G
esündere Jugendliche, gesün- dere Erwachsene und damit geringere Kosten – das erhofft sich das Bundesgesundheits- ministerium von einer speziellen Ge- sundheitsberatung für Jugendliche.Gesundheitsberatung, das heißt vor- wiegend Vermittlung von gesund- heitsbezogener Information, könne Jugendlichen helfen, aktuelle gesund- heitliche Probleme zu lösen und künf- tigen vorzubeugen. Doch ein flächen- deckendes Angebot gibt es kaum.
Das ergab die vom Ministerium in Auftrag gegebene Expertise „Situati- on der Gesundheitsberatung im Ju- gendalter“, erstellt vom Beratungsin- stitut der Prognos Consult GmbH (Unter Sachsenhausen 37, 50667 Köln) in Kooperation mit dem Son- derforschungsbereich „Prävention und Intervention im Kindes- und Ju- gendalter“ der Universität Bielefeld, der Akademie für öffentliches Ge- sundheitswesen in Düsseldorf und der Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV-Virchowbundes.
Fünf Anbieter teilen sich den Beratungsmarkt: der kinder- und ju- gendärztliche Dienst des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die niederge- lassenen Ärzte, die Beratungsstellen in freier oder öffentlicher Träger- schaft, die Krankenkassen und ein- zelne Initiativen oder Modellprojek- te. Das Engagement der Krankenkas- sen werde nach der Novellierung des Paragraphen 20 des Sozialgesetzbu- ches V (SGB) kaum noch eine Rolle spielen, fürchtet Prognos: „Hier ent- steht eine Lücke, die zunächst wohl
keine der übrigen Institutionen füllen wird.“
Jede einzelne Beratergruppe setzt bei ihrer Arbeit unterschiedliche Schwerpunkte: Niedergelassene Ärz- te zum Beispiel bieten spezielle Un- tersuchungen für Jugendliche an, zum Teil auch spezifische Jugendsprech- stunden. Sie betonen dabei medizini- sche Inhalte. Die Beratungsstellen hingegen widmen sich hauptsächlich der AIDS-, Sexual- und Drogenbera- tung, und sie berücksichtigen eher psychosoziale Aspekte. Über die Ar- beit der Einzelinitiativen und Modell- projekte kann kaum ein systemati- scher Überblick gegeben werden. Sie ist in der Regel zeitlich befristet, da sie stark abhängig ist von ehrenamtli- chen Mitarbeitern und vor allem von Spenden.
Jugendliche sind kaum informiert
Weil die Angebote so verschie- den sind, halten die Autoren der Stu- die Kooperation für besonders wich- tig. Die Berater selbst wie auch weite- re von Prognos befragte Experten ge- ben ihrer Zusammenarbeit gute No- ten. Doch Ausmaß und Qualität der Kooperation hängen stark von einzel- nen engagierten Mitarbeitern ab. „Ei- ne Institutionalisierung wäre wün- schenswert“, schreibt Prognos.
Bilanz: Das Angebot ist be- grenzt. Doch die Nachfrage nach Be- ratung ist nicht sehr hoch. Dafür gibt es im wesentlichen zwei Gründe: Er-
stens wissen die Jugendlichen oft zu wenig über Beratungsangebote.
Zweitens befürchten sie, Eltern oder Schulkameraden könnten von ihren Problemen erfahren; oder sie haben Angst vor unangenehmen Fragen im Beratungsgespräch. Trotz der gerin- gen Nachfrage betreiben die Berater jedoch keine Öffentlichkeitsarbeit:
Sie bewältigen mit ihren personellen oder finanziellen Möglichkeiten kaum die reguläre Nachfrage.
Bedarf an Beratung ist bei den Jugendlichen dennoch vorhanden.
Von AIDS/HIV über Erste Hilfe und Ernährung bis hin zu Allergien und Impfungen: Keiner der vorgegebenen Bereiche schien den von Prognos be- fragten Jugendlichen unwichtig zu sein. Besonders interessierten sie sich für Beratung zu den Themen Sexua- lität, Drogen, Pubertät, Fitneß und körperliche Attraktivität.
Das Fazit der Prognos-Studie:
„Angebote der Gesundheitsberatung im Jugendalter im Sinne einer eigen- ständigen Maßnahme im Rahmen der Gesundheitsförderung und primär ärztlich getragener Leistungen wer- den in der Tendenz bisher kaum vor- gehalten.“ Ein klares Gesamtkonzept existiert nicht, ebensosowenig gibt es systematisch verwertbare Erfahrun- gen. Fundierte Aussagen über die Perspektiven der Gesundheitsbera- tung für Jugendliche sind daher kaum möglich. Deshalb fordert die Studie- weitere Modellversuche, um zu „er- proben, ob durch die Integration ärzt- licher Gesundheitsberatung an Schu- len die Zugangsbarrieren von Jugend- lichen vermindert werden könnten“.
Aufgabe der beratenden Ärzte wäre dabei vor allem die präventive Beratung und Hilfe bei akuten Pro- blemen. Prognos hält eine enge Zu- sammenarbeit mit Eltern und Leh- rern für wichtig, ebenso eine „Vernet- zung“ der Ärzte untereinander sowie mit anderen Einrichtungen der Ge- sundheitsvorsorge.
Weil der Beratungsbedarf von Schultyp zu Schultyp differiere, emp- fehlen die Autoren der Expertise,
„Modellversuche vorrangig an Son- der-, Haupt- und Berufsschulen sowie an Realschulen durchzuführen“. Die Krankenkassen sollten bereits in der Modellphase an der Finanzierung be-
teiligt werden. AE
A-2707
P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 42, 17. Oktober 1997 (27)