Mathematik f¨ur Informatiker III Gew¨ohnliche Differentialgleichungen (ODE)
Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung
Satz D.19 (L¨osungsstruktur linearer ODE n-ter Ordnung)
Die Menge H der L¨osungen y:I−→Rder homogenen linearen Differentialgleichung y(n)+a1(x)y(n−1)+· · ·+an−1(x)y0+an(x)y = 0 mit ai:I−→Rbildet einen reellen Vektorraum der Dimension n.Eine Basis des L¨osungsraumes H nennt manFundamentalsystem.
Jede L¨osung y der inhomogenen Gleichung
y(n)+a1(x)y(n−1)+· · ·+an−1(x)y0+an(x)y =f(x)mit f:I−→R hat die Form
y=ys+yh
wobei xh∈H eine L¨osung der homogenen und yseine spezielle L¨osung der inhomogenen Differentialgleichung ist.
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Mathematik f¨ur Informatiker III Gew¨ohnliche Differentialgleichungen (ODE)
Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
F¨ur inhomogene lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung (siehe Definition D.17) existiert kein allgemeines L¨osungsverfahren.
F¨ur den Fallkonstanter Koeffizientenfunktionen ai(x)∈Rkann jedoch ein Fundamentalsystem angegeben werden:
L¨osung des homogenen Systems
y(n)+a1y(n−1)+· · ·+an−1y0+any = 0 L¨osungsansatz: Exponentialfunktion y(x) =eλx und damit
y(x) =eλx, y0(x) =λeλx, y00(x) =λ2eλx, . . . , y(n)(x) =λneλx Einsetzen in die Differentialgleichung liefert
λneλx+a1λn−1eλx+· · ·+an−1λeλx+aneλx = (λn+a1λn−1+· · ·+an−1λ+an)eλx = 0
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Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
Definition D.20 (Charakteristisches Polynom)
Das Polynomp(λ) :=λn+a1λn−1+· · ·+an−1λ+an
heisst charakteristisches Polynom der homogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten
y(n)+a1y(n−1)+· · ·+an−1y0+any = 0.
Fortsetzung: L¨osung des homogenen Systems
Aus den Nullstellenλi,i= 1. . .nmitp(λi) = 0 des charakteristischen Polynoms kann ein Fundamentalsystem f¨ur die homogene
Differentialgleichung n-ter Ordnung konstruiert werden.
Dazu ist eine Fallunterscheidung nach derVielfachheit der Nullstellenλi
n¨otig:
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Mathematik f¨ur Informatiker III Gew¨ohnliche Differentialgleichungen (ODE)
Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
λ∈R
ist einfache Nullstelle
Dann ist eλx eine L¨osung der Differentialgleichung.
λ
=
α+
iβ∈Cist einfache komplexe Nullstelle
eαxcosβx und eαxsinβx sind L¨osungen der Differentialgleichung.
λ∈R
ist
k-fache reelle Nullstelle
xieλx, i= 0, . . . ,k−1 sindklinear unabh¨angige L¨osungen.λ
=
α+
iβ∈Cist
k-fache komplexe Nullstelle
xieαxcosβx, xieαxsinβx, i= 0, . . . ,k−1 sind die 2klinear unabh¨angige L¨osungsfunktionen.Beispiel D.21
SieheHartmann, Mathematik f¨ur Informatiker, S.352 ff.
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Mathematik f¨ur Informatiker III Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs
Systeme von ODEs und ihre numerische L¨osung
D - 6 Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs Systeme von ODEs und ihre numerische L¨osung
In vielen Anwendungen wird der Zustand eines Systems zum Zeitpunktt durch einen Vektor
x(t) = [x1(t),x2(t), . . . ,xn(t)]> mit n>0 beschrieben. Die ¨Anderungsgeschwindigkeit ˙x≡dx(t)/dtdes Zustandes nach der Zeit ergibt sich h¨aufig als FunktionF(x(t)) mitF:Rn→Rn eben dieses Zustandes. Also erhalten wir das System gew¨ohnlicher Differentialgleichungen
˙
x(t) =F(x(t)) kurz x˙ =F(x)
Das System heisst autonom, da die Zeittauf der rechten Seite nicht explizit, sondern nur mittelbar ¨uberx=x(t) vorkommt. Dieses ist keine Einschr¨ankung da ein nichtautonomes System ˙x(t) =F(t,x(t)) sich autonom umschreiben l¨asst indem mantals nullte Zustandskomponente x0(t) hinzuf¨ugt und somit f¨ur ¯x≡(x0,x1, . . . ,xn)Terh¨alt
d dt¯x ≡
x˙0
˙ x
= ˙t
˙ x
= 1
F(¯x)
≡F(x)
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Mathematik f¨ur Informatiker III Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs
Systeme von ODEs und ihre numerische L¨osung
Auch ODEs h¨ohere Ordnungen lassen sich in Systeme von ODEs erster Ordnung umschreiben, indem man z.B. die erste Ableitungy0als neue abh¨angige Variablev≡y0definiert und danny00durchv0ersetzt. So wird zum Beispiel aus einer nichtautonomen Differentialgleichung zweiter Ordnung
y00 =f(t,y,y0)
das autonome System erster Ordnung in den drei Variableny0≡t, y1≡yundy2≡y0
y00
y10 y20
=
1 y2
f(y0,y1,y2)
Entsprechend lassen sich Anfangsbedingungen umschreiben.
Die Umformulierung als System 1.Ordnung er¨offnet die M¨oglichkeit numerische Standardmethoden und Software f¨ur die L¨osung autonomer Systeme erster Ordnung mit Anfangsbedingungen zur Anwendung zu bringen.
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Mathematik f¨ur Informatiker III Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs
Systeme von ODEs und ihre numerische L¨osung
Satz D.22 (Existenz und Eindeutigkeit der L¨osung)
Sei F:D ⊂Rn−→Rnin einem offenem GebietDlokal Lipschitz-stetig.
Dann existiert f¨ur jeden Punkt yo∈ Dein Intervall(a,b)30und eine eindeutige L¨osung y(t)∈ Dder ODEy˙=F(y)f¨ur a<t<b mit y(0) =y0.
Bemerkung:
(i)F¨ur die Existenz einer L¨osung ist die Stetigkeit vonFhinreichend.
Vorraussetzung von Lipschitz - Stetigkeit ist f¨ur die Eindeutigkeit der L¨osung und die Konvergenz numerischer Verfahren erforderlich.
(ii)Das Intervall (a,b) kann so gross gew¨ahlt werden, dassy(b) den Rand vonDerreicht.
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Mathematik f¨ur Informatiker III Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs
Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Die meisten ODEs haben keine geschlossen darstellbare L¨osung.
Die L¨osung kann aber durch numerische Methoden mit (mehr oder weniger) beliebiger Genauigkeit approximiert werden.
Numerische Approximationen sind auch alles, was zur Berechnung der mathematischen Standardfunktionenex, sinxetc. zur Verf¨ugung steht, da diese Funktionen als L¨osung von ODEs definiert sind.
Die einfachste numerische Methode zur L¨osung von ODEs ist das Explizite (Vorw¨arts) Eulersche Polygonzugverfahren.
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Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Explizite (Vorw¨arts) Euler-Methode
Seiy(t)die exakte L¨osung vony(t) =˙ f(t,y(t))mity(0) =y0.
h 2h 3h tk=k·h T t
y
y(k·h)
y(T) exakter Wert
yk
yn=yt/h
imk-ten Schritt berechneter Wert
˙
y(k·h) =f(tk,yk)
≡Anstieg derTangen- tey(t) der L¨osung˙ y(t) intk y(0) =y0
Gesucht wird alsoyk≈y(tk)f¨urk= 0, . . . ,Th mittk=k·h:
yk+1≡yk+h f(tk,yk) ≈y(tk+1)
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Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Beispiel D.23 (Autonome lineare ODE)
˙
y=λy mit λ∈R und y0= 1 Anwendung von Eulers Methode:
y1 = y0+hλy0 = (1 +hλ)y0
y2 = y1+hλy1 = (1 +hλ)y1 = (1 +hλ)2y0
...
yk = (1 +λh)ky0 = (1 +λh)k ...
yn = (1 +λh)ny0 = (1 +λh)Th
Vergleich mit exakter L¨osung:
y(t) = exp(λt) ergibt am EndpunktT y(T) =eλT≡lim
h→0(1 +λh)Th= lim
n→∞
1 +λT
n n
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Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Erl¨auterung
Die angen¨aherte L¨osungyT/hkonvergiert gegen die exakte L¨osungy(T) der ODE wenn die Schrittweiteh=T/ngegen Null geht. Das bedeutet aber dass die Anzahl der Eulerschritte und damit der
Berechnungsaufwand gegen∞gehen.
Frage:
Kann der ApproximationsfehlerkyT/h−y(T)kals Funktion der Schrittweiteh=T/ndargestellt und somit zur Bestimmung einer vern¨unftigen Schrittzahlngenutzt werden?
Antwort:
JA!Im vorliegenden speziellen Fall gilt
hlim→0
yT/h
y(T)−1 1
h=−12Tλ2 und somit erf¨ullt der Fehler
yT/h−y(T) =h(−12Tλ2) +O(h2)
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Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Beweis.
hlim→0
e−λT(1 +λh)T/h−1 h
= lim
h→0e−λT ddheT/hln(1+λh)
= lim
h→0e−λT(1 +λh)Tλ/λh
−T
h2ln(1 +λh) + Tλ h(1 +λh)
= lim
h→0
1 2hT
− − λ (1 +λh)+ λ
(1 +λh)+ λ2h (1 +λh)2
= −12Tλ2
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Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Folgerung D.24 (Approximationsfehler der Euler-Methode)
F¨ur alle Lipschitz-stetigen Probleme (d.h. die rechte Seite F(t,y,y)˙ der ODE ist Lipschitz-stetig) liefert das Euler-Verfahren eine numerische L¨osung mityT/h−y(T) = c(T)h+O(h2).
Deshalb nennt man diese Methode auch
Verfahren erster Ordnung:
Die Verdopplung der Approximationsgenauigkeit durch Halbierung der Schrittweitehverdoppelt den Berechnungsaufwand.
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Mathematik f¨ur Informatiker III Euler Verfahren f¨ur Systeme von ODEs
Eulers Methode und andere explizite ODE-L¨oser
Frage:
Gibt es Verfahren der Fehlerordnungpso dass kyn−y(T)k=c(T)hp+O(hp+1)
gilt und damit die Halbierung der Schrittweitehzu einer Reduktion des Fehlers um den Faktor (12)pf¨uhrt ?
Anwort:
JA!p=2 Mittelpunkt - RegeloderHeun’sches Verfahren p=4 Runge-Kutta4. Ordnung
p=5 Runge-Kutta-Fehlberg
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