Mathematik f¨ ur Chemiker 2: online-Vorlesung
1.7) nD-Integration: Weg(un)abh¨ angigkeit von Kurvenintegralen
Bernd Hartke
Theoretische Chemie
Institut f¨ur Physikalische Chemie Christian-Albrechts-Universit¨at
Max-Eyth-Str. 2 24118 Kiel
hartke@pctc.uni-kiel.de
https://ravel.pctc.uni-kiel.de/
k
dS
x
y
z θ
dy
dx Gxy
G
Potentialfunktion und Gradient
Gegeben: “Potential”funktion U(x, y, z) = U(~r). U ist ein Skalarfeld = jedem Punkt im 3D- Raum wird eine Zahl zugeordnet. Bereits aus MfC1 bekannt: der Gradient von U
F~ = gradU = −→
∇U =
∂U/∂x
∂U/∂y
∂U/∂z
(1)
Der Gradient ist ein Vektorfeld = jedem Punkt im 3D-Raum wird ein Vektor zugeordnet (er zeigt in Richtung des st¨arksten Anstiegs von U in diesem Punkt).
Beachte: Die Komponenten von F~ sind weder frei w¨ahlbar noch voneinander unabh¨angig noch auf beliebige Weise voneinander abh¨angig.
Dann h¨angt der Wert des Kurvenintegrals WZ =
Z
C
F~ · d~r (2)
nicht vom Integrationsweg ab, sondern nur von den Koordinaten des Integrationsanfangs- und -endpunkts. In der chemischen Thermodynamik nennt man WZ dann eine Zustandsgr¨oße (ab- h¨angig vom “Zustand” = Endpunkt, nicht vom Weg dahin). Das Vektorfeld F~ heißt dann “kon- servativ”. (Bsp.: Arbeit im Gravitationsfeld oder im elektrischen Feld)
Nachweis der Wegunabh¨angigkeit
Z
C
F~ · d~r =
~rb
Z
~ ra
(Fx dx + Fy dy + Fz dz) = (3) Darstellung aller drei Teilintegralterme im Parameter t:
=
~rb
Z
~ra
Fx ∂x
∂tdt + Fy ∂y
∂tdt +Fz ∂z
∂tdt
=
~rb
Z
~ra
Fx ∂x
∂t + Fy ∂y
∂t + Fz ∂z
∂t
dt (4) F~ ist der Gradient von U:
=
tb
Z
ta
∂U
∂x
∂x
∂t + ∂U
∂y
∂y
∂t + ∂U
∂z
∂z
∂t
dt (5)
Verallgemeinerte Kettenregel in der Klammer, dt k¨urzen, 1. bzw. 2. Hauptsatz:
=
tb
Z
ta
dU
dt dt =
Ub
Z
Ua
dU = U(~rb) − U(~ra) (6)
Test auf Wegunabh¨angigkeit
Kurvenintegrale einer 2D-Funktion F~(x, y) sind dann wegunabh¨angig, wenn gilt:
∂Fx
∂y = ∂Fy
∂x (7)
Das ergibt sich aus F~ = grad U = −→
∇U und dem Satz von Schwarz:
Fx = ∂U
∂x , Fy = ∂U
∂y , ∂2U
∂y∂x = ∂2U
∂x∂y (8)
Analog sind Kurvenintegrale einer 3D-Funktion F~(x, y, z) wegunabh¨angig, wenn gilt:
∂Fx
∂y = ∂Fy
∂x , ∂Fy
∂z = ∂Fz
∂y , ∂Fx
∂z = ∂Fz
∂x (9)
Das entspricht rotF~ = −→
∇ × F~ = ~0.
Eine andere M¨oglichkeit ist die explizite Konstruktion der Potentialfunktion U aus F~ durch geeignete Integrationen (siehe nachfolgendes Beispiel).
N¨ahere Erl¨auterungen der theoretischen Hintergr¨unde im Skript.
Beispiel 1 zur Wegunabh¨angigkeit
Vektorfeld F~ =
2xy2 2x2y
(10)
0 0.5
1 1.5 2 2.5 3 3.5 4
0 0.5 1 1.5 2 2.5
A(0|0)
B(2|4)
C2
C1
Integration R
C
F~ · d~r entlang der Wege C1 und C2,
sowie mit Hilfe der Potentialfunktion U, nach deren Konstruktion.
(Dieses Beispiel findet sich auch im Skript.)
Beispiel 1, Weg 1:
C1 ist ein Parabelst¨uck : y = x2 ⇒ dy = 2x dx (11) Fx(x, y) = 2xy2 = 2x5 , Fy(x, y) = 2x2y = 2x4 (12)
Grenzen : x = 0 , x = 2 (13)
Z
C1
F~ · d~r = Z
C1
(Fx dx + Fy dy) =
2
Z
0
(2x5+2x42x)dx =
2
Z
0
6x5dx = [x6]20 = 64 (14)
Beispiel 1, Weg 2:
C2 : zwei Geradenst¨ucke, von (0|0) nach (2|0), und von (2|0) nach (2|4) (15) Z
C2
F~ · d~r = Z
C2,1
(2xy2dx + 2x2y dy) + Z
C2,2
(2xy2dx + 2x2y dy) (16) Entlang C2,1 ist y = 0 und dy = 0, entlang C2,2 ist x = 2 und dx = 0, also ergibt sich:
Z
C2
F~ · d~r =
4
Z
0
2 · 22 · y dy = 4
4
Z
0
2y dy = 4[y2]40 = 64 (17)
Beispiel 1 zur Wegunabh¨angigkeit
Gleiche Resultate auf unterschiedlichen Wegen zwischen selbem Anfangs- und Endpunkt k¨onnten Zufall sein. Test auf Wegunabh¨angigkeit:
Fx(x, y) = 2xy2 , Fy(x, y) = 2x2y ⇒ ∂Fx
∂y = 4xy = ∂Fy
∂x (18)
⇒ F~ ist konservativ, Folgerungen:
• Gleichheit der Resultate war erwartbar;
auch jeder andere Integrationsweg zwischen (0|0) und (2|4) w¨urde dasselbe Resultat liefern.
• alternativer L¨osungsweg m¨oglich:
– Bestimmung der skalaren Potentialfunktion U zum Vektorfeld F~ – Integralberechnung mit Hilfe von U
Beispiel 1: Potentialfunktionsbestimmung
Bestimmung von U entspricht L¨osung einer exakten Differentialgleichung (siehe letztes MfC2- Kapitel). Grundidee: Integration dieser beiden Beziehungen:
∂U
∂x = Fx = 2xy2 (19)
∂U
∂y = Fy = 2x2y (20)
Integration von Gl. 19 auf beiden Seiten in x liefert:
Z ∂U
∂x dx = U = Z
2xy2dx = x2y2 + g(y) (21) Weil U von x und y abh¨angt, wir aber nur in x integrieren, k¨onnte die Integrationskonstante (wie notiert) noch eine Funktion von y sein:
U(x, y) = x2y2 + g(y) (22)
Beispiel 1: Potentialfunktionsbestimmung
Ermittlung von g(y) durch Einsetzen von U aus Gl. 22 in Gl. 20 (∂U/∂y = Fy = 2x2y):
∂
∂y x2y2 + g(y)
= 2x2y (23)
2x2y + dg
dy = 2x2y
− 2x2y (24) dg
dy = 0 (25)
Z dg
dy dy = g(y) = Z
0 dy = const. (26)
Also ergibt sich die Potentialfunktion zu:
U(x, y) = x2y2 + const. (27)
(Die Integrationskonstante bleibt unbestimmt, was unsch¨adlich ist.)
Beispiel 1: Kurvenintegral aus Potentialfunktion
Den Wert aller Kurvenintegrale von (0|0) nach (2|4) entlang beliebiger Integrationswege k¨onnen wir jetzt aus U berechnen:
Z
C
F~ · d~r = U(~rB) − U(~rA) = U(2, 4) − U(0, 0) = 2242 − 0 = 64 (28)
⇒ m¨ogliche Kurvenintegral-L¨osungswege bei einem konservativen Vektorfeld:
• Integration entlang des vorgegebenen Wegs,
• oder Integration entlang achsenparalleler Wegst¨ucke,
• oder Berechnung des Kurvenintegrals ¨uber die Potentialfunktion.
Alle drei L¨osungsstrategien m¨ussen bei konservativem F~ dasselbe Resultat liefern.
Welche Strategie die einfachste ist, h¨angt vom jeweiligen Beispiel ab.