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Archiv "Der sanfte Weg zur Fitneß" (07.12.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Wenn in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit von Milliardenkosten die Rede ist, so geschieht dies meist unter Stichworten des Staatshaus- haltes, des Bruttosozialprodukts oder der Altersversorgung. Mit dem Stichwort „Kostenexplosion im Ge- sundheitswesen" ist seit den letzten Jahren eine neue und schwindeler- regende Dimension hinzugetreten.

Der schwedische Gesundheitsmini- ster hat in Hochrechnung der bishe- rigen Entwicklung die theoretische Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß schließlich die Kostendeckung im Gesundheitswesen 50 Prozent des Bruttosozialproduktes auqfres- sen könnte. Die Ausgabe 1977 der Daten des Gesundheitswesens, ver- öffentlicht vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, stellt fest, daß 1972 die Kosten für Krankheiten und Gesundheit 136,5 Milliarden DM ausmachten. Dies entsprach 16,5 Prozent des Brutto- sozialprodukts. Die Steigerungsra- ten der Kosten sind erschreckend.

Im Zehnjahreszeitraum 1965 bis 1975 lagen sie laut Staatssekretär Prof. Wolter bei 17,5 Prozent für die Krankenhausbehandlung, 10,2 Pro- zent für ambulante Behandlung und 30,2 Prozent für Arzneimittel.

Wenn wir, wie vom Bundesgesund- heitsrat 1976 bestätigt, mit einer Steigerung der Kosten für Gesund- heit und Krankheit von über 20 Pro- zent des Bruttosozialproduktes rechnen müssen, dann darf 1978 bei einem Bruttosozialprodukt von 1193 Milliarden DM ein Kostenaufwand für Krankheiten und Gesundheits- wesen von 200 Milliarden DM ange- nommen werden. Dabei sind die Aufwendungen durch Minderung der Produktivität wegen Ausfall an Arbeitstagen, Frührente und vorzei- tigem Tod nicht einmal mitge- rechnet.

Mellerowicz, Berlin, hat bei einem Hearing der Deutschen Sportjugend zum Thema der Vorsorgeuntersu- chungen am 27. April dieses Jahres darin eine erschreckende Rechnung aufgemacht. Die Gruppe der ver- meidbaren Krankheiten, an denen Bewegungsmangel schwerpunkt- mäßig beteiligt ist, also der Herz- Kreislauf-Krankheiten, der Mastfett- sucht und der Zuckerkrankheit ma- chen mehr als 30 Prozent aller Krankheitskosten aus. In DM umge- rechnet bedeutet dies für das Jahr 1978, daß bei Gesamtkosten aller Krankheiten von etwa 200 Milliarden DM mehr als 60 Milliarden DM für solche vermeidbaren Krankheiten ausgegeben werden.

Das sind jene Milliarden, mit denen u. a. besser für mehr Wohlbefinden, für mehr persönliche Entfaltung, für eine erfülltere Freizeit und einen schöneren Lebensabend gesorgt werden könnte.

Welchen Weg es auch immer gibt, diese Kosten oder einen Teil von ih- nen zu vermeiden, er muß mit aller Entschlossenheit gegangen werden.

Uns erscheint einer der Wege da- zu die Ausbreitung sinnvoller Be- wegungsgewohnheiten in allen Schichten und allen Altersstufen.

Und weil hier kein isolierter Lö- sungsansatz nur vom Sport her ge- funden werden sollte, deshalb kommt es auf eine enge Zusammen- arbeit zwischen Ärzteschaft und an- deren beteiligten Gruppen an. Des- halb kommt es auch auf eine wirksa- mere Kombination der Aufklärung und der Prävention unter Hinzuzie- hung der Themenbereiche Ernäh- rung, Rauch- und Nikotingewohn- heiten, Streßverhalten usw. an.

Die Summe von 60 Milliarden ist ja so außerordentlich groß, daß sie un- Das „Bochumer Modell"

Überdies bedeutet er auch eine qua- litative Absicherung von For- schungsprojekten, der sich von vornherein die an der Forschung in- teressierten Kliniker der RUB unter- ziehen wollen.

Der Modellversuch

Das Bochumer Modell wird einver- nehmlich mit der Regierung des Landes NW von der Bundesregie- rung als Modellversuch gefördert.

Ziel der Förderung ist die Auswer- tung der Unterrichtserfahrungen mit Kliniken in nicht staatlicher Träger- schaft, vor allem auch im Hinblick auf die Gestaltung des dritten klini- schen Studienabschnitts, für den es in der Bundesrepublik vorab wohl noch keine Patentlösung gibt. Au- ßerdem sollen auch die interessan- ten Daten ausgewertet werden, die bei der getrennten Finanzierung von Patientenversorgung auf der einen Seite, lehrinduzierter Aufwendung und Forschungsprojekten auf der anderen Seite interessante Analysen ermöglichen sollten.

Die Einrichtungen für die klinische Ausbildung von Medizinstudenten in Bochum gründen in einer Notlage.

Hätte sich auf der einen Seite die finanzielle Situation anders entwik- kelt, wären in Bochum landeseigene Universitätskliniken gebaut worden.

Hätte auf der anderen Seite nicht der immense Druck des „Bettenberges"

bestanden, wären nicht nahezu aus- nahmslos alle angesprochenen Kli- niken zum Wagnis des Bochumer Modells bereit gewesen. Propheti- sche Worte sind dem Bochumer Versuch von Beginn an reichlich mit auf den Weg gegeben worden. Es genügt vorab, daß der Versuch die Vernunft auf seiner Seite hat. Und sonst wird Bochum, wie alle Hoch- schulen, an seinen Produkten ge- messen werden.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Wolfgang Forth Dekanat der Abteilung XVII der Ruhr-Universität für theoretische und klinische Medizin Postfach 10 21 48 4630 Bochum

THEMEN DER ZEIT

Der sanfte Weg zur Fitneß

Jürgen Palm

Fortsetzung von Heft 48/1978 und Schluß

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT EBLATT Heft 49 vom 7. Dezember 1978 2987

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Breitensport

ser Vorstellungsvermögen bereits übersteigt. Bei rund 20 Millionen Personen in der arbeitenden Bevöl- kerung entfallen auf jeden von uns 3000 DM Belastung jährlich. Mit 3000 DM im Jahr wird jeder für ver- meidbare Krankheiten zur Kasse ge- beten. Dies heißt doch, daß ein durchschnittlich verdienender Ar- beitnehmer 1 1/2 Monate oder 1 /s sei- nes Jahreseinkommens für vermeid- bare Folgen falscher Lebensweise der Gesamtbevölkerung mitaufbrin- gen muß, also für etwas, wofür er ja gar nicht arbeitet.

Wer sich über Existenzfragen des nationalen Wohlstandes von heute Gedanken macht, sei er Gesund- heitspolitiker, Volkswirtschaftler, Bildungspolitiker, Sozialpolitiker, der kann an diesem Aspekt nicht vorübergehen. Wir wünschen uns, daß es wie ein Blitz in alle Gehirne erhellend einschlägt, daß unser Ge- meinwesen bei der Behebung oder Eindämmung von Schäden aus ver- meidbarer Ursache noch außeror- dentliche humane wie wirtschaftli- che Reserven hat, die planmäßig, gründlich und langfristig erschlos- sen werden müssen.

Wenn hier von volkswirtschaftlichen Auswirkungen die Rede ist, dann ist damit nicht nur der schnöde Mam- mon gemeint. Es geht immer um den Menschen. Es geht um sein persön- liches Wohlbefinden vom Kindes- bis zum Greisenalter. Es geht um seine Chancen in dieser Gesell- schaft, soviel persönliche Erfüllung wie möglich zu finden. Es geht nicht nur um die Frauen und Männer, wenn sie an den Drehbänken stehen oder hinter den Schreibmaschinen sitzen, sondern es geht zugleich um Art und Weise ihres Lebens in den freien Stunden. Eine Gesundheits- politik, der es nur um die Erhöhung der Produktivität ginge, plante am eigentlich Menschlichen vorbei.

In diesem Zusammenhang kann man auf internationale Daten zu- rückgreifen. So rechnet der Fitneß- Beirat des amerikanischen Präsi- denten mit 132 Millionen Tagen Ar- beitsausfall in USA durch vermeid- bare Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Der Produktionsverlust wird in die- sem Zusammenhang mit 25,4 Mil- liarden DM angegeben. Cooper, Dal- las, hat für die USA einen Behand- lungskostenzuwachs zwischen 1950 und 1977 von 12 Milliarden auf 150 Milliarden Dollar errechnet.

Trimm-Sportler leben gesünder Pravosudov, Leningrad, hat 1976 in Quebec auf dem Wissenschafts- kongreß eine Summe der For- schungsergebnisse auf diesem Ge- biet in der Sowjetunion gezogen. So zitiert er Zholdak, der zwischen 1966 bis 1969 eine um 2 Prozent bis 5 Prozent höhere Produktionsleistung bei physisch aktiven Arbeitern ermit- telte. Smirnow und Mitarbeiter be- richteten von um 25 Prozent seltene- rem Krankheitsausfall bei Aktiven, während Graevfkaya drei- bis vier- mal geringere Häufigkeit von Er- krankungen der Atem- und Luftwe- ge bei physisch aktiven Arbeitern feststellte (1975). Ponomarev hat 1974 dargestellt, daß körperliche Ak- tivität die Zahl der Krankheitstage und den Ausfall durch Unfallfolgen im Durchschnitt um 3-5 Tage je Jahr und Person verringern kann. Dies bedeute für die Sowjetunion einen Gewinn von 140 Millionen Arbeitsta- gen in der Industrie. Beuker und Ka- pinow haben in Untersuchungen in der DDR die volkswirtschaftliche Be- deutung der Fortsetzung des Bewe- gungstrainings nach Kurmaßnah- men untersucht und festgestellt, daß bei weitertrainierenden Probanden die Zahl der Arbeitsausfalltage um 41,8 Prozent niedriger als bei der inaktiven Kontrollgruppe lag.

In der schwedischen Stadt Gävle wurden Trimm-Dich-Sportler über den 10jährigen Zeitraum 1958 bis 1967 beobachtet. Den 88 aktiven Probanden standen gleichviele nichtaktive gleichen Alters und Ge- schlechts gegenüber. Für die Trimm-Dich-Gruppe wurde über die ganze Zeitperiode eine Gesamtzahl von 4673 Krankentagen, für die Re- ferenzgruppe 13 478 Tage gezählt.

Nach der in Europa durchgeführten epidemiologischen Untersuchung der WHO liegt die Infarkthäufigkeit in der Bundesrepublik Deutschland

mit 2,5 auf 1000 Personen noch rela- tiv günstig im Verhältnis etwa zu Finnland, das auf 7 Fälle je 1000 kommt. Aber die Tendenz ist leider in der Bundesrepublik noch stetig steigend. Man kann deshalb die Auf- merksamkeit gut verstehen, mit der z. B. Schettler, Heidelberg, die rück- läufige Entwicklung verfolgt, die sich in den USA und mit Einschrän- kung auch in den nordischen Län- dern in der Zahl der koronaren Herz- krankheiten und auch ihrer Todes- fälle zeigt. In den Vereinigten Staa- ten nahm die Zahl der Erkrankungen der Herzkranzgefäße von 1948 bis 1972 um 8,7 Prozent ab. Eine zum Vergleich herangezogene Untersu- chung der Metropolitan Life Insur- ance stellte einen Rückgang von 7 Prozent im Hinblick auf die Koronar- Sterblichkeit fest.

Würden derartige Erfolge auch in der Bundesrepublik eintreten, so be- deutete dies laut Schettler einen Rückgang der jährlichen Erkran- kungsfälle um etwa 30 000 bis 35 000 und der Koronar- und Todes- fälle um etwa 10 000. Ein solcher erster Fortschritt würde die Kosten- explosion im Gesundheitswesen be- reits in Milliardenhöhe dämpfen können.

Können wir nun Folgerungen zie- hen, erschließt sich eine neue Per- spektive für das Gesundheitswesen?

Wenn Zusammenhänge zwischen menschlichem Fehlverhalten auf dem Gebiet der Bewegung und der Krankheitsentwicklung einerseits bestehen, könnte dann nicht auch umgekehrt durch eine Veränderung der Lebensweise, z. B. auf dem Ge- biet von Bewegung und Ernährung, das einzelne gesundheitliche Schicksal wie die gesundheitliche Zukunft des Volksganzen beeinflußt werden?

So komplex das Bild auch ist und so viele wissenschaftliche Schritte zu seiner Vervollständigung noch nötig werden, wir meinen, daß man diesen Umkehrschluß von angemessener Bewegung zu höherer Gesundheits- erwartung gehen kann und — im Hin- blick auf die bedrohliche Lage — auch gehen muß.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Breitensport

Anregung

zur aktiven Lebensführung Zu Beginn war auf das außerge- wöhnliche Wachstum der Sportteil- nahme in der Bundesrepublik Deutschland und in vielen Ländern der Welt hingewiesen worden. Es wäre aber verfrüht, wenn man aus dieser Veränderung des Freizeitver- haltens in Richtung auf mehr Bewe- gung nun auf automatische Wirkun- gen für die Volksgesundheit schlie- ßen würde. Zeichen eines erwachen- den Gesundheitsbewußtseins sind gegeben. Die wachsende Neigung zu sportlicher Betätigung ist ein später, aber starker Reflex der kol- lektiven vitalen Kräfte in der menschlichen Gesellschaft.

Aber das ist noch nicht die Lösung unserer Frage, sondern nur eine Chance zu ihrer Lösung. Wenn wir heute auf den verschiedenen Ebe- nen aus guten Gründen bestimmte Formen der aktiven Lebensführung anregen, dann finden wir dafür eine weitaus größere Aufmerksamkeit als noch vor zehn Jahren. Dies aber ist tatsächlich schon eine bessere Ba- sis für die Gesundheits- wie für die

Freizeitpolitik.

Wenn sich im Wachstum des Sports Zeichen für ein erwachendes und weiter zu weckendes Gesundheits- bewußtsein finden lassen, dann soll- ten wir uns mit Hoffnung, mit Mut, aber auch mit kritischer Gründlich- keit in eine Phase des Bemühens um den Menschen begeben, in der wir seine Fähigkeit zur aktiven Gestal- tung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens för- dern. Daß heute jeder zweite Bun- desbürger angibt, sich zu trimmen, und daß dies heute viermal so viel sind wie zu Anfang der 60er Jahre, bedeutet noch keinen so großen Sprung nach vorne, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn die Entwicklung zu mehr Bewegungs- aktivität enthält zwei große Lücken:

eine quantitative und eine quali- tative.

Die quantitative Lücke der Sportzu- nahme betrifft ihre Häufigkeit. Das Emnid-Institut hat im April dieses

Jahres ermittelt, daß sich nur jeder vierte Aktive (12%) so regelmäßig trimmt, wie es z. B. auch die Medizin für sinnvoll hält, nämlich minde- stens dreimal wöchentlich. Die an- deren sind Gelegenheitstrimmer.

Wir können es wohl auch noch ge- nauer sagen: Sie sind Wochenend- trimmer. Der Schwerpunkt der Be- wegungsaktivität liegt bei Laufen, Schwimmen, Radfahren, Ballspielen usw. am Wochenende.

Die qualitative Lücke des Sportzu- wachses betrifft das Wissen über die Wirksamkeit und die Befähigung, das Trainingsmaß richtig einzustel- len. Beides ist offensichtlich in der Bevölkerung noch nicht genügend verbreitet. So hat die letzte und be- reits zitierte Emnid-Untersuchung ergeben, daß 58 Prozent der Bevöl- kerung Gymnastik als für die Ge- sundheit von Herz und Kreislauf be- sonders geeignet ansieht, 8 Prozent sogar Kraftübungen für optimal hal- ten und die als dritte genannte und zutreffende Möglichkeit, nämlich langsamer Dauerlauf, weniger Pro- zente erhielt als Gymnastik, nämlich 42 Prozent.

Wir wollen auch nicht übersehen, daß sich so mancher, der mit dem Trimmen beginnt, dabei zuviel zu- mutet oder das für sein Alter und seine Konstitution Falsche tut. Zwei irrige Einstellungen in der Bevölke- rung führen zu einer solchen schäd- lichen Betätigung. Dies ist einerseits der Ehrgeiz, es noch so gut zu kön- nen wie in jungen Jahren, und es ist andererseits der Irrglaube, nur voller Krafteinsatz mache fit. Daß der sanf- te Weg zur Fitneß nicht nur der an- genehmere, sondern auch ein wirk- samer Weg ist, muß so manchem noch erst bewußt gemacht werden.

Aus der quantitativen und qualitati- ven Lücke der Bewegungsaktivität in unserem Volk müssen drei Folge- rungen gezogen werden: Aufklä- rung, Anleitung und Beratung.

Einstellungen und Verhaltensweisen in bezug auf Gesundheit und Frei- zeit sind beeinflußbar. Das hat flie Aktion „Trimm dich durch Sport" in- zwischen schon bewiesen. Mit die- sem Instrument läßt sich weiterar-

beiten, es läßt sich auch noch ver- bessern. Im erstgenannten Bereich, in dem der Aufklärung, hat die Trimm-Aktion unterdessen 15 Millio- nen Aufklärungsbroschüren, 4 Mil- lionen Plakate und etwa 4 Milliarden Anzeigenabdrucke sowie 35 Filme eingesetzt. Der gesundheitserziehe- rische Gesichtspunkt spielt dabei stets eine wesentliche Rolle.

Durch die 1976 begonnene Koope- ration mit der Bundesärztekammer hat gerade dieses Bemühen eine neue Qualität erhalten. Die Heraus- gabe der „zehn Regeln zum ver- nünftigen Trimmen", veröffentlicht in Heft 33/1977, Seite 2045, des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES, ist das beste Beispiel dafür.

Im zweiten Bereich, der Anleitung des Bürgers, hat sich ebenfalls in den vergangenen Jahren das Ange- bot deutlich vergrößert. Wir können heute begründet schätzen, daß we- nigstens 10 000 Turn- und Sportver- eine Angebote des Freizeit- und Ge- sundheitssports für Ungeübte und Anfänger bzw. für solche Personen eingerichtet haben, die Bewegung und Geselligkeit, nicht aber Training und Wettkampf suchen. Besondere Beispiele in diesem Zusammenhang sind die rund 5000 angebotenen Sportkurse und die 1200 Lauftreffs.

Als dritter Bereich für die Schlie- ßung der quantitativen und qualitati- ven Lücke der Sportteilnahme muß die individuelle Beratung des Bür- gers angesprochen werden. Hierfür kommt in ganz besonderer Bedeu- tung das Gespräch von Arzt und Pa- tient in Frage. In der Bewegungsbe- ratung geht es um drei Fragen:

1. Was soll ich tun?

2. Wieviel ist nötig?

3. Wo ist es möglich?

Der Deutsche Sportbund hat zwei Empfehlungen zur Mitwirkung des Arztes bei der Ausbreitung ange- messener körperlicher Aktivität aus- gesprochen:

II> Der Deutsche Sportbund emp- fiehlt, daß sich die Ärzte in Untersu-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 7. Dezember 1978 2991

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Breitensport

chung und Gespräch über den kör- perlichen Leistungszustand und die Bewegungsgewohnheiten des Pa- tienten informieren.

..,.. Der Deutsche Sportbund emp- fiehlt, daß die Ärzte den Patienten zu angemessener sportlicher Betäti- gung ermutigen und ihn bei der Wahl und dem Maß seines Sports beraten.

Daß bei den zu empfehlenden Bewe- gungsaktivitäten das Ausdauertrai- ning Vorrang hat und die Grundlage zu allem anderen sein sollte, dies wird heute nicht mehr bestritten. Es ist bemerkenswert, daß von unter- schiedlichen Forschungsansätzen her vergleichbare Formeln für ein wünschenswertes Training entwik- kelt wurden:

f> Hallmann spricht von einer Bela- stungsdauer von mindestens 10 Mi- nuten und einer Belastungsstufe von 130 Pulsschlägen je Minute, besser 150 je Minute unterhalb des 50. Lebensjahres. Bei älteren Perso- nen empfiehlt er 180 minus Lebens- alter in Jahren gleich Pulsfrequenz im Training.

f> Mellerowicz empfiehlt über 10 Minuten eine Herzfrequenz von 170 minus Lebensalter, bei biologisch jüngeren und trainierten Personen eine von 180 minus Lebensalter. Die Grenzfrequenz von 200 minus Le- bensalter soll nicht überschritten werden.

f> Schettler empfiehlt ein drei- bis viermaliges wöchentliches Ausdau- ertraining mit 70 Prozent der Maxi- malleistung.

f> Paffenbargers Ergebnisse legen ein Trainingsmaß nahe, bei dem wö- chentlich 2000 kcal, das heißt täg- lich rund 300 Kalorien zusätzlich durch Training verbraucht werden.

f> Mayer spricht ähnlich von einem täglichen Mindesttrainingsbedarf, der dem Umsatz von 250 Kalorien entspricht.

f> Cooper hat sein auf den Sauar- stoffumsatz aufgebautes System von 30 Wochenpunkten je nach Sportart und Belastungsstufe auf

der Basis einer Mindestleistung von 35 ml/kg/min erarbeitet.

Wenn wir heute in besonderem Ma- ße Ausdauertraining empfehlen, dann als unverzichtbare Vorausset- zung - zugleich aber auch als Grundlage jedes anderen Sports nach Neigung. Für den ausdauer- trainierten Menschen sind grund- sätzlich alle Sportarten, also auch die Spiele und die Fo~men des Ge- schicklichkeitssports, physisch bes- ser begründet.

Fortschritte in der Kooperation von Medizin und Sport

Die am 13. Juni 1976 zwischen den Präsidenten der Bundesärztekam- mer und des Deutschen Sportbun- des vereinbarte Zusammenarbeit kann bereits auf eine bedeutende Zahl zeitlich vorherliegender und aktueller Versuche, Entwicklungen und Erfahrungen im Feld von Medi- zin und Sport aufbauen. So haben wir die fortgeschrittene Kooperation zwischen Arzt und Sport im Feld der Rehabilitation zu begrüßen. Hier ist an die Pionierleistung Beckmanns mit seiner Chistädter-Kur zu erin- nern. Hier ist auf das Hamburger Modell llkers, das Frankfurter Mo- dell von Hopf, das Wieslocher Mo- dell von Bergdolt und die Klinikpro- gramme wie in Höhenried, Bad Brückenau, Pyrmont usw. hinzuwei- sen. Einen vielversprechenden Weg der lnstitutionalisierung ständiger Übungsgruppen mit einem eigenen freizeit- und gesundheitserzieheri- schen Ziel geht Gossner in Bayern mit den V-Gruppen.

Carola und Max Haihuber haben jüngst in der auf diesem Gebiet ja auch modellhaft tätigen Klinik Hö- henried in einem Werkstattgespräch (10./11. 6. 78) eine Zwischenbilanz über das Wirken der ambulanten Ko- ronargruppen gezogen. Man ist auf diesem Gebiet in den letzten Jahren einen großen Schritt vorangekom- men. Das Ziel, daß man einmal, wie heute schon in den USA, für die Bundesrepublik ein Gesamtadreß- buch der mitwirkenden Ärzte und der mitwirkenden Übungseinrich-

tungenfür jede Stadt vorlegen kann, ist nicht mehr undenkbar.

Die Maßnahmen im Bereich der Rehabilitation sind jedoch nur die eine Seite. Und von ihr bildet wie- derum die Nachbehandlung von Pa- tienten nach Kurmaßnahmen auch nur einen Teil, während der andere sicher in der Auseinandersetzung mit dem noch nicht akut erkrankten Patienten liegt.

Die zweite und quantitativ für die Zukunft sicher weit umfangreichere Form der Kooperation im Bereich von Arzt und Sportangebot liegt auf dem Gebiet der Prävention. Für bei- de Sektoren erscheinen uns ent- sprechende Schritte vordringlich zu sein:

1. Die Verschreibung dosierter Be- wegungsaktivität durch den Arzt.

Der Deutsche Sportbund begrüßt die Entwicklung des sogenannten

"Grünen Rezepts" von Gossner. Wir sehen in diesem Verfahren ein In- strument der Therapie zu aktiver Le- bensgestaltung.

2. Die Zusammenarbeit des Arztes mit örtlichen Vereinen, welche ent- sprechende Übungsprogramme an- bieten. Es wird unser Bemühen sein müssen, für jede Gemeinde und je- den Stadtteil Anschriften und Pro- gramme geeigneter Art in Listen zu- sammenzufassen und dem Arzt an die Hand zu geben.

Wenn dieser Beitrag zu einer vorsor- genden Gesundheitspolitik in der sportlichen und in der ärztlichen All- tagsarbeit allgemein Wirklichkeit werden soll, dann werden langfristig und zielstrebig zwei Maßnahmen zu lösen sein, für die sich Deutscher Sportbund und Bundesärztekammer ja schon ihre enge Zusammenarbeit versprochen haben. Dies wird ein- mal die weitere Gewinnung von Ver- einen und die Fortb.ildung der Übungsleiter auf diesem Gebiet und andererseits die Gewinnung und Fortbildung von Ärzten sein.

Die Ergebnisse der Forschung, die Sorge um den bedrohlichen Anstieg der Krankheitskosten, das erwa-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Spricht man von Suchterkrankun- gen im Betrieb, so sind die Einflüsse des Alkohols, gewohnheitsgemäß eingenommener Tabletten oder an- derer Suchtmittel wie zum Beispiel Haschisch und Heroin auf innerbe- triebliche Verhältnisse gemeint, und zwar soweit der Einnehmende selbst oder seine Kollegen in Mitleiden- schaft gezogen werden könnten.

Neben der gesundheitlichen Gefähr- dung durch den Konsum der ge- nannten Stoffe, der naturgemäß auch Krankheits- und Behandlungs- kosten verursacht und damit Kran- kenkassen, Unfall- und Rentenversi- cherungsträger nicht unerheblich belastet, steht die Beeinträchtigung der Produktion, etwa durch Fehlar- beitsleistungen.

In einem vielbeachteten Vortrag gab der Berliner Senator für Arbeit und Soziales, Olaf Sund, einen Überblick über die „Sucht-Situation" in den Betrieben. Er stellte fest, daß die Zahl der tablettenabhängigen Ar- beitnehmer erschreckend groß sei.

„Besonders häufig scheinen hier die Frauen betroffen zu sein. Bei ihnen läßt sich ein altersunabhängiger Konsum feststellen. Bei Männern ist ein erhöhter Medikamentenver-

brauch an Arbeitsplätzen mit Bela- stungskomplexen zwar nachzuwei- sen, zum Beispiel bei Schichtarbeit mit betriebsbedingten Arbeitser- schwernissen oder entsprechender Akkordarbeit. Aber die Häufigkeit der Medikamenteneinnahme liegt noch unter der der Frauen", erklärte Sund. Die Betriebsärzte hätten sich hier bereits mäßigend eingeschaltet, und sie würden sich auch in Zukunft noch intensiver mit den „Tabletten- stammkunden" beschäftigen.

„Entscheidend für ein erfolgreiches Eingreifen ist vor allem die Suche nach der Ursache des Medikamen- tenmißbrauchs. Bei seinen Aufga- ben wird der Betriebsarzt innerbe- triebliche Faktoren für die Ursachen von Schmerzen verschiedenster Körperabschnitte unter Umständen im betrieblichen Bereich auffinden, wie Zugluft oder schlechte Belüf- tung am Arbeitsplatz, unzweckmäßi- ge Beleuchtung und vieles andere mehr."

Ein besonderes Augenmerk gilt der Bekämpfung der seit Jahren zuneh- menden Haschisch- und Heroinwel- le bei Jugendlichen. Eine im Land Berlin vom Landesinstitut für Ar- beitsmedizin durchgeführte Umfra- Breitensport

chende Bewußtsein für die Werte der Vitalität bieten in dieser unserer Zeit einen starken Unterbau für sol- che Maßnahmen. Die Strategie einer modernen präventiven Gesundheits- politik wird viele Bereiche einschlie- ßen müssen. Ich nenne Gesetzge- bung, Forschung, Studium, Fortbil- dungswesen, Gesundheitserziehung als Schulfach, Ausbau des Sportun- terrichts, Mitwirkung der Massen- medien.

Schettler sagte: „Noch vor Ende des Jahrhunderts muß mit jährlich einer halben Million akuter Infarkte ge- rechnet werden, wenn es nicht ge- lingt, die Schwelle der Präventivme- dizin zu überschreiten."

Der Rudertrainer Karl Adam hat als eines der Motive des Sporttreibens einmal das Str:eben des Menschen genannt, seine „Glücksbilanz" zu verbessern. Sport ermöglicht Erfah- rungen der Selbstgewißheit, der Kommunikation mit anderen Men- schen und der Umwelt, des Gewinns an Lustgefühl und Spannung. Sport kann eine attraktive Möglichkeit der Einübung eines neuen Lebensstils sein. Eines solchen Lebensstils nämlich, in dem der Mensch lernt, sein gesundheitliches Schicksal und dadurch auch seine Glückserfah- rung aktiv mitzugestalten.

Die Bewältigung der Zivilisations- schäden ist eine Existenzfrage der nachindustriellen Gesellschaft. Un- ser Wohlstand in den nächsten Jahr- zehnten wird wesentlich davon ab- hängen. Der Sport bietet der Ärzte- schaft seine Bereitschaft an, an der Zukunftsstrategie für eine gesunde Lebensführung zusammenzuar- beiten.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Jürgen Palm

Deutscher Sportbund Otto-Fleck-Schneise 12 6000 Frankfurt 71

TAGUNGSBERICHT

Suchterkrankungen im Betrieb

Bericht über eine wissenschaftlich-praktische Fachkonferenz der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren

Die „Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren" widmete sich auf einer Tagung in Berlin der Drogen-Thematik auf einem speziellen Sektor: „Suchterkrankung im Betrieb — Früherkennung und Behand- lung als betriebliche Aufgabe" hieß das Motto der viertägigen Konfe- renz, die Ende Oktober stattfand. Mehr als 600 Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Betriebswirte, Verbandsvertreter und Angehörige des öffentlichen Dienstes ließen sich vor allem über arbeitsmedizinische und -rechtliche Fragen des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz sowie über Behandlungskonzepte für alkoholkranke Mitarbeiter verschiede- ner Betriebe unterrichten.

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 7. Dezember 1978 2993

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