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Archiv "Der sanfte Weg zur Fitneß: Wachsendes Interesse am Breitensport Zeichen eines erwachenden Gesundheitsbewußtseins?" (30.11.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen THEMEN DER ZEIT

Wenn die Zeichen nicht trügen, be- sinnt sich der Mensch unserer Tage wieder mehr auf die eigene Fortbe- wegung. Das Verhaltensbild der Freizeit ist differenzierter geworden.

Der Wochenendausflug ist nicht mehr unbestritten eine Fahrt mit dem Auto. Radfahrer und Spazier- gänger beleben die Szene. Aktiver Urlaub ist in Mode gekommen. Der am schnellsten wachsende Sport ist gegenwärtig der Dauerlauf. Im Win- ter sind eine halbe Million Skilang- läufer auf den Loipen zu finden, die Eisbahnen können die Schlittschuh- läufer kaum fassen.

Ein Fahrzeugmarkt erlebt einen be- sonderen Aufschwung: Vier Millio- nen Fahrräder werden, so schätzen Fachleute, in diesem Jahr in der Bundesrepublik verkauft. In den USA, wo das Fahrrad vor zehn Jah- ren noch kaum bekannt war, wurde es inzwischen zu einem Modeartikel.

Die Lust am Selberstrampeln ist bei jung und alt in Kanada inzwischen so groß, daß im vergangenen Jahr in Ottawa Wartelisten für Fahrradkäu- fer ausgelegt wurden.

Hundert Millionen Trimm-Traber Noch nie beobachtete man bisher in Deutschlands Parks und Wäldern so viel im Trainingsanzug dahertraben- de junge und alte, dicke und dünne Dauerläufer. Rund neun Millionen Menschen, so fand das Emnid-Insti- tut im April 1978 heraus, haben sich dem Aufruf des Deutschen Sport- bundes angeschlossen und laufen

„ohne zu schnaufen". Das Phäno- men ist, so scheint es, international.

Jogging oder Trimm-Trab hat rund um die Welt wahrscheinlich um die

einhundert Millionen Anhänger. In den USA allein, so ermittelte das Gallup-Institut im März, sind es 20 Millionen Personen, die sich bei die- sem sozusagen gebremsten Dauer- lauftempo gesundhalten möchten.

Im Londoner Hydepark, im Stanley- park von Vancouver, im Bois de Boulogne, an der Copacabana, durch den Meiji-Park von Tokio tra- ben morgens und abends die Heer- scharen der Trimmer. Auch um die Alster in Hamburg, durch den Stadt- wald in Frankfurt und an den Ufern des Zürich-Sees ist es ähnlich.

Aber alles in allem: Was ist denn das für ein seltsames Phänomen? Der Sport findet hierzulande wie im Aus- land einen so außerordentlich star- ken Zustrom, daß dahinter mehr zu vermuten scheint als eine vergängli- che Modelaune und mehr als eine der berühmten Wellen in der Zivili- sationsgesellschaft.

Was aber steckt hinter diesem Vor- gang? Ist es vielleicht die Angst, den durch Arbeit und Glück erworbenen persönlichen Wohlstand wegen ei- nes Leistungsabfalls jenseits der 40 nicht aufrechterhalten zu können, oder die Sorge, ausgerechnet jener dritte Mann oder jene vierte Frau zu sein, die im besten Alter vom Herzin- farkt bedroht sind?

Ist es vielleicht die Sehnsucht nach Jugendlichkeit, auf die sich die — ein deutliches Übergewicht mit sich herumschleppende — Gesellschaft unserer Tage besinnt? Oder gibt es in unseren Jahren, in denen so viel von der Umwelt und ihrer Erhaltung die Rede ist, auch eine Besinnung auf den Schutz und die Erhaltung der menschlichen Leiblichkeit?

Den Zusammenhängen zwi- schen Sport, Gesundheit und Gesundheitsbildung ging der Geschäftsführer des Deut- schen Sportbundes. Jürgen Palm, einer der Initiatoren der deutschen „Trimm-Bewe- gung", auf dem Sommer-Kon- greß der Bundesärztekammer in Davos nach. Der folgende Artikel beruht auf dem in Da- vos vorgetragenen Referat.

Humane Hoffnungen

Lassen wir die Frage nach den Gründen doch einmal offen. Die Ant- wort wird wohl komplexer Art sein.

Sicher erscheint aber eines: Was wir mit dem vielschichtigen Begriff Ge- sundheit meinen, das ist in verschie- dener Hinsicht an dieser Sportwelle beteiligt. Im Wachstumsphänomen des Sports sind bedeutende humane Hoffnungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft sichtbar geworden. Es sind Hoffnungen auf bleibende oder wieder zu gewinnende oder mög- lichst lange zu behaltende Vitalität.

Es sind Hoffnungen, in seinem Kör- per einen Partner für das Bestehen und Genießen des Lebens zu behal- ten. Es sind Hoffnungen auf Mög- lichkeiten, das persönliche wie das soziale Wohlbefinden durch persön- liche Aktivität zu verbessern. Es ist die Hoffnung, daß man Gesundheit in die eigene Hand nehmen kann.

Und dies ist eine große humane Chance. Es bedeutet zugleich eine Herausforderung, die allen gestellt ist, die sich um das Wohl des Men- schen — die Ärzte und die Sportfüh- rer — Gedanken machen.

Sportinteresse nimmt zu

Zunächst ein Blick auf die Wachs- tumskurve des Sports. Das Jahrbuch des Deutschen Sportbundes wies für 1960 5,2 Millionen Mitglieder auf.

1964 setzte der DSB als der größte Freizeitdachverband über die Hürde der 6 Millionen. 1970 wurden bereits 10,1 Millionen Menschen als Sport- vereinsmitglieder gezählt. Seit im

Der sanfte Weg zur Fitneß

Wachsendes Interesse am Breitensport

Zeichen eines erwachenden Gesundheitsbewußtseins?

Jürgen Palm

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 30. November 1978 2915

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Breitensport

gleichen Jahr die Trimm-Aktion ein- setzte, brach eine neue Welle an Sportinteressenten in diese längst zur größten Personenvereinigung der Bundesrepublik gewordene Or- ganisation ein. 1977 waren die 15 Millionen erreicht, und 22 Prozent der Bevölkerung hatten sich freiwil- lig in die — früher einmal als Opas Verein belächelte Gemeinschaft — einschreiben lassen.

Das Münchener Institut für Freizeit- forschung hat aus der Hochrech- nung vorliegender Statistiken und Untersuchungen eine Prognose bis 1985 entwickelt. Demnach sollen bis dahin zum Beispiel über zwei Millio- nen Menschen mehr skilaufen als heute, es sollen rund zwei Millionen mehr Schwimmer und über eine Mil- lion mehr Anhänger für Gymnastik, Heimtraining und Dauerlauf zu fin- den sein. Die Zahl der Tennisspieler würde sich laut dieser Hochrech- nung verdoppeln, die der Skilang- läufer verdreifachen. Es werden bis 1985 viermal soviel Reiter und 4 1/2- mal soviel Segler vorhergesagt.

Die Sportwelle rollt also weiter. Der Sport braucht Bewegungsraum.. So wird es bei jenen bisher schon rund 17 Milliarden DM Aufwendungen, vor allem der Gemeinden und der Länder, für den Sportstättenbau in den vergangenen 15 Jahren nicht bleiben können. Die Einstellungen, Gewohnheiten und Bedürfnisse der Sporttreibenden unseres Landes zu kennen und zu berücksichtigen, ist als politische Notwendigkeit inzwi- schen anerkannt. Die gesellschafts- politische Funktion des Sports wur- de von Bundespräsident, Bundesre- gierung, Bundestagsparteien ge- nauso wie von den Kirchen, der Bundesärztekammer, den Tarifpart- nern und vielen anderen bestätigt.

Man hat vermerkt, daß seit Beginn der 60er Jahre die Sportteilnahme der Bevölkerung von knapp 14 auf heute 47 Prozent gestiegen ist. Eine so hohe sportliche Aktivität wie die von Norwegen, wo sich 68 Prozent der Bürger trimmen, ist zwar noch nicht erreicht, erscheint aber auch bei uns im Laufe der nächsten 10 bis 20 Jahre möglich zu sein.

Freizeitrelevanz kann man dem Sport nicht absprechen. Inwieweit er auch eine gesundheitsförderliche Wirkung hat, wie seine präventive und rehabilitative Funktion nachge- wiesen werden kann und inwieweit sich daraus Folgerungen zum Bei- spiel auch für die Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und dem Sport ergeben, dies bleibt noch nä- her zu untersuchen.

Gesundheit hat viele Dimensionen.

Ihre Komplexität wird schon in der Definition der Weltgesundheitsorga- nisation sichtbar, die unter ihr nicht nur leibliches, sondern auch seeli- sches und soziales Wohlbefinden des Menschen versteht.

Im engeren medizinischen Sinne läßt sich darin wohl ein biologischer Gleichgewichtsprozeß verstehen, so wie es Mellerowicz tut, wenn er in der Gesundheit einen Ausdruck der Homöostase sieht, ein dynamisches Gleichgewicht der Stoffe, Formen und Funktionen des Organismus in Relation zu den Anforderungen der Umwelt.

Krankheitsursache:

Bewegungsmangel

Murarov, Kiew, hat darauf hingewie- sen, daß der Anteil der menschli- chen Bewegungsenergie am Ge- samtenergieaufkommen seit 1870 von rund 90 Prozent auf weit weni- ger als 1 Prozent gesunken ist. Port- mann äußerte den Gedanken, daß die Stillsetzung des Menschen als Bewegungswesen durch die Ersatz- funktion technischer Apparaturen die stärkste Veränderung in den physischen Lebensbedingungen des Menschen seit dem Übergang vom Nomaden zum Ackerbauer be- deutet.

Vor allem seitdem Kraus und Raab, USA, von hypokinetischen Erkran- kungen sprachen, drang der Begriff des Bewegungsmangels immer mehr in die ärztliche Fachliteratur vor. Man zählt ihn heute zu den pa- thogenetischen Faktoren und rech- net unter die Krankheiten, für die er mitverantwortlich ist, unter anderem

II> entgleisende Regulation des Kreislaufs, manche Formen der Hy- pertonie, Arteriosklerose, Koronar- insuffizienz und Infarkt, vegetative Dystonien, Fettsucht (in Verbindung von Bewegungsmangel bei Überer- nährung), Haltungsschwächen und -schäden, geriatrische Leiden.

Der Zusammenhang von Erkran- kungsart und Erkrankungshäufig- keit mit Bewegungsmangel ist oft behauptet, immer wieder aber auch angezweifelt und noch nicht in allen Hinsichten bewiesen worden. In den letzten Jahren jedoch werden die Nachweise aus Forschung und Er- mittlung dichter. So faßt Schettler, Heidelberg, in der „Therapiewoche"

Untersuchungen zum Fettstoff- wechsel und Koronarkrankheiten in dem Satz zusammen: „Sport und körperliches Training haben eine große Bedeutung in der Prävention der Arteriosklerose mit ihren Folge- krankheiten insbesondere der koro- naren Herzkrankheit."

Die Umsetzung der Schettlerschen Aussage auf steuernde Maßnahmen der Volksgesundheit bedeutet eine volkswirtschaftliche Dimension in Milliardenhöhe. Aber betrachten wir zunächst einmal die von ihm und seinem Mitarbeiterteam gemachten Feststellungen. Zwar werde das Se- rumcholesterin als einer der haupt- sächlichen Risikofaktoren durch körperliches Training nicht signifi- kant beeinflußt, doch komme es bei einer anderen Risikokondition, näm- lich in der Höhe der Serumtriglyce- ridwerte zu einer deutlichen Vermin- derung. Schettler meint, daß Sport und körperliches Training als le- benslange Präventionsmaßnahmen heute aus gutem Grund auch wis- senschaftlich verantwortet werden können, obwohl noch weitere harte Daten benötigt werden.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Untersuchungen von Roth, von Lopez, von Keul, Mitshel, Shor- land genannt werden. Strauzenberg, Leipzig, und seine Mitarbeiter haben 1972 und 1974 eingehende Untersu- chungen anläßlich eines vierwöchi- gen Dauertrainings von täglich 90 Minuten mit 187 Probanden durch-

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Immer häufiger zu sehen: Trimm-Traber „mit Kind und Kegel" in den deutschen

Wäldern Foto: dpa

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Breitensport

geführt. Strauzenberg stellte allge- mein eine statistisch nicht signifi- kante Reduzierung von 236 auf 214 mg je 100 ml fest, zugleich aber die bedeutsamere Ermittlung des Rückgangs von 310 auf 240 mg je 100 ml bei Werten der Patienten mit erhöhtem Serumcholesterinspiegel.

Die Senkung sei in solchen Fällen besonders intensiv, bei denen die Behandlung mit einer kalorisch re- duzierten Kost und Körperübungen kombiniert wurde. Hier ergab sich eine Senkung von 251 auf 186 mg je 100 ml.

Herz und Kreislauf stehen im Mittel- punkt der Diskussion um den Bewe- gungsmangel. Daß das verkleinerte und im Fett ertränkte Zivilisations- herz, nicht das normale Herz und das durch Ausdauersport vergrößer- te Herz, das sogenannte Sportler- herz, nicht ein krankhaftes Organ sei, das hat Reindell, Freiburg, ja schon früh nachgewiesen und eine jahrzehntelange Forschungsarbeit darauf aufgebaut. Hollmann hat in Köln u. a. die Wirkung des Ausdau- ertrainings auf Herz und Kreislauf an Probanden bestimmter Altersgrup- pen systematisch fortgeführt und dabei sieben Befunde der medizi- nisch relevanten Wirkung herausge- stellt:

1. Die Erhöhung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit;

2. Die Optimalisierung des Atemmi- nutenvolumens;

3. Die Erhöhung des maximalen Herzschlagvolumens;

4. Die Verbesserung des Quotienten von Herzvolumen zu Körpergewicht;

5. Die Verringerung systolischer Druckwerte;

6. Die Erhöhung des arteriellen Sauerstoffpartiald rucks;

7. Die Verminderung des Laktat- spiegels bei Belastung und die Sen- kung des Triglyceridspiegels.

Hollmanns Feststellung, daß Perso- nen im sechsten und siebten Le-

bensjahrzehnt nach 10- bis 12wö- chigem Ausdauertraining die Werte von 20 Jahre jüngeren Normalperso- nen erreichen, revolutionierte inzwi- schen den Freizeitsportbetrieb der Vereine und hat erheblichen Einfluß auf jene Kampagne des deutschen Sports genommen, die unter dem Motto „Trimm-Trab, das neue Lau- fen ohne zu schnaufen" inzwischen rund 9 Millionen Anhänger gewon- nen hat.

„Ferien" für das Herz

Aus den 17 internationalen Untersu- chungen, die Kraus und Raab in

„Hypokinetic Diseases" seinerzeit auswerten konnten, sind inzwischen Hunderte geworden. Dabei trifft man auch auf anschauliche und für den Laien einleuchtende Feststeilungen.

Dazu gehört zum Beispiel jene von Mann (Vanderbilt-Universität), der an 15- bis 50jährigen afrikanischen Massais, die täglich 20 km beim Viehhüten zurücklegen, eine lebens- lange Zunahme der Arteriendurch- messer fand.

Besonders anschaulich ist auch je- ner Hinweis von Steinhaus, Chicago,

daß bei der Okonomisierung der Herzschlagzahl die „Ersparnis" der Pulsfrequenz sozusagen zu insge- samt 18 Tagen „Ferien" im Jahr ex- tra für das Herz führe.

Mellerowicz kommt im gleichen Zu- sammenhang auf eine Einsparung von 50 Millionen mkp. Er vermerkt, daß die durchschnittliche Dauer der Diastole von 0,5 sec auf 1 sec und mehr ansteigen und so die Sauer- stoffversorgung des Myokards ent- sprechend beeinflußt werden kann.

Morris beobachtete, daß der Infarkt bei Omnibuschauffeuren Londons im Alter zwischen 35 und 64 Jahren achtmal so häufig auftrat als bei gleichaltrigen Schaffnern, die trepp- auf treppab in Doppeldeckerbussen arbeiteten.

Kavanagh hat in Toronto an 700 sporttreibenden Nachinfarktpatien- ten eine Sterblichkeitsrate von 1,2 Prozent jährlich gegenüber einer von 6 bis

12

Prozent bei den Nicht- sportlern herausgefunden. Bei in- tensiv unter ärztlicher Aufsicht trai- nierenden Patienten konnte er einen um 80 Prozent geringeren Befund der arteriosklerotischen Ablagerun- gen feststellen.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Breitensport

Kette von Risikofaktoren

Bisher hatten wir es jedoch bei der Ermittlung des Zusammenhangs von Training und Kreislauffunktion mit einem relativ beschränkten Per- sonenkreis und mit Untersuchungen über einen kürzeren Zeitraum zu tun. Als sich jedoch 1977 die Ameri- can Heart Association in Miami zu ihrer Jahreskonferenz traf, wurde ein auch von der Öffentlichkeit regi- strierter Durchbruch in dieser Sache vorgetragen.

Paffenbarger und seine Mitarbeiter von der Stanford-Universität legten die Ergebnisse einer epidemiologi- schen Langzeitforschung vor, in die 36 000 ehemalige Harvard-Studen- ten einbezogen wurden. Die befrag- ten Personen vom mittleren bis ho- hen Alter wurden nach Art und Um- fang ihrer täglichen Bewegungsge- wohnheiten in verschiedene Grup- pen eingestuft. So ging man bei- spielsweise vom Kalorienverbrauch beim Treppensteigen, beim Zufuß- gehen und bei verschiedenen in ih- rer Intensität unterschiedlichen Sportarten aus.

Dabei ergab es sich, daß alle jene, die weniger als 50 Treppenstufen pro Tag stiegen oder die weniger als 700 m zu Fuß je Tag laufen, eine um 30 Prozent höhere Infarktgefähr- dung aufwiesen als die aktiveren Probanden. Paffenbarger konnte nachweisen, daß unter den sportlich Inaktiven Herzinfarkte um 55 Pro- zent häufiger sind als unter Sport- lern. Dabei scheint sich ein wö- chentlicher zusätzlicher Mindestver- brauch von 2000 Kalorien als eine entscheidende Marke des Bewe- gungsverhaltens herauszustellen.

Laut Paffenbarger waren Proban- den, die in der Woche weniger als 2000 Kalorien zusätzlich durch Be- wegung verbrauchten, um 64 Pro- zent stärker infarktgefährdet als die aktiveren Personen.

Auf die Wirkungskette von Bewe- gungsarmut, Überernährung, weite- ren Risikofaktoren wie Rauchen usw., hat schon Anfang der sechzi- ger Jahre Gottheiner, Tel Aviv, hin- gewiesen:

„Ein Mangel an körperlicher Tätig- keit löst eine Kette von Reaktionen aus, die sich gegenseitig verstärken.

Wer sich körperlich wenig an- strengt, ißt oft auch mehr als er braucht. Als Folge davon setzt sich Fett an. Fettansatz wieder erhöht den Blutdruck. Beide Faktoren scheinen dann den Bewegungs- drang herabzusetzen. Menschen, die sich wenig bewegen, suchen ei- ne Stimulanz, die sie im Rauchen zu finden meinen. Rauchen wiederum verschlechtert die Kreislauffunktion.

Schließlich ist ein weiteres Glied in der Schadenskette die Unfähigkeit, die natürlichen Angriffs- und Flucht- reflexe frei ablaufen zu lassen. Die Folge davon, der Mensch lebt dau- ernd unter Spannung. Im weiteren Verlauf kommt es zu Angina pectoris und Herzinfarkt, was häufig den An- fang vom Ende bedeutet."

1965 bot sich mir erstmalig die Gele- genheit, Gottheiner bei der Arbeit in Tel Aviv mit Nachinfarktpatienten zu beobachten. Ich sah rund 100 meist ältere Personen bei Geh-, Gymna- stik- und Laufübungen, in Untersu- chungen und in Gesprächen mit Arzt und Übungsleitern. Gottheiner stell- te einige der Patienten und ihre Krankheitsgeschichte vor und machte die unvergeßliche Bemer- kung, daß es vielen dieser vom Le- bensschicksal und Krankheit ge- schlagenen Menschen jetzt besser gehe als je zuvor.

Aus den mehr als 5000 Menschen, die vom Beginn der 40er Jahre an bis zum Tode Gottheiners 1974, von ihm durch ein kombiniertes Pro- gramm von Rekonditionierung durch Bewegungstherapie, Rau- cherentwöhnung, Diätschulung und Psychotherapie rehabilitiert wurden, ist weltweit längst ein Vielfaches ge- worden. In den Industrieländern rund um den Erdball haben heute Rehabilitationsmaßnahmen mit Be- wegungstherapie schon einen fe- sten Platz.

Die volkswirtschaftlichen Dimensio- nen der vermeidbaren Krankheiten sind so außergewöhnlich, daß ihre Verhinderung oder doch Begren- zung die Grundlage dafür ist, ob wir

uns auch in Zukunft einen maßvol- len Wohlstand überhaupt noch lei- sten können oder an den vermeidba- ren Folgen des heutigen „way of life" wirtschaftlich verarmen müs- sen. In den beiden letzten Jahrzehn- ten dieses Jahrhunderts muß es ge- lingen, nicht nur die Bereitstellung von Energie, die Erhaltung der Um- welt und die Gewährung gerechter Lebenschancen der nachdrängen- den ärmeren Völker zu sichern, son- dern ebenso die Zivilisationskrank- heiten einzudämmen.

Staatliche Pläne

für Gesundheitsvorsorge

Aus drei voneinander entfernt lie- genden, aber von den Folgen der Technologie gleichermaßen gepräg- ter Ländern liegen dazu staatliche Pläne vor.

So legte die schwedische Regierung 1969 einen Zehnjahresplan, MEK, für ein nationales Programm der Er- nährungs- und Bewegungsgewohn- heiten vor.

Die kanadische Regierung verkün- dete 1974 mit dem erklärten Ziel, die Prävention in den Vordergrund des Gesundheitswesens zu rücken, ihr nationales Programm unter dem Ti- tel „Perspectives de la Santö des Canadiens".

Im Auftrag des japanischen Mini- sterpräsidenten wird seit 1975 an der Herausgabe eines Weißbuches der japanischen Regierung gearbei- tet, in welchem die Empfehlungen der japanischen Ärzteschaft, der Ta- rifpartner und des Sports zu einem staatlichen Plan der Gesundheits- vorsorge mit langfristiger Anlage auf das Jahr 2000 hin zusammengefaßt sein sollen.

• Wird fortgesetzt Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Jürgen Palm

Deutscher Sportbund Otto-Fleck-Schneise 12 6000 Frankfurt 71

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