• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Biopolitik 2009: Jahr der Entscheidung" (05.01.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Biopolitik 2009: Jahr der Entscheidung" (05.01.2009)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A8 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 1–2⏐⏐5. Januar 2009

D

as Jahr 2009 beginnt biopoli- tisch ebenso turbulent, wie das Jahr 2008 aufgehört hat. Gleich zwei Gesetze sollen in den nächsten Wochen und Monaten die parlamen- tarischen Hürden nehmen: ein Ge- setz zur Regelung von Patientenver- fügungen und eines zur Regelung von Spätabtreibungen. An Vorschlä- gen mangelt es nicht. Allein drei überwiegend fraktionsübergreifen- de Gesetzentwürfe und weitere zwei Anträge zum Thema Spätabtreibung debattierte der Bundestag noch kurz vor Weihnachten. Drei ganz unter- schiedliche Initiativen befassen sich mit der gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen, die Anfang Januar im Bundestag beraten wer- den. Bis Ostern sollen die Gesetzge- bungsverfahren abgeschlossen sein.

Nachdem in der letzten Legisla- turperiode vergeblich um eine ge- setzliche Regelung der Patientenver- fügungen gerungen wurde, bezwei- felt inzwischen kaum jemand, dass in diesem Jahr tatsächlich ein Gesetz verabschiedet wird. Zu groß ist mitt- lerweile der Druck aus der Bevöl- kerung. Hinter ihm steht die Angst der Menschen vor einer endlosen, quälenden medizinischen Behand- lung am Lebensende und vor einer Missachtung des eigenen Willens.

Diese Angst konnte offensichtlich im vergangenen Jahr auch nicht die Ärzteschaft den Menschen nehmen.

„Die Rechtslage ist eigentlich klar, sie ist nur nicht bekannt genug“, hatte der Präsident der Bundesärztekam- mer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe, mehrfach betont, unter anderem beim Deutschen Ärztetag in Ulm im Mai 2008. Den Ärztinnen und Ärzten empfiehlt Hoppe, sich an den Grundsätzen der Bundesärzte- kammer zur Sterbebegleitung zu orientieren (Beilage zum DÄ, Heft

1–2/2008). Der Deutsche Bundestag beschäftigte sich Ende Juni 2008 mit dem ersten Gesetzentwurf zur Patien- tenverfügung. Damals stellte der rechtspolitische Sprecher der SPD, Joachim Stünker, einen fraktions- übergreifenden Antrag vor, der mitt- lerweile von mehr als 200 Abgeord- neten aus den Reihen der SPD, FDP, der Linken und der Grünen unter- stützt wird. Bei einer Abstimmung im Bundestag hat er das Potenzial, eine Mehrheit zu erzielen.

Drei Gesetzentwürfe zu Patientenverfügungen

Stünkers Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Patientenverfügung in je- der Krankheitsphase verbindlich sein soll – sofern sich der Patient nicht anders äußert und sich der Arzt und der Bevollmächtigte einig sind.

Nur bei einem Dissens soll ein Ge- richt über die Auslegung entschei- den. Der Schwerpunkt des Entwurfs liegt somit auf der Autonomie des Patientenwillens.

Ende Oktober vergangenen Jah- res erhielt die Debatte um die Pati- entenverfügungen mit dem zweiten Gesetzentwurf eine neue Richtung.

Der schwarz-rot-grün-gelbe Grup- penantrag von Wolfgang Bosbach (CDU), Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und René Röspel (SPD) ist als ein Gegenent- wurf zu Stünkers Initiative zu wer- ten und sieht ein Zweistufenmodell vor: In der ersten Stufe sind alle schriftlichen Verfügungen verbind- lich, auch wenn sie ohne vorherige ärztliche Beratung und notarielle Beurkundung verfasst wurden. Dies gilt allerdings nur, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder der Patient endgültig sein Bewusstsein verloren hat. Möchte ein Patient jedoch den

Abbruch von lebenserhaltenden Maß- nahmen unabhängig vom Krank- heitsstadium verbindlich anordnen, muss er dies im Rahmen einer zwei- ten Stufe mit einer notariell beur- kundeten Patientenverfügung tun.

Dazu muss er sich alle fünf Jahre von seinem Arzt beraten lassen.

Einen dritten, fraktionsübergrei- fenden Gesetzentwurf legten im No- vember Abgeordnete um den Uni- ons-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) vor. Er sei als „Kompromiss“

zwischen den anderen Konzepten zu verstehen, erklärten Hans Georg Faust (CDU), Herta Däubler-Gme- lin (SPD) und Monika Knoche (Die Linke). Ihr Entwurf spricht Patien- tenverfügungen eine grundsätzliche Verbindlichkeit zu – auch wenn die- se nur mündlich geäußert wurden.

„Unser Entwurf ist von der Verant- wortung des Arztes geprägt“, erläu- terte Faust gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt. Ärztinnen und Ärzte sollen „aktiv“ an der Ermitt- lung des Patientenwillens beteiligt werden.

Darüber, welche Gesetzesinitiati- ve sich durchsetzen wird, kann mo- mentan lediglich spekuliert werden.

BIOPOLITIK 2009

Jahr der Entscheidung

Der Ausgang ist ungewiss: Sowohl bei der gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen als auch bei der von Spätabtreibungen wird der Bundestag über jeweils mehrere Gesetzesinitiativen befinden müssen.

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 1–2⏐⏐5. Januar 2009 A9

P O L I T I K

Bislang hat sich etwa die Hälfte al- ler Abgeordneten noch nicht festge- legt und noch keinen Entwurf unter- zeichnet. Doch die Zeit drängt, denn dieses parlamentarische Jahr ist durch den Wahlkampf verkürzt und noch in dieser Legislaturperiode soll auch eine Entscheidung zur Problematik der Spätabtreibungen getroffen werden – darauf hatten sich Union und SPD vor drei Jahren in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt.

Erweiterung der

medizinischen Indikation

Die Neuregelung des Schwanger- schaftsabbruchs im Jahr 1995 sollte unter anderem verhindern, dass Kinder aufgrund einer Behinderung oder Krankheit abgetrieben werden, doch die gute Absicht hatte ihr Ziel verfehlt. Zwar fiel die embryopathi- sche Indikation weg, die medizini- sche Indikation wurde jedoch in- sofern erweitert, als die Schwangere ohne zeitliche Befristung und ohne Beratung abtreiben kann, wenn sie eine schwere psychische Beein- trächtigung wegen der zu erwarten- den Behinderung des Kindes gel- tend machen kann.

Die Bundesärztekammer hatte be- reits im Jahr 1998 (DÄ, Heft 47/

1998) auf diesen Missstand reagiert.

„Wir wollen eine Befristung, die sich am Entwicklungsstadium des Kindes orientiert. Es gibt bestimmte Behin- derungen, die man bis circa zur 22.

Woche sicher erkennen kann“, sagte vor drei Jahren der Bundesärzte- kammerpräsident Hoppe im Inter- view mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Außerdem müssten sich nach dem Vorschlag der Bundesärztekammer, die Frauen, soweit keine unmittelba- re Gefahr für ihr Leben besteht, min- destens drei Tage vor dem geplan- ten Schwangerschaftsabbruch bera- ten lassen.

Initiativen zur Neuregelung von Spätabbrüchen

Der Bundestag hat am 18. Dezem- ber in erster Lesung über fünf Initia- tiven beraten, die einen Großteil der Forderungen der Bundesärztekam- mer aufgegriffen haben und die sich in (nicht unbedeutenden) Feinheiten unterscheiden:

cDie Union, auf deren Betreiben das Thema Spätabtreibung auch in den Koalitionsvertrag aufgenom- men worden war, hat wiederholt eine Änderung des Schwangeren- konfliktgesetzes vorgeschlagen. Der jetzt unter anderem von Volker Kau- der und Johannes Singhammer ein- gebrachte Entwurf sieht eine gesetz- lich verankerte Beratungspflicht und eine dreitägige Bedenkzeit zwi- schen Beratung und Feststellung der medizinischen Indikation vor.

Ärztliche Verstöße gegen die Bera- tungspflicht sollen mit bis zu 10 000 Euro geahndet werden. Außerdem soll es eine bessere statistische Er- fassung von Schwangerschaftsab- brüchen geben. Mittlerweile unter- stützen mehr als 200 Abgeordnete diese Initiative.

cWährend die Union voraus- sichtlich geschlossen Singhammers Antrag unterstützen wird, sind sich die Sozialdemokraten nicht einig.

Die familienpolitische Sprecherin der SPD, Kerstin Griese, schlägt vor, das Schwangerschaftskonflikt- gesetz so zu ändern, dass ein Rechtsanspruch auf weitere psycho- soziale Betreuung von Frauen und die ärztliche Pflicht zur Beratung

sowie eine dreitägige Frist fest- geschrieben werden. Der Entwurf sieht ebenfalls eine Geldbuße von 10 000 Euro für Ärzte vor, die ge- gen die Beratungspflicht verstoßen.

Von Singhammers Entwurf unter- scheidet sich dieser Gruppenantrag insofern, als dass er eine detaillier- te statistische Erfassung ablehnt.

Griese und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sehen die Gefahr, dass an- gesichts der geringen Fallzahl eine Anonymisierung nicht vollständig möglich sei und Frauen unter Druck geraten könnten. Unterstützt wird dieser rot-grüne Gesetzentwurf von 46 Abgeordneten, darunter auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

cWeitere Politikerinnen der SPD-Bundestagsfraktion halten hin- gegen die Gesetzeslage prinzipiell für ausreichend. Der geplante ge- meinsame Gesetzentwurf der Koali- tion ist somit gescheitert. Im Antrag von Christel Humme und anderen ist lediglich eine ärztliche Beratung vor und nach der pränatalen Diagnostik sowie ein Hinweis auf psychosozia- le Betreuung vorgesehen. Dieser Rechtsanspruch soll im Mutterpass vermerkt werden. Eine dreitägige Frist wäre, so Humme, „eine Bevor- mundung durch den Gesetzgeber“.

Unterstützt wird dieser Antrag von bislang 137 Angeordneten.

cDie Liberalen fordern eine Be- ratungspflicht für Ärzte und psycho- soziale Beratungsangebote für die Schwangeren sowie eine dreitägige Bedenkzeit. Für die Liberalen ist das „Recht auf Nichtwissen“ der Frauen von besonderer Bedeutung.

Auch dieser Entwurf, der bisher 37 Unterzeichner hat, spricht sich für eine genauere statistische Erfassung der Abbrüche aus.

cIn nahezu letzter Minute, und zwar zur Debatte am 18. Dezember, hat auch die Linksfraktion noch ei- nen Antrag vorgelegt, angeführt von Kirsten Tackmann. Die 40 Unter- zeichner dieses Antrags sind gegen jedwede Gesetzesänderung oder gar

-verschärfung. n

Gisela Klinkhammer, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Foto:mauritius images

Die Grundsätze der BÄK und die Entwürfe im Internet unter www.aerzteblatt.de/plus0109

@

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch wenn den westlichen Wohl- standsgesellschaften immer wieder vorgeworfen wird, sich gegen den unbequemen Wandel zu stellen, zeigt sich nicht erst seit der Corona-Pandemie,

„Mit dem Projekt ‚Neuheit für Pflege‘ soll die psychische und körperliche Gesundheit der Angehörigen geschützt und diese dadurch in ihrem En- gagement weiter gestärkt wer-

Beteiligen sich Betriebe zudem am Prämiensystem, dann gibt es für engagierte Prävention auch noch eine Bonuszahlung.. Greift Präven- tion im Mitgliedsunternehmen, dann profitiert

Abstract    Das Basler Forschungsinstitut BAK Economics hat im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) die Stempelabgaben und die Verrechnungssteuer unter die

Anreizwirkungen der Altersvorsorge Die wichtigste Anreizwirkung der Alters- vorsorge betrifft die Ruhestandsentschei- dung: Lohnt sich eine längere Erwerbstätig- keit oder ist es

Gesundheitsfonds, Fallpau- schalen, elektronische Gesundheits- karte und nicht zu vergessen Gen- diagnostikgesetz sowie Patientenver- fügung sind nur einige Themen auf

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Patientenverfügung in je- der Krankheitsphase verbindlich sein soll, sofern sich der Patient nicht anders äußert und sich Arzt und

Ei- ne den Bedürfnissen des Patienten ent- sprechende Beteiligung an medizini- schen Entscheidungen – auf Grundlage valider Informationen und einer gelun- genen Arzt-Patient-Beziehung