Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Und wieder ist ein Jahr vorüber. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube bei den letzten Haushaltsreden hat noch niemand das Wort „Corona" verwendet.
Wenn wir jetzt ein Jahr zurückdenken, wird uns, glaube ich, schnell bewusst, wie sehr sich alles um uns herum geändert hat. Dinge, die wir niemals für möglich gehalten haben, sind Realität und schon fast zur Gewohnheit geworden. In allen Bereichen des privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Lebens wirkt Corona wie ein Katalysator. Ob es uns recht ist oder nicht.
Der vorliegende Haushaltsplan versucht, die zu erwartenden Änderungen bei Erträgen und Aufwendungen abzubilden. Keine Planung stimmt im Nachhinein. Sie ist aber immer ein sehr wichtiger Orientierungspunkt.
Haushaltsreden sind immer auch eine Abrechnung mit dem vergangenen Jahr und geben den Erwartungen für die Zukunft Ausdruck.
Einnahmen
Coronabedingt erfolgt die Planung unter sehr viel unsichereren Bedingungen als gewöhnlich.
Auf der Einnahmenseite kann man einfach resümieren, dass Neckarsulm hier vielleicht mit einem blauen Auge davonkommt.
So hat die Heilbronner Stimme am 12. Januar für das letzte Quartal 2020
eindrucksvoll das beste Quartalsergebnis der Firmengeschichte für Audi verkündet.
So manch ein Audi-Mitarbeiter in Kurzarbeit wird da das ein oder andere
Fragezeichen vor dem inneren Auge gehabt haben... Seit Corona macht Audi wieder Gewinne. Im Sinne unseres Haushalts beschweren wir uns nicht.
Da seit Monaten nur Supermärkte ihr immer größer werdendes Komplettsortiment anbieten dürfen, haben wir mit unseren weiteren Großkonzernen in Neckarsulm auch nicht gerade die Krisenverlierer am Ort.
Schade ist es jedoch um unseren ganz normalen Mittelstand und den Einzelhandel.
Weichenstellungen für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt
Was können wir in diesen bewegenden Zeiten tun? Wir können hier in unserem kleinen, beschaulichen und für unsere Region doch so bedeutenden Neckarsulm die richtigen Weichenstellungen vornehmen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.
Um unsere fürchterlich starre Ausgabenstruktur in den Griff zu bekommen, muss die Stadtverwaltung organisatorisch Jahrzehnte aufholen. Das neu besetzte Hauptamt ist hier aber auf einem guten Weg. Die Investitionen und neuen laufenden
Aufwendungen folgen einer Strategie, bestehend aus einer extrem überfälligen Digitalisierung der Verwaltung und einer langfristigen Änderung der
Organisationsstruktur. Trotzdem wird hier im Gemeinderat über neue Stellen, die aber entscheidend für diesen Wandel sind, diskutiert, anstatt der Strategie zu folgen.
Das finde ich enttäuschend.
Corona macht eine fortlaufende Überprüfung und ggf. eine Neubewertung der in anderen Zeiten geplanten Investitionsvorhaben erforderlich. Die Verwendung unserer Rücklagen muss sich hier ganz klar durch die Zukunftsfähigkeit der Investition
widerspiegeln. Unabdingbar ist eine ganzheitliche Strategieentwicklung für unsere Stadt.
Bei einer Klausur zu den Kindertagesstätten Ende 2019 wurden z.B. wirklich gute Ergebnisse in der Diskussion erreicht. Sogar für die Gebührenstruktur wurde meines Erachtens eine tolle neue mögliche Struktur entwickelt. Soweit ich mich erinnere mit einem breiten Konsens über alle Parteien hinweg. Nun ist schon wieder mehr als ein Jahr ins Land gezogen, neue Gebührenerhöhungen sind beschlossen und keine Umsetzung in Sicht. Das ist sehr enttäuschend.
Bei der Finanzklausur im Jahr 2020 gab es acht Stunden Sachvortrag, keine Diskussion und erst recht keine politische Strategieentwicklung. Über das für die Zukunft ganz einfach nicht entscheidende Aquatoll haben wir dagegen wertvolle Diskussionsstunden und Finanzmittel für eine weitere Architektenplanung
verschwendet.
B27-Anschluss
In Sachen Verkehre der Zukunft sind viele Fakten bereits geschaffen. Lidl-Standorte in Bad Friedrichshall und Bad Wimpfen werden in naher Zukunft von vielen
Mitarbeitern bezogen.
Alleine der konzerninterne Verkehr wird in Nicht-Hauptverkehrszeiten für viel Zusatzverkehr sorgen. Aber schon heute sieht man an der Bushaltestelle
Gymnasiumstraße keine Schüler stehen... Warum? Weil es schon bei der heutigen Verkehrslage unzumutbar ist, die Straße zu überqueren! Genau an diese Straße beginnen wir übrigens bald mit dem Bau einer Verbundschule... Zukünftig werden zwar mehr und mehr Elektroautos durch Neckarsulm fahren. Die tollen
Beschleunigungswerte werden aber trotzdem zu hohem Reifenabrieb, z.B. an der Saarstraße, führen.
Für einen staufrei(er)en und damit sauberen Abfluss der Verkehre sind der vierspurige Ausbau der B27 und der Bau eines Anschlusses an der Binswanger Straße meines Erachtens extrem wichtig.
Verkehre sind heute schon eine reine Qual für uns Neckarsulmer. Wir stellen in diesen Zeiten die sprichwörtlichen Weichen für die nachfolgenden Generationen.
Deshalb ist der geplante B27-Anschluss für mich eine der wichtigsten
Zukunftsinvestitionen unserer Stadt. Über einen Wegfall des Halbanschlusses Neuenstädter/Spitalstraße möchte ich gar nicht nachdenken.
Die oft genannten betroffenen Betriebe Schimmele und Strahlentherapie versuchen hohe Entschädigungen zu erstreiten. Das ist ihr gutes Recht, deren Belange sollte aber nicht Teil der politischen Diskussion sein. Es ist aber die Pflicht der Verwaltung und des Gemeinderates, die Steuergelder von Stadt, Land und Bund zu schützen.
Gutachten der Gärtnerei wurden extrem verzögert. Der geplante B27-Anschluss war der Strahlentherapie beim Kauf des Grundstückes bekannt. Ich bin der Meinung, wir sollten mit aller Macht gegen gefühlt überzogene Forderungen vorgehen.
Warum sollen wir diesen B27-Anschluss nicht neu denken? Warum reduzieren wir nicht einfach drastisch die Komplexität?
▪ Einfahrt in die Robert-Mayer-Straße schließen, dafür Rechtsabbieger-"Fast- lane" am Kreisverkehr?
▪ Keine Zufahrt zur Binswanger Straße, Erschließung der Innenstadt über den Wilfenseeweg?
▪ Anbindung der B27 nur von und in Richtung Bad Friedrichshall?
▪ Einbahnstraßenregelungen für Binswanger und Hohenloher Straße?
▪ Verkehrssteuerung, d.h. Sperrung des Anschlusses bei Rückstaugefahr auf die B27?
Solche und andere Vorschläge wurden bei mehreren Sitzungen, im Gemeinderat oder beim B27-Fachdialog, angesprochen. Alle Beteiligten, darunter auch Vertreter der Bürgerinitiative, haben sich Gedanken über sinnvolle Alternativen gemacht.
Als lösungsorientierter Vertreter der Bürger im Gemeinderat und eben nicht als Verkehrs-Fach-Ingenieur verzweifelt man nach einigen Jahren an der Sturheit der Verwaltung und/oder der Behörden. Viele Stunden des Engagements, Ergebnis:
keine Veränderungen in Planung und Kommunikation gegenüber Regierungspräsidium und Bundesverkehrsministerium.
Luftreinhaltung
In der Novembersitzung des letzten Jahres wurden uns die Luftmessergebnisse der verschiedenen Messpunkte in unserer Stadt vorgestellt. Die dargestellten Werte für den Neuberg und in Amorbachsind extrem schlecht.
Gegenmaßnahmen müssen die Beseitigung der morgendlichen Staus auf den Durchfahrtsrouten sein, denn auch nach Corona werden diese nicht verschwunden sein. Zeitplan? Gestern!
ÖPNV muss überörtlich zuverlässig und sinnvoller organisiert sein. Fahradwege müssen zur Entlasstung im Sommer endlich durchgängig sein. Zwischenfrage, warum müssen die Radwege eigentlich ausgerechnet neben den meistbefahrenen
Straßen verlaufen?
Krisenverlierer
Lassen sich mich kurz vor dem Schuss noch eine fast rein haushaltsbezogene Anmerkung machen.
Die alsoluten Verlierer dieser Pandemie sind die Kinder und Jugendlichen. Kinder haben keine Lobby, ich hoffe in Neckarsulm schon.
Diese Pandemie wird irgendwann vorbei sein. Dann brauchen wir das beste Kinderferienprogramm aller Zeiten! Alles, was die Gemeinschaft und das soziale Miteinander der Kinder und Jugendlichen fördert, muss von uns massiv und im Zweifel eben auch außerplanmäßig unterstützt werden.
Kernzeitbetreuung, Mannschaftssport und einfache Gelegenheiten einander kennenzulernen müssen ab Tag X vorbereitet und finanziert sein!
Die Verwaltung und eine Gemeinderatskollegen kennen meine Einstellung zur außerplanmäßigen Deckung von Ausgaben. Hier schmeiße ich diese Einstellung über Bord. Das sind Investitionen für die nächsten Jahrzehnte...
Sinnvoll eingesetzte Mittel für die Digitalisierung unserer Schulen sind übrigens eine der besten Verwendungsmöglichkeiten für Steuergelder!
Zustimmung Haushaltsplan
Diesem Haushaltsplan mit all seinen Projekten kann man bzw. muss man in solchen Zeiten zustimmen.
Grundsätzlich muss man aber unter völlig anderen Voraussetzungen getroffene Entscheidungen und eingeschlagene Wege fortlaufend kritisch hinterfragen und prüfen, welche Veränderungen sich aus dem erwähnten "Corona-Katalysator"
ergeben werden. Es geht einzig und allein darum, was gut für die Zukunft unserer Stadt und ihre Bewohner, ob alt oder jung, ist.
Die öffentliche oder, falls erforderlich, evtl. auch nicht-öffentliche Diskussion hier im
Gemeinderat ist und bleibt der Mittelpunkt und Rückgrat unserer parlamentarischen Demokratie. Deshalb lohnt es sich auch, sich einer Liste oder Partei anzuschließen, für den Gemeinderat zu kandidieren, gewählt zu werden und sich in den Sitzungen zu engagieren.
Dazu gehört aber auch, dass der Gemeinderat nicht nach fünf oder sechs Stunden Sitzungsdauer unter TOP „Sonstiges" nicht-öffentlich mit allerneuesten komplexen Sachverhalten konfrontiert bzw. darüber „unterrichtet" wird.
Und vor allem, Herr Ober-Bürgermeister, die Diskussion Erstens: Möglich zu machen und nicht das Gremium durch stundenlange Sachvorträge weich zu kochen.
Zweitens: Die Diskussion auch zuzulassen und nicht gerade dann, wenn es für Neckarsulm wichtig wird, aufs sprichwörtliche Gas zu drücken und Diskussionen abzuwürgen.
Gleichzeitig werden in einer Art Brieffreundschaft unter Juristen riesige Mailverkehre ausgetauscht. Dieses Maß an Aufmerksamkeit für „laut schreiende" Einzelpersonen wird den Belangen der Gesamtbevölkerung ganz einfach nicht gerecht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Neckarsulm, den 23. Februar 2021
Gerald Friebe für die Freien Demokraten, FDP