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Archiv "Postpartal auftretende psychische Erkrankungen: Stationäre psychiatrische Behandlung von Mutter und Kleinkind" (14.11.1997)

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P

sychische Erkrankungen und Störungen, die in einem zeitli- chen Zusammenhang zur Nie- derkunft auftreten, stellen Psychiater und Gynäkologen oft vor diffizile therapeutische Probleme, da das klinische Bild und der Verlauf der- selben zumeist atypisch und schwer diagnostisch einzuordnen sind. Ent- sprechend ausgebildetes Fachperso- nal ist rar, und es gibt in Deutschland, anders als im westlichen Ausland, kei- ne für diese Patientinnen spezialisier- ten Einrichtungen. Dabei steigt die In- zidenz für psychische Erkrankungen bei Frauen im gebärfähigen Alter in den ersten Wochen und Monaten nach einer Niederkunft ganz erheblich an.

Sie ist allein für Psychosen um das 18fache höher als während der Schwangerschaft. Für paranoid-hallu- zinatorische Psychosen wird eine Inzi- denz von ein bis zwei postpartalen Psychosen auf 1 000 Geburten be- schrieben. Die Inzidenz für endogene Depressionen im Wochenbett liegt zwischen 8,2 und 14,9 Prozent. Die Hospitalisierungshäufigkeit durch psychische Erkrankungen für Frauen im gebärfähigen Alter ist für die er- sten 30 Tage post partum um das 35fa- che und in den ersten 90 Tagen post partum noch um das 12,7fache erhöht.

Postpartal auftretende psychische Erkrankungen

Das Spektrum der im Wochenbett und in den folgenden Wochen nach der Niederkunft auftretenden psychischen Erkrankungen und Störungen reicht von leichten, vorübergehenden Ver- stimmungszuständen, die wir als post- partales dysphorisches Syndrom be- zeichnen, bis hin zu schweren Psycho- sen. Bei ersterem handelt es sich um ei- nen transitorischen Verstimmungszu- stand, der zwischen dem ersten und sechsten, mit einem Häufigkeitsgipfel um den dritten Tag nach der Nieder- kunft manifest wird und spontan wie- der abklingt. Das klinische Bild ist durch Affektlabilität mit Weinen,

Ängstlichkeit und Gereiztheit gekenn- zeichnet und psychopathologisch sowie verlaufstypologisch dem prämenstruel- len dysphorischen Syndrom ähnlich.

Diese von den Betroffenen zumeist als Heultag bezeichneten Verstimmungen mit einer Inzidenz um 50 Prozent sind in der Regel nicht behandlungsbedürf- tig, können im Einzelfall aber in postpartal exazerbierende dysthyme Störungen oder eine postpartale endo- gene Depression übergehen.

Das klinische Bild der postparta- len dysthymen Störung wird wie das der endogenen Depression durch eine traurige Niedergeschlagenheit domi- niert, läßt sich aber von der endoge- nen Depression durch einen chro- nisch-schleichenden Verlauf über ei- nen zumeist zwei Jahre andauernden Zeitraum und einen geringeren Schweregrad unterscheiden. Außer-

dem ist bei diesen Patientinnen ein höherer Neurotizismusstand zu eru- ieren, weswegen diese Störung früher auch „neurotische Depression“ ge- nannt wurde. Im Gegensatz zu den postpartal auftretenden endogenen Depressionen, die zum größten Teil unmittelbar im Wochenbett manifest werden, treten die dysthymen Störun- gen zeitverzögert innerhalb der ersten beiden postpartalen Monate auf.

Die früher sogenannten postpar- tal auftretenden „reaktiven Depressio- nen“ werden entsprechend den heute angewandten Klassifikationssystemen zum größten Teil als postpartale An- passungsstörungen diagnostiziert.

Die postpartal auftretenden endo- genen Depressionen sind oft die Erst- manifestation einer phasisch und puer- peral unabhängig weiterverlaufenden manisch-depressiven Erkrankung. Sie stellen den betreuenden Arzt wegen der bei 89 Prozent dieser Patientinnen bestehenden Suizidalität und einer Sui-

Postpartal auftretende psychische Erkrankungen

Stationäre psychiatrische Behandlung von Mutter und Kleinkind

Mario Horst Lanczik Ian Fraser Brockington

Pubertät, Prämenstruum, Gravidität, Puerperium und Klimakterium gaben schon immer Anlaß zu Spekulationen über die Gewichtung psychosozialer und biologi- scher Faktoren und deren möglicher Interaktionen in der Ursachenkette psychia- trischer Erkrankungen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit diesen Genera- tionsvorgängen bei Frauen auftreten. Insbesondere die postpartal auftretenden Psychosen werfen die Frage nach deren spezifischer Ätiologie und Therapie auf.

Mutter und Kind werden bei einer notwendig werdenden stationären psychiatri- schen Behandlung in Deutschland – abgesehen von wenigen Ausnahmen – ge- trennt. Der größte Teil dieser Frauen ist aber auch nach der Genesung mit der Ver- sorgung des Kindes überfordert, und beide sind sich fremd geworden. Remani- festationen der psychiatrischen Erkrankung bei der Mutter sind dann häufiger; ih- re Kinder zeigen signifikant öfter Verhaltensauffälligkeiten. Abhilfe können nur die auf die Behandlung postpartal auftretender Psychosyndrome spezialisierte Abtei- lungen an psychiatrischen Krankenhäusern schaffen, in denen die Patientinnen zu- sammen mit ihren Säuglingen oder Kleinkindern aufgenommen werden können.

Am Beispiel einer solchen Einrichtung in Birmingham soll aufgezeigt werden, wie in England sogenannte „Mother-and-Baby Units“ arbeiten und strukturiert sind.

Department of Psychiatry, University of Bir- mingham, Großbritannien

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zidversuchsrate von 39 Prozent, mit der Gefahr eines erweiterten Suizides, vor schwierige therapeutische Aufgaben.

Die seltenste, gleichzeitig aber auch schwerwiegendste psychiatrische Komplikation im Wochenbett ist die paranoid-halluzinatorische Puerperal- psychose. Sie hat zumeist einen abrup- ten Beginn, nimmt dann einen stürmi- schen Verlauf und sollte umgehend zu einer notfallmäßigen Einweisung in ei- ne psychiatrische Klinik führen. Die schwere paranoid-halluzinatorische Symptomatik mit Angst-, Erregungs- und Verwirrtheitszuständen wird kon- trastiert durch eine günstige Prognose, das heißt einer vollständigen Aushei- lung, kann aber ähnlich den manisch- depressiven Erkrankungen einen pha- sischen Verlauf nehmen. Nach der ICD-10 sind die meisten dieser post- partalen Psychosen neuerdings diagno- stisch als akut-polymorphe psychoti- sche Störungen einzuordnen. Diese Er- krankungen, die auch zykloide Psycho- sen genannt werden, sprechen dann ebenso gut wie die manisch-depressive Erkrankung auf eine Phasenprophyla- xe mit Lithium oder Carbamazepin an.

Postpartal paranoid-halluzinato- risch exazerbierende schizophrene Er- krankungen stellen die Ausnahme dar.

Die Entwicklung spezialisierter

Einrichtungen in England

Im Vergleich zu den Bemühun- gen zur Schaffung von psychiatri- schen Spezialeinrichtungen für Kin- der und Jugendliche, Ältere, chro- nisch Kranke und Suchtkranke blieb die Einrichtung von speziellen Abtei- lungen zur Behandlung von psychia- trischen Erkrankungen, die mit den Reproduktionsvorgängen bei Frauen auftreten, in Deutschland extrem un- terentwickelt. In Großbritannien je- doch haben sich in den großstädti- schen Zentren, oft in organisatori- schem Zusammenhang mit Univer- sitätskliniken, Abteilungen ent- wickelt, die darauf spezialisiert sind, psychisch kranke Mütter zusammen mit ihren Kleinkindern stationär, teil- stationär und ambulant zu behandeln und entsprechend auch Ärzte, Pflege- personal, klinische Psychologen und Hebammen aus- und fortzubilden.

Die erste Initiative zur gemeinsa- men stationären Aufnahme von Mut- ter und Kleinkind in einem psychiatri- schen Krankenhaus ging 1948 von dem englischen Psychoanalytiker Tom F. Main im Cassel Hospital in Surrey in Südengland aus. Basierend

auf der Erkenntnis von J. Spencer, daß kranke Kinder in pädiatrischen Abteilungen am besten von ihren Müttern mitgepflegt werden und eine Trennung von Mutter und Kind den Krankheitsprozeß verlängert, nahm Main an, daß Kleinkinder ebenso Schaden nehmen können, wenn die Mutter-Kind-Beziehung durch die stationäre Aufnahme einer seelisch

kranken Mutter unterbrochen wird.

Mains Intention war es aber zunächst nur, Mütter mit schweren Neurosen in die Lage zu versetzen, sich ohne Tren- nung von ihrem Kind auch stationär psychotherapeutisch behandeln zu lassen.

Die erste eigentliche „Mother- and-Baby Unit“, mit Spielzimmer für Kinder und speziell eingerichteten Krankenzimmern für depressive Müt- ter mit Kleinkind, wurde 1959 in St. Al- bans nördlich von London eröffnet.

Hauptmotiv zur Begründung dieser Abteilung war, pathognomonische Schuldgefühle postpartal depressiv Er- krankter gegenüber dem eigenen Kind

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Stationäre Mutter- und Kind-Einrichtungen in England und Wales von 1985 bis 1986

über 8 Betten unter 8 Betten WALES

ENGLAND Grafik

Psychiatrische Kliniken und Abteilungen in England und Wales, die 1985/86 psychisch kranke Frauen zu- sammen mit ihren Kleinkindern stationär behandelten (aus: I. F. Brockington, Motherhood and Mental Health, Oxford University Press, 1996)

Stationäre Mutter- und Kind-Einrichtungen in England und Wales 1985/86

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abzubauen. Im Zeitraum zwischen 1985 und 1986 haben dann bereits 151 von 305 psychiatrischen Krankenhäu- sern in England und Wales Betten zur Aufnahme von Müttern mit Kleinkind angeboten, sieben davon mit minde- stens acht Betten. Acht weitere Klini-

ken verfügten über Tagesklinikplätze für Mütter mit Kleinkindern (Grafik).

Zusammengenommen wurden 294 Betten, das heißt 5,8 Betten/Million Einwohner angeboten und im gleichen Rechnungsjahr 1 209 Mütter mit Kin- dern in psychiatrischen Kliniken in England hospitalisiert.

Auch außerhalb Großbritanni- ens folgte man diesem Beispiel. In den USA werden seit 1960, in Frank- reich seit 1961, in Kanada seit 1967, in Australien und in Neuseeland seit 1975 und später auch in Belgien, den Niederlanden, Israel und Norwegen psychisch kranke Wöchnerinnen zu- sammen mit ihren Babys stationär psychiatrisch behandelt.

Über den Nutzen von sogenann- ten „Mother-and-Baby Units“ besteht in diesen Ländern kein Zweifel. Unter anderem konnte 1989 in einer kanadi- schen Studie nachgewiesen werden, daß nach Entlassung aus einer solchen Abteilung 87 Prozent aller zuvor psy- chotischen Mütter fähig waren, ihr Kind adäquat zu versorgen, gegenü- ber 31 Prozent der Mütter, die ohne

ihr Neugeborenes stationär psych- iatrisch behandelt wurden. Einer der wichtigsten Gründe für die gemeinsa- me Aufnahme ist die Behandlung ei- ner typischen Beziehungsstörung zwi- schen Mutter und Neugeborenem, die im englischen Sprachgebrauch als

„bonding disorder“ bezeichnet wird und für die im deutschen Sprachge- brauch die Bezeichnung emotionale Insuffizienz gegenüber dem Kind pas- send wäre. Sie ist bei postpartal de- pressiven Müttern besonders stark ausgeprägt und nicht nur durch eine allgemeine Überforderungssituation, sondern auch durch ein Gefühl der Gefühllosigkeit gegenüber dem Kind bedingt, was dann schuldhaft von der Depressiven verarbeitet wird und wie- derum dem erweiterten Suizid Vor- schub leisten kann.

Die „Mother-and-Baby Unit“ in Birmingham

Wie eine solche Einrichtung funktioniert, soll im folgenden am Beispiel der „Mother-and-Baby Unit“

am Queen Elizabeth Hospital der Psy- chiatrischen Universitätsklinik in Bir- mingham erläutert werden. In ihr wer- den Patientinnen mit Kindern bis zum zweiten Lebensjahr stationär, teilsta- tionär und ambulant behandelt. Die

Abteilung verfügt über neun Einzel- zimmer für Mutter und Kind (Abbil- dung 1). In der Tagesklinik werden vorzugsweise die Mütter und deren Kinder betreut, die entweder erst kürzlich aus stationärer Behandlung entlassen wurden oder alleinstehend sind und keine weitere familiäre Un- terstüzung erfahren können.

Im Jahr 1995 wurden in Birming- ham 77 Mütter mit Kind stationär auf- genommen. Davon kamen 32 Patien- tinnen aus dem Bezirk Süd-Birming- ham, dem Einzugsgebiet der psychia- trischen Klinik. Dieser Bezirk hat ei- ne Bevölkerung von 400 000 Einwoh- nern mit 6 500 Geburten/Jahr, das er- gibt ungefähr 80 stationäre Aufnah- men auf eine Million Einwohner und fünf stationäre Aufnahmen auf 1 000 Geburten. Ambulant wurden 474 ver- schiedene Patientinnen mit Kind be- treut. Die Auslastung der Bettenka- pazität betrug in diesem Zeitraum 96 Prozent. Die mittlere Verweildauer lag bei 44 Tagen. Diese Zahlen be- schreiben aber den tatsächlichen Auf- nahmedruck nur bedingt, da jeweils nur die schwereren Fälle tatsächlich, teilweise erst nach längeren Wartezei- ten aufgenommen werden konnten.

Ein Drittel der in dieser Abteilung stationär aufgenommenen Frauen lit- ten an paranoid-halluzinatorischen Puerperalpsychosen.

Das Spektrum des Therapiean- gebotes in der Birminghamer „Mo- ther-and-Baby Unit“ reicht entspre- chend dem oben genannten Anforde- rungsprofil der verschiedenen post- partal auftretenden psychischen Er- krankungen von der Psychotherapie, einschließlich der Gesprächs-, Ver- haltens- und Familientherapie, bis zur neuropsychopharmakologischen Be- handlung. Sowohl für stationäre als auch teilstationäre Patientinnen wer- den eine Reihe strukturierter The- rapieprogramme angeboten. Dazu gehören unter anderem die Spielthe- rapie in sogenannten „play/interac- tion assessments“ (Abbildung 2). Die betroffenen Frauen sind gegenüber ihrem Neugeborenen häufig hilflos und mit der Versorgung überfordert.

Oft sind sie im Wechsel übernachsich- tig, hyperprotektiv oder zwanghaft, und bei einem Teil der Mütter resul- tiert gerade aus dieser Überforde- rungssituation heraus eine „feindli- Abbildung 1: Ungewohnter Anblick in einem psychiatrischen Krankenhaus: Krankenzimmer für Mutter und Kind

in der „Mother-and-Baby Unit“ des Queen Elizabeth Psychiatric Hospital der Universität Birmingham, England

Foto: Brian Byrne

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che“ Gesinnung gegenüber dem Neu- geborenen, die dann auch wahnhaft verarbeitet werden kann und sich in manchen Fällen in Aggressionen ge- gen das Kind entlädt.

In der Spieltherapie können die Mütter, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung unter einer Beziehungs- störung zum Neugeborenen leiden oder aber, weil sie aufgrund einer post- partalen Psychose monatelang von ihrem Kind getrennt waren, unter Su- pervision spielerisch den emotionalen Kontakt zu ihrem Kind wieder aufneh- men und unter Anleitung den Umgang mit ihrem Kind – vom Wickeln bis zum Füttern – einüben. Durch den Kontakt zum Kind können Schuldgefühle, die ja auch für die postpartal ausgelösten en-

dogenen Depressionen pathognomo- nisch sind und die einerseits reaktiv durch den mangelnden Kontakt zum Kind verstärkt, andererseits durch die im Verhältnis zu ihrer psychischen Er- krankung unvernünftig hohen An- sprüche an sich selbst unterhalten wur- den, wieder reduziert werden. Des wei- teren werden Gruppentherapien zur Angstbewältigung, zum Selbstsicher- heitstraining und Entspannungsverfah- ren angeboten sowie Selbsthilfegrup- pen und Gesprächskreise organisiert.

Eine immer wieder gestellte Fra- ge in bezug auf „Mother-and-Baby Units“ ist die nach der Sicherheit der

Kleinkinder in einem psychiatrischen Krankenhaus. Zunächst muß dazu festgestellt werden, daß psychisch Kranke meist nicht gewalttätiger sind als die Durchschnittsbevölkerung. Ei- ne Gefährdung der Kinder geht auch seltener von paranoid-halluzinato- risch erkrankten Müttern aus als viel- mehr von Frauen mit postpartal auf- tretenden Depressionen oder schwe- ren Persönlichkeitsstörungen, und zwar in erster Linie nicht durch direkte Gewalteinwirkung, sondern durch massive Vernachlässigung.

In den auf die Aufnahme von Müttern mit Kleinkindern speziali- sierten Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser in Großbritannien ist ein entsprechend ausgebildetes Pfle-

gepersonal in der Regel in der Lage, Gewalt psychotischer Mütter gegen deren eigene Kinder zu verhindern.

In Birmingham beispielsweise wer- den die Patientinnen in abgestufter Intensität mit ihrem Neugeborenen

„konfrontiert“ und bei Gefährdung von ihnen vorübergehend separiert.

Die Patientinnen schlafen dann ge- trennt von ihrem Kind und sehen es tagsüber ausschließlich im Beisein einer Krankenschwester. Prinzipiell werden akut psychisch kranke Müt- ter, die bereits vor Klinikaufnahme ihr Kind in irgendeiner Weise verletzt hatten, erst dann in der Abteilung

aufgenommen, wenn die Erkrankung zuvor durch eine Behandlung auf ei- ner psychiatrischen Allgemeinstation wesentlich gebessert werden konnte.

„Mother-and-Baby Units“

aus kinderpsychiatrischer Sicht

Die Notwendigkeit derartiger Einrichtungen ergibt sich aber nicht nur durch die seelische Erkrankung der Mutter, denn Kinder psychoti- scher Eltern gehören sowohl aufgrund genetischer als auch aufgrund psycho- sozialer Belastungsfaktoren zu einer Risikogruppe hinsichtlich ihrer eige- nen psychischen Entwicklung. Wis- senschaftliche Untersuchungen haben darüber hinaus ergeben, daß Kinder von Müttern mit postpartalen Depres- sionen durch Verhaltensauffälligkei- ten besonders beeinträchtigt sind. Aus diesem Grund haben „Mother-and- Baby Units“ auch eine präventive Wirkung hinsichtlich psychischer Ent- wicklungsdefizite beim Kleinkind.

Englische „Mother-and- Baby Units“ als Modell für Deutschland?

In Deutschland ist die stationäre Aufnahme postpartal psychisch er- krankter Frauen zusammen mit ihren Kleinkindern die Ausnahme und wird nur in wenigen psychiatrischen Klini- ken fallweise durchgeführt, zum Bei- spiel in der Lübecker Hochschulklinik, der Landesklinik Bonn, der Psychiatri- schen Klinik der Freien Universität Berlin, der Psychiatrischen Univer- sitätsklinik Erlangen und im Psychiatri- schen Krankenhaus Heppenheim, aber nicht in einer dafür eingerichteten, spe- zialisierten Abteilung.

Aus den oben genannten Zahlen aus Birmingham ergäbe sich die Not- wendigkeit, mindestens 9,6 Betten pro eine Million Einwohner oder um- gerechnet auf die Bevölkerungszahl und die Geburtenrate in Deutschland zirka 750 Betten zur stationären Auf- nahme von psychisch kranken Müt- tern mit Kleinkind zur Verfügung zu stellen. Es ist kaum zu erwarten, daß in der derzeitig schwierigen finanziel- len Situation des deutschen Gesund-

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Abbildung 2: Sogenannte Spieltherapie in der „Mother-and-Baby Unit“ des Queen Elizabeth Psychiatric Hospi- tal der Universität Birmingham, England

Foto: Brian Byrne

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heitswesens in den nächsten Jahren in ausreichendem Maße Abteilungen für Mütter mit Kind an psychiatri- schen Krankenhäusern eingerichtet werden. Aber ein Anfang sollte ge- macht werden, allein schon deshalb, um damit zu beginnen, wie in anderen Bereichen der klinischen Psychiatrie auch, entsprechendes ärztliches, kli- nisch-psychologisches und pflegeri- sches Fachpersonal auszubilden und auch um anzufangen, die Benachteili- gung einer Gruppe psychiatrischer Patientinnen zu beenden, deren Hei- lungsprozeß durch besonders er- schwerte Umstände kompliziert wird.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-3104–3108 [Heft 46]

Literatur

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Anschrift der Verfasser

Dr. med. habil. Mario Horst Lanczik Prof. Ian Fraser Brockington, MD, FRCP

Mother-and-Baby Unit Queen Elizabeth Hospital Department of Psychiatry University of Birmingham Mindelsohn Way

Birmingham

West Midlands B15 2QZ Großbritannien

Symptome bei Schizophrenen können mit der regionalen zerebra- len Durchblutung (rCBF) korrelie- ren. So ist es möglich, bei einigen Symptomen eine erhöhte rCBF fest- zustellen, bei anderen jedoch eine verminderte. Dies ist das Ergebnis ei- ner Studie der Abteilung für Nuklear- medizin und Psychiatrie der RWTH Aachen, deren Ziel die Untersuchung der Zusammenhänge der regionalen zerebralen Durchblutung, der Psy- chopathologie und der Wirkung neu- roleptischer Therapie war.

Es wurden 24 Patienten mit aku- ter Schizophrenie, die noch nie neuro- leptisch behandelt worden waren, un- ter Verwendung der Substanz Hexa- mehyl-Propyleneamin-Oxim mittels SPECT (single photon emission com- puted tomography) untersucht und die Ergebnisse anschließend mit psychopathologischen Befunden kor- reliert. Gedächtnisstörungen und

Größenwahn korrelierten mit ver- stärkter bifrontaler und bitemporaler Durchblutung. Bei Wahnzuständen, Halluzinationen und Mißtrauen dage- gen konnte eine mangelnde tem- porale und frontale Durchblutung linksseitig sowie in der linken Thala- mushälfte festgestellt werden. Bei ste- reotypen Vorstellungen ließ sich zu- dem noch mangelnde Durchblutung in der linken Parietalregion erkennen.

Dieses Ergebnis kann die inkon- sistente Durchblutung von neurolep- tikafreien Schizophrenen erklären,

meinen die Autoren. Zudem spricht dies gegen die oft aufgestellte These, daß die zerebrale Durchblutung bei Schizophrenen vom jeweiligen Me- dikamentenstatus des Patienten ab-

hängt. pb

Sabri O et al.: Correlation of positive sym- ptoms exclusively to hyperperfusion or hy- poperfusion of cerebral cortex in never- treated schizophrenics. Lancet 1997; 349:

1735-1738.

Dr. med. Osama Sabri, Abteilung für Nu- klearmedizin und Psychiatrie, Rheinisch- Westfälische Technische Hochschule Aa- chen, Pauwelsstraße 30, 52057 Aachen.

Gehirndurchblutung bei Schizophrenie

Berichtigung

In dem Beitrag „Anthelminthika - Neuentwicklungen zur Behebung unangenehmer Reiseerinnerun- gen“ in Heft 42/1997 ist bedauerli- cher Weise ein Fehler unterlau- fen. Im letzten Absatz des Tex- tes muß es heißen: „Da in jedem Fall damit zu rechnen ist, daß das Anthelminthikum über die Muttermilch zum Säugling ge- langt, ist darauf zu achten, daß der Säugling nicht mit Brustnahrung ernährt wird.“ DÄ/MWR

Ob eine In-vitro-Fertilisation (IVF) erfolgreich ist, hängt unter ande- rem ab vom Alter der Frau, der Ver- wendung eigener Eizellen oder der ei- ner Spenderin, der Dauer der Un- fruchtbarkeit, der Anzahl der IVF-Zy- klen sowie einer vorausgegangenen Schwangerschaft und Geburt bei der Patientin. Der medizinische Grund für die IVF-Behandlung veränderte die Rate der Lebendgeburten jedoch nicht signifikant. Dies zeigt die Auswertung aller IVF-Zyklen in Großbritannien in den Jahren von 1991 bis 1994. Die durchschnittliche Rate der Lebendge- burten pro IVF-Zyklus lag bei 13,9 Pro- zent. Am besten waren die Ergebnisse bei Frauen zwischen 25 und 30 Jahren, bei jüngeren Frauen war die Zahl der Lebendgeburten geringer, bei älteren sank sie wieder stark. Mit zunehmen- dem Alter sanken die Chancen für ein Baby, bei Frauen über 30 verbesserten sich die Ergebnisse, wenn Eizellen von Spenderinnen verwendet wurden.

Eine vorausgegangene normal verlaufene Schwangerschaft verbesser- te die Aussichten auf Erfolg, die sich al- tersunabhängig mit zunehmender Dau- er der Unfruchtbarkeit und steigender Zahl erfolgloser IVF-Behandlungsver- suche verschlechterten. silk Templeton A, Morris JK, Parslow W: Fac- tors that affect the outcome of in-vitro fertilisation treatment. Lancet 1996; 348:

1402–1406.

Prof. Allan Templeton, Department of Obstetrics and Gynaecology, University of Aberdeen, Maternity Hospital, Forester- hill, Aberdeen AB9 2ZD, Großbritannien.

Einflüsse auf

das Ergebnis einer

IVF-Therapie

Referenzen

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