auf physiologische Mechanismen ein Ansatz, der wie vermutlich kein ande- rer mit einer Medizin harmoniert, welche sich als Individualtherapie versteht.
Eine solche Verbindung von phy- siologischem Reduktionismus und Konzentration auf die Therapie des individuellen Patienten stellt im übri- gen keineswegs ein Phänomen der Moderne dar. Vielmehr bestimmte es das Verhalten der maßgeblichen Ärz- tepersönlichkeiten der vormodernen Medizin von Galen bis Hufeland. Erst wenn der Mensch in seinen sozialen Bezügen gesehen wird, ergibt sich die Notwendigkeit einer „Sozialhygie- ne“, welche zum Segen, wie im Falle der Soziotherapie chronisch psy- chisch Kranker, aber auch, wie etwa in
der alten und neuen Eugenik, zum Fluch werden kann.
Ein Arzt mag die Auffassung ver- treten, daß „der Mensch mehr ist als seine Biologie“ (Toellner). Diese Aus- sage ist aber leer, solange sie ohne eine – soziale, religiöse oder anthropologi- sche – Bestimmung dieses „mehr“
bleibt. Der bloße Anspruch einer Transzendenz physiologischer Mecha- nismen macht ihn jedenfalls weder zu einem besseren Arzt noch zu einem besseren Menschen. Und wenn Leh- ren aus den Verbrechen deutscher Ärzte im Dritten Reich zu ziehen sind, so sollte folgende darunter sein: alles, was unter dem Vorzeichen einer Überwindung der biologischen Medi- zin daherkommt, nicht weniger streng zu prüfen als die Ergebnisse der Na-
turwissenschaft selbst und bei jedem Anzeichen einer Ideologisierung von Medizin und medizinischer Forschung den Anfängen zu wehren. Dieses, und nicht die einseitige Inkriminierung der naturwissenschaftlichen Medizin, dürfte am ehesten hoffen lassen, daß wir Ärzte in Zukunft davor bewahrt werden, Teil dessen zu werden, was der Psychiater und Gutachter im Nürnberger Prozeß, Werner Leib- brand, als „demoniac order“ der Men- schenverachtung bezeichnet hat.
Dr. phil. David Linden Max-Planck-Institut für Hirnforschung
Neurophysiologische Abteilung Deutschordenstraße 46
60528 Frankfurt
A-1106
P O L I T I K KOMMENTARE
(22) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 17, 25. April 1997
D
as 2. GKV-Neuord- nungsgesetz verpflich- tet in § 305 Abs. 2 SGB V die Leistungs- erbringer, die Patienten über die für sie erbrachten Leistun- gen und deren Preise zu informieren, also Leistungs- und Kostentranspa- renz zu schaffen. Befürworter dieser Regelung sagen, daß in keinem ande- ren Bereich dem Nachfrager keine In- formationen über die für ihn erbrach- ten Leistungen und Kosten gegeben würden. Ihre Gegner weisen darauf hin, daß damit eine Kostenlawine durch Verwaltungsaufwand, Porto und höhere Inanspruchnahme auf die Krankenkassen zukommen würde.Genannt werden Beträge bis zu 1,5 Milliarden DM, eine Summe, die in dieser Größenordnung von den Be- fürwortern bestritten wird.
Ist das alles?
Zunächst ist festzustellen, daß es sich im Gegensatz zu allen anderen Bereichen nicht um eine Rechnung für erbrachte Leistungen und deren Kosten handelt, sondern lediglich um eine Information. Der Empfänger hat keine Verpflichtung, eine Rechnung zu begleichen. Die Rechnung wird von einem Dritten beglichen, denn es gilt in der Regel das Sachleistungs- prinzip. Bleibt die Möglichkeit, Art und Umfang der erbrachten Leistun- gen zu prüfen und gegebenenfalls zu beanstanden, daneben auch die Infor- mation darüber, was diese Leistungen
im einzelnen gekostet haben. Es stellt sich die Frage, was mit dieser Rege- lung erreicht werden soll, ob ihr auch eine Überprüfungs- und Steuerungs- funktion beigemessen wird und mit welchem Ergebnis.
Es ist unwahrscheinlich, daß eine nachträgliche Leistungs- und Kosten- transparenz eine Steuerungsfunktion
hat. Die Vorstellung, daß die Kenntnis der Kosten eine ins Gewicht fallende Zahl von Versicherten dazu veranlassen könnte, weniger Leistungen nachzufragen, um damit den Beitragssatz der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) positiv zu be- einflussen, ist bei einer Solidargemein- schaft dieser Größenordnung eine Il- lusion. Es kann sogar das Gegenteil er- wartet werden: So viel zahle ich ein, und so wenig bekomme ich heraus!
Ist jedoch eine Steuerung der Nachfrageseite das Ziel von Lei- stungs- und Kostentransparenz, dann kann dieses Ziel nur mit Kostenerstat- tung und Selbstbeteiligung erreicht werden. Sollte beabsichtigt sein, auf Dauer das Sachleistungsprinzip von einer Kostenerstattung mit durchgän- giger Selbstbeteiligung abzulösen, dann könnte die jetzt eingeführte Lei- stungs- und Kostentransparenz ein Schritt sein. Wenn nicht, dann wird ein Aufwand betrieben, der, gleich- gültig in welcher Höhe, nicht gerecht- fertigt ist. Soll trotzdem an dieser Re- gelung festgehalten werden, emp- fiehlt sich ein wissenschaftlich beglei- teter Modellversuch. Die GKV insge- samt als Testobjekt zu verwenden ist nicht vertretbar.
Professor Dr. med. Fritz Beske Institut für
Gesundheits-System-Forschung Weimarer Straße 8, 24106 Kiel
Transparenz um jeden Preis?
Der neugefaßte § 305 Abs. 2 SGB V
„(2) Die an der vertragsärztlichen Ver- sorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen unterrichten die Versicherten schriftlich über die zu Lasten der Krankenkassen abgerechneten Lei- stungen und die von den Krankenkassen zu zahlenden Entgelte innerhalb von vier Wo- chen nach Ablauf des Quartals, in dem die Leistungen in Anspruch genommen wor- den sind. Satz 1 gilt auch für Vertrags- zahnärzte. Das Nähere regeln die Vertrags- partner nach § 82 in den Bundesmantelver- trägen. Die Krankenhäuser unterrichten die Versicherten schriftlich innerhalb von vier Wochen nach Abschluß der Kranken- hausbehandlung über die von den Kran- kenkassen zu zahlenden Entgelte; das Näh- re regeln die Spitzenverbände der Kran- kenkassen gemeinsam und einheitlich und die Deutsche Krankenhausgesellschaft
durch Vertrag.“ N