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Archiv "Ärztebesuche: Eine Ketzerin klagt an" (09.05.1997)

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Es ist doch merkwürdig: Es gibt Arztpraxen, in denen man – mit oder ohne Termin – nie länger als eine vier- tel bis eine halbe Stunde wartet. Es gibt andere, in denen man – trotz Ter- min – nie weniger als zwei Stunden zu warten hat.

Frage ich in diesen Praxen nach, bekomme ich fast immer folgende Er- klärung (eine Entschuldigung habe ich bisher nur ein einziges Mal gehört): „Wir hatten Schmerzpati- enten vorzuziehen.“

Die Erfahrung besagt jedoch etwas ganz anderes:

Patienten mit akuten, kaum auszuhaltenden Schmerzen, denen keinerlei Wartezeit zugemutet werden darf, gibt es kaum – abge- sehen davon, daß dieser Zustand subjektiv ist und schließlich auch der langfristig angemeldete Pati- ent am vereinbarten Termin unter erheblichen akuten Schmerzen lei- den kann.

Offensichtlich wird die Zeit, in der der Patient beim Arzt vorspre- chen darf, eher zu kurz bemessen, geringer jedenfalls, als es der im Durchschnitt tatsächlich benötig- ten Untersuchungs- oder Bera- tungszeit entspricht – um auf kei- nen Fall Wartezeit für den Arzt ent- stehen zu lassen.

Vereinzelt werden sogar zwei Pa- tienten zur selben Zeit bestellt; es könnte ja einer verspätet oder gar nicht kommen.

Welche Gründe aber auch immer dazu führen, daß Patienten länger als eine halbe Stunde auf den erlösenden Aufruf ihres Namens warten müssen – warum erscheint praktisch niemals eine jener organisationsmächtigen Tresenkräfte von sich aus im Warte- zimmer, erklärt die Verzögerung und stellt anheim, die Praxis zu verlassen und eine halbe Stunde, eine Stunde oder eben auch zwei Stunden später wiederzukommen?

Ist es nicht denkbar, daß auch die Zeit von Patienten kostbar ist – und jedenfalls zu schade, um sie im wenig

ermunternden Kreise der vielen Mit- Leidenden zu verdösen?

Das Ganze wäre ja nicht so nerv- tötend, wenn die Wartezimmer wenig- stens ein Minimum an geistiger Anre- gung zu bieten hätten. Das übliche An- gebot beschränkt sich jedoch auf Lese- zirkelhefte, die meist nicht einmal dem unterschiedlichen Leseniveau, Unter- haltungs- oder Informationsbedürfnis

der Patienten gerecht werden; Rekla- meposter und Infofolder der pharma- zeutischen Industrie, bestenfalls aber Wechselrahmen mit – freilich nie ge- wechselten – Kunstgemälden.

Eine irgendwo noch hinge- quetschte Kleinkinderecke mit zer- fledderten Bilderbüchern, einem Minisortiment von Bauklötzen oder Legosteinen und längst demolierten Spielzeugautos sowie „beruhigende“

Musikberieselung vom Band ergän- zen manchmal die „Wartekultur“ in Arztpraxen.

Warum jedoch nicht einmal et- was Neues in die Wechselrahmen?

(Die steuerliche Absetzbarkeit sollte es doch – noch – möglich machen?)

Eine Pinnwand mit aktuellen me- dizinischen Nachrichten, Cartoons oder ähnlichem?

Eine für die jeweilige Praxis indi- viduell zusammengestellte „Nach- richtenmappe für meine Patienten“

oder auch nur der Anschlag eines

„Wortes der Woche“ – am besten an einer Tafel mit Kommentiermöglich- keit (und damit der Förderung von krankheitsunabhängigen Gesprächen der Patienten untereinander dien- lich)?

Kaum auszudenken: ein PC-Pro- bierplatz für Unerfahrene – oder gar ein Internet-Anschluß zum kurzweili- gen Surfen?

Bis auf den letzten kosten sämtli- che dieser Vorschläge nichts als ein wenig (den Patienten gewidmete) Zeit und Mühe, der letzte nicht mal das, sondern allenfalls „peanuts“.

Es gibt sicher noch viel mehr praktikable Wege, Patienten die Wartezeit zu verkürzen – jeden- falls, was die Hauptwartezeit be- trifft. Denn mit dem Verlassen des Wartezimmers ist es ja oft noch längst nicht getan: Dem Gespräch mit dem Arzt – immer in Eile, denn man spürt, man habe sich jetzt doch bitte kurz zu fassen –, diesem ersten Gespräch folgt üblicherwei- se die Verabreichung praxisge- rechter Diagnose- und Thera- piehäppchen an das leidgeplagte Individuum: Dazu hat es immer wieder einsame Viertelstunden in diversen, oft unterkühlten „MTA- Zellen“ abzusitzen – in Labor-, Röntgen-, EKG-, Ultraschall-, Pflaster- und Verbandskabinen.

Brav schlucken wir alles, was uns nach und nach verordnet wird. End- lich aber dürfen wir, dankbar ob all des medizinischen Aufwands für un- ser Wohlergehen, die heiligen Hallen verlassen – und dem nächsten All- mächtigen bei der Rückkehr an unse- ren Arbeitsplatz die vorwurfsvolle Frage beantworten „Was haben Sie da eigentlich so lange getrieben?“

Ich aber frage ketzerisch:

Sind jemals irgendwo die Kosten berechnet worden, die privaten und öffentlichen Arbeitgebern durch die sinnlos verbrachte Arbeitszeit in den Wartezimmern vieler „Götter in Weiß“ entstehen?

Warum werden diese Verluste al- lein von den Arbeitgebern und nicht auch von den verursachenden Ärzten

getragen? Elena Ezeani

A-1261 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 19, 9. Mai 1997 (37)

T H E M E N D E R Z E I T GLOSSE

Ärztebesuche

Eine Ketzerin klagt an

Zeichnung: Jörg Spielberg, Kempten

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