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Archiv "Dem Patienten niemals die Hoffnung nehmen!" (22.08.1987)

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DAS EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Dem Patienten niemals

die Hoffnung nehmen!

Wolfgang Wilmanns

Internistische Behandlung maligner Tumoren

unter Berücksichtigung der Lebensqualität

ine internistische Tumorbehand- lung sollte mit dem Ziel einer Hei- lung oder wenigstens einer sinnvol- len Lebensverlängerung mit Ver- besserung beziehungsweise Erhal- tung der Lebensqualität durchgeführt werden.

Die Entwicklung neuer Zytostatika, die oft im Sinne einer Polychemotherapie eingesetzt wer- den, das interdisziplinäre Zusammenwirken von Chirurgie, Strahlentherapie und Chemothera- pie, die Möglichkeit der Knochenmarktrans- plantation, die Verfeinerung der Diagnostik mit Stadieneinteilung haben dazu geführt, daß tat- sächlich bestimmte — allerdings relativ seltene — maligne Tumorkrankheiten heute einer echten Heilung zugeführt werden können. Dabei muß allerdings häufig von dem betroffenen Patienten eine vorübergehende beträchtliche Beeinträchti- gung der Lebensqualität in Kauf genommen werden. Dieses gilt für Leukämien, Hodgkin- Lymphome, hochmaligne Non-Hodgkin-Lym- phome, Hodentumoren, Sarkome — besonders im Kindesalter — und andere. Bei einigen Tumo- ren — so beim kleinzelligen Bronchialkarzinom und beim Ovarialkarzinom — zeichnet sich eine Verbesserung der Heilungschance ab. Bei die- sen Erkrankungen ist den Ärzten die ethische Verpflichtung gegeben, die besten zur Verfü- gung stehenden Behandlungsmaßnahmen einzu- setzen, auch mit dem Risiko die Lebensqualität vorübergehend negativ beeinflussender toxi- scher Nebenwirkungen.

Adjimante Chemotherapie beim Mamma-Karzinom noch nicht klar definiert

Eine große Herausforderung an ethisch be- gründete ärztliche Verantwortung ist gegenwär- tig allerdings die Frage nach der Berechtigung

einer adjuvanten Chemotherapie bei Mamma- Karzinomen im noch nicht metastasierten Stadi- um. Diese Behandlungsmethode wird mit dem Ziel einer Elimination nicht nachweisbarer Mi- krometastasen und somit einer erhöhten Hei- lungschance im Anschluß an eine primäre Tu- morbehandlung — in erster Linie Operation — eingesetzt. Sie hat ihre klare Indikation beim osteogenen Sarkom, Ewing-Sarkom und beim embryonalen Rhabdomyosarkom. Beim Mam- makarzinom und einigen anderen Tumoren sind die Indikationen aber noch nicht scharf defi- niert. Selbst bei Patientinnen in der Prämeno- pause mit ein bis drei befallenen axillären Lymphknoten bei der primären Operation, bei denen am ehesten die Indikation zur adjuvanten Chemotherapie gegeben ist, besteht die Mög- lichkeit, daß bei bereits erfolgter Heilung durch die Operation unnötige Behandlungsmaßnah- men durchgeführt werden, die mit erheblichen Nebenwirkungen auf die normale Zellregenera- tion verbunden sind. Die Konsequenzen für die Patientin sowohl im Hinblick auf eine unterlas- sene, die Heilungschance erhöhende Behand- lung als auch bezüglich der potentiellen Neben- wirkungen durch die Chemotherapie mit da- durch bedingten psychischen Belastungen sind so groß, daß gegenwärtig die Entscheidung bei jeder einzelnen Patientin nach individuellen, auch die Motivation und psychische Belastungen berücksichtigenden Faktoren nach einem aus- führlichen Gespräch gestellt werden muß. Vor allem ist es wichtig, diejenigen Patientengrup- pen, bei denen eine höhere Heilungschance durch adjuvante Chemotherapie erwartet wer- den kann, unter Einbeziehung der Rezeptoren besser zu charakterisieren und damit dem größe- ren Teil den beschwerlichen und die Lebensqua- lität wesentlich beeinflussenden Weg durch die Zytostatika-Therapie zu ersparen.

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Dt. Ärztebl. 84, Heft 34/35, 22. August 1987 (61) A-2261

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Da eine Heilung durch Operation, Strahlen- therapie und, unter gewissen Voraussetzungen, durch Chemotherapie und andere internistische Maßnahmen nach wie vor nur bei wenigen Tu- morerkrankungen zu erwarten ist, stehen wir meistens vor der Aufgabe, eine sogenannte pal- liative Behandlung nach bestmöglichen Ge- sichtspunkten durchzuführen. Hierdurch kön- nen gegebenenfalls die Lebenserwartungen ver- längert und die Lebensbedingungen verbessert, mitunter sogar während einer begrenzten Zeit normalisiert werden. Rehabilitation und Ein- gliederung in ein normales Leben sollten unter solchen Voraussetzungen möglich sein.

Ein besonders gutes Beispiel hierfür ist das metastasierte Mamma-Karzinom, bei dem er- gänzend zur Patientenbetreuung in der Nachsor- ge diese Ziele durch Anwendung vielfältiger hormoneller und chemotherapeutischer Be- handlungsmaßnahmen häufig über Jahre er- reicht werden können.

Behandlung mit Zytostatika nicht unter allen Umständen

Eine Therapie durch eingreifende, mit Ne- benwirkungen auf gesunde Zellsysteme verbun- dene Maßnahmen ist aber sicher nicht gerecht- fertigt, wenn zwar eine begrenzte Verlängerung der Überlebenszeit zu erwarten ist, diese aber nicht mit einer Verbesserung oder wenigstens Aufrechterhaltung der Lebensqualität für den betroffenen Patienten verbunden ist oder sogar mit einer Verschlechterung der Lebensbedin- gungen erkauft wird. Gerade beim fortgeschrit- tenen Nierenkarzinom im metastasierten Stadi- um und beim malignen Melanom im dissemi- nierten Stadium ist diese Problematik besonders zu beachten. Bei nicht chemotherapiesensiblen Tumoren können derartige Behandlungsmaß- nahmen sogar kontraindiziert sein, da diese durch eine negative Beeinflussung der körperei- genen tumorspezifischen Abwehrkräfte mögli- cherweise die Progredienz des Tumorleidens be- günstigen und sich somit zusätzlich nachteilig auf das weitere Lebensschicksal der Patienten auswirken können. Es ist also nicht der Stand- punkt vertretbar, daß unter allen Umständen ei- ne Behandlung mit Zytostatika durchgeführt werden muß.

Dabei ist es keinesfalls so, daß Nichtbehan- deln gleichzusetzen ist mit Resignation vor dem Krankheitsverlauf. Es gibt Tumoren, zum Bei- spiel Darm-Karzinome und Bronchial-Platten- epithel-Karzinome , bei denen im nicht mehr operablen Stadium mitunter eine abwartende Haltung mit regelmäßigen Kontrolluntersuchun- gen im Rahmen der Nachbetreuung und gegebe- nenfalls mit symptomatischen, Beschwerden lin-

dernden Maßnahmen sinnvoller ist. Wenn dann zu einem späteren Zeitpunkt eine deutliche Tu- morprogredienz nachweisbar ist, so stehen uns immer noch Therapiemöglichkeiten zur Verfü- gung, die wir in der Hoffnung einsetzen können, dadurch das Leiden zu lindern und gegebenen- falls das Tumorwachstum aufzuhalten, wenn auch nicht, die Erkrankung zu heilen. Somit ist für die Lebensqualität von Patienten mit malig- nen Tumoren nicht unbedingt entscheidend, ob rasch aggressive therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Wichtig ist vielmehr die rich- tige Indikationsstellung zum besten Zeitpunkt.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzu- weisen, daß die ärztliche Betreuung bei den mei- sten Tumorerkrankungen — ob mit oder ohne ag- gressive Therapie — heute nicht mehr eine aus- schließliche Aufgabe des Krankenhauses sein darf, sondern gemeinsam durch Krankenhaus und niedergelassenen Arzt erfolgen soll. Dieses gilt insbesondere für die Überwachung der The- rapie und deren Folgen, die möglichst weitge- hend ambulant erfolgen kann. Abgesehen da- von, daß hierdurch das unter zytostatischer The- rapie erhöhte Risiko einer Infektion mit Hospi- talkeimen erheblich herabgesetzt wird, ist zu- sätzlich im allgemeinen die Lebensqualität der Patienten in der normalen Umgebung zu Hause und gegebenenfalls am Arbeitsplatz am besten gewährleistet.

Oberstes Gebot:

Hoffnung und Vertrauen des Patienten bewahren!

Gerade im Zusammenhang mit der Lebens- qualität ist ein wesentlicher Bestandteil der Tu- morbehandlung das Gespräch zwischen Arzt und Patient über die Erkrankung sowie über Möglichkeiten der ärztlichen und pflegerischen Betreuung und das Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt. Dabei ist von entscheidener Be- deutung, ob beziehungsweise in welchem Um- fang und mit welcher Prägnanz ein Patient über sein Leiden aufgeklärt werden kann oder soll.

Sicher ist dieses von Patient zu Patient verschie- den. Der Patient muß — in Abhängigkeit von In- telligenz, persönlicher Differenzieung und inne- rer Aufnahmebereitschaft — Einsicht haben in den Sinn und in die Notwendigkeit von diagno- stischen Maßnahmen, die häufig mit einem enormen technischen Aufwand verbunden sind, und Behandlungen, die häufig nicht ohne das Risiko von Nebenwirkungen durchgeführt wer- den können. Dabei müssen wir natürlich von den Voraussetzungen ausgehen, daß wir zum ei- nen bei unserer Behandlung auf der Basis einer fundierten Diagnostik unseren Patienten helfen können und zum anderen eventuell die Neben- A-2262 (62) Dt. Ärztebl. 84, Heft 34/35, 22. August 1987

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wirkungen — wie Haarausfall, Übelkeit, Erbre- chen, Infektresistenzschwäche, Mundschleim- hautgeschwüre unter Chemotherapie — vorüber- gehend sein werden und gegenüber dem erhoff- ten therapeutischen Erfolg zwar beachtet, aber doch zurücktreten werden. Eine erfolgverspre- chende Behandlung setzt ein weitgehendes Ver- trauen zwischen Arzt und Patient, Hoffnung, Bereitschaft zur Mitarbeit und Willen zum Le- ben von seiten des Patienten voraus. Grundlage des Vertrauens ist die Wahrhaftigkeit von seiten des Arztes gegenüber dem Patienten, den er zu betreuen hat. Wesentliches Grundmotiv für die Entscheidung des Arztes soll sein, wie er selber in einer gleichen Situation betreut sein wollte, beziehungsweise wie er seine nächsten Angehö- rigen und Bekannten in der gleichen konkreten Situation betreuen würde.

Das notwendige Aufklärungsgespräch darf sich niemals auf eine Mitteilung beschränken.

Es muß vielmehr immer ein Dialog sein, in dem häufig zunächst einmal der Patient seine Gedan- ken und Sorgen ausdrücken und Fragen stellen soll, bevor der Arzt sich einschaltet. Ganz ent- scheidend wichtig ist, daß es oberstes Gebot bleiben muß, die Hoffnung des Patienten auf weiteres Leben, Besserung oder gar Verschwin- den seiner Beschwerden und gegebenenfalls so- gar auf Heilung von seiner Erkrankung zu be- wahren. Hoffnung und Mitarbeit von beiden — Patient und Arzt — sowie Identifikation des Arzts mit dem Schicksal des Patienten sind Grundvoraussetzungen für die bestmögliche ärztliche Betreuung, die oft an die Geduld des Patienten und die Verantwortung des Arztes große Anforderungen stellt.

Leider werden Hoffnung und Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt häufig untergraben durch unkritisch und zuweilen sensationell auf- gemachte Artikel in einigen Medien. In diesem Züsammenhang sind auch die kürzlich in der Zeitschrift „Der Spiegel" erschienenen Beiträ- ge „Ein gnadenloses Zuviel an Therapie — Spie- gel-Serie über Krebsbehandlung in der Bundes- republik" zu erwähnen. Hier werden die zyto- statische Chemotherapie und auch bestimmte operative Eingriffe geradezu verteufelt als Be- handlungsmaßnahmen, die zwar bei seltenen Tumorkrankheiten die Chance einer Heilung er- höhen können, bei den meisten Krebskranken jedoch das Leben nicht verlängern und wegen ihrer schweren toxischen Nebenwirkungen das Leiden der erkrankten Patienten nur verstär- ken. Auf die Fortschritte dieser therapeutischen Maßnahmen, gerade im Bereich der palliativen Tumorbehandlung mit dem Ziel einer sinnvollen Lebensverlängerung und Aufrechterhaltung be- ziehungweise sogar Verbesserung der Lebens- qualität, wird kaum eingegangen. Einzelbeispie-

le , die der Wahrheit entsprechen mögen, wer- den kritiklos verallgemeinert. Es ist die Frage zu stellen, ob und inwieweit der Verfasser sich dar- über Gedanken gemacht hat, in welchem Aus- maß viele hoffende Patienten in Hoffnungslosig- keit durch diese Beitragsserie gestürzt werden und welche zusätzlichen Mühen onkologisch verantwortlich tätige Ärzte auf sich nehmen müssen, daß dem Vertrauensverhältnis mit ih- ren Patienten hierdurch nicht schwerer Schaden zugefügt wird.

Es sei vermerkt, daß die internistische Be- treuung Krebskranker auch die Einbeziehung von Angehörigen und anderen Bezugspersonen

— Psychotherapeuten, Geistliche — je nach der individuellen Situation und Motivation von sei- ten des Patienten erfordert.

Wie ein Mensch im hohen Lebensalter, so kann auch ein Patient in jedem anderen Alter mit einer schweren Erkrankung — also auch ei- ner Tumorerkrankung, die in ein aussichtsloses Stadium eingetreten ist — in eine seelische Ver- fassung kommen, in der er aufgibt und sich nicht mehr ans Leben klammert. Er stirbt dann an den unausweichlichen Folgen seiner Erkran- kung, aber auch deshalb, weil er die Lebenshoff- nung aufgegeben hat, oder richtiger, weil er sich in sein Schicksal ergibt und keinen Widerstand mehr leistet. In dieser Situation ist auch der Arzt aufgerufen, die menschlichen Grenzen seines Handlungsvermögens zu erkennen, nicht durch sinnwidrige lebensverlängernde Maßnahmen in einen schicksalhaft vorgegebenen Weg einzugrei- fen, sondern durch Schmerzbekämpfung und an- dere Maßnahmen alles zu tun, um dem Patienten die letzte Lebensspanne zu erleichtern. Wie bei jedem schwerkranken Patienten soll der betreu- ende Arzt auch beim Tumorpatienten immer be- strebt sein, das Leben des Kranken — natürlich un- ter Beachtung der Lebensqualität — so lange wie möglich zu erhalten, aber das Sterben des Kran- ken auf keinen Fall zu verlängern.

Wie für viele schwere Erkrankungen, so gilt auch für die Behandlung maligner Tumoren, daß die Therapie keineswegs in allen Fällen die Kunst ist, „die Krankheit zu heilen, sondern die Kunst, sie angemessen zu behandeln". Angemessen heißt: Versuchen, ein Leiden zu heilen, wo Chan- ce auf Heilung besteht, ein Leiden zu lindern, wo keine Heilungsmöglichkeit gegeben ist, aber auch keine sinnlose Behandlung durchzuführen.

Professor Dr. med. Wolfgang Wilmanns Direktor der Medizinischen Klinik III im Klinikum Großhadern der Universität München und des Instituts für Klinische Hämatologie der Gesellschaft für

Strahlen- und Umweltforschung München Marchioninistraße 15 • 8000 München 70 Dt. Ärztebl. 84, Heft 34/35, 22. August 1987 (63) A-2263

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