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Archiv "20 Jahre Akupunktur-Analgesie in der Volksrepublik China: Eine Bilanz der klinischen Erfahrungen" (18.09.1980)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 38 vom 18. September 1980

20 Jahre Akupunktur-Analgesie in der Volksrepublik China

Eine Bilanz der klinischen Erfahrungen

Jan Baum*)

Aus der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin (Direktor: Professor Dr. med. Peter Lawin)

der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Die Arbeit berichtet über den heutigen Stand der Akupunktur-Analge- sie in der Volksrepublik China. Nach Einführung in den Ablauf des Verfahrens, seine Indikationen und Kriterien für die Auswahl geeigne- ter Patienten wird eine kritische Beurteilung vorgenommen. Die Vor- stellungen chinesischer und westlicher Wissenschaftler über den möglichen Mechanismus der Schmerzhemmung nähern sich einan- der an.

140 auf dem Nationalen Symposium für Akupunktur, Moxibustion und Akupunkturanästhesie, Beijing 1979, vorgetragene wissen- schaftliche Arbeiten und eigene Beobachtungen während eines drei- monatigen Studienaufenthaltes in der Volksrepublik China werden ausgewertet.

1. Einleitung

Die Rückbesinnung auf die traditio- nelle chinesische Medizin im moder- nen China beginnt 1928 mit der Auf- forderung Mao Zedongs, diese er- neut bei der medizinischen Versor- gung der Bevölkerung anzuwenden.

Gemäß den beiden Direktiven: „Die traditionelle chinesische Medizin und Pharmakologie sind von uner- schöpflichem Reichtum: alle An- strengungen müssen unternommen werden, diese zu erforschen und weiterzuentwickeln!" und „Chinesi- sche und westliche Medizin sollen

mit dem Ziel kombiniert werden, ei- ne neue chinesische Medizin zu

schaffen!" wurde 1958 erstmals die Akupunktur bei operativen Eingrif- fen als Betäubungsverfahren ange- wandt. Die Kritik chinesischer Kolle- gen, diese Methode sei unwissen- schaftlich, ohne praktischen Wert und ein Rückschritt in der Anästhe- sie, wurde während der 1965 begin- nenden Kulturrevolution als „Ver- such reaktionärer Unterdrückung revolutionärer Entwicklungen" fort- gefegt. Wissenschaftliche Diskus-

Ich danke dem Gesundheitsministerium der Volksrepublik China für das Stipen- dium zum dreimonatigen Studienaufent- halt an der Akademie für traditionelle chi- nesische Medizin in Nanjing und allen chi- nesischen Kollegen, die geduldig versuch- ten, meine vielen Fragen zu beantworten.

2223

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Auswahl der

Akupunkturpunkte zur Aku pu n ktu r-Analgesie

Abbildung 1 a:

Lokale Akupunkturnadeln in unmittelbarer Nähe der geplanten Inzision für einen Kaiserschnitt

Abbildung 1 b:

Lokalisation der Akupunkturnadeln nach den Kriterien segmental- nervaler Zuordnung für eine Thorakotomie

Abbildung 1 c:

Fernpunkte

(Ohrakupunkturpunkte),

ausgewählt nach den Vorschriften der klassischen Akupunktur für eine Meniskektomie

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Akupunktur-Analgesie

Maßnahmen zur Optimierung der Akupunktur-Analgesie

Abbildung 2 a:

Fortlaufende Überwachung und verständnisvolle Führung des Patienten während der Operation

Abbildung 2 b:

Verabreichung zusätzlicher Pharmaka während der Operation.

(Subkutane Infiltration des Operationsfeldes mit Lokalanästhetika)

Abbildung 2 c:

Assistierende Beatmung mit Sauerstoff bei Thorakotomien

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 18. September 1980 2225

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sionen wurden erst mit Beginn der politischen Umorientierung nach Beendigung der Kulturrevolution 1976 wieder möglich. In dem seit 1978 spürbaren Klima der Abkehr vom Dogmatismus und zunehmen- der intellektueller Freiheiten werden die Erfahrungen mit der Akupunk- tur-Analgesie erneut diskutiert, wo- bei die in der klinischen Praxis ge- sammelten Beobachtungen das Kri- terium für die Beurteilung und Prü- fung der Methode sind.

Die Beurteilung der Akupunktur-An- algesie im Westen ist trotz vorliegen- der umfassender und kritischer Be- richte (3, 6, 9, 11, 15, 19)*) uneinheit- lich: Das Spektrum reicht von ener- gischer, emotionsbeladener Ableh- nung des Verfahrens (16, 20) bis zur unkritischen Übernahme chinesi- scher „Zweckbehauptungen" (5).

Am Beispiel zweier Arbeiten von Benzer (1, 2) kann verdeutlicht wer- den, daß die Beurteilung der Metho- de eher kritischer und zurückhalten- der geworden ist. Ziel der vorliegen- den Arbeit soll es sein, die Wertung der Akupunktur-Analgesie nach um- fangreicher klinischer Erprobung — mehr als 2 Millionen Fälle in den vergangenen 20 Jahren (23) — in der Volksrepublik China aufzuzeigen. Im Juni 1979 fand in Peking das erste Nationale Symposium über Aku- punktur, Moxibustion und Akupunk- tur-Anästhesie statt. Nach der Aus- wertung von mehr als 140 dort prä- sentierten Arbeiten über Ergebnisse und Beobachtungen bei der klini- schen Anwendung dieses Betäu- bungsverfahrens sowie unter Be- rücksichtigung eigener Erfahrungen während eines dreimonatigen Stu- dienaufenthaltes im selben Jahr in der Volksrepublik China scheint die Behauptung gerechtfertigt, daß die Methode auch im Geburtsland der Akupunktur heute nur unter stren- ger Indikationsstellung bei kritischer Abwägung der Vor- und Nachteile eingesetzt wird. Die kritiklose Über- nahme politisch vorgegebener Dok- trinen ist von kritischem Problembe- wußtsein abgelöst worden. In den verschiedenen Detailfragen läßt sich eine Konvergenz der westlichen und der chinesischen Vorstellungen be- obachten.

2. Die klinische Anwendung der Akupunktur-Analgesie (12, 13, 14, 21)

2.1. Indikationen und

Kontraindikationen zum Einsatz des Verfahrens

Die Häufigkeit des Einsatzes und der Erfolg der Akupunktur-Analgesie nehmen in der Reihenfolge der fol- genden Aufstellung operativer Indi- kationen ab:

Schilddrüsenoperationen, HNO- und augenärztliche Eingriffe, intrakra- nielle neurochirurgische Operatio- nen, Eingriffe am Unterbauch (Tu- benligatur, Sectio caesarea, Hyster- ektomie, Herniotomie, Appendekto- mie, Prostatektomie), Oberbauch- eingriffe (subtotale Gastrektomie, Splenektomie), kardio- und thorax- chirurgische Operationen, orthopä- dische Eingriffe (Meniskektomien).

Als Kontraindikationen für den Ein- satz der Akupunktur-Analgesie gel- ten sehr komplexe und langdauern- de Eingriffe, Operationen bei unkla- rer präoperativer Diagnose, explora- tive Eingriffe, Zustände nach Vor- operationen mit dem Verdacht auf Adhäsionen sowie Operationen am offenen Auge.

2.2. Kriterien für die Auswahl der Patienten

zur Akupunktur-Analgesie

Betont wird, daß affektive und ko- gnitive Persönlichkeitsvariablen den Effekt der Akupunktur-Analgesie be- einflussen. Jedoch gibt es keine ein- heitlichen Selektionskriterien, nach denen die Patienten für dieses Betäubungsverfahren ausgewählt werden.

Für den Einsatz der Akupunktur-An- algesie eignen sich emotional aus- geglichene und ruhige Patienten mit klarer Bewußtseinslage, normaler Intelligenz und Kooperationsbereit- schaft, die der Methode vertrauen und von deren Effektivität überzeugt sein sollen. Eine hohe individuelle Schmerz- und Schmerztoleranz- schwelle begünstigen, ängstliche

Schmerzerwartungshaltung und An- zeichen eines gesteigerten Sympa- thikotonus mindern den analgeti- schen Effekt des Verfahrens. Keine klaren Aussagen liegen bezüglich des Allgemeinzustandes und des Al- ters der Patienten vor: Zum einen wird die Anwendbarkeit bei Risiko- patienten und Patienten aller Alters- stufen als Vorteil der Methode be- tont, zum anderen gilt ein guter All- gemeinzustand der Patienten bei ei- ner Altersbegrenzung um 18 Jahre als Auswahlkriterium für die Anwen- dung der Akupunktur-Analgesie.

Patienten, die bei einer einfachen Venenpunktion, bei kräftigem Druck auf die Schienbeinvorderkante oder bei der Testnadelung des Akupunk- tur-Punktes Hegu Schmerzreaktio- nen erkennen lassen, sind für das Verfahren nicht geeignet. Ein weite- rer einfacher Selektionstest ist der Adrenalintest, bei welchem die Haut- reaktion auf intrakutane Adrenalin- injektion eine Aussage über die Eig- nung des Patienten zuläßt.

Wird eine präoperative Probeaku- punktur vom Patienten gut toleriert, bleiben Blutdruck, Pulsfrequenz und Atmung unbeeinflußt, nimmt die periphere Hauttemperatur und Durchblutung zu und wird eine An- hebung der Schmerz- und Schmerz- toleranzschwelle beobachtet, kann die Akupunktur-Analgesie zu 75 Pro- zent mit Erfolg als Betäubungsver- fahren angewandt werden.

Nach Berücksichtigung der indivi- duellen Eignung kann die Akupunk- tur-Analgesie. bei 50 Prozent der in

Frage kommenden Patienten ange- wendet werden.

2.3. Präoperative Vorbereitung der Patienten bei Anwendung der Akupunktur-Analgesie

Ein besonders ausführliches Aufklä- rungsgespräch über die einzelnen Phasen der Operation wird nicht von allen chinesischen Kollegen für not- wendig erachtet. Der Patient sollte

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

(5)

Akupunktur-Analgesie

aber auf die Operationsphasen hin- gewiesen werden, die eventuell schmerzhaft oder sehr unangenehm erlebt werden könnten: der Haut- schnitt, Durchtrennung der Pleura oder des Peritoneums, Zug an den Eingeweiden oder Hirnhäuten, in- traartikuläre Manipulationen oder Manipulationen am Periost und der Wundverschluß.

Patienten, bei denen eine Thorako- tomie geplant ist, müssen ein mehr- tägiges Atemtraining durchführen.

Am Vorabend der Operation wird ein Hypnotikum oder Sedativum verord- net, am Operationstag soll eine sechsstündige Nahrungskarenz ein- gehalten werden.

45 Minuten vor Anästhesiebeginn wird beim normalgewichtigen Er- wachsenen eine intramuskuläre In- jektion von 100 mg Phenobarbital und 0,5 mg Atropin oder 0,3 mg Sco- polamin als Prämedikation gegeben.

2.4. Auswahl der Akupunkturpunkte und Stimulationsparameter

Die Akupunkturpunkte (Abbildun- gen 1 a bis 1 c) werden nach folgen- den Gesichtspunkten ausgewählt:

a) Die Akupunkturnadeln werden parallel zum Hautschnitt in unmittel- barer Nähe desselben subkutan, parallel zur Hautoberfläche einge- stochen. Die Stimulation dieser Na- deln soll eine lokale Schmerzhem- mung bewirken.

b) Die Akupunkturpunkte liegen auf Hautarealen, die von Ästen des das Operationsfeld versorgenden Ner- ven oder von Nerven benachbarter spinaler Segmente innerviert wer- den. Dabei handelt es sich meistens um Körperakupunkturpunkte.

c) Die Akupunkturpunkte werden nach der Vorschrift der traditionel- len chinesischen Medizin etwa der

„Theorie der Meridiane und Kollate- ralen (Jinglo)", der „Theorie der Or- gane (Zang Fu)" oder nach bekann- ter Spezifität ausgewählt. Es handelt

sich dabei oft um fernab vom Opera- tionsfeld liegende Ohr- oder Körper- akupunkturpunkte.

Die bei einer bestimmten Operation gewählten Punktkombinationen va- riieren von Krankenhaus zu Kran- kenhaus erheblich, sie sind weitest- gehend eingriffs-, nicht patienten- spezifisch.

Die ausgeprägte Empfindung der Nadelungssensation (Deqi) durch den Patienten während der Insertion der Nadel begünstigt den analgeti- schen Effekt des Verfahrens.

Zur Stimulation der Akupunktur- punkte während der Operation wer- den fast ausschließlich elektrische Impulsströme angewandt. Vor Ope- rationsbeginn wird während einer 15- bis 30minütigen Vorstimula- tionszeit die maximal vom Patienten tolerierte Impulsstromstärke (etwa 10 mA) eingestellt. Obwohl die Para- meter der applizierten Impulsströme uneinheitlich sind, läßt sich beob- achten, daß nah am Operationsfeld liegende Akupunkturpunkte mit ho- her und fernab liegende Punkte mit niedriger Impulsstromfrequenz sti- muliert werden. Bei ungenügendem analgetischem Effekt wird die Stei- gerung der Frequenz empfohlen.

Nur vereinzelt wird auf die kontinu- ierliche Stimulation der Akupunktur- punkte während der Operation ver- zichtet oder gar die Akupunkturna- deln schon vor Beginn des Eingriffs entfernt.

2.5. Der Einfluß der Operationstechnik und intraoperativ

verabreichter Pharmaka

Der Erfolg der Akupunktur-Analge- sie (Abbildungen 2 a bis 2 c) hängt wesentlich von einer vorsichtigen, atraumatischen und zarten Opera- tionstechnik ab. Starker Zug an den Eingeweiden soll vermieden, die An- wendung der Elektrokoagulation auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

Dabei muß rasch und präzise opera- tiv vorgegangen werden, um die Operationszeit so kurz wie möglich

zu halten. Operative und anästhesio- logische Forderungen müssen in optimaler Kooperation aufeinander abgestimmt werden.

Die Gabe von 1 mg/kg KG Pethidin kurz vor, und die subkutane Infiltra- tion des Operationsfeldes mit einem Lokalanästhetikum bei Operations- beginn gehören nahezu zum Routi- neablauf der Akupunktur-Analgesie.

Bei ungenügender intraoperativer Schmerzminderung werden zusätz- liche geringe Mengen von Analgeti- ka, Narkotika, Neuroleptika oder Lo- kalanästhetika gegeben. Es wird aber auch die routinemäßige intra- operative Anwendung zusätzlicher Pharmaka empfohlen, um die Re- produzierbarkeit und den analgeti- schen Effekt dieses Betäubungsver- fahrens zu verbessern.

Bei Thorakotomien wird auf die assi- stierte Beatmung mit Sauerstoff, ge- gebenenfalls auch auf die Intubation nicht verzichtet.

2.6. Häufigkeit der Anwendung und Erfolgsrate

der Akupunktur-Analgesie

Beim Studium vor allem auch älterer chinesischer Arbeiten stellt sich rasch die Vorstellung ein, daß die Akupunktur-Analgesie das bei der Mehrzahl aller Operationen ange- wandte Routineanästhesieverfahren sei (8, 10, 13, 22, 23). Die in Arbeiten westlicher Autoren genannten Zah- len differieren erheblich: 5 bis 15 Prozent (3), 10 bis 30 Prozent (17, 19, 20), 40 bis 50 Prozent (6) und mehr als 50 Prozent (9, 11). Nach eigener Einschätzung kann folgende pro- zentuale Verteilung der verschiede- nen Anästhesieverfahren angenom- men werden: etwa 60 Prozent aller Eingriffe werden in Periduralanäs- thesie, 10 bis 20 Prozent in Lokal- und Regionalanästhesie, 10 bis 20 Prozent in Vollnarkose und 5 bis 15 Prozent in Akupunktur-Analgesie vorgenommen.

Dabei findet die Akupunktur-Analge- sie vornehmlich Anwendung bei Ein- griffen an Kopf und Hals, nur selek- tiv bei Herz-, Thorax- oder abdomi-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 18. September 1980 2227

(6)

Wesentlicher einschränkender Nachteil der

Akupunktur-Analgesie bleibt die Tatsache, daß trotz überwiegend ausreichender Schmerzhemmung (3a, links) einzelne Operationsphasen schmerzhaft erlebt werden (3b, unten)

nalchirurgischen und nur selten bei Extremitäteneingriffen. Eingriffe an Extremitäten und Bauchoperationen werden vornehmlich in Epidural- oder Regionalanästhesie, Eingriffe am Herzen und Thorax hauptsäch- lich in Vollnarkose durchgeführt.

Sowohl die Anzahl der Akupunktur- Analgesien als auch die Zahl der In- dikationen zum Einsatz des Verfah- rens scheinen seit der Kulturrevolu- tion abzunehmen (9 zit. Holmdahl, 19 zit. Kaada).

Hinzu kommt, daß, abhängig von den jeweiligen Gegebenheiten, in den verschiedenen Krankenhäusern jeweils nur ganz bestimmte Opera- tionen mit diesem Betäubungsver- fahren durchgeführt werden.

Die Methode wird nach chinesi- schen Angaben im Durchschnitt in etwa 95 Prozent der Fälle mit befrie- digendem und in 70 bis 80 Prozent mit gutem Erfolg eingesetzt, wobei die Differenzierungsparameter un- klar bleiben. Das Verfahren muß in weniger als 5 Prozent der Fälle zu- gunsten einer anderen Betäubungs- art abgebrochen werden (12).

3. Vor- und Nachteile der Akupunktur-Analgesie aus chinesischer Sicht

(4, 8, 12, 13, 14, 21, 23)

Als Vorteile der Methode gelten:

a) Einfaches und sicher reprodu- zierbares Verfahren ohne kompli- zierten apparativen Aufwand.

b) Stabilisierung der Herz-Kreislauf- Funktion und der Atmung im physio- logischen Normbereich.

c) Vermeidung toxischer Beeinflus- sung der Körperfunktionen durch in- traoperativ verabreichte Drogen.

d) Abnahme intraoperativer Kompli- kationen und Verminderung des Blutverlustes.

e) Möglichkeit der intraoperativen Zusammenarbeit mit dem Patienten:

der Erfolg des operativen Vorgehens kann jederzeit überprüft werden.

f) Senkung der Rate postoperativer Komplikationen, Verminderung des Analgetikabedarfs und rasche post- operative Erholung.

g) Anwendbarkeit bei Risikopa- tienten.

h) Große Popularität der Methode, Möglichkeit der Anwendung des Verfahrens auch unter extrem einfa- chen Bedingungen.

Als Nachteile der Methode gelten:

a) Inkomplette Analgesie: Mit dem Verfahren wird nur eine Schmerz- minderung erreicht, einzelne Opera- tionsphasen werden vom Patienten schmerzhaft erlebt.

b) Fehlende Muskelrelaxation.

c) Auftreten ausgeprägter Mißemp- findungen beim Zug an Organen und serösen Häuten.

4. Kritische Beurteilung der Akupunktur-Analgesie Die mit der Akupunktur-Analgesie erreichbare Schmerzminderung (Abbildungen 3 a und 3 b) ist unbe- stritten für bestimmte Operations- phasen unzureichend. Des weiteren bedingen die fehlende Relaxation

(7)

Akupunktur-Analgesie

und die beobachteten Reaktionen auf Zug an den Eingeweiden eine erhebliche Einschränkung des ope- rativen Vorgehens (4, 8, 12, 13, 14, 23, 2, 3, 6, 11, 19, 20). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Indika- tionsbereich für die Methode einzu- schränken und das operative Vorge- hen der Charakteristik des Anästhe- sieverfahrens anzupassen (2, 3, 6, 19, 20). Ebenso ist es erforderlich, die für diese Methode geeigneten Patienten sorgsam auszuwählen und einfühlsam prä- und intraopera- tiv zu führen (2, 3, 6, 9, 19, 20). Die Kooperationsbereitschaft der chine- sischen Patienten und die Bereit- schaft, das Verfahren zu akzeptie- ren, ist durch dessen hohen Popula- ritätsgrad sehr groß, des weiteren kommt die stoisch-ruhige Patienten- mentalität und die hohe Schmerzto- leranz dem Einsatz der Methode ent- gegen. Die unzureichende Schmerz- hemmung erfordert gegebenenfalls die Vertiefung der Analgesie durch zusätzliche Medikamentengabe (2, 3, 6, 20). Bei der Befürwortung der modernen „Kombinationsanästhe- sie" oder der „Balanced Anesthe- sia" sollte dies nicht als gravieren- der Mangel eines Verfahrens ange- sehen werden.

Die „Stabilisierung physiologischer Funktionen" — angeblich ein Vorteil des Verfahrens — muß hingegen skeptisch beurteilt werden. Nach ei- genen Beobachtungen waren bei et- wa der Hälfte der Patienten während verschiedener Phasen der Operatio- nen kurzfristig schmerzhafte Emp- findungen im Gesicht abzulesen.

Zweidrittel der Patienten zeigten während bestimmter Operations- phasen einen Anstieg oder Abfall des Blutdrucks oder der Pulsfre- quenz, Veränderungen der Atmung, Zeichen der Zentralisation, Schweiß- ausbruch oder starke Muskelspan- nung. Diese Beobachtungen be- schreiben ebenfalls Bonica (3) und Dupont (6), wohingegen Hutschen- reuter (11) und Spoerel (19) solche Beobachtungen nicht gemacht ha- ben. In der Regel darf angenommen werden, daß es immer beim Auftre- ten operativer Schmerzen zu vege- tativen Begleitreaktionen kommt.

Die fehlende Dämpfung vegetativer Reflexe (3, 6) ist nach eigener Ein- schätzung der wesentlichste Man- gel der Akupunktur-Analgesie und schränkt deren Anwendbarkeit bei Risikopatienten erheblich ein (3).

Die Verminderung intra- und post- operativer Komplikationen ist even- tuell Ausdruck der unvollkommenen Ausführung der Vollnarkose bei noch unzureichender technischer Ausstattung.

5. Konvergenz chinesischer und westlicher Vorstellungen Der umfangreiche klinische Einsatz der Akupunktur-Analgesie hat die Komplexität der an der Schmerz- hemmung beteiligten Mechanismen offenbart. Neben peripher- und zen- tralnervöser Schmerzimpulshem- mung und -modulation haben affek- tive und kognitive Patientenvaria- blen und psychodynamische Pro- zesse Anteil an der Schmerzunter- drückung. Die Untersuchungsergeb- nisse haben zu einer Annäherung der chinesischen an westliche Vor- stellungen geführt.

Für die westliche Schulmedizin fehlt jeder Beweis der Existenz von Aku- punkturpunkten und -meridianen, die Akupunktur gilt als unwissen- schaftliche „paramedizinische" Me- thode, ein objektivierbarer „Aku- punktureffekt" wird verneint (16).

Auch von den chinesischen Kolle- gen werden zunehmend neurophy- siolog ische Mechanismen zur Erklä- rung der beobachteten Phänomene herangezogen, wenn auch die Auf- fassungen noch sehr uneinheitlich sind. Die Bedeutung der exakten Auswahl bestimmter Akupunktur- punktkombinationen für die Aku- punktur-Analgesie wird relativiert.

Sie richtet sich nicht mehr aus- schließlich nach den Vorschriften der traditionellen chinesischen Me- dizin, sondern zunehmend auch nach der nervalen Versorgung des Operationsfeldes. Dadurch werde der analgetische Effekt des Betäu- bungsverfahrens verbessert. Die Schmerzhemmung kann nicht nur

durch die klassische Nadelung, son- dern bis zu einem gewissen Grade auch durch die Stimulation der Aku- punkturpunkte mit anderen Reiz- qualitäten oder auch durch die Na- delung eines willkürlich auf der Kör- peroberfläche ausgewählten Punk- tes bewirkt werden. Es wird je- doch betont, daß die Akupunktur klassischer Punkte den stärksten schmerzhemmenden Effekt zeigt (4, 12).

Die Schmerzhemmung mit der Aku- punktur-Analgesie wird von der westlichen Schulmedizin als zumin- dest anteilig hypno-suggestives Phänomen begriffen (9, 16, 18, 20).

Der Einfluß affektiver und kognitiver Patientenvariablen und psychodyna- mischer Prozesse wird in mehreren chinesischen Arbeiten nicht nur un- tersucht und bestätigt, er wird bei der klinischen Anwendung des Ver- fahrens und der Patientenauswahl genutzt (12, 14). Dabei muß betont werden, daß die simple Vorstel- lung eines Patienten, der auf dem Operationstisch die „Mao-Bibel"

schwenkt oder eines Operations- teams, das während der Operation zur Unterstützung der Anästhesie die „Worte des Vorsitzenden Mao"

zitiert, falsch und klischeehaft ist.

Hagelsten (9) berichtet noch von sol- chen Beobachtungen, sie treffen heute jedoch nicht mehr zu und rei- chen zur alleinigen Erklärung der Schmerzhemmung mit diesem Ver- fahren nicht aus.

6. Zusammenfassung

Trotz fortgeschrittener Kenntnis des technischen Ablaufes der Akupunk- tur-Analgesie, der Indikationen und der Kriterien zur Patientenauswahl wird dieses Verfahren in unserem Land kaum routinemäßig eingesetzt werden: Die Mehrzahl unserer Pa- tienten ist bei ausgeprägter furcht- samer Schmerzerwartungshaltung und niedriger Schmerztoleranz nicht dazu bereit, ein Betäubungs- verfahren zu akzeptieren, welches nicht völlige Schmerzfreiheit garan- tiert. Des weiteren wird nach unse- rem Verständnis das Anästhesiever-

2230 Heft 38 vom 18. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Der alle vier Jahre stattfindende Europäische Ophthalmologen-Kon- greß fand im englischen Seebad Brighton statt.

Zuvor wurde in London die Tagung des „Intraocular-Implant-Club" ab- gehalten. Diese spiegelte die rasche Entwicklung der Implantation von Kunststofflinsen nach der Starope- ration wider.

Nach der Operation kindlicher wie auch seniler Katarakte und von Wundstaren werden mehr und mehr Kunststoffimplantate verwendet: In den Vereinigten Staaten wurden in einem Jahr bei 200 000 Kataraktope- rationen bereits 30 000 Kunststoff- linsen implantiert. Diese Implantate werden nach Entfernung der getrüb- ten Linse entweder in die vordere Augenkammer gebracht und zu- meist an der Iris fixiert (Iris-Clip-Lin- se) oder der stehengelassenen Lin- senh interkapsel als Hinterkammer- linse aufgelegt.

Im Idealfall benötigt der Patient kei- ne Brille oder Kontaktlinse mehr für die Ferne beziehungsweise Nähe, was allerdings in der Mehrzahl der Fälle noch nicht erreicht wird — eine Brille oder ein Kontaktglas muß wei- terhin getragen werden.

Drei Problemkreise standen im Vor- dergrund:

• Die Schonung des für die Horn- hauttrophik und -transparenz wichti- gen Hornhautendothels

die Techniken der Staroperation

€) der Kunstlinsentyp.

Das Hornhautendothel muß sorgfäl- tig vor einer Traumatisierung jegli- cher Art geschützt werden. Viel wur- de über die Operationstechnik dis- kutiert, zum Beispiel ob man intra- kapsulär, extrakapsulär, mit oder ohne Ultraschall operieren soll.

Um den besten Typ der Kunststoff- linsen wurde heftig debattiert. Die Mannigfaltigkeit der vorhandenen und in Erprobung befindlichen Va- rianten war somit eher Ausdruck des allgemeinen Herumexperimentie- rens, und mancher Referent hielt seinen dargestellten Typ für die Lin- se der Zukunft. Hier kann man selbstverständlich noch kein ab- schließendes Urteil fällen, und es scheint empfehlenswert, eine mehr abwartende Position zu diesen Pro- blemen einzunehmen.

Der Hauptkongreß:

„The Cornea in Health and Disease"

Um den Kongreß rankten sich spe- zielle meetings, die vor, während und nachher innerhalb oder außer- halb Englands stattfanden, So trafen sich die Trachom-, die Glaukom- und die Kontaktlinsen-Spezialisten zu einem Gedankenaustausch auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet, und sogar ein Freiburger Symposion über Herpes am Auge wurde in das englische Programm mit aufge- nommen.

Die Vorträge wurden gleichzeitig in drei Hörsälen gehalten, zusätzlich noch Parallelveranstaltungen in Form von insgesamt 22 Round-ta- ble-Gesprächen. Man hatte also je- weils zwischen fünf verschiedenen, fahren den Erfordernissen des chir-

urgischen Eingriffes angepaßt. Es ist anzuzweifeln, ob die Mängel des Verfahrens akzeptiert und operati- ves Vorgehen verständnisvoll nach den dadurch gegebenen Beschrän- kungen verändert würde.

Letztendlich verfügen wir über eine Palette probater Anästhesieverfah- ren, zu denen die Akupunktur-An- algesie keine notwendige Alternati- ve darstellt.

Unsere chinesischen Kollegen ha- ben jedoch die Mängel und Be- schränkungen der Methode mit Ver- ständnis akzeptiert und Bedingun- gen geschaffen, unter denen die Akupunktur-Analgesie praktisch an- wendbar ist (19).

Literatu r

Beijing Tuberculosis Research Institute, Dept.

of Acup. Anesth.: Clinical Studies on Acupunc- ture Anesthesia in Lung Resection, Chinese Medical Journal 93 (1980) 287-292 — Bonica, J.

J.: Anaesthesiology in The People's Republic of China, Anaesthesiology 40 (1974) 175-186 — Chang, Hsian-Tung: Acupuncture Analgesia Today, Chinese Medical Journal 92 (1979) 7-16

— Dupont, A.: Anesthösie acupuncturale, Cahiers D'Anesthäsiologie 27 (1979) 227-235 — Fu, Wei-Kang: The Story of Chinese Acupunc- ture and Moxibustion, Foreign Languages Press, Peking (1975) — Hutschenreuter, K.: Die Anästhesie im Geburtsland der Akupunktur, Dtsch. Ärztebl. 75 (1978) 1933-1940 — Kaada, B.; Hoel, E.; Leseth, K.; Nygaard-Ostby, B.;

Setekleiv, J.; Stovner, J.: Acupuncture Analgesia in The People's Republic of China, T. norske Laegeforen 94 (1974) 417-442 — Ab- stracts of the National Symposia on Acupunc- ture, Moxibustion and Acupuncture Anaes- thesia, Beijing (1979) — Acupuncture Anaes- thesia, Foreign Languages Press, Peking (1972) — Spoe re I, W. E.: Akupunktur-Analgesie in China, Anästhesist 25 (1976) 197-203

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Jan Baum

Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Westfälischen

Wilhelms-Universität Münster Jungeblodtplatz 1

4400 Münster

„Linse der Zukunft" und Hornhauttransplantation

Bericht vom 6. Europäischen Ophthalmologen-Kongreß in Brighton

Ilse Strempel

Referenzen

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