichten eige- nen Serie von 44 ASCUS-Fällen (Pap

„IIw“, „III“), diagnostiziert an Monolay- erpräparaten, fanden wir zwölf mit HR- HPV. Unter diesen zwölf HR-HPV-Fäl- len waren drei DNA-aneuploid.

Unter 114 Dysplasien ließen sich 105 mit HR-HPV nachweisen, davon waren 53 DNA-aneuploid. Wir sehen DNA- aneuploide HR-HPV Läsionen als pro- gressiv an und raten zur Kolposkopie mit Biopsie und Sanierung.

Besonders wesentlich erscheint mir der Hinweis der Autoren, dass zytolo- gisch unklare Veränderungen mittels molekularbiologischem HPV-Nachweis kosteneffizienter bestimmt werden kön- nen, als durch wiederholte zytologische Untersuchungen. Diese Feststellung fin- det allerdings kein entsprechendes Kor- relat im EBM, da die in der Arbeit er- wähnte HPV-PCR als internationaler Goldstandard im Kapitel P nicht abge- rechnet werden kann. Die Leistungsle- gende zu den Ziffern 4982 und 4984 schließt die Untersuchung viraler DNA aus und erlaubt nur molekularbiologi- sche Untersuchungen an menschlicher DNA. Insofern konterkariert der EBM die derzeitigen wissenschaftlichen Tatsa- chen.

In diesem Zusammenhang interes- siert auch der tabellarische Vergleich der Sensitivität von PCR und Hybrid Capture II in der Übersichtsarbeit, der zeigt, dass etwa 38 Prozent der onkoge- nen Virustypen mit dem Hybrid Cap- ture II nicht entdeckt werden, der Test also hier ein falschnegatives Ergebnis liefert. Trotzdem kann dieser Test im Laborkapitel abgerechnet werden, die HPV-PCR nicht und scheint somit nur als IGEL (individuelle Gesundheitslei- stung) möglich.

Dr. med. Reinhard Bollmann Institut für Pathologie Heilsbachstraße 15, 53123 Bonn E-Mail: Reinhard@Bollmann.com

Schlusswort

Der Ploidiestatus dysplatischer Zellen in zytologischen Präparaten kann durch DNA-Image Zytometrie bestimmt wer- den (1) und ist laut Ziffer 4968 des EBM für die Dignitätsklärung von Dys- plasien der Cervix uteri abrechenbar.

Ein durch Metaanalyse ermittelter nega- tiver Vorhersagewert von 85 Prozent (1) erscheint jedoch zu niedrig, um diese Methode als Progressionsmarker für die klinische Routine zu empfehlen. Zudem ist die Untersuchungsmethode noch zu dem Beitrag

Bedeutung des Nachweises von

humanen Papillomviren für die Vorsorge

von

Prof. Dr. med. Achim Schneider MD, MPH

Dr. Ing. Heike Hoyer

Prof. Dr. rer. nat. Matthias Dürst

in Heft 39/2001

DISKUSSION

(6)

nicht standardisiert: unter anderem ver- wendet Herr Bollmann in seiner noch nicht publizierten Studie Monolayer- präparate, in früheren Studien wurden konventionelle Ausstrichpräparate ver- wendet.

Bezüglich der Untersuchung von zyto- logisch unklaren Veränderungen mittels molekularbiologischem HPV-Nachweis wurde die Kosteneffizienz bisher nur für das amerikanische Gesundheitssystem durch eine Studie gezeigt (3). Das Ergeb- nis des ALTS-Trial bezüglich Kosteneffi- zienz steht noch aus (4). Für das deutsche Gesundheitssystem liegen noch keine Daten vor. Wir sind, wie Herr Bollmann, der Meinung, dass für den HPV-Nach- weis bezüglich Sensitivität und Spezifität PCR-basierte Verfahren dem kommerzi- ell verfügbaren Hybrid Capture II über- legen sind.

Mit dem PCR-basierenden Verfahren können erheblich mehr onkogene Typen erfasst werden (2), wobei die Prävalenz dieser weiteren HPV-Typen jedoch nicht mehr als etwa zehn Prozent der HPV- positiven Routineabstriche ausmachen.

Andererseits ist die PCR-Technolo- gie anspruchsvoller und unter Routine- bedingungen schwerer durchzuführen.

Wir stimmen mit Herrn Bollmann darin überein, dass es keinen Grund dafür gibt, im Moment das eine oder andere HPV- Nachweisverfahren im Leistungskatalog des EBM zu bevorzugen oder auszu- schließen und dass hier der freie Wettbe- werb zum Tragen kommen sollte.

Literatur

1. Böcking A: Abklärung plattenepithelialer Dysplasien mit- tels DNA-Bildzytometrie. Dtsch Arztebl 1998; 95: A 658–

662 [Heft 12].

2. Jacobs MV et al.: Distribution of 37 mucusotropic HPV types in women with cytologically normal cervical smear:

the age-related patterns for high-risk and low-risk types.

Int J Cancer 2000; 87: 221–227.

3. Manos MM, Kinney WK, Hurley LB et al.: Identifying women with cervical neoplasia: using human papilloma- virus DNA testing for equivocal Papanicolaou results.

JAMA 1999; 281: 1605–1610.

4. Solomon D, Schiffmann M, Tarone R: Comparison of three management strategies for patients with atypical squamous cells of undetermined significance: baseline results from a randomized trial. J Natl Cancer Inst 2001;

93: 293–299.

Prof. Dr. med. Achim Schneider, MD, MPH Abteilung Frauenheilkunde

Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Friedrich-Schiller-Universität Jena Bachstraße 18, 07740 Jena

E-Mail: Achim.Schneider@med.uni-jena.de

Alternative zu Phentolamin

Die Autoren empfehlen bei durch Phäochromozytom verursachten, ins- besondere intraoperativen Blutdruck- spitzen die intravenöse Gabe von 2 bis 5 mg Phentolamin. Dieses Medikament ist in Deutschland aber nicht mehr ver- fügbar. Als intravenös applizierbarer alpha-Blocker bietet sich alternativ Urapidil (beispielsweise Ebrantil) in ei- ner Dosis von 25 mg an.

Prof. Dr. med. Martin C. Michel Medizinische Klinik

Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 44 45147 Essen

Schlusswort

Herr Prof. Michel teilt in seinem Leser- brief eine klinisch bedeutsame Anmer- kung zur Behandlung der Blutdruck- spitzen beim Phäochromozytom mit. Es ist richtig, dass Phentolamin derzeit in Deutschland nicht verfügbar ist. Wir haben an anderer Stelle ausführlich auf die Problematik hingewiesen und eine praktisch gleichlautende Empfehlung wie in diesem Leserbrief formuliert.

Grundsätzlich ist Phentolamin für in- traoperative aber auch präoperative Hochdruckkrisen Mittel der Wahl; es werden 2,5 bis 10 mg langsam intra- venös unter engmaschiger Kontrolle des Blutdrucks appliziert. Bei Bedarf kann die Injektion nach 15 bis 30 Minu-

ten wiederholt werden. Es empfiehlt sich, trotz der schweren Beschaffbar- keit (Auslandsapotheke!) dieses Medi- kament auf endokrinologischen Statio- nen vorrätig zu lagern. Als Alternative wurden mit Urapidil (Ebrantil) gute Er- fahrungen gemacht. Urapidil wird zunächst als Bolus langsam intravenös appliziert, beginnend mit einer Dosis von 25 mg, ebenfalls unter sorgfältiger Blutdruckkontrolle. Die Dosis kann auf 50 mg gesteigert und in schweren Fällen nach 15 bis 30 Minuten wiederholt wer- den. Urapidil kann im Anschluss an die akute Situation auch kontinuierlich über eine Spritzenpumpe appliziert wer- den (ausgehend von einer Dosis von et- wa 5 bis 10 mg/h). Dies muss selbstver- ständlich unter intensiver Überwachung erfolgen.

Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert

Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten Medizinische Fakultät

Zentrum für Innere Medizin Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Straße 44 39120 Magdeburg

Abhängigkeit nicht anzweifelbar

Für mich erstaunlich war die in Ihrem Artikel gegebene Darstellung, dass ei- ne Coffeinabhängigkeit zu bezweifeln ist. Bereits seit Jahren ist der Coffein- entzugskopfschmerz in der Klassifika- zu dem Beitrag

Phäochromozytom

von

Dr. med. Jochen Mundschenk Dr. rer. nat. Klaus D. Dieterich Dr. med. Daniel Kopf

Prof. Dr. rer. nat.

Wolfgang Höppner

Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert

in Heft 39/2001

DISKUSSION

zu dem Beitrag

Coffein

Umgang mit einem Genussmittel, das auch

pharmakologische Wirkungen entfalten kann

von

Prof. Dr. med. Olaf Adam Prof. Dr. med. Wolfgang Forth in Heft 43/2001

DISKUSSION

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tion der IHS (International Headache Society) unter dem Code 8.4.2 klassifi- ziert.

In der neurologischen Praxis spielt dieses Phänomen immer wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle. Beson- ders bei Patienten mit Migräne und Spannungskopfschmerzen sollte man daher auch diesen Faktor berücksichti- gen und in die Therapie mit einbezie- hen.

Literatur

1. Göbel H: Die Kopfschmerzen: Ursachen, Mechanis- men, Diagnostik und Therapie in der Praxis. Berlin, Hei- delberg: Springer 1997; 254, 622.

Andreas J. Rivoir

Am Eichhof, 75223 Niefern-Öschelbronn

Coffein: Komplexe

Pharmakologie des guten Geschmacks

In ihrem Artikel beschreiben Adam und Forth fundiert die Pharmazeuti- sche Biologie, Pharmakologie und Pharmakokinetik von Coffein und Methylxanthinen und tragen zu einer Versachlichung der Diskussion bei. Ei- nige praktische pharmakologische Ei- genschaften von Coffein sollten noch ergänzt werden. Die von den Autoren erwähnten kardiovaskulären Effekte führen zur deutlichen Leistungssteige- rung im Sport. Bruce et al. (1) unter- suchten die Leistungsfähigkeit von Ru- derern (2 000 m) und fanden eine Ver- besserung der mittleren Zeiten von 1,2 Prozent nach Einnahme von 6 mg/kg Coffein entsprechend einer Urinkon- zentration von 6,2 mg/L. Um dem Miss- brauch im Leistungssport vorzubeugen, hat das IOC die zulässige Urinkonzen- tration auf 12 mg/L begrenzt (2), was bei der Betreuung von Athleten beach- tet werden muss. Aus Sicht des Klini- schen Pharmakologen ist Coffein eine interessante Substanz, da es eine einfa- che, verlässliche und sichere Bestim- mung der CYP1A2-Aktivität, sowohl über Plasma-, Speichel- oder Urin- proben, ermöglicht (3). Coffein erhöht die Empfindlichkeit für Hypoglyk- ämien bei Diabetikern (4), eine phar- makologische Eigenschaft, die sich in der Diabetologie praktisch nutzen lässt.

Coffein beeinflusst in Dosen von 2,5

und 5,0 mg/kg den Nucleus accumbens (Teil des „Belohnungssystems“ mit funktionellem Antagonismus zwischen Adenosin-[A2A-] und Dopaminrezep- toren) nicht, sodass es experimentell keine Hinweise für ein Abhängigkeits- potenzial gibt (5). Individuelle Verträg- lichkeit vorausgesetzt, lässt sich gegen Kaffee mit Maß und Ziel von wissen- schaftlicher Seite kaum etwas einwen- den.

Literatur

1. Bruce CR, Andersen ME, Fraser SF et al.: Enhancement of 2000-m rowing performance after caffeine ingesti- on. Med Sci Sports Exerc 2000; 32: 1958–1963.

2. Carrillo JA, Benitez J: Clinically significant pharmaco- kinetic interaction between dietary caffeine and medi- cations. Clin Pharmacokin 2000; 39: 127–153.

3. Carrillo JA, Christensen M, Ramos SI et al.: Evaluation of caffeine as in vivo probe for CYP1 A2 using measurements in plasma, saliva, and urine. Ther Drug Monit 2001; 22: 409–417.

4. Watson J, Kerr D: The best defense against hypoglyce- mia is to recognize it: is caffeine useful? Diabetes Tech- nicol Ther 1999; 1: 193–200.

5. Nehling A, Boyet S: Dose-response study of caffeine effects on cerebral functional activity with a specific focus on dependence. Brain Res 2001; 858: 71–77.

Dr. med. Dr. rer. nat. Horst Koch Weiherweg 25

93053 Regensburg

Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. Sportwiss.

Christoph Raschka

Institut für Sportwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Ginnheimer Landstraße 39 60487 Frankfurt am Main

Schlusswort

Die zahlreichen eingegangenen Schrei- ben belegen, dass das Thema aktuell ist.

Für die Diskussionsanmerkungen be- danken wir uns. Hinsichtlich der Frage nach einer Coffeinabhängigkeit vermö- gen wir keine schlüssige Antwort zu ge- ben, weil von uns noch niemand eine echte Coffeinabhängigkeit gesehen hat.

Dagegen spricht auch nicht die Aufnah- me in die Klassifikation der IHS. Bisher haben wir auch noch keinen Schmerz- mittel-Entzugskopfschmerz gesehen, der ja auch in dieser Klassifikation ent- halten ist.

Für die Autoren:

Prof. Dr. med. Wolfgang Forth Volpinistraße 54

80638 München

Das „Montagsauto“ hat auch im klini- schen Bereich ein Pendant: Wer am Wochenende stationär aufgenommen werden muss, hat bezüglich Überleben schlechtere Karten als der Patient, der zu einem Zeitpunkt aufgenommen wird, wo die „volle Besatzung an Bord“

ist.

Die Autoren berichten über eine Analyse aller Notfallaufnahmen in On- tario/Kanada der Jahre 1988 bis 1997 mit insgesamt 3 798 917 stationären Aufnah- men, wobei die Krankenhausletalität analysiert wurde, je nachdem, ob die Aufnahme an einem Wochenende oder während der Woche erfolgte. Dabei wurden drei vorgegebene Krankheits- bilder analysiert, nämlich das rupturier- te abdominale Aortenaneurysma (5 454 Fälle), die akute Epiglottitis (1 139) und die Lungenembolie (11 686). Als Kon- trollkrankheiten dienten Myokardin- farkt (160 220), intrazerebrale Blutung (10 987) und akute Schenkelhalsfraktur (59 670 Fälle). Ferner wurden die 100 häufigsten Ursachen für Todesfälle in die Berechnungen einbezogen.

Eine Aufnahme am Wochenende war mit einer signifikant höheren Kran- kenhausletalität korreliert im Vergleich zu Aufnahmen an Werktagen. Die Zah- len lagen beim rupturierten Aorten- aneurysma bei 42 gegenüber 36 Pro- zent, bei der akuten Epiglottitis bei 1,7 versus 0,3 Prozent und bei der Lungen- embolie 13 gegenüber 11 Prozent. Die- se Unterschiede in der Letalität waren immer nachweisbar, auch wenn Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen getrennt berücksichtigt wurden. Bei Myokardinfarkt, intrazerebraler Blu- tung und Schenkelhalsfraktur war die- ser Unterschied nicht nachweisbar. w Bell CM, Redelmeier DA: Mortality among patients ad- mitted to hospitals on weekends as compared with weekdays. N Engl J Med 2001; 345: 663–668.

Dr. D. A. Redelmeier, Sunnybrook and Women’s College Health Sciences Centre, Rm. G-151, 2075 Bayview Avenue, Toronto, ON M4N 3M5, Kanada.

Am Wochenende hat man schlechte Karten

Referiert

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